Am 6. April reichte die Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing (Unser Politikblog) eine neue Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Die 240-seitige Beschwerdeschrift richtet sich gegen das Stabilisierungsmechanismusgesetz (StabMechG) in der am 9. Oktober 2011 verkündeten Fassung. Dazu sprach für Radio Utopie Daniel Neun mit Volker Reusing, dem Ehemann der Verfassungsklägerin.
Das StabMechG („Stabilisierungsmechanismusgesetz“) gibt die deutschen Bürgschaftsermächtigungen für die EFSF, die zweite Stufe des Euro-Rettungsschirms. Die Funktionsweise der EFSF ist in einem parlamentarisch zustimmungsbedürftigen völkerrechtlichen Vertrag, dem EFSF-Rahmenvertrag, geregelt. Das StabMechG stimmt jedoch dem Rahmenvertrag selbst nicht zu, sondern gibt dem Bundestag in seinem §3 Abs. 2 Nr. 3 die Ermächtigung, völlig intransparent durch einfachen Beschluss zuzustimmen. Die Klage macht geltend, dass damit das grundrechtsgleiche Wahlrecht, die Rechtsweggarantie sowie die unantastbaren Strukturprinzipien Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verletzt werden – und stellt deshalb beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf einstweilige Anordnung.
Außerdem macht die Klage geltend, insbesondere anhand von Reden aus dem Parlamentarischen Rat und anhand eines Vergleichs mit ähnlichen Vorschriften aus lateinamerikanischen Verfassungen, daß Art. 1 Abs. 2 GG nicht nur die Rechtsstaatlichkeit im materiellen Sinne und den Staatsauftrag Friedensgebot, sondern insbesondere auch die Verpflichtung Deutschlands auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und alle von Deutschland ratifizierten Menschenrechtsverträge der UNO incl. deren Ranganspruch und Verpflichtung zu deren unmittelbarer Anwendung durch alle staatlichen Gewalten in Deutschland enthält. Das macht, so die Klägerin Sarah-Luzia Hassel-Reusing, den Kern der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes aus.
Die Klage beleuchtet außerdem den Schutzumfang der universellen Menschenrechte auf Gesundheit (Art. 12 Uno-Sozialpakt), soziale Sicherheit und Sozialversicherung (Art. 9 Uno-Sozialpakt) und Nahrung (Art. 11 Uno-Sozialpakt) und vergleicht diese, u.a. anhand von Prof. Dr. Michel Chossudovskys Werk „The Globalization of Poverty and the New World Order“, mit den verheerenden Erfahrungen maßloser Kreditauflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Denn alle Auflagen im Euro-Rettungsschirm sind mit einer „Strenge“ vorgesehen, die der „Praxis“ (nicht der Satzung), des IWF entspricht. Dazu gehören drastische Kürzungen im Gesundheitswesen z. B. in Rumänien, Griechenland, Portugal und Vietnam, die Zerstörung des Bund-Länder-Finanzausgleichs in Äthiopien und Jugoslawien, Zwangsschließungen rentabler kleiner und mittelständischer Unternehmen in Peru und Bangla Desh und selbst Verfassungsänderungen per Kreditauflage wie 1994 in Brasilien, und wie die Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB es derzeit Griechenland aufzuzwingen versucht.
Die vollständige Verfassungsbeschwerde als PDF
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Artikel zum Thema:
18.08.2011 Statusbericht und Überblick zum laufenden Staatsstreich
Die Argumentation der Regierung lautet nun im Kern wie folgt: dadurch, daß der Bundestag seine Ermächtigung zu einer kommerziellen (“privaten”) Zweckgesellschaft gegeben habe, ginge es nicht um die “politischen Beziehungen” des Staates Bundesrepublik Deutschland. Somit entfalle der Zwang eines Bundesgesetzes bzw Parlamentsbeschlusses.
08.06.2010 Autorin von Radio Utopie Verfassungsklägerin gegen 148 Mrd Euro-Zweckgesellschaft
Wie das Bundesverfassungsgericht gestern gegenüber Radio Utopie bestätigte, wird die Verfassungsklage von Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing gegen die am 21.Mai vom Bundestag bewilligte Finanzermächtigung “Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus” (Drucksache 17/1685) derzeit von Karlsruhe unter dem Aktenzeichen AZ 2BvR 1183/10 behandelt. Eingereicht ist u.a. der Antrag auf Einstweilige Verfügung zur sofortigen Ausserkraftsetzung der Finanzermächtigung. Wie es hiess, liegen in Karlsruhe bisher vier Klagen vor.