Oh ja! Was taten also die 47 Radiomacher aus 24 Ländern zu diesem Monat? Sie fluteten die Charts mit sage und schreibe acht Neuvorstellungen. Darüber sind wir kaum mehr verwundert, denn es branden die Fluten der kreativen Musikbotschaften aus aller Welt an dieses Gremium, welches sicher alle Ohren voll damit hat und gleichwohl die, äh, ubiquitäre Existenzsicherung betreibt.
Es schien einigermaßen unvorstellbar, daß das Cambodian Space Project sich in den Charts würde halten können. Nun wurde das Gegenteil bewiesen und sie sind auf Platz Acht gelandet. Eine Anmerkung des Autors sei gestattet: In einem Artikel zur jüngeren kambodschanischen Geschichte, der absolut nichts mit Musik zu tun hat, findet eine Auseinandersetzung mit der Herrschaft der Roten Khmer über Kambodscha statt. Der Artikel ist lesenswert und enthält darüber hinaus ein recht umfangreiches Literaturverzeichnis. Darauf kann zurückgreifen, wer mehr als ein oberflächliches Interesse entwickelt haben sollte.
Vergänglichkeit ?
Wir kommen gleich zur Sache: Auf Anhieb auf Platz Zwei landete diesen Monat das Doppel-CD-Album „World Routes – On the Road“ von der Moderatorin Lucy Duran und ihrem Team der Sparte des „BBC Radio3“. Es soll innerhalb von zehn Jahren entstanden sein. Die virtuell habhaften Aufnahmen sind durchweg einfach toll! Das geht nur mit Feingefühl und adäquatem Equipment. Solcherlei Reisen würde manch einer auch gern tätigen. Man fragt sich: Wie konnten die das machen? Wer hat das bezahlt? Ist das Commonwealth auch der Schöpfungssumpf für institutionalisierte „Sklaventribute„, wie in diesem untertänigen Deutschland, in dem es einer komplett entfremdeten Bestimmerkaste per Agonie gestattet zu sein scheint, Wunschtribute aufzubütteln? Aha, na klar. Denkt mal darüber nach, wer und was sich dieser Tribute eigentlich noch als würdig erweist. Das Ergebnis dieser Produktion ist jedenfalls eine Qualitätsarbeit von Außen nach Innen – von Innen nach Außen. Eine musikjournalistische Düne, deren feiner Sand zu uns herüberweht… Diese Arbeit landet berechtigt in der diesmonatigen Haute Volée der Charts.
Man könnte sich die Frage stellen, warum das WMCE-Panel nun die quasi-archaische Produktion des „Sambasunda Quintet“ aus „West-Java“, Indonesien auf den vierten Platz in die Charts hievt. Eines ist jedoch zunächst offenbar: Die Sängerin Neng Dini Andriatti ist nicht nur bildhüsch, sondern singt ebenso auf eine betörend fernweherzeugende Art und Weise. Im verlinkten Video offenbart sich auch eine gewisse Diskrepanz zum unübersehbaren „way of life“ desjenigen Staates mit der weltweit zahlreichsten muslimischen Bevölkerung. Man sollte aber durchaus wissen können, daß die indonesische Tradition eher auf animistischem Glauben beruht und daß es jedem indonesischen Bürger „freisteht“, sich zu irgendeiner von fünf Weltreligionen zu bekennen. Die traditionelle „Sache“ ist sogar noch einmal vertrackter, da Java als der Hort der „weißen“ Magie gilt und Bali wohl als Hort der „schwarzen“ Magie, wie mir jemand übermittelte, der dort das Goldschmiedehandwerk erlernte. Wer den Unterschied sogar hören zu können vermeint, wenn man den Sound der verschiedenen Gamelanorchester auf sich wirken läßt, hört mehr, als wir es vermögen. Ob das daran liegt, daß der deutsche Maler und Musiker Walter Spies einen Einfluß auf z.B. den Kecak laut Wikipedia gehabt haben soll, liegt für uns im Unklaren. Wir enthalten uns ausdrücklich einer religiösen Beurteilung, die uns auch nicht zusteht. Viel Spaß jedoch noch mit der Ethnosoziologie!
Filmausschnitt aus „Baraka“ (1992) von Ron Fricke
So richtig Spaß machen auch die serbischen Newcomer „Shazalakazoo“ mit ihrem „Karton City Boom“ auf Platz Sechs. In ihrem Statement auf ihrer website machen die Belgrader nur allzu deutlich, was eben nicht geplündert werden kann, wenn man die Produktionsmittel selbst in die Hand bekommt. Sie gehen sogar so weit, daß sie ihre Arbeitstracks gleich mit ins Netz stellen. Das hat ihnen bereits 2468 Followers auf soundcloud eingebracht. So ist dies eine plausible Ausfallbewegung gegen die systemimmanente Entmaterialisierung und der adäquate Geistrettungsschirm. Auch an diesem Beispiel zeigt sich deutlich die nötige Querverbindung der Weltmusik zu Autarkiebestrebungen via Internet. Dies haben die WMCE erkannt. Bravo!
Nicht so sehr häufig anzutreffen ist das Phänomen, daß sich sechs Frauen zusammentun und wie aus einer Kehle lauthals singen. Anders scheint es nicht erklärbar, wieso wieder ein Galizischer Beitrag Einzug in die Charts findet. Und so heißt denn auch das Motto des Gesangssextetts Leilia „Consentimento„, was soviel bedeutet wie „Einigkeit“. Ob es dabei eine tiefere, kulturelle Bewandtnis mit Galiziens Selbstbewußtsein gegenüber Spanien hat, erschließt sich dem Autor nicht unbedingt, da dessen Spanischkenntnisse eher begrenzt sind und somit nicht so leicht aus den lyrics herausgehört werden kann.
Ein weiterer Künstler, der unter den Fittichen Peter Gabriels Label „Real World“ den Sprung in die weite Welt schaffte, ist der Exil-Algerier Abdelli. Wie dem Begleittext auf seiner website zu entnehmen ist, wuchs er ausgerechnet in Zeiten des algerischen Unabhängigkeitskrieges auf und ging dann Mitte der Achziger ins belgische Exil. Als charismatischer Liedermacher wurde er bereits zu vielen Gemeinschaftsproduktionen mit weltweiten Größen eingeladen und sein sonniges Gemüt bei Auftritten ist auffallend – wenn man denn die Halbtonsprünge im Gesang des Lautenspielers gewöhnt ist.
Last but not least geht wieder einmal die wunderbare, gefühlvolle und virtuose finnische Akkordeonbraut von Väterchen Frost, deren Musik so ganz und gar nicht kalt ist, mit „Akerö“ ins Rennen der Weltmusikcharts. Zu Maria Kalaniemi, diesmal „& Timo Alakotila“, müssen wir nicht mehr viel sagen. Ihre Musik ist eigentlich immer wunderbar. Nur leider liegt uns mal wieder das aktuelle Album nicht vor. Keine Kaufkraft. Aber dennoch: Up, up into the sky! Hier unten wird‘s ungemütlich…