Die World Music Charts Europe Januar 2012

2012: Mit einem fulminanten Durchmarsch landet Baloji von Position 19 auf dem zweiten Platz der WMCE im Januar. Das weiblich dominierte Dreiergestirn in den Charts ist jetzt Geschichte und ein bemerkenswert engagiertes Plädoyer für die allem zugrundeliegende Immanenz der Triebkräfte des Lebens – trotz niederschmetternder Rückschläge in kärglichem Ambiente – findet seinen berechtigten Einzug in die Charts. Sucht man nach einer Metapher, um die Botschaft des Gesehenen im Video in ein Wort zu fassen, so fällt einem eigentlich nur „Haltung“ ein. Unser Beifall dazu! Ganz schön schrill ist diesmal die Neuvorstellung „The Cambodian Space Project„. Seht selbst:

Wer in Geschichte aufgepasst hat, weiß vielleicht noch, daß die französischen  Kolonialisten „Indochinas“ Bauern mit Mindestzwangsabnahmen von Mekong-Schnaps und Opium überzogen, um „gewisse“ Abhängigkeiten zu erzeugen. Es nimmt nicht Wunder, wenn sich psychedelische Affinitäten bis hin zu heutigen Nachfolgegenerationen offenbaren. Die Problematik der internationalen Prostitution reicht bis in die Hinterhöfe und „Betonfickschachteln“ Berlins, betrifft uns also direkt, und wird auch mit einer triefigen Story von BBC 3 bezeichnend unterlegt. (ab 5:19!) Ehrlich gesagt: Das ist einem doch fast noch lieber als die Okkupantenflut von ausgemachten Zwangsdehydrierten aus dem eigenen Land, die die Wuchermieten-plusX für die über hundert Jahre alten Kästen für ihr extrem fragwürdiges „Geschäftsmodell“ gerne zu zahlen bereit sind , weil ihnen woanders das Fell noch übler über die Ohren gezogen wird, Berlin propagandagemäß für „hip“ erklären und sie dann auch noch uns mit ihrer lächerlichen „political correctness-Dressur“ überhelfen wollen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß das „Cambodian Space Project“ in den WMCE Bestand haben wird, aber wir wünschen gleichwohl guten Appetit beim Röstkäferimbiß zu neuerlichen „Holidays in Cambodia„. Allerdings – diesmal wird losgezogen und kambodschanischer Psy-Rock‘n-Roll in die Welt posaunt. Das ist doch was!

Wir kommen nun zu den weiteren Neuvorstellungen, die vor allem dadurch bestechen, daß sie im künstlerischen Vortrag durch langwierige Übung ein hohes Qualitätsniveau erreichen und durch ihre Thematik, Virtuosität und auch Anmut durch das Gremium der 49 europäischen DJs in die Auswahl gelangen. Das ist nicht etwa „Governance“, denn das Gremium schöpft aufgrund seiner Profession aus gemeinsamen hunderten Jahren Erfahrung aus dem Vollen, sondern eher „Advisory“. Es gibt auch kein Salär dafür. Eher so etwas, wie ein Geltentmachen von Einfluß. Ein quasi-demokratisches, sich veränderndes Gewebe und Geschiebe der Kräfte innerhalb dieser wichtigen „Kulturinstitution“.

Diesen Monat überwiegt der Eindruck, es drängten eher die leiseren, aber überaus künstlerisch machtvollen Produktionen in die Charts. Eine musikethnologische Ausnahme dabei bildet die von Will Holland zusammengestellte Cumbia-Compilation „The Original Sound Of Cumbia“. Die erste CD des Albums beschäftigt sich mit den Ursprüngen des Cumbia und die zweite mit dessen Weiterentwicklung. Gerne hätten wir die in Gänze gehört. Als Appetizer gibt‘s ein medley auf soundcloud.

Es ist uns nicht klar, worum es in den Texten von Franca Masu aus Sardinien geht, aber sie hat ein güldenes Stimmchen, ist ausdrucksstark und man hört die katalanische Komponente durch. Inwieweit es Bezüge zu korsischen Siedlern oder gar zum italienischen Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi gibt, der 1855 auf der Nachbarinsel Caprera siedelte, entzieht sich unserer Kenntnis. Es täte den Italienern jedoch gut, sich an ehemalige Freiheitsideale zu erinnern. Gerade auch, weil man ihnen den traditionellen Umgang mit Bargeld beschränken will. In den Sechziger und Siebziger Jahren galten italienische Gastarbeiter stets als Garanten guter Laune in dieser knöchernen Schunkel-BRD. Gute Laune kommt übrigens auch von den viertplatzierten Italienern Madreperla.

Gutes Stimm-, bzw. Musikhandwerk gibt es diesmal auch von der Produktion „Soulmotion“ aus „Bosnia/Serbia/Austria“. Wieder wissen wir nicht, worum es in den Texten geht, aber das minimalistische Lineup läßt durchklingen, daß sie locker das Zeug dazu haben, echte „Gassenhauer“ zu intonieren. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Soulmotion auch allzweckmäßig bereits auf der Straße oder eventuell bei Volksfesten aufgetreten wäre. Die Tracks werden wieder nur angespielt, lassen aber ein mitreißendes Hörerlebnis erwarten.

Für die Fans von virtuos betriebener Saitenmusik ist die Scheibe „Mavra Froudia (Black Eyebrows) von Stelios Petrakis fast schon eine Offenbarung. In einem nie erahnten Schmelztiegel kretischer Kulturkoinzidenzen ist eine Musik entstanden, deren mentale Botschaft den Zuhörer in eine ganz besondere Zeitreise versetzt und Gemeinsamkeiten offenbart, die an der Oberfläche der Trivialwahrnehmung wohl kaum erahnt werden konnten, wenn man sich denn nicht so in der Geschichte auszukennen vermag. Was für ein tolles, mentales Fleißeswerk!

Die Geschichte der „Stimme Galiciens“, DOA, ist so lang, daß wir die Leser bitten, den Bart bitte auf deren website selbst zu betrachten. Die Musik hat einen unvergleichlich mittelalterlichen touch. Es gibt zahlreiche Querverbindungen zur bildenden und schreibenden Kunst. Vor allem aber zur galicischen und portugiesischen Geschichte. Sogar für das Computerspiel „El Templo“ haben sie 2004 bereits die Musik geliefert. Sie erinnern ein bißchen an die Deutschen „Ougenweide“.

Ein weiteres, nicht ganz uninteressantes Projekt ist „Foxlight“ von larla O‘Lionaird aus Irland. Man denkt sich, daß man ja noch nie von ihm gehört hat. Aber er lieferte bereits Tracks zu den Hollywoodstreifen „Gangs of New York“ und „Hotel Rwanda“. Als Künstler aus dem Stall „Realworld“ dürfte er einem breiteren Mainstream-Publikum bekannt sein. Für uns klingt er, als passe er bestens ins Programm des wunderbaren Websenders „Fluid“ auf dessen Kanal 1. Wir sind baff, was wir immer wieder verpassen würden, würden wir nicht die Augen und Ohren aufsperren. Das Anspielen der Tracks auf Amazonmusic fällt viel zu kurz aus (genauso wie die Löhne der dort Beschäftigten zu niedrig und die Arbeitszeiten viel zu lang sind – entgegen den Kündigungsfristen!) Deshalb larla O‘Lionaird auf myspace. Nett auch der Hinweis der WMCE auf ein Multimedia-Projekt des Künstlers aus dem Jahre 2003. Das Video ist im ungeliebten mov-Format, kann aber mittels „Ziel speichern unter“ auf die eigene Platte kopiert werden und dann mit dem guten VLC-Player abgespielt werden. Sehr pixelig das Ganze, aber für ein derart frühes Jahr sehr beachtenswert. Es wird eine Art künstliches Nordlicht erzeugt.

Nun aber endlich zu unserem diesmonatigen „Liebling“ Daniel Melingo aus Argentinien. In seinem Gesicht nagt bereits der Zahn der Zeit:

„Tengo la ilusión
que me está siguiendo
es la sensación
que me está llamando“

Man fühlt sich ein wenig an Charles Bukowski erinnert. Betrachtet man seine Videos und auch die schönen Trickfilme, wird klar: Dieser Mann hat es verstanden zu leben. Um nicht zu sagen: Was das Leben ist! Und weitaus mehr als das. Vielleicht sogar mehr im poetischen und süffisant melancholischem Flair des Tango den Sinn des Lebens betrachtend kam er auch auf solche großartigen Werke wie dieses:

(Lyrics) Die Erfahrungen einer Staatspleite wie derjenigen, die sich in den Jahren 2001/2 in Argentinien „zutrug“, müssen sich verheerend auf das Lebensgefühl der Menschen auswirken. Daniel Melingo hält dagegen die Kunst, die Kultur, das Leben, das Gefühl, dem zu folgen sein Weg nur sein konnte und kann. Ein alter Recke. Ein Mann von Radio Utopie! Der wandert in den charts nach oben. Ohne Zweifel!

Update: Oaner geht no‘!

 

Was war noch in diesem Monat des forcierten Existenzkampfes? Ah ja, dieser aufschlußreiche, gar nicht angegammelte Artikel, was sich hinter den Kulissen der Gröhl-Greisenorganisation „Gema“ abspielt. Ein Appell an die „non-profit and non-commercial activity“ – Profis des Panels der WMCE: Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, die Musikbotschafter der Welt vulgo Künstler dazu zu inspirieren, nicht ausgerechnet ihre Mitgliedsbeiträge im Schlamm zu versenken, sondern lieber eine eigene, gerecht verteilende Urheberrechtsorganisation ins Leben zu rufen? Ihr hättet doch entsprechend Eurer Erfahrung am ehesten das Zeug dazu? Wäre doch etwas für Euer Altenteil angesichts möglicherweise zu erwartender Rentenausfälle……..

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