Bei allem üblichen Theaterdonner ist auf der Koreanischen Halbinsel derzeit ein Entspannung in den innerkoreanischen Beziehungen in Aussicht. Und mehr noch: eine Wiedervereinigung des geteilten Landes im zweiten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts erscheint auf einmal durchaus realistisch.
Nicht nur in Nordkorea, auch in Südkorea geht derzeit eine Ära zu Ende und beginnt eine neue. In Seoul, der Hauptstadt des Südens, endet in 2013 die Präsidentschaft von Lee Myung Bak aus der rechtsreaktionären „Großen Nationalpartei“ Hannara Dang, die 1997 aus verschiedenen Rechtsparteien entstand und sich auf die alten Kräfte der Militärdiktatur und Konfrontation mit dem Norden stützt. Die Verfassung Südkoreas verbietet eine zweite Präsidentschaft Lees, der durch endlose Reihen von Korruptionsskandalen in der Bevölkerung immer unbeliebter geworden ist. Seine Neujahrsansprache enthielt demzufolge die entsprechenden (und mittlerweile weltweit) üblichen Entschuldigungsfloskeln. Dennoch ließ sie aufhorchen.
Denn inmitten der gewohnten Betonung der Stärke, Überlegenheit, Glorie des eigenen Militärs und der Versicherung man werde selbstverständlich auf alle „Provokationen“ entsprechend reagieren, etc (ähnliches kennt man aus dem Norden), fand der südkoreanische Präsident folgende, für ihn sehr ungewöhnliche Worte (1):
„Im Moment ist das wichtigste Ziel Frieden und Stabilität auf der Koreanischen Halbinsel. Wir lassen ein Fenster der Gelegenheit („window of opportunity“) offen. Wenn Nordkorea eine aufrichtige Haltung an Tag legt, kann eine neue Ära auf der Koreanischen Halbinsel beginnen.“
Der Begriff „window of opportunity“ ist ein in der US-Diplomatie häufig verwendeter Begriff, zumindest in den letzten Jahren. Annehmen kann man, daß Washington die Wende im Süden zum Abbau der Spannungen mit dem Norden akzeptiert, wenn nicht sogar befördert.
Dabei mag eine Rolle spielen, daß die 2008 erfolgte Parteigründung auf linksdemokratischer und liberaler Seite in Südkorea, die „Demokratische Partei“ aller Voraussicht nach gute Chancen hat 2013 den nächsten Präsidenten Südkoreas zu stellen; was nichts über die Qualität dieser Ansammlung der im gesamten US-Einflussbereich üblichen korrupten Waschlappen im Spektrum der Partei-„Demokraten“ oder „Sozialdemokraten“ aussagt, sondern mehr über die – ebenfalls im gesamten US-Einflussbereich gleiche – erbitterte Wut der Bevölkerungen über die gesamte Parteien-Oligarchie und den zunehmenden Wunsch die regierenden Schurken wenigstens von Zeit zu Zeit auszutauschen.
Ein partei-„demokratischer“ Präsident in Seoul käme dem partei-„demokratischen“ Präsident in Washington sicherlich recht. Dabei muss man davon ausgehen, daß die Wiederwahl von Barack Obama, mangels ernstzunehmender Gegenkandidaten der US-„Republikaner“, in 2012 bereits sicher ist.
Lee reist nun nächste Woche nach Peking. Berichte über die Ankündigung dieses Besuchs wurden sowohl in der südkoreanischen, wie in der Presse weltweit recht klein gehalten. Bei der traditionell regierungsnahen Nachrichtenagentur „Yonhap“ (2) hiess es in Seoul dazu, die Gespräche mit dem chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao würden sich um die „Stabilität auf der Koreanischen Halbinsel“ drehen. Des Weiteren sprach man von einer „Aufwertung der strategischen Partnerschaft“ Chinas mit dem Süden Koreas.
Nur mit dem Süden?
Da es effektiv keine strategische Partnerschaft Chinas mit Südkorea gibt, ist eine solche – durch die übliche diplomatisch-informationsindustrielle Hintertür geschlichene – Ankündigung als mittlere Sensation zu betrachten. Hinzu kamen sehr deutliche Worte des südkoreanischen Ministers für Wiedervereinigung, Yu Woo Ik, der erst im Dezember sein Amt angetreten hatte: die Wiedervereinigung, so Minister Yu, sei „ein Muss“, um die „abnormale Situation“ der jahrzehntelangen Teilung Koreas zu überwinden. (3)
Neben den martialischen Treueschwüren von Militär und Staatspartei im Norden Koreas gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt Kim Jong Un, erschien in den Staats- und Partei-Zeitungen „Rodong Sinmun“, „Joson Inmingun“ und „Chongnyon Jonwi“ auch ein Neujahrs-Artikel, dessen Bedeutung zumindest die „New York Times“ (4) begriff. In diesem Leitartikel der medialen Organe Nordkoreas, des ersten souveränen koreanischen Staates seit der Zweiten Manschurischen Invasion vor über 370 Jahren, fand man nicht nur den Wunsch einer Aussöhnung mit den Landsleuten im Süden, sondern auch die Ankündigung die Lebenslage der eigenen Bevölkerung zu verbessern. In Deutschland dokumentierte die DKP-Parteizeitung „Red Globe“ (5) den Leitartikel der nordkoreanischen Zeitungen. Betont wurden die oberste Staatsdoktrin „Juche“, Souveränität. Zwar wurde auch die in Zeiten der Konfrontation erneut begonnene Weg des „Songun“, der Politik des „Militär zuerst“, wieder einmal hochgehalten. Doch auch dies fand man in dem Leitartikel:
„Der Strom der Lage im vergangenen Jahr bewies nochmals die Wahrheit der Geschichte, dass sich der Wille unserer Nation nach der selbstständigen Vereinigung, dem Frieden und Aufblühen durch nichts beugen lässt und die Anti-Vereinigungs-Kräfte unbedingt die Niederlage erleiden werden.“
Die Staatszeitungen des von der Weltöffentlichkeit seit der Ankoppelung an das Internet im Herbst 2010 nicht mehr völlig isolierte Nordkorea machten deutlich, daß man im Norden durchaus bereit ist mit dem Süden einen gemeinsamen politischen Standpunkt zu finden.
„Der Standpunkt der nationalen Souveränität und Priorität der Nation ist konsequent zu bewahren.“
„Die nationale Versöhnung und Verbundenheit sind Voraussetzung und Garantie für die Vereinigung des Vaterlandes.“
Die innerkoreanischen Spannungen herunterzufahren – dieser Appell war durchaus vieldeutig und ging in alle Richtungen.
„Die Kriegsmachenschaften der inneren und äußeren Kriegslustigen zu unterbinden, ist eine dringende Forderung der gegenwärtigen Situation.“
Deutlich schimmerte hier durch – sollten die bis heute die südkoreanischen Militärs befehligenden US-Militärs abziehen und Washington ein souveränes Korea akzeptieren, wäre eine Wiedervereinigung im Einklang mit der Politik der neuen Staatsführung im Norden.
„Es ist erhöhte Wachsamkeit angesichts der Gefährlichkeit des militärischen Komplotts der inneren und äußeren kriegslustigen Kräfte geboten und die US-Aggressionstruppen, das Haupthindernis für die Friedenssicherung auf der Koreanischen Halbinsel, aus Südkorea abzuziehen.“
Gelobt wurden die im Herbst letzten Jahres begonnenen diplomatischen Reisen des verstorbenen Kim Jong Il nach China und Russland, als „wichtiger Anlass für die Sicherung des Weltfriedens und der Sicherheit im Nordostasien und für die Entwicklung der traditionellen Freundschaftsbeziehungen“. Für die kommende politische Ausrichtung der neuen Staatsführung unter dem „obersten Lenker“ Kim Jong Un hieß es in den Staats- und Parteizeitungen:
„Wir werden auch in Zukunft das Ideal unserer Partei – Souveränität, Freundschaft und Frieden – unverändert bewahren und die gutnachbarlichen Freundschaftsbeziehungen mit allen Ländern der Welt ausbauen und weiterentwickeln, die die Souveränität unseres Landes achten.“
Bereits Anfang 2011 hatte es deutliche Signale aus China, Japan und der koreanischen Halbinsel für den Versuch einer allgemeinen Verständigung in der nordpazifischen Region und eine von den Vereinigten Staaten von Amerika lange boykottierte Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche gegeben. In einem Leitartikel zu Neujahr 2011 hieß es aus Pyongyang (6).
„Die Konfrontation zwischen dem Norden und dem Süden ist so bald wie möglich zu beseitigen…Es ist notwendig, die gemeinsamen Interessen der Nation in den Vordergrund zu rücken und aktiv um die Schaffung einer Atmosphäre der Verhandlungen und Zusammenarbeit zwischen dem Norden und dem Süden zu ringen. Es gilt, freie Reisen und Austausch aller Klassen und Schichten zu gewährleisten, die Zusammenarbeit zu fördern und so zur Verbesserung der Nord-Süd-Beziehungen und der Vereinigung beizutragen.“
Die Sechs-Parteien-Gespräche zwischen China, Russland, Japan, den USA, sowie dem Norden und Süden Koreas hatte in 2011 Pyongyang nicht etwa abgelehnt, sondern explizit darum ersucht – ohne Vorbedingungen (7). Im Herbst 2011 zeigte sich dann Washington, zum ersten Mal in der Nachkriegszeit seit dem für alle Seiten schrecklichen Koreakrieg, endlich dazu bereit, mit dem Norden Koreas direkte Gespräche zu beginnen. Diese verliefen laut dem US-Unterhändler Stephen W. Bosworth in Genf „sehr positiv und generell konstruktiv“. Ausgerechnet am Tage der Meldungen vom Tod Kim Jong Ils berichtete dann die südkoreanische Zeitung Chosun Ilbo unter Berufung auf “nicht genannte diplomatische Quellen”, daß Nordkorea sich während der jüngsten in Peking geführten Verhandlungen bereit erklärt habe sein Atomprogramm herunterfahren und die Urananreicherung für militärische Ziele einzustellen. (8)
Bereits am 2.Oktober 2007 hatten sich der Koreaner Kim Jong Il und der Koreaner Roh Moo Hyun als Vertreter des Nordens und des Südens von Korea in Pyongyang getroffen und die Hände zum Dialog gereicht. Sie unterschrieben eine „Erklärung des Friedens“. Danach vergingen 4 Jahre, in denen sich die Sonnenscheinpolitik wieder verfinsterte.
Zur Zeit laufen nun wieder die Bemühungen beider Seiten, der Freunde der Menschen in Korea und weltweit einerseits, sowie die der Kriegstreiber und Profiteure der Konfrontation andererseits, auf Hochtouren. Während die eine Seite versucht Verwirrung, Angst und Aggression in Korea, sowie der gesamten nordpazifischen Region zu erzeugen und die innerkoreanischen Spannungen wieder hochzufahren, versucht die andere Seite zum Frieden durch fairen und ehrlichen Dialog, Handel und Diplomatie beizutragen.
Eine friedliche Wiedervereinigung des geteilten Korea und eine Zukunft in Souveränität ist möglich.
Quellen:
(1) http://english.yonhapnews.co.kr/national/2012/01/02/53/0301000000AEN20120102008100315F.HTML
(2) http://english.yonhapnews.co.kr/news/2012/01/04/0200000000AEN20120104004000315.HTML
(3) http://english.yonhapnews.co.kr/news/2012/01/04/0200000000AEN20120104005600315.HTML
(4) http://www.nytimes.com/2012/01/02/world/asia/north-korea-pledges-a-drive-for-prosperity-in-new-years-message.html?_r=1&hp
(5) http://www.redglobe.de/asien/nordkorea/4841-im-sinne-der-vom-grossen-genossen-kim-jong-il-hinterlassenen-hinweise-das-jahr-2012-als-ein-jahr-ruehmenswerter-siege-erstrahlen-lassen-in-dem-eine-glanzzeit-des-aufbluehens-eingeleitet-wird
(6) http://www.radio-utopie.de/2011/01/08/signale-des-friedens-aus-korea-japan-und-china-kriegstreiber-unter-druck/
(7) http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-pacific-14361567
(8) http://www.radio-utopie.de/2011/12/19/kim-jong-un-nachfolger-seines-vaters-staatstrauer-in-nordkorea/