Wie die Parteien ohne Schadenersatz das Internet sperren lassen

SPD, CDU, CSU, FDP, Grüne und Linke im Bundesrat ermöglichen es der Regierung, jede Webseite über Monate entschädigungslos zu blockieren.

Die Anzeichen sind unverkennbar und allgegenwärtig – die Demokratie in Deutschland löst sich vor unseren Augen auf.

Das gestern vom Bundesrat und allen “Parteien” zusammen mit 61 anderen Gesetzentwürfen durch den Saal ins Recht gewehte “Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen” 1 gibt den Geheimdiensten das Recht das Eigentum eines deutschen Staatsbürgers, seine domain, durch seinen eigenen Provider blockieren zu lassen. Ein Gericht ist nicht involviert. Allein damit ist die Gewaltenteilung bereits gebrochen, die verfassungsmässigen Grundrechte auf Presse- und Meinungsfreiheit jederzeit operativ gefährdet, das Fernmeldegeheimnis “eingeschränkt” und das Recht auf Eigentum praktisch aufgehoben.

Ein “Expertengremium” von 5 Personen wird vom Bundesdatenschutzbeauftragen ernannt, der – wie wir alle bestimmt wissen – dem Bundesinnenministerium unterstellt ist. Das hatte im Oktober 2008 sogar schon der “Bund Deutscher Kriminalbeamter” BDK kritisiert und den Rausschmiss von Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar gefordert 2 , der mit Fug und Recht die grösste Flitzpiepe der Republik genannt werden darf – stopp -.

Von den 5 Personen im “Expertengremium” des Datenschautzbeauftragten des Bundes müssen 3 die Befähigung zum Richteramt haben. Das wäre vergleichbar mit einem Beschluss, ab sofort nicht mehr das Parlament entscheiden zu lassen, sondern eine durch die Regierung eingesetzte Gruppe von Personen, welche die Befähigung hätte in einem zu sitzen.

Diese 5 Personen, ernannt von der nun offiziellen Internetzensurbehörde des Bundesdatenschutzbeauftragten, müssen nur vier Mal in einem Jahr “auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben” die Behauptungen des BKA und die Zusammensetzung der Zensurliste überprüfen.

Bei all diesem Aufwand sieht man sich im BKA aber nicht wirklich nach Arbeit um. Der Besitzer einer solchen domain, mit angeblichem oder tatsächlichem kinderpornographischem Inhalt, soll nämlich nur dann über eine Sperrung seiner Netzpräsenz und Aufnahme in die Schwarze Liste der Regierung informiert werden, wenn er “mit zumutbarem Aufwand zu ermitteln ist” – und auch dann nur “in der Regel”.

Lagert ein vermeintiches oder tatsächliches illegales kinderpornographisches “Telemedienangebot” außerhalb der EU, darf es

sofort in die Sperrliste aufgenommen werden, wenn nach Einschätzung des Bundeskriminalamts davon auszugehen ist, dass in dem betroffenen Staat andere Maßnahmen, insbesondere Mitteilungen an die für den polizeilichen Informationsaustausch zuständigen Stellen, nicht oder nicht in angemessener Zeit zu einer Löschung des Telemedienangebots führen”.

Wenn aber innerhalb des EU-Machtraumes eine Webseite verschwinden soll, was muss dafür passieren?

“Die Aufnahme in die Sperrliste erfolgt nur, soweit zulässige Massnahmen, die auf die Löschung des Telemedienangebots abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind.”

Das ist ein Freibrief zum bürokratischen Widerstand, Liegenlassen und dann einfach weitermachen wie man will. Verwaltungen, Bürokratien und Behörden sind in nichts so geübt wie darin. Und dann doch noch ein Verweis auf das Telemediengesetz, worin man die Internetsperren eigentlich sowieso parken wollte:

“Bevor das Telemedienangebot eines Diensteanbieters, der in einem anderen Staat im Geltungsbereich der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 8.Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ”Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”, ABI. L 178 vom 17.07.2000, S.1 niedergelassen ist, in die Sperrliste aufgenommen wird, ist das Verfahren nach §3 Absatz 5 Satz 2 des Telemediengesetzes durchzuführen.

§ 3 Herkunftslandprinzip Absatz 5 des Telemediengesetzes lautet:

“5 Das Angebot und die Erbringung von Telemedien durch einen Diensteanbieter, der in einem anderen Staat im Geltungsbereich der Richtlinie 2000/31/EG niedergelassen ist, unterliegen abweichend von Absatz 2 den Einschränkungen des innerstaatlichen Rechts, soweit dieses dem Schutz

1. der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere im Hinblick auf die Verhütung, Ermittlung, Aufklärung, Verfolgung und Vollstreckung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen sowie die Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen,
2. der öffentlichen Gesundheit,
3. der Interessen der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern,

vor Beeinträchtigungen oder ernsthaften und schwerwiegenden Gefahren dient und die auf der Grundlage des innerstaatlichen Rechts in Betracht kommenden Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen stehen. Für das Verfahren zur Einleitung von Maßnahmen nach Satz 1 – mit Ausnahme von gerichtlichen Verfahren einschließlich etwaiger Vorverfahren und der Verfolgung von Straftaten einschließlich der Strafvollstreckung und von Ordnungswidrigkeiten – sieht Artikel 3 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2000/31/EG Konsultations- und Informationspflichten vor.”

§ 3 Absatz 5 Satz 2 Telemediengesetz besagt also, dass zum Schutze “der öffentlichen Gesundheit” z.B. ein deutscher Staatsbürger, der in Österreich seine Webseite betreibt, den “Einschränkungen des innerstaatlichen Rechts” unterliegt und seine Webseite auf die Sperrliste des BKA gesetzt werden kann.
Seltsam, dass niemand darüber redet. In Zeiten der Schweinegrippe und “H1N1?-Posse ist das schon ganz interessant.

Zudem bietet das Telemediengesetz vom Februar 2007, wenn man es sich mal richtig durchliest, sowieso schon jeder Behörde jede Handhabe gegen jeden Staatsbürger vorzugehen und dann vielleicht höhnisch lachend zu warten bis er dagegen klagt.

Damit kommen wir zum zentralen Punkt: wo kann man gegen eine Sperre der eigenen Netzpräsenz überhaupt klagen und auf was?

Nur aufgrund massiven öffentlichen Drucks wurde, gegen die Regierungspläne und gegen den Beschluss des Bundestages, durch den Bunderat im Gesetzentwurf überhaupt erst eine Möglichkeit geschaffen für Staatsbürger gegen eine Sperre ihrer Webseiten zu klagen – aber nach § 12 nur über den Verwaltungsrechtsweg gegen die Sperrung selbst, nicht etwa über den zivilrechtlichem Weg auf Schadenersatz.
Der Zensierte kann auch nicht den eigenen Provider auf Schadenersatz verklagen, wenn der ihn vom Netz abschottet. Hier heisst es in § 7 ”Zivilrechtliche Ansprüche” Absatz 2:

“Zivilrechtliche Ansprüche gegen Diensteanbieter nach §2, mit den zur Umsetzung dieses Gesetzes geschaffenen Sperrungen vorzunehmen, sind ausgeschlossen.”

Und natürlich begründet das BKA, das Bundesinnenministerium und die Bundesregierung den Wegfall jedes Schadenersatzes nach Massnahmen staatlicher Willkür mit maximalem Zynismus. In der Begründung heisst es:

“Der neue Absatz 2 stellt sicher, dass das Sperrlistenverfahren und die dafür erforderliche Infrastruktur und die dafür erforderliche Infrastruktur auf Grund der einzigartigen Anwendung für die Zugangserschwerung bei Seiten, die kinderpornographische Schriften im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB enthalten, nicht zur Durchsetzung etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche gegenüber den Diensteanbietern oder sonstigen Dritten genutzt werden dürfen. Mit dieser Klarstellung wird der Befürchtung begegnet, dass Gerichte zukünftig aufgrund der durch das Sperrlistenverfahren nach diesem Gesetz vorhandenen technischen Infrastrukturen zu der Schlussfolgerung gelangen könnten, Zugangsvermittler seinen nunmehr auch im Hinblick auf andere Rechtsverletzungen z.B. Rechte am geistigen Eigentum zivilrechtlich zumutbar zur Sperrung heranzuziehen.

Das heisst: mit der Möglichkeit der Ausdehnung der Internetsperren z.B. auf Musik-Tauschbörsen begründet die Bundesregierung, dass es im Falle der faktischen Vernichtung einer Netzpräsenz durch einen Willkürakt gegen Dissidenten, Bürgerrechtler und Journalisten keinen, keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Schadenersatz gibt.

Das ist der Polizeistaat.

Quellen:
1 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/134/1613411.pdf
2 http://www.tagesschau.de/inland/datenschutz182.html

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