Der Washingtoner Konsens ist gebrochen

Eine Analyse über Hintergründe zum Fall Strauss-Kahn, zur vermeintlichen Schuldenkrise in den USA, das Scheitern der „Globalisierung“ und gänzlich neue Zeiten.

Vorgestern besuchte Timothy F. Geithner den recht vornehmen Harvard Club of New York. Dort forderte der Finanzminister der USA den Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf, zu einer Sondersitzung zusammen zu treten und anstelle vom inhaftierten Dominique Strauss-Kahn einen neuen Managing Director zu wählen.

Im typischen Amtszynismus verkündete Geithner zur Strauss-Kahn-Affäre (1):

Ich kann zur der Sache keinen Kommentar abgeben, aber (Strauss-Kahn) ist offensichtlich nicht in der Position den IWF zu leiten und es ist wichtig, dass das Board (Anm.: „Board of Governors“, Gouverneursrat) formell jemanden für eine Interims-Periode an die Stelle setzt, der als Direktor („Managing Director„, IWF-Direktor) fungiert.“

Entgegen landläufiger Meinung ist die „Sonderorganisation“ der „Organisation der Vereinten Nationen“ (UNO) vor der UNO gegründet worden. Die UNO Charta wurde am 26. Juni 1945 in San Francisco unterzeichnet. Der IWF dagegen entstand mit den Bretton-Woods-Verträgen am 22.Juli 1944 durch die 2.Weltkriegs-Alliierten von 44 Staaten unter der Leitung der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Witzigerweise schuf Bretton Woods auch die IBRD, die „International Bank for Reconstruction and Development“.

Es gab da kürzlich einen Anlass, sich dessen mal wieder bewusst zu werden. Denn wieder einmal ging nur ein „Hä?“ durch Deutschland. (Bundestag unterwirft Banken, IWF, EFSF, ESM, EU und Merkel dem Grundgesetz, 16.März)

I

Im Gouverneursrat des IWF sitzen die Finanzminister und stellvertretend die Zentralbanker der stimmberechtigten Mitglieder der Sonderorganisation. Für die Berliner Republik sitzt dort also Wolfgang Schäuble. Schäubles Stellvertreter: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, bis vor wenigen Tagen noch Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt.

Derzeit führt der ex- Chefökonom der Investmentbank J.P.Morgan, John Lipsky, als Stellvertreter Strauss-Kahns die Geschäfte des IWF. Lipskys Amtsantritt als IWF-Vize erfolgte 2006. Die „Finanzkrise“ des Kapitalismus, welche weltweit die Staatsbürger im Einflußraum der Währungszonen mit Banken-Geldschöpfungsmonopol Billionen ihrer jeweiligen Währungseinheiten zugunsten der Banken kostete, erfolgte 2008. In der Woche vor der Verhaftung von Strauss-Kahn hatte Lipsky überraschend bekannt gegeben, dass er als IWF-Vize nicht mehr antreten werde. Als Nachfolger wird – simsalabim – unter anderen begnadeten Hochstuhlfinanzmagiern auch Gordon Brown genannt.

Kurz bevor in Deutschland die Banken der „großen Koalition“ von Angela Merkel das „Finanzmarktstabilisierungsgesetz“ in Höhe von einer halben Billion Euro diktierten und, innerhalb von sechs Tagen nach Bekanntgabe, am 17.Oktober 2008 durch den willigen Bundestag peitschen ließen, waren es ausgerechnet IWF-Vize Lipsky und der damalige britische Premierminister Brown, die am 28.August 2008 die Sorge äußerten, dem IWF könne „das Geld ausgehen“. Brown hatte China und die Arabischen Monarchien am Persischen Golf aufgefordert, dem IWF „einen Teil ihrer riesigen Devisenreserven zur Verfügung zu stellen“. (28.Oktober 2008, Asien und Arabien sollen einen IWF-Bail Out für den Westen bezahlen)

Der damalige deutsche Aussenminister Frank Steinmeier (heute Fraktionsführer der „SPD“ im Bundestag) hatte am gleichen Tag in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad „Finanzhilfen“ für das pakistanische Regime gefordert. Er hoffe, so Steinmeier damals nach Gesprächen mit Präsident Asif Ali Zardari und Außenminister Shah Mahmood Qureshi, dass der IWF schnell über die von Islamabad geforderten 5 Milliarden Dollar „Finanzhilfen“entscheide: „nicht in sechs Monaten oder in sechs Wochen, sondern in sechs Tagen”, so Steinmeier damals wörtlich.

Im Gespräch als Nachfolger des inhaftierten IWF-Direktors Strauss-Kahn sind zur Zeit der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, sowie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Beide hatten damals im September/Oktober 2008 das „Finanzmarktstabilisierungsgesetz“ in geheimen Sitzungen im Bundesfinanzministerium mitausgearbeitet. Gleichzeitig versuchte die „große Koalition“ der Parteien SPD, CDU und CSU in einem geheimen Treffen im Bundeskanzleramt am 5.Oktober putschartig den Militäreinsatz im Inneren in die Verfassung schreiben zu lassen. Das Verfassungsänderungsgesetz ausgearbeitet hatten zuvor die Bundesministerien der Justiz (Brigitte Zypries, SPD), des Inneren (Wolfgang Schäuble, CDU), der Verteidigung (Franz Jung, CSU), sowie das Auswärtige Amt (Frank-Walter Steinmeier, SPD). (Die HRE-Staatsaffäre: Chronologie eines Staatsstreichs)

Diesen Putsch gegen die zivile Republik verhinderte ausschliesslich die FDP, deren bayrischer Landesverband in Bayern mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kurz zuvor wieder in den bayrischen Landtag und anschließend in die Münchner Landesregierung eingezogen war. Durch diese Regierungsbeteiligung verfügte die FDP auf Bundesebene über eine verfassungswahrende Sperrminorität im Bundesrat. Kurz vor der Bayernwahl, während Banker und Bundesregierung bereits in geheimen Treffen zu Berlin über den anschließenden Bail Out verhandelten, hatte es die üblichen Versuche gegeben, die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler massiv zu beeinflussen – erfolglos. (27.September 2008, Behörden und Konzernmedien starten Terrorkampagne vor Bayernwahl)

Zurück nach New York.

II

Während die globale Informationsindustrie die Außerungen von US-Finanzminister Geithner zur Nachfolge Strauss-Kahns gestern ausführlich zitierte, vermied sie peinlichst den Zusammenhang zwischen anderen Statements Geithners an gestrigen Abend im Harvard Club der us-amerikanischen Oberschicht herzustellen. Das hat seine Gründe.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind, im Gegensatz zu gestreuten Wikipedia-Witzen (merke: „Abgeordnete auf Lebenszeit ernannt“), die älteste bestehende Republik der Welt und sicherlich auch die mächtigste. Zur Zeit läuft gegen die Republik USA ein Erpressungsversuch, der das Ziel hat, diesen Staat – wie nach einem Schlangenbiss – zuerst langsam zu lähmen, dann handlungsunfähig zu machen und letztlich sterben zu lassen. Dieser Vorgang, der von außen und innen vehement aufgezwängte Selbstmord aus Angst vor dem Tod, wird allgemein „Schuldenabbau“ genannt. Ausführende Akteure sind genau die Kräfte, die diesen Staat über ihr Geldschöpfungsmonopol kontrollieren – die Banken, die Zentralbank, ihre eingekauften Unterstützer (in den USA ist das fast jeder, der mehr als ein Laptop besitzt) und die mächtigsten Instrumente des Weltkapitalismus, die Ratingagenturen.

Einfach ausgedrückt will man den Staat dazu zwingen, nichts anderes mehr zu tun, als die „Schulden“ zurückzuzahlen, die man ihm vorher als Finanzmagier selbst erfunden und als einzige wirklich systemrelevanten Kräfte aufgezungen hat. Genau das passiert übrigens überall im kapitalistischen US-Einflußbereich. Befördert wird dieser Staatsabbau mit dem Argument, es sei besser weniger Schulden zu haben, als darauf ständig steigende Zinsen zu zahlen. An wen der Staat diese Zinsen zahlt und warum er dies überhaupt muss, wird dabei stets tunlichst verschwiegen. Ebenso die einfache Überlegung, wer den Staat überhaupt braucht und wem er im Gegenteil eher lästig ist. Das führt dazu, meistens genau für diejenigen die Steuern zu senken, die einerseits weniger auf ihn angewiesen sind und andererseits ihn fortwährend ausplündern: Banken, Konzerne, die Upper Class.

Allein die im Herbst 2008 durch die Banken, Finanzkonglomerate und die Bush-Regierung mit derem Finanzminister Henry Paulson („Republikaner“) verursachte „Finanzkrise“ kostete nicht die „Finanzwirtschaft“, sondern den Staat USA und seine Steuerzahler über 3 Billionen Dollar in bar und 11 Billionen Dollar an Garantien. Macht summasummarum die stattliche staatliche Summe von 14 Billionen Dollar, die die USA für Banken, Finanzkonglomerate und Konzerne wie z.B. in der Automobilindustrie ausgab. Und das nur bis November 2009 (2).

14 Billionen Dollar, genauer gesagt 14.294.000.000.000 Dollar, ist exakt die staatlich festgelegte Schuldenobergrenze der USA, welche der Senat am 28.Januar 2010 als „Statutory Pay-As-You-Go Act“ ratifizierte (3). Nach Erreichen dieses Schuldenstandes darf die Regierung schlicht keine neuen Schulden mehr bei den Banken machen. Der veränderte ursprüngliche Gesetzentwurf des zuständigen Repräsentantenhauses vom Sommer 2009 (damals waren hatten in beiden Kongresskammern die „Demokraten“ die Mehrheit) wurde vom Haus am 4.Februar 2010 bestätigt.

Und genau dieser gesetzlich festgelegten Obergrenze der Staatsschulden –  die verursacht und verwaltet werden von den Finanzmagiern, unter tatkräftiger Mithilfe der US-Partei „Republikaner“ und unter tatkräftigem Wegsehen aller tatsächlichen republikanischen und demokratischen Kräfte – nähern sich jetzt die Vereinigten Staaten.

Wer wüsste das besser als der Finanzminister, der diese Schulden und das entsprechende Geldsystem zu verwalten hat. Und wer wüsste das besser, als der Präsident, der diesen Finanzminister ernannt hat.

III

Artikel 1 der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika garantiert der Komgresskammer Repräsentantenhaus die alleinige Kompetenz der Steuergesetzgebung. Der Präsident hat, ebenfalls durch Artikel 1 Constitution vorgeschrieben, ein Vetorecht, kann aber selbst (aus verdammt gutem Grund) keine Gesetze verändern oder gar erlassen. Im Repräsentantenhaus haben mittlerweile die „Republikaner“ die Mehrheit. Sie haben angekündigt, auf keinen Fall die (von demokratischer Mehrheit beschlossene) Schuldenobergrenze anzuheben, sondern verlangen radikale Kürzungen aller staatlichen Leistungen und Ausgaben, vorneweg natürlich im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen.

Dabei besteht nicht die tatsächliche Gefahr eines Staatsbankrotts, oder die tatsächliche Zahlungsunfähigkeit der USA. Es geht lediglich um das Erreichen einer vom Kongress selbst definierten Schuldenobergrenze. Diese kann jederzeit durch den Kongress angehoben werden.

Also kurz zusammen gefasst: die USA machen immer mehr Schulden bei den Banken wegen den Schulden der Banken, die der Staat bezahlt hat. Seit Monaten gibt es nun ein Tauziehen darum, wieviel Billionen Dollar der Staat nicht mehr für den Staat ausgeben darf und stattdessen die für die Banken-Schulden bei den Banken gemachten Schulden an die Banken zurückzahlt. Die „Republikaner“ blockieren im Repräsentantenhaus eine Anhebung der gesetzlichen Schuldenobergrenze und erpressen, im Duett mit den Banken, den schlechtesten US-Präsidenten seit dem letzten US-Präsidenten und den schwächsten seit Jimmy Carter – Barack Obama.

IV

Obamas Finanzmagiermegafon Thimothy Geithner, der nicht wirklich anderes zu tun hat als die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Herrscher über die USA im Unklaren zu lassen, schrieb dieses Jahr mehrere Bettelbriefe an den Kongress und zielte dabei natürlich auf das zuständige Repräsentantenhaus mit seinem neuen „republikanischen“ Sprecher John Boehner.

Der Inhalt war stets der gleiche: „bitte, bitte, bitte und wenn nicht, dann, dann, dann, sonst, sonst, sonst.“ Finanzminister Geithner versuchte die am längeren Hebel sitzenden „Republikaner“ mit wilden Untergangsszenarien zu erpressen (was er nicht konnte) und benannte sogar immer wieder einen festen Zeitpunkt, an dem die Regierung zahlungsunfähig sein und die Welt a.k.a the United States of America ganz bestimmt untergehen werde.

Im Januar sagte Geithner,die Schuldenobergrenze („Zahlungsunfähigkeit“) würde am 31.März erreicht, dann hiess es, die USA würden am 5.April pleite sein, im April hiess es dann am 8.Juli und diesen Montag, am 16.Mai, schrieb Geithner noch einen Bettelbrief an Repräsentantenhaus-Sprecher Boehner und sagte, gut, bisher sind wir davon gekommen – aber am 2.August. Da ist dann wirklich alles vorbei. (4)

Natürlich machten die „Republikaner“ gar nichts. Die Schuldenobergrenze würde nicht angehoben. Im Gegenteil.

Letzten Dezember hatte das von den „Republikanern“ kontrollierte Repräsentantenhaus das gemacht, was in solchen Situation vermeintlich konservative oder liberale Parteien weltweit immer gern zu tun pflegen: sie hatten die Steuern a.k.a. Staatseinnahmen gesenkt – natürlich nur für die Upper Class. Und Präsident Obama hatte dem zugestimmt. Am13.April versuchte der nun einen halbherzigen Gegenangriff, wie immer nur gegen seine eigene Entscheidung (5):

„Im Dezember habe ich einer Steuersenkung für die reichsten Amerikaner zugestimmt, weil es der einzige Weg für mich war eine Steuererhöhung für Amerikaner der Mittelklasse zu verhindern.“

Obama schlug dem von den „Republikanern“ beherrschten Kongress vor, zur Linderung des Schuldenstandes die von ihm selbst unterschrieben Steuerkürzungen für Superreiche Ende 2012 auslaufen zu lassen und so dem Staat die eine Billion Dollar wiederzuholen, die er höchstpersönlich den Superreichen noch obendrauf in den Schlund gekippt hatte. Natürlich wusste Obama, dass dieser Vorschlag von den „Republikanern“ im Repräsentantenhaus niemals umgesetzt werden würde. Obama machte also ein Angebot, was man nicht machen kann. Zweck war einzig und allein die Stimmung in der Öffentlichkeit zu seinen Gunsten zu drehen.

Insgesamt machte Obama den „Republikanern“ am 13.April das Angebot, im Rahmen eines Defizitplans, der neben immensen sozialen Kürzungen für die Gesamtbevölkerung auch milde Gaben aus der Oberschicht des Staates beinhaltete, über 12 Jahre das Staatsdefizit um vier Billionen Dollar zu reduzieren (6). Er setzte dem Repräsentantenhaus eine Frist bis Ende Juni (die er nicht setzen konnte) und kündigte für Mai Verhandlungen mit dem Kongress an (die er nicht führen konnte).

Wer aber hatte nur einen Tag vor der Verkündigung des Defizitplans von Obama die USA aufgefordert, endlich ihr Haushaltsdefizit zu reduzieren und dafür auch „schmerzliche Beschlüsse“ in Kauf zu nehmen? Und wer stimmte Obama einen Tag nach Verkündung von dessen Defizitplan am 14.April öffentlich zu? Niemand anderes als IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn. (7)

V

Strauss-Kahn hatte nur zehn Tage zuvor, zumindest rhetorisch, einen dramatischen Schwenk vollzogen. In einem Vortrag mit dem Titel „Globale Herausforderungen, globale Lösungen“, hatte der bekannte Reaktionär und oberste Direktor des Internationalen Währungsfonds in der George Washington University Töne angeschlagen, die so zuvor weder vom IWF, geschweige denn von ihm zu hören waren. Strauss-Kahn am 4.April in Washington (8)

„Wir leben in einerm sehr einzigartigen Moment der Geschichte, einer Periode großer Umbrüche. Wie Sie alle wissen, verwüstete die globale Finanzkrise die globale Wirtschaft und verursachte überall in der Welt unabsehbare Not und Leid. Aber sie tat mehr als das – sie verwüstete auch die intellektuellen Grundlagen der globalen Wirtschaftsordnung des letzten Vierteljahrhunderts.“

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1990/1991 war das Schlagwort vom „Washingtoner Konsens“ (Washington Consensus“). Er umschrieb das Dogma der finanzmagischen Kirche der „Globalisierung“, des Weltkapitalismus, die seit 21 Jahren ihren Gläubigen als Gläubiger der Weltstaatengemeinschaft in Schlüsselpositionen brachte als „systemrelevante“ Krake die Völker der Welt fortan nach Belieben auspressen, schinden und ausbeuten ließ. Die willigen, gekauften Funktionäre vermeintlich sozialer, demokratischer, oder linker Parteien, wirkten kräftig mit und bauten, wie so viele, ihre Lebensläufe darauf auf. Einer von ihnen war Strauss-Kahn, der designierte Präsidentschaftskandidat der französischen „Sozialistischen Partei“, einer heuchlerischen Verrätermaschine, die seit 21 Jahren ausschliesslich dem „Washingtoner Konsens“ der Marktradikalen gefolgt war und währenddessen die ganze Zeit das Gegenteil propagiert hatte.

Doch nun – simsalabim – stand Strauss-Kahn in Washington und erzählte, irgendetwas sei auf einmal ganz anders. Die „grundlegenden Mantras“ des Washingtoner Konsens, so Strauss-Kahn – Deregulierung des Kapitals und „Privatisierung“ (also Verkauf von Staatseigentum und sensiblen Schlüsselsysteme für Wasser, Nahrung, Energie und Verkehrssysteme an Banken und Kapitalisten) würden „Wachstum und Wohlstand“ freisetzen, sowie der Glaube, „die steigende Welle der Globalisierung würde jedes Boot heben“ (anstatt die kleinen Kutter zum Kentern zu bringen und absaufen zu lassen) – seien mit der Finanzkrise „zusammengebrochen“.

Der Washingtoner Konsens liegt nun hinter uns. Die Aufgabe vor uns ist, die Grundlagen unserer Stabilität wiederaufzubauen, sie dazu zu bringen die Tests der Zeit zu bestehen und die nächste Phase der Globalisierung für alle arbeiten zu lassen.“

Strauss-Kahn, seltsam genug, erinnerte an Prognosen aus dem Jahre 1933, ausgerechnet von John Maynard Keynes. Er erinnerte an das Ende des der Weltwirtschaftskrise folgenden 2.Weltkriegs und die Gründung des Internationalen Währungsfonds.

„Natürlich wollen wir nicht zurückkehren zu den 40ern. Wir wollen nicht zurückkehren in eine Zeit, in der eine kleine Zahl von Ländern dominierten. Wir wollen nicht der Offenheit den Rücken zudrehen. Aber wir können zurückkehren zu den Prinzipien, auf denen diese Nachkriegs-Wirtschaft gebaut wurde. Wir können von der Vergangenheit borgen, um die Zukunft zu erreichen. Der IWF hat hier eine Schlüsselrolle zu spielen. Er muss sich mit seiner ursprünglichen Mission wieder verbinden, welche ist, Kooperation zu befördern und die wirtschaftlichen Wurzeln des Krieges zu bekämpfen.

Das war und ist nur Gerede. Aber es war definitiv anderes Gerede als bisher. Daß diese Aussagen des IWF-Präsidenten Strauss-Kahn, bis auf einen kleinen Artikel im linken Konsensblatt „Neues Deutschland“ (9), in der deutschen Presse so überhaupt nicht auftauchten, ist bezeichnend.

Vier Tage nach der Bekanntgabe seines Defizitplans durch US-Präsident Barack Oabama und drei Tage nachdem ihm Strauss-Kahn beigepflichtet hatte, geschah abermals etwas sehr Interessantes.

VI

Am 18.April ließ die Ratingagentur Standard & Poor´s (S&P) verkünden, man erwarte „mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu drei“, daß man die eigene Bewertung der Verschuldungsfähigkeit (Kreditwürdigkeit, Bonität) des Staates USA innerhalb der nächsten zwei Jahre vom derzeit höchstmöglichen Stand „AAA“ absenken werde. Als Begründung wurde ausdrücklich die laufenden Verhandlungen zwischen „Republikanern“ und „Demokraten“ über eine Senkung der Staatsausgaben genannt. Man sehe, so S&P, eine gewisse Möglichkeit, daß sich beide Parteien wegen zu großer Unterschiede bis zur nächsten Präsidentenwahl 2013 nicht einigen könnten. (10)

Wie bereits umschrieben, bestand keinerlei tatsächliche Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten. Diese Dreistigkeit einer von vier mächtigen Ratingagenturen der Welt (die im übrigen von börsennotierten Finanzkonzernen bezahlt werden) war also nichts anderes als ein offener Erpressungsversuch gegen das Weiße Haus und den Präsidenten der USA.

Derweil setzte Strauss-Kahn seine merkwürdige Wandlung fort. Sowohl bei einer Rede in der den US-„Demokraten“ nahestenden „Brookings Institution“ (einem globalistischem und bellizistischem Think Tank), als auch beim kurz darauf stattfindenden Frühjahrstreffen des IWF schlug Direktor Strauss-Kahn ähnliche Töne wie bei seiner Rede in der George Washington University an. Das fiel u.a. Ökonom Joseph Stiglitz auf, der mittlerweile vom überzeugten Feudalisten zum Anhänger eines wenigstens gebändigten Globalismus konvertiert ist. Stiglitz schrieb am 5.Mai in seinem Artikel „Der rechtzeitige Schwenk des IWF“ in sicherlich übertriebenem, aber im nachhinein zweifellos gespenstisch wirkendem Überschwang (11):

„Strauss-Kahn hat sich als scharfsinniger Führer des IWF erwiesen. Wir können nur hoffen, dass Regierungen und Finanzmärkte seinen Worten Beachtung schenken werden.“

Nun, ganz sicher taten sie das. Und wie sie das taten.

VII

Vorgestern also, am Montag dem 16.Mai 2011, stand nun Timothy Geithner, der Finanzminister der ältesten bestehenden Republik der Welt, inmitten von Superreichen und Mächtigen im Harvard Club of New York. Wie zu Anfang umschrieben, forderte er Strauss-Kahn indirekt zum Rücktritt auf und die Wahl eines „Interims“-Nachfolgers zum IWF-Direktor.

Doch Geithner fand auch noch ein paar Worte zur Situation der USA und dem Machtkampf des Präsidenten mit dem „republikanisch“ dominierten Repräsentantenhaus.

Die Haushaltsprobleme, so Geithner, seien so „vordinglich“, daß sie die Grundlagen der „wirtschaftlichen Stärke“ der USA zu unterminieren drohten, ebenso wie deren „Nationalen Sicherheitsinteressen“. Aber:

„Washington ist ein komplizierter Platz und es wirklich schwer das politische Theater von dem zu unterscheiden, was real ist, was geschieht. Die Führerschaft der Republikanischen Partei hat dem Präsidenten klar gemacht, daß sie das hinbekommen werden, sie werden nicht allzu lange brauchen.“

Führende „Republikaner“ hätten ihm, so Geithner vorgestern im Harvard Club, unter der Hand versichert, dass sie bei den Verhandlungen über eine Anhebung der gesetzlichen Schuldenobergrenze „keine Faxen“ („monkey around“) machen würden.

„Weder der Kongress noch die (Obama-)Administration sollten in der Lage sein, unrealistische Annahmen über zukünftiges Wirtschaftswachstum, oder zukünftigen politischen Mut, oder andere Formen des magischen Denkens zu gebrauchen, um das Ausmaß der Reformen zu minimieren, die notwendig sein werden.“

Ob Geithner nun diesen wohlmeinenden Ratschlag – auch an die eigene Regierung – mit Rückendeckung des Präsidenten von sich gab, darf durchaus bezweifelt werden. Letztlich ist dies aber ohne Belang. Das Schattenboxen um das Haushaltsdefizit ist ein Machtkampf um die Anerkennung einer Wählerschaft, die weder begreift durch wen sie eigentlich alles betrogen wird, noch wie dieser Betrug über die Bühne geht, noch welches Ausmaß dieser Plünderungsfeldzug gegen den eigenen Staat angenommen hat. Wenigstens das teilen die USA mit ihrem Einflußbereich: die Naivität der Staatsbürger.

VIII

Gestern, nur einen Tag nach Geithners deutlicher Aufforderung, trat der im New Yorker Hochsicherheitsgefängnis Rikers Island inhaftierte Strauss-Kahn von seinem Amt als Direktor des Internationalen Währungsfonds zurück. Heute meldeten China und Brasilien ihre Ansprüche auf das Amt an (14). Letzte Woche schlossen die USA und China ein „Meilenstein“-Abkommen über Wirtschafts- und Militärfragen. (15)

Durch die Nomenklatura der „Europäischen Union“, die sich derzeit nur noch mit surrealen autoritären Drohungen gegen Ablösetendenzen ihrer immer noch souveränen Mitgliedsstaaten zu helfen weiss, geht derzeit ein Schock. Es wird nicht der letzte sein. Wer auch immer im EU-Einflußbereich geglaubt hat, vom Fall Strauss-Kahn zu profitieren – sei es der deutsche Finanzminister Schäuble, sei es die mit Schäuble schwankende Kanzlerin Merkel, sei es der noch bis nächstes Jahr amtierende französische Präsident Nicolas Sarkozy – der wird sich täuschen und stattdessen, sehr bald, ein unvergeßliches Erwachen erleben.

Wer auch immer nun in die Machtposition des IWF-Direktors aufrücken wird und welche Entscheidungen die Regierungen in den USA und innerhalb der EU auch immer treffen werden – die Zeit des Washingtoner Konsenses sind in der Tat vorbei.

Neue Zeiten brechen heran. Ein neuer Anfang für die Menschheit.

Epilog 19.50 Uhr

Heute Abend waren sich in der deutschsprachigen Informationsinsdustrie eigentlich alle globalisierten Angestellten einig. Natürlich Christine Lagarde würde Nachfolgerin von Strauss-Kahn werden, wer denn sonst. ZDF-Onkel Udo van Kampen machte in den 19 Uhr Nachrichten mal wieder auf volkstümlicher Bauerntrampel und jovialisierte nach vorne ins Mikro, dass man schon den Stammtisch vom Fernseher wegrückte. Auch die Amerikaner, so van Kampen – „die Amerikaaanaaa“ – würden selbstverständlich die französische Finanzministerin von Nicolas Sarkozy in ihrer Ernennung als IWF-Präsidentin unterstützen. Genauso wie Dr. Merkel, natürlich. Die Story war bereits heute Nachmittag im „Handelsblatt“ (16) zu lesen gewesen.

Es ist nicht ganz raus, mit welchen Amerikaaanaaan man im „Handelsblatt“, im ZDF, oder sonstigen Schießbuden zu tun hat. US-Finanzminister Geithner jedenfalls – Sie wissen: er ist ein Amerikaaanaaa – gab heute gegen Abend unserer Zeit jedenfalls folgende Erklärung ab (17):

„Wir wollen einen offenen Prozess sehen, der zu einer umgehenden Nachfolge des Fonds-Direktors führt.“

So richtig merkelig sieht das also nicht aus. Aber davon wird der Trog schon nicht trocken werden.

(…)

Artikel zum Thema:

15.05.2011 Analyse zur Verhaftung von Strauss-Kahn und Staatskrisen im Euro-System
Nach Verhaftung von Strauss-Kahn in New York Beratung mit Merkel in Berlin am Sonntag geplatzt. Euro-Gruppe in Brüssel tagt am Montag ohne IWF-Chef zu Griechenland und Portugal. Eine Analyse zur Situation im Euro-System.

Quellen:
(1) http://www.cbsnews.com/stories/2011/05/17/501364/main20063778.shtml
(2) http://money.cnn.com/news/storysupplement/economy/bailouttracker/index.html
(3) http://www.gpo.gov/fdsys/pkg/BILLS-111hjres45eas/pdf/BILLS-111hjres45eas.pdf
(4) http://www.reuters.com/article/2011/05/17/us-usa-debt-deadline-idUSTRE74G72R20110517
(5) http://www.bloomberg.com/news/2011-04-13/obama-embraces-individual-u-s-tax-code-rewrite-to-raise-revenue.html
(6) http://www.newsmax.com/Newsfront/obama-budget/2011/04/13/id/392744
(7) http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5iVlepN6VegbmhnSWluhGs9KHaf5w?docId=CNG.d00bd28dd4744fefbda04162a88800dc.361
(8) http://www.imf.org/external/np/speeches/2011/040411.htm
(9) http://www.neues-deutschland.de/artikel/195133.domino-der-ratingagenturen.html
(10) http://blogs.wsj.com/marketbeat/2011/04/18/sp-one-in-three-chance-usa-downgraded-in-next-two-years/?mod=google_news_blog
(11) http://www.project-syndicate.org/commentary/stiglitz138/English
(12) http://online.wsj.com/article/SB10001424052748703509104576330202219718070.html
(13) http://www.bloomberg.com/news/2011-05-18/geithner-says-u-s-can-t-use-magical-thinking-to-tackle-budget-deficit.html
(14) http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~EBA89666DDE6F4BA5BBBD45F277D652C3~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(15) http://www.washingtonpost.com/business/economy/us-china-reach-milestone-agreement-on-security-economic-policy/2011/05/10/AFnQ6hkG_story.html
(16) http://www.handelsblatt.com/politik/international/frankreichs-finanzministerin-lagarde-soll-iwf-fuehren/4195418.html
(17) http://www.reuters.com/article/2011/05/19/strausskahn-usa-idUSW1E7G901L20110519

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