Prager Generalversammlung: Der Vorschlag für eine EU-Piratenpartei im Wortlaut

Seit Gründung des Staatenbundes „Europäische Union“ 1992 wurden sukzessive alle größeren politischen Parteien in den EU-Mitgliedsstaaten gleichgeschaltet. Nach dem Wahlerfolg der 2006 gegründeten Piratenpartei Deutschland bei Landtagswahlen in Berlin und im Saarland 2011 / 2012 wird nun, simsalabim, über die Gründung einer übergeordneten Piratenpartei nach EU-Recht diskutiert.

Am 14./15. April findet die Generalversammlung der „Pirate Parties International“ (PPI) in Prag statt. Auf der Agenda dieses Treffens steht, so die Piratenpartei Deutschland heute in ihrer Mitteilung zu dem Treffen, „Diskussionen und Planungen über das Entstehen einer europäischen Piratenpartei“.

Die Piratenpartei Deutschland ist bereits eine europäische Piratenpartei, genauso wie die Piratenpartei Österreich oder die Piratenpartei Tschechien. Tschechien, Österreich, Deutschland, das sind alles europäische Staaten. Genauso wie die Schweiz, Norwegen, Spanien, Italien, Portugal, Griechenland, usw. Die Liste der europäischen Staaten ist lang.

Was also ist mit einer „europäischen Piratenpartei“ gemeint?

Es ist die Gründung einer (vermeintlich oder tatsächlich) übergeordneten Einheitspartei nach Recht der „Europäischen Union“ gemeint. Dies belegt der Vorschlag der Piratenpartei Luxemburg, deren Delegierter für das Treffen der 2010 in Brüssel gegründeten „Pirate Parties International“, Jerry Weyer, diesen an die Organisatoren des Treffens und an den Vorstand der „Pirate Parties International“-Organisation verschickte. Der Vorschlag im Wortlaut:

Proposal for timetable for Pirate Party Europe/EU session at the Pirate Parties International conference in Prague on April 14th-15th.

15.00 – 16.00 & 16.30 – 18.00 (Saturday)

Roadmap till EU elections 2014 – how should European cooperation between Pirate Parties look like?

In this panel the participants should discuss and decide:

A) Do we need/want a Pirate Parties Europe/EU (PPEU/Europe)?

Would it be advantageous to work towards a structured Pirate Parties Europe/EU (PPEU/Europe) before the 2014 elections or cooperation between European Pirates Parties should be managed without a formal structure?

B1) Roadmap on setting up PPEU/Europe

What will be the concrete steps to set up PPEU/Europe? Discussions should focus on the most pressing needs to set up the desired structure. Depending on previous discussions these should include:

– planning of a European Pirate conference

– planning of specific workgroups/taskforces in view of formal foundation of PPEU/Europe organisation (f.ex. statutes preparations, legal considerations)

Independent of discussing the formal structure of PPEU/Europe the setting up of a workgroups/taskforces to coordinate the 2014 EU elections should be discussed quickly and in more detail during the open space part.

Following the discussions on the concrete steps to increase European cooperation between Pirate Parties deeper discussions on proposals for formal structure op PPEU/Europe can be discussed if the time allows it:

– additional purpose of PPEU/Europe (EU institution lobbying, cooperation with other EU parties, etc.)

– membership structure (Parties and/or individuals, EU or Europe, countries or regional Parties)

– voting rights and procedure (direct democracy or delegates, inclusion of individuals, observer members or MEPs)

or (based on outcome of A)

B2) Roadmap on increasing and managing EU/European cooperation within Pirate Parties without formal structure

Discussions should focus first on setting up workgroups/taskforces to coordinate the 2014 EU elections. Secondly it should be discussed how cooperation can be increased further without structured body:

– helping new and emerging European Pirate Parties
– organisation of European workshops/conferences
– increase communication between European Pirate Parties

C) Discussion and signing of common declaration

Sunday: Regardless of panel outcome, in the open space part talk about
Common EU principles and program
– EU elections 2014 campaign

Dieser Vorschlag ist im Kontext der Vereinheitlichung praktisch aller relevanten und etablierten Partei-Organisationen in den Mitgliedsstaaten des Staatenbundes „Europäischer Union“ seit deren Gründung 1992 zu sehen. In Westeuropa entstandene Partei-Bünde und Föderationen aus eigenständigen Parteien souveräner Staaten, wurden sukzessive zu Einheitsparteien auf „zentraleuropäischer“ Ebene transformiert. Dieser Prozess wurde schleichend und in Zeitlupe über den Zeitraum von 20 Jahren exekutiert. Eine öffentliche Diskussion wurde vermieden.

1992 transformierte der 1974 gegründete “Bund der Sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft” zur „“Sozialdemokratischen Partei Europas” („Party of European Socialists“). Der 1976 als „Föderation der liberalen und demokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft” (FLIDPEG) gegründete und ein Jahr später in „Europäische Liberale Demokraten” (ELD) umbenannte Parteienbund verschmolz  1993 zur „Europäische Liberale, Demokratische und Reformpartei” ELDR. Ebenfalls 1993 schloss sich die im Bundestag vertretene ostdeutsche Partei “Bündnis 90/Grüne – BürgerInnenbewegung” mit der aus dem Bundestag geflogenen westdeutschen Partei “Die Grünen” unter dem neuen Parteinamen “Bündnis 90/Die Grünen” zusammen. Gleichzeitig wurde auf EU/EG-Ebene aus der “Europäischen Grünen Koordination” die “Europäische Föderation Grüner Parteien”. Diese transformierte dann am 21.Februar 2004, unter maßgeblichem Einfluss der grünen Regierungspartei in Deutschland, zur “Europäischen Grüne Partei”. Nur Monate später gründete sich am 8.Mai 2004 gründet die Einheitspartei “Europäische Linke”. Gründungsmitglied: die 2002 aus dem Bundestag geflogene “Partei des Demokratischen Sozialismus” PDS, die 2005 als „Linkspartei“ (heute „Die Linke“) wieder in den Bundestag einzog, auf dem Buckel der kurzzeitig existierenden Fantompartei WASG. (11. August 2011, Die wahren Parteien des Bundestages)

Im „Pirate Parties International wiki“ der Piratenpartei Deutschland wird nun explizit auf Artikel 191 des „EC Treaty“ verwiesen:

“ (1) Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor für die Integration innerhalb der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein zu fördern und den Willen der Bürger der Union auszudrücken.“

Es gibt keine Bürger der Union. Es gibt Staatsbürger in der „Europäischen Union“ und zwar in deren souveränen Mitgliedsstaaten. Die EU ist kein Staat, sondern ein Staatenbund. Als „Integration“ Europas könnte man auch die Feldzüge des Kaisers Napoleon bezeichnen, von ebenfalls an Europa sehr interessierten österreichisch-deutschen Monarchen und Feldherrn einmal ganz abgesehen. Und ein „europäisches Bewusstsein“ kann man wohl schwerlich allen Europäern absprechen, die noch bei Bewusstsein sind.

Aus welchem „EC Treaty“ stammt also diese bizarre Rechtsformulierung? Sie stammt aus dem „Konsolidierten Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Etablierung der Europäischen Gemeinschaft“ mit all den Änderungen, welche die am 16. April 2003 unterschriebenen 5000 Seiten langen Verträge von Athen mit sich brachten. Im Zuge der Athener Verträge traten zehn europäische Staaten – Tschechien, Estland, Republik Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien, Slowakei – sowohl der „Europäischen Gemeinschaft“ bei (die erst durch den Lissabon-Vertrag aufgelöst wurde), als auch der 1992 gegründeten Parallelorganisation zur EG, der „Europäischen Union“ (EU).

Man kann nun all das ignorieren. Aber man kann uns nicht ignorieren.

Der Vizevorsitzende und Delegierte der Piratenpartei Luxemburg Jerry Weyer, der den obenstehend dokumentierten Vorschlag für die Gründung einer EU-Piratenpartei an die Organisatoren des Treffens der „Pirate Parties International“ (warum eigentlich nicht Pirate Party of the World?) versandte, tat zu unserem gestern erschienenen Artikel „EU-Lobby versucht Gründung einer EU-Piratenpartei“ via Twitter kund, dieser sei „voller Fehler“. (Bei zwei Fehler hat er recht: dem ersten Buchstaben seines Nachnamens und der korrekten Bezeichnung „Pirate Parties International“. Wurde inzwischen korrigiert, nehme ich auf meine Kappe). Die Autorin Elke Wittich („elquee“) der neokonservativen und antideutschen „Jungle World“ befand, wir seien ein „matschbirniger Verschwörungsdeppen-Haufen“.

Man muss nur “Verschwörungstheoretiker” mit “Ketzer” übersetzen, dann weiß man in welcher Tradition dieses Wort steht und diejenigen, die es benutzen. Sehr bezeichnend ist, daß die gleichen Kräfte, die seit 2001 weltweiten Krieg, Einschränkungen der Bürgerrechte und Entdemokratisierung als „emanzipatorisch“ verstehen, sich vehement für den weiteren Machtzuwachs der Räte und Kommissare in Brüssel einsetzen.

Am Samstag in Prag bei der Generalversammlung der „Pirate Party of the World“ als Redner auftreten…

(Stille)

Am Samstag in Prag bei der Generalversammlung der „Pirate Parties International“ als Redner auftreten werden nun auch folgende Personen:

– Laurence Vandewalle. Sie ist politische Beraterin der Fraktion „Die Grünen – Freie Europäische Allianz“ im EU-Parlament, Diese EU-Parlamentsfraktion beinhaltet u.a. die EU-Parlamentsabgeordneten der bereits oben erwähnten „Europäischen Grünen Partei“.

– Fabio Reinhardt. Er ist Volksvertreter im Berliner Abgeordnetenhaus und stellvertretender Vorsitzender der Piratenfraktion, die am 18. September 2011 von den Berlinerinnen und Berlinern in ihr Landesparlament gewählt wurde, damit sie etwas besser macht, als alle anderen über 20 Jahre langsam und systematisch gleichgeschalteten Parteien, die mittlerweile nicht nur für unsere Demokratie, sondern auch für alle anderen in Europa gefährlich geworden sind.

Es wird sich nun zeigen, ob die Piraten diesem exklusiven Club der Antidemokraten, Heuchler und Räuber der europäischen Demokratien beitreten werden.

Tun sie das, müssen sie wissen, was sie erwartet.

(…)

Artikel zum Thema:

11.04.2012 EU-Lobby versucht Gründung einer EU-Piratenpartei
Internationale Piratenparteien Konferenz: Deklaration und Gremium zum Aufbau einer “Piratenpartei von Europa” geplant

05.04.2012 Aufstand der (Demokratie-) Fähigen: Auch in der Piratenpartei?
Zum Anstieg der Piratenpartei in den Umfragen, zum kommenden Bundesparteitag, sowie den Kandidaturen um den Bundesvorsitz ein Kommentar.

30.01.2012 ESM “Attacke auf die Souveränität”: Piratenpartei Österreich beschämt deutsche Verräterpartei
Wir veröffentlichen hier den kompletten Wortlaut einer Pressemitteilung der Piratenpartei Österreich zur in Brüssel während der Tagung des obersten EU-Regierungsrates (EU-Gipfel) angesetzten Unterzeichnung des Vertrags über den “Europäischen Stabilitätsmechanismus” ESM.

05.12.2011 Die nächste Verräterpartei: die Piratenpartei
Die Piraten stellen das Grundgesetz in Frage und sehen “mit Sorge” die “Probleme” genau der “europäischen Institutionen”, die halb Europa in Armut, Aufruhr und Entdemokratisierung gestürzt haben.

19.11.2011 Lauer: Auch Piratenpartei Partei des Euro-Kapitalismus
Wie zu erwarten war, versuchen vor dem Bundesparteitag der Piratenpartei in Windeseile marktradikale und neokonservative Antidemokraten in die inhaltlichen Lücken zu springen und die letzte relevante Partei der Republik zu kapern, in der noch so etwas wie Demokratie und Verfassungstreue durchschimmert.

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