Analyse: Das „Bild“ des Präsidenten-Sturzes entfaltet sich exakt wie prognostiziert

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles fordert in der „Bild am Sonntag“ im Falle eines Rücktritts von Bundespräsident Christian Wulff die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Eine kurze Zusammenfassung und Analyse im laufenden Machtkampf in Berlin.

Auszug aus dem „Bild“-Interview von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles im Willy-Bandt-Haus (wir hören von ferne wuttata-wuttata-wuttata und fragen uns, wer da wohl in seinem Grab rotiert):

„Wenn dann nach Horst Köhler noch einmal ein Bundespräsident zurücktritt, müsste es Neuwahlen geben. Bei einem Wulff-Rücktritt muss sich Angela Merkel dem Votum der Wähler stellen.“

Daß laut Vorschrift (Artikel 68 Grundgesetz) nur der Präsident das Parlament auflösen kann, erwähnt Nahles natürlich nicht. Auch muss sich die Kanzlerin der Republik keinem Votum der Wähler stellen, weil ihre Wähler im Bundestag sitzen.

Nahles müsste das eigentlich wissen; sie selbst hat als Parlamentsabgeordnete 2005 Merkel zur Kanzlerin gewählt und und ihr immer schön die Stange gehalten, zusammen mit den anderen Abgeordneten der bis 2009 so glorreich waltenden „großen Koalition“ von SPD, CDU und CSU.

Nahles redet denn auch nicht etwa vom Rücktritt Merkels und der jederzeit möglichen Wahl eines neuen Kanzlers durch den Bundestag. Auch das müsste eigentlich jedem auffallen.

Die Frage des Boulevard-Blatts nach einer sofortigen großen Koalition von CDU/CSU und SPD anstelle von Neuwahlen, beantwortet die gerade durch den eigenen Vorsitzenden Sigmar Gabriel (der einen rot-grünen Wahlkampf in 2013 führen und selbst Kanzler werden will) faktisch entmachtete Generalsekretärin dahingehend, daß es in jedem Falle Neuwahlen geben müsse.

„Bild am Sonntag: Falls Schwarz-Gelb im Bund scheitert, ist dann die Forderung nach Neuwahlen anstelle der Bildung einer Großen Koalition unumstößlich?

Nahles: Neuwahlen im Bund sind nach zwei Jahren bewiesener Unfähigkeit der schwarz-gelben Regierung der einzige Weg. Da sollte sich wirklich niemand Hoffnungen machen.“

Daß es laut Verfassung (Grundgesetz Artikel 68) nur Neuwahlen geben darf, wenn der Bundestag vorher keinen neuen Kanzler wählt (etwa durch eine neue „große Koalition“), erwähnt Nahles natürlich ebenfalls nicht.

Nicht vergessen darf man ebenfalls nicht, daß Nahles als Stellvertreterin des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering und Steigbügelhalterin des damaligen GröKaZ (Grösster Kanzlerkandidat aller Zeiten) Frank-Walter Steinmeier in 2009 mit für die katastrophalste Wahlniederlage der SPD seit dem 2.Weltkrieg verantwortlich zeichnet. Im Falle von Neuwahlen würde die SPD höchstwahrscheinlich mehr als die damaligen 23 Prozent bekommen, egal welcher Besenstiel diesmal schaurig auf den Plakaten lächelt. Auch zu berücksichtigen gilt, daß die FDP in der Tat aus dem Bundestag fliegen könnte.

Nahles malt in dem „Bild am Sonntag“ deutlich aus, daß es aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in einer möglichen Bundesversammlung (Bundestagsabgeordnete plus gleiche Anzahl von Delegierten die in den Landesparlamenten gewählt werden) nur den Kandidaten einer „großen Koalition“ von CDU und SPD schaffen kann, zum Präsidenten gewählt zu werden.

Angesprochen auf den Namen Joachim Gauck sagt sie Folgendes:

„Christian Wulff ist noch nicht zurückgetreten, und deshalb werde ich keine Namen nennen. Wir wollen das Amt schließlich nicht komplett versenken.“

Eine wütende Spitze gegen ihren Vorsitzenden Gabriel, der gestern Gauck versenkte, als er ihn der „Bild“ selbst ins Spiel brachte.

„Bei uns ist klar, dass wir einen besseren Bundespräsidenten wollten: Joachim Gauck.“

Die auf dem SPD-Bundesparteitag abgesoffene Fraktion von Steinmeier, Nahles und Peer Steinbrück versuchte sich gestern gegen diesen Schritt Gabriels dadurch zu revanchieren, daß sie in einem offenkundig hektisch improvisierten Artikel über die Düsseldorfer „Rheinische Post“ zwei andere Kandidaten verbrannte, Klaus Töpfer (CDU) und Katrin Göring-Eckhardt.

Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke GmbH sind in diesem Machtkampf irrelevant. Claudia Roth taperte der Entwicklung hinterher und veröffentlichte heute über die Springer-Filiale „Welt am Sonntag“ den Wunsch nach einem „gemeinsamen Kandidaten“, namentlich Joachim Gauck, in der FDP bemerkte man erst gestern was vor sich ging und outete Gespräche zwischen Merkel und FDP-Vorsitzendem Phillip Rösler über eine Nachfolge im Amt des Präsidenten und in der Leichenfraktion entschied sich ausgerechnet ex-Bundesgerichtshof-Richter Wolfgang Neskovic dafür, ein aussichtsloses Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten nach Artikel 61 Verfassung ins Spiel zu bringen.

Sowohl die Grünen, als auch die institutionalisierte Contralinke und besonders die FDP wären bei Neuwahlen die großen Verlierer. Aber es geht hier nicht um politische Strömungen, Überzeugungen oder Lager, die haben sich bereits samt und sonders aufgelöst oder sind nicht mehr im Parlament vertreten.

Es geht hier um den seit Jahren in Zeitlupe laufenden Staatsstreich gegen unsere Verfassung und Demokratie. Es geht hier um den seit Jahren laufenden Staatsstreich gegen jede Verfassung und jede Demokratie in Europa und explizit im Währungsbereich des Finanzsystems „Euro“. Die Banken sitzen auf ihren Talerbergen, die ihnen durch die Frankfurter Zentralbank gedruckt wurden. Nichts oder fast nichts davon gelangt in den Wirtschaftskreislauf oder die Staatsfinanzen der Länder im Euro-Währungsgebiet. Und als Gipfel dieses feudalen Euro-Kapitalismus, der bereits Staatskrisen auf dem gesamten Kontinent ausgelöst hat, machen alle Finanzmächte, alle Banken und Zentralbanken, alle auf Absatz der Konzerne bedachten Regierungen in den mit eigener Niedrigwährung ausgestatteten Ökonomie-Zonen China, USA, Brasilien, Japan, Russland, etc, pp, derzeit nur noch eines:

in Berlin anrufen und nach einem (für sie günstigen) höheren Euro, der Kontrolle über die deutschen Staatsfinanzen und der Auflösung unserer parlamentarischen Demokratie plärren.

Die Kanzlerin Merkel und ihre Truppenteile in Regierung und „Opposition“ stehen unter enormen Druck. Sie sind im Staatsstreich gegen das Grundgesetz und seine Verfassungsordnung nicht weitergekommen. Nun haben sie einen Flankenangriff gegen einen ehemaligen Mitläufer und (mit seiner Zustimmung) abgeschobenen potentiellen Konkurrenten von Kanzlerin Merkel in Bellevue versucht und sind steckengeblieben.

Wem das alles nicht einleuchtet, sollte sich schlicht fragen, warum ich die bisherigen Abläufe und Hintergründe dieser Affäre um das Präsidentenamt exakt prognostiziert und beschrieben habe. (4.Januar, Kleiner Präsidenten-Sturz und Staatskrise? Kein gutes “Bild”)

Ach, Kleiner Mann, Kleine Frau – Dir ist das zu kompliziert, das mit der Demokratie?

Dann geh doch in den Turnverein.

16.50 Uhr

Das Bild wird rund. SPD-Vorsitzender Gabriel hat heute im Laufe des Tages seiner Generalsekretärin Nahles ausdrücklich widersprochen und Neuwahlen nach einem Rücktritt des Präsidenten abgelehnt. Wörtlich erklärte Gabriel gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die SPD würde

keine weiteren Forderungen wie etwa die nach Neuwahlen erheben. Im Gegenteil: Obwohl wir Sozialdemokraten Christian Wulff nicht gewählt haben, sondern mit Joachim Gauck einen besseren Kandidaten hatten, haben wir uns mit Rücktrittsforderungen zurückgehalten. Die SPD wollte und will keinen parteipolitischen Streit um das Amt des Bundespräsidenten.“

Der „Focus“ bewertete diese Aussage zu Recht als einen „Schlag ins Gesicht für Nahles“. Funktionäre der CDU und CSU wiederum verloren kein Wort über die Rolle der eigenen CDU-Kanzlerin Angela Merkel in dieser schäbigen Intrige, sondern redeten über die SPD.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte wieder einmal nichts, sondern sprach von einem „weiteren Akt im schäbigen Spiel der Opposition“ und „kleinkarierter Machttaktiererei“ der SPD. CSU-Politiker Stefan Müller sprach in einem Interview von der „Gewissenlosigkeit der Sozialdemokratie, die Stabilität unseres Staates der Parteipolitik zu unterwerfen“.

Die Krone der zynistischen Medienmonarchie setzte sich abermals der „Spiegel“ auf, über dessen Rolle in der Kampagne gegen Wulff erstaunlich wenig geredet wird. Das neokonservative Flaggschiff schrieb wie immer spiegelverkehrt, Gabriel habe Merkel eine „große Koalition für Wulff-Nachfolge“ angeboten:

„Die SPD sei bereit, auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten und gemeinsam mit Union und FDP einen parteiübergreifenden Kandidaten für das Amt des Staatsoberhaupts zu finden.“

so der „Spiegel“. Die „FAZ“ allerdings schrieb zu Gabriels Aussagen wie folgt:

„Er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angeboten, gemeinsam eine geeignete Persönlichkeit für die Nachfolge von Bundespräsident Wulff zu benennen.“

Gabriel schob also Merkel den Schwarzen Peter zu, um diese aus der Deckung zu holen.

Dazu sei noch einmal erläutert: das ganze Ausmaß dieser Intrige gegen Präsident Wulff wäre ohne Rückendeckung aus dem Kanzleramt und dem Finanzministeriums Wolfgang Schäubles nicht möglich. Für diese These sprechen auch die bizarren Äußerungen von Merkel und Schäuble zur „Unterstützung“ Wulffs, sowie das Schäuble selbst bereits Mitte Dezember als möglicher Ersatz für Wulff ins Spiel gebracht wurde.

Im selben Zeitraum, ein paar Tage nach dem desaströs gescheiterten Gipfel des EU-Regierungsrats, hatte Finanzminister Schäuble in mehreren Interviews ungewohnt gemenschelt: zweimal habe er 2010, aus gesundheitlichen Gründen, seiner Kanzlerin den Rücktritt angeboten. Zweimal habe Merkel abgelehnt.

Für einen Finanzminister, der mitten in von ihm seit Amtsantritt 2009 beförderten finanziellen Staatskrisen durch das „Euro“-Finanz- und Währungsystem vorhat noch weitere „Rettungen“ an erpressten Ländern im Währungsbereich zu exekutieren und darüber hinaus sein Lieblingsprojekt, den transstaatlichen „Europäischen Stabilisierungsmechanismus“ ESM, in 2012 durch den Bundestag, Bellevue und Karlsruhe bugsieren will, sind solche Interviews schon merkwürdig.

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