Samstag Morgen: Entführung eines NYT-Reporters, 5 Kilometer vom deutschen ISAF-Stützpunkt entfernt

Afghanistan: Die Befreiung des US-Reporters Stephen Farrell durch ein britisches Militärkommando wirft eine Menge Fragen auf.

Die Spannungen zwischen Washington und der Regierung Merkel/Steinmeier in Berlin werden immer plausibler. Wie die „New York Times“ gestern meldete, wurde am frühen Mittwoch einer ihrer Reporter durch ein Militärkommando der Nato befreit. Entführt wurde Farrell demnach direkt bei den Wracks der am Freitag Morgen zerbombten Tanklaster, nur 5 Kilometer entfernt vom deutschen Isaf-Stützpunkt in Kunduz und noch am Samstag Morgen gegen 9.30 Uhr Ortszeit.

Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) gestern wörtlich im Bundestag (2) Richtung Bundesverteidigungsminister Franz Jung (CDU) :

„Wie sind Sie vorgegangen? Sie haben als Erstes die Unwahrheit gesagt. Sie haben behauptet, das Ganze habe sich in 40 Minuten abgespielt. Die Wahrheit ist: Es hat sechs Stunden gedauert. Es hat übrigens zwölf weitere Stunden gedauert, bis nach dem Bombardement Aufklärer vor Ort gewesen sind. Das ist das Ergebnis der Unterrichtung, die Sie uns heute in den Ausschüssen gegeben haben.“

12 Stunden also. Wenn der Befehl zum Bombardieren der Tanklaster im deutschen Militärstützpunkt vom deutschen Oberst Georg Klein wie berichtet am Freitag Morgen um 2.30 Uhr gegeben wurde, waren demnach spätestens ab Freitag Mittag deutsche Aufklärer am Ort des Geschehens.

Wie kann es dann sein, dass ein Trupp „Taliban“, also ein Trupp Bewaffneter, noch am Samstag morgen am selben Ort über dreissig Stunden später einen amerikanischen Reporter entführen?

Wie die „New York Times“ (1) berichtet, fuhren am Samstag dem 5.September morgens um 8.30 Uhr Ortszeit ihr Reporter Stephen Farrell, sein Dolmetscher Sultan Munadi, sowie ein afghanischer Fahrer von Kunduz aus zum Ort des Luftangriffs, nur 5 Kilometer Luftlinie vom Isaf-Militärflughafen entfernt, nahe dem Dorf Omar Kheil (Omar Khel).

Später wird der Fahrer, dessen Identität die NYT nicht veröffentlicht, gegenüber der Zeitung einen Bericht über die Geschehnisse abgeben. Diesem Bericht zufolge warnte Dolmetscher Sultan Munadi bereits auf der Hinfahrt, dass es am Ort des Luftangriffes gefährlich sein könnte. Er, Munadi, habe Freitag Nacht „einen Freund im Dorf“ angerufen. Dieser habe ihm berichtet, die Dorfbewohner seien sehr wütend über die Angriffe.
Im Auto wurde darüber diskutiert, was man im Falle eines Stopps durch Bewaffnete tun würde.

Bei den Wracks der Tanklaster eingetroffen, interviewen Reporter Stephen Farrell und sein Dolmetscher Munadi eine Gruppe von drei bis vier umherstehende Anwohner. Schnell bildet sich eine Menschenmenge um sie, Anwohner treffen per Auto oder Motorrad ein, oder durchwaten den seichten Fluss um die ungewöhnlichen Gäste zu begutachten. Die Anwohner zeigen sich aber keineswegs feindselig, sondern lediglich neugierig und geben Farrell Interviews.

Ein Zeuge berichtet dem „New York Times“-Reporter, dass vor der Bombardierung der beiden Tanklaster (bei der laut Angaben eines Untersuchungsteams schätzungsweise 125 Menschen getötet worden waren) über drei Stunden lang Flugzeuglärm zu hören war. Während dieser Zeuge sein Interview gibt, nähert sich ein alter Mann und rät Farrell sowie seinen Dolmetscher Munadi sich zu entfernen. In der Nähe sind auf einmal Schüsse einer Kalaschnikow zu hören. Abermals rät der alte Mann zur Flucht.

In diesem Augenblick rufen zwei afghanische Jugendliche „Der Taliban kommt!“. Über den Fluss nähern sich im Laufschritt 10 Bewaffnete mit Kalaschnikows und Maschinengewehren der Menschenmenge um den NYT-Reporter.

Die Menschenmenge flieht in wilder Flucht. Der Fahrer berichtet später, er sei über 20 Minuten durch hohes Gras und Reisfelder geflüchtet, bei ihm die beiden afghanischen Jugendlichen welche die Warnrufe vor „den Taliban“ abgaben. Der Fahrer bekommt einen Anruf auf seinem Handy. Es ist der Dolmetscher Sultan Munadi. Er sagt dem afghanischen Fahrer, dass er und Farrell von den Bewaffneten festgehalten werden und verspricht dem Fahrer, dass – wenn er sich diesen ebenfalls ausliefern würde – sie alle zusammen freikämen.

Doch der Fahrer weigert sich. Er flüchtet weiter. Einer der Jugendlichen droht ihm schliesslich, er würde ihn an „die Taliban“ ausliefern, wenn er ihm nicht sein Geld und sein Handy gäbe. Der Fahrer gibt ihm sein Geld und sein Handy.
Danach schlägt er sich zu einer Strasse durch. Ein vorbeifahrenes Taxi nimmt ihn auf und bringt ihn zum Polizeihauptquartier in Kunduz. Gegen 11 Uhr am Samstag Vormittag alarmiert er Stephen Farrells Kollegen in Kabul.

Durch einen Bericht des Reporters Rajiv Chandrasekaran der „Washington Post“, welchem Berater des Isaf-Kommandeurs McChrystal gestattet hatten am Freitag Abend zusammen mit einem Untersuchungsteams der Nato mit zum deutschen Hauptquartier zu reisen, weiss man nun folgendes:

Als das Nato-Team am Freitag Abend auf dem Flughafen von Kunduz eintrifft, wird es von Isaf-Kommandeur Oberst Georg Klein “gedrängt”, nicht zum Ort des Geschehens zu fahren. Klein wörtlich: „Es gibt die Wahrscheinlicheit, dass wir beschossen werden.“

Klein hält auch einen Besuch des Nato-Teams im Krankenhaus bei den Opfern seines befohlenen Luftangriffs für “zu gefährlich”. Stattessen führt er das Untersuchungsteam in einen kleinen Raum und brieft sie endlos über seine Version der Geschehnisse in der Nacht zuvor.

Als das Untersuchungsteam der Nato am Samstag Mittag mit zwei “lokalen afghanischen Beamten” zusammentrifft, treffen sie auf gänzlich unerwartete Kritik. Ein “Schlüsselbeamter der Region” – der anonym bleiben will weil er sonst “Vergeltung der Taliban” zu befürchten habe – äussert gegenüber dem Untersuchungsteam: „Ich stimme nicht überein mit dem Gerücht, dass es da eine Menge ziviler Opfer gab. Wer geht denn um 2 Uhr nachts raus um sich Treibstoff zu holen? Das waren böse Leute (”bad people”) und das war eine gute Operation.“

Es spricht einiges dafür dass dieser “Schlüsselbeamte der Region” der Gouverneur der Provinz Kunduz ist: Mohammed Omar, den der deutsche Auslandsgeheimdienst BND „im Visier hat“, weil er bereits mehrfach Kommandeure der „Taliban“ vor einer Festnahme gewarnt haben soll.

Am Samstag, dem Tag der Entführung Stephen Farrells, hatten deutsche Zeitungen über einen Angriff auf eine deutsche Patrouille berichtet und dabei folgendes geschrieben (4):

„Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam bestätigte den Zwischenfall, der sich am Morgen um 9.50 Uhr Ortszeit etwa fünf Kilometer nordöstlich von Kunduz ereignet habe. Die afghanischen Behörden bestätigten eine Detonation bei Kunduz. Die Taliban bekannten sich zu der Tat.“

„Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammad Omar, sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa, der Attentäter habe sich mit einem Auto in die Luft gesprengt.“

Etwa fünf Kilometer nordöstlich von Kunduz, um 9.50 Uhr Ortszeit.

Der Ort des Bombardements mit den Wracks der Tanklaster liegt etwa 5 Kilometer (4 Meilen) nordöstlich vom Isaf-Flugplatz im Norden von Kunduz. Die Zeit des Überfalls auf NYT-Times Reporter Stephen Farrell, welcher um 8.30 Uhr aus Kunduz abgefahren war, trifft ziemlich genau mit dieser Explosion und dem angeblichen „Selbstmordanschlag“ auf deutsche Soldaten durch „Taliban“ zusammen.

Damit liegt zwingend nahe, dass deutsche Soldaten zum Zeitpunkt der Entführung Stephen Farrells in unmittelbarer Nähe gewesen sein mussten. Aber wer waren dann die Bewaffneten, die den Reporter entführten?

Am Samstag Mittag ist das Nato-Untersuchungsteam vor Ort in Kunduz. Es befindet sich dort seit dem Freitag Abend, wurde aber durch das deutsche Militär faktisch daran gehindert zum Ort der Bombardierung zu gelangen. Teilnehmer des Teams ist mindestens ein Reporter, nämlich eben Rajiv Chandrasekaran von der „Washington Post“, welche noch am Abend dieses Samstages den aufsehenerregenden Artikel über die Hintergründe des vom deutschen Militär befohlenen Luftangriffs ins Internet stellen wird.

Mit höchster Wahrscheinlichkeit weiss das Untersuchungsteam der Nato bereits von der Entführung des „New York Times“-Reporter Stephen Farrell, da sein Fahrer dem NYT-Bericht zufolge um 11 Uhr dessen Kollegen in Kabul verständigte und sich im Polizeihauptquartier in Kunduz befindet. Demzufolge muss man auch im deutschen Hauptquartier über diesen Vorgang informiert gewesen sein, wenn man schon nicht mitbekommt was 5 Kilometer vom eigenen Flughafen entfernt auf einer zu sichernden Einsatzstelle durch einen Trupp Bewaffneter unternommen wird.

Auch muss das Nato-Team die Explosion vernommen haben, welche laut Aussagen eines anwesenden Journalisten der Nachrichtenagentur AP auf dem Stützpunkt von Kunduz „zu spüren gewesen“ sei. (5)

Das heisst: das Untersuchungsteam, welches Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal – unter dem Oberbefehl des Pentagon und der neuen Regierung in Washington – ins den deutschen Militärstützpunkt entsandte, erfuhr an diesem Samstag Morgen im Militärhauptquartier der deutschen Streitkräfte ganz offensichtlich, dass etwas überhaupt nicht stimmte.

Aus unserem Artikel vom Sonntag (3):

„Einige Stunden nach dem Treffen des Untersuchungsteams mit jenem “Schlüsselbeamten der Region” trifft (am Samstag Nachmittag) Kommandeur Stanley McChrystal selbst auf dem Isaf-Stützpunkt in Kunduz ein. Eine Menge Gesprächspartner warten bereits auf ihn, “Führer” aus der Gegend, der Vorsitzende gar des Provinzrates und obendrein noch ein “Untersuchungsteam” des hochehrenwerten Präsidenten Hamid Karzai. Eine Beschwatzkanonade beginnt.

Alles redet auf McChrystal ein und verlangt nach noch viel mehr solchen gelungenen “Militäroperationen”, man müsse noch härter vorgehen als bisher. Der Herr Ahmadullah Wardak (Vorsitzende des Provinzrates, Donnerlüttchen), fällt McChrystal ins Wort als er sein Bedauern über die Opfer des Bombardements ausdrückt und sagt:

“Wenn wir noch drei solche Operationen wie die letzte Nacht unternehmen, wird Stabilität nach Kunduz kommen. Wenn Menschen nicht in Ruhe und Frieden leben wollen, dann ist das nicht unsere Schuld. Wir sind zu lieb zu den Strolchen gewesen.”

Ein “hochrangiger Nato-Beamter”, mutmasslich zentralalteuropäischer Herkunft und Moralität, findet die Situation in Afghanistan nach dem Bombardement den Umständen entsprechend günstig. Die “fehlende Opposition” (fast wie zuhause, was?) gegen das Massaker durch örtliche “Beamte” gebe die Chance die Spannungen wieder herabzufahren. Der “leitende Nato-Beamte”:

“Wir hatten grosses Glück hier.”

Doch irgendwie wird es nichts mit dem Beschwatzen. Afghanistan-Kommandeur Stanley A.McChrystal besteht immer noch darauf, persönlich zum Ort des Geschehens zu gelangen, obwohl man ihm im deutschen Militärhauptquartier permanent von allen Seiten in den Ohren liegt, es sei ja viel zu gefährlich.

Dort angekommen, besichtigen McChrystal und sein Untersuchungsteam nun am Samstag Nachmittag zum ersten Mal den Ort, der nach deutschen Militärangaben am frühen Freitag Morgen um 2.30 Uhr bombardiert wurde.

Wieder im deutschen Militärhauptquartier in Kunduz gibt McChrystal an ein paar ausgewählte Journalisten Informationen weiter; darunter offensichtlich auch Rajiv Chandrasekaran, den Autor des gestern Abend ins Weltkommunikationsnetz gestellten Artikel der “Washington Post”. Es sei “klar, dass an diesem Ort Zivilisten zu Schaden gekommen sind”, so McChrystal. Die Nato werde eine umfangreiche Untersuchung einleiten:

„Es handelt sich um einen ernsten Vorfall, der ein Test darüber wird, ob wir bereit sind transparent zu sein und ob wir bereit sind zu zeigen, dass wir die Menschen in Afghanistan beschützen werden.“

Einen Tag, am Sonntag dem 6.September, später trifft die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den britischen Premierminister Gordon Brown (Labour Party) in Berlin. Nach dem Treffen berichten diese, einträchtig vor der Presse Hände schüttelnd, dass die Regierungen von Deutschland, Großbritannien und Frankreich „noch in diesem Jahr eine internationale Afghanistan-Konferenz einberufen“ wollen, um „weitere Entwicklungsschritte für das Land“ abzustecken. Das Ziel einer „tragfähigen Sicherheitsstruktur in Afghanistan“ müsse „mit aller Konsequenz“ verfolgt werden, so Merkel. Die „Tagesschau“ weiter (6):

„Das Ansinnen Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens sei mit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und den USA abgestimmt.“

„Abgestimmt“. Das Ganze erweckte eher den Eindruck, als habe man die Nato und die neue Regierung in Washington (die übrigens immer noch nicht in Berlin zu Besuch war) nachträglich über das eigene Vorhaben informiert.

Letzten Mittwoch am 2.September, nicht einmal 48 Stunden vor der „Entführung“ der beiden Tanklaster fast in Sichtweite des deutschen Militärstutzpunktes, war der Vize-Chef des afghanischen Geheimdienstes NDS, Abdullah Laghmani, bei einem gezielten Attentat ermordet worden. Mit Laghmani – wie es hiess, „eine der am besten bewachten Sicherheitsbeamten in Afghanistan“ – starben nach einem Besuch der Moschee in der afghanischen Stadt Mehtar Lam 23 weitere Menschen, darunter Frauen und Kinder.

Ein Attentäter habe sich in einer Menschenmenge vor der Moschee in die Luft gesprengt, in welcher sich auch NDS-Vize Laghmani befunden haben sol, so die Meldungen. Der Gouverneur der Provinz Lahman, Lutfullah Mashal, gab folgende Zeugenaussage ab (8):

„Wir waren alle auf dem Weg in unsere Autos genau vor der Moschee, als ein Mann aus einem Geschäft gerannt kam und dann gab es eine grosse Explosion. Eine Menge Leute starben. Abdullah Laghmanis Auto wurde zerstört. Ich habe zwei meiner wichtigen Beamten („officials“) verloren. Es sind offensichtlich die Taliban die versuchen Afghanistan zu destabilisieren und sie trampeln auf islamischen Werten herum.“

Auf einem durch die BBC (7) veröffentlichten Foto hingegen ist deutlich zu sehen, dass die Sprengkraft der Explosion gezielt auf die Rückbank von Laghmanis Fahrzeuges wirkte. Bei der Explosion eines Selbstmörders mit umgeschnallten Sprengstoff ist das praktisch unmöglich.

Die Hintergründe des Attentats liegen im jahrzehntelangem Bürgerkrieg verschiedener Milizen, lange vor dem blitzartigem Auftauchen der „Taliban“, welche mit Unterstützung von US-Geheimdiensten, sowie dem pakistanischen ISI im Jahre 1996 aus Pakistan heraus einmarschierten und das vollkommen zerfallene Afghanistan eroberten.

Das Regime der sogenannte Taliban“ (übersetzt in etwa: „die Schüler“), welches von 1996 bis zur Invasion US-geführter Truppen im Jahre 2001 andauerte, stützte sich während seiner Herrschaft auf den Stamm der Paschtunen. Im Norden kämpfte das „Taliban“-Regime bis zum Einmarsch 2001 gegen die sogenannte „Nordallianz“ aus usbekischen und tadschikischen Kommandeuren, welche mit ihren Milizen kleinere Gebiete beherrschten.

Nach den Attentaten vom 11.September 2001 lieferten USA und Nato erhebliche Geldmittel, Waffen und Logistik wie Kommunikations- und Transportmittel an die Milizen der „Nordallianz“. Sie dienten während der Invasion Afghanistans als Bodentruppen und Frontsoldaten der Nato, ihre Chefs wurden Mitglieder der anschliessenden Regierung, welche wiederum bis heute von den Besatzungsmächten gestützt wird.

Der bei dem Attentat ermordete Vize-Chef des afghanischen Geheimdienstes NDS in der Nato-Besatzungszone, Abdullah Laghmani, war Paschtune und galt als wichtige Figur im Kampf gegen die „Taliban“. Die „Taliban“ wiederum sollen sich laut offizieller Darstellung, auch im achten Jahr der Besetzung durch die Nato angeblich immer noch in Kontinuität zu ihrem alten Regime in Afghanistan als Organisation und Militärmacht in Afghanistan konstituieren.

Der britische „Independent“ nun in einem Artikel zum Attentat auf den NDS-Vizechef (8):

„Mr.Laghmani war Brennpunkt des Hasses von Aufständischen, wegen seiner Rolle im National Directorate of Security (NDS), welcher aus dem Sicherheitsapparat der tadschikisch und usbekisch geführten Nordallianz gegen die paschtunischen Taliban während des Bürgerkrieges hervorging.

Dennoch machten in der derzeitig aufgeheizten Atmosphäre Gerüchte die Runde, dass Mr.Laghmani durch tadschikische Fraktionen innerhalb des NDS eliminiert worden sei, aus einer Reihe verschwörerischer Gründe von denen manche mit der Wahl (Anm: des afghanischen Präsidenten) zusammenhängen.

Nach der Auszählung von rund 60 Prozent der Stimmen, nähert sich Mr.Karzai, ein Paschtune, mit 47.3 Prozent der 50-Prozent-Marke, was ihm im ersten Wahlgang einen umfassenden Sieg verschaffen würde. Abdullah Abdullah, welcher tadschikischer und paschtunischer Herkunft ist aber als tadschikischer Kandidat angesehen wird und als hochrangiger Vertreter in der Nordallianz gekämpft hat (Anm.: vor der Invasion 2001), liegt bei 32.6 Prozent.

In Mazar-i-Sharif im Norden, sagt Zalmai Younosi, Dr.Abdullahs Wahlkampfmanager in sechs Provinzen, Strassenunruhen voraus, falls der Eindruck enstünde Mr.Karzai würde die Wahlen „stehlen“. Er sagte:
`Wir reden nicht viel darüber, weil die Leute sehr wütend sind und wir wollen das nicht noch verstärken, aber Dr Abdullah trifft sich mit ausländischen Botschaftern und regionalen Partnern um eine Lösung zu finden. Danach, falls es kein Ergebnis gibt, wird es Protest und Gewalt geben.`“

Am Montag schrieb die „New York Times“ (8) über die Situation innerhalb der deutschen Besatzungszone im Norden Afghanistans :

„Die Taliban sind in Kunduz zunehmend aktiver geworden, einer Region welche an Tadschikistan angrenzt und bisher relativ ruhig war — ein beunruhigendes Zeichen für US-geführte Truppen.“

Den merkwürdigen Wiederspruch, warum nun die „paschtunischen Taliban“ auf einmal im tadschikischen und usbekischen Norden innerhalb der deutschen Besatzungszone Afghanistans so „aktiv“ geworden sind, wird bisher in der Weltpresse mit keinem Wort erklärt, geschweige denn durch die Bundeswehr oder Bundesregierung.

Der Schweizer „Tagesanzeiger“ (9) brachte diesbezüglich nun einen alten Bekannten ins Spiel: Gulbuddin Hekmatyar.

„Die Heimat von Gulbuddin Hekmatyar, dem im Untergrund lebenden Chef der Gruppe Hezb-i-Islami, liegt an der Grenze zu Tadschikistan nördlich von Kunduz. Seine Kämpfer sind hier ebenso aktiv wie die mit ihm verbündeten radikalislamischen Talibanmilizen. Wenn die Verhandlungen Hekmatyars mit der Regierung Karzai aber so erfolgreich verlaufen, wie es zurzeit aussieht, könnten Hezb-i-Islami und die Taliban zu Feinden werden.

Die verbliebenen Reste der von Tadschiken dominierten Nordallianz um den ehemaligen Aussenminister Abdullah Abdullah wiederum versuchen ihre Position im Norden zu stärken. Sie können dabei auf den Geheimdienst NDS setzen. Ausserdem mischen in der Region noch mehrere kleine Drogenkartelle mit, die am Opiumtransport in Richtung Zentralasien verdienen. Das «Provinzwiederaufbauteam» (PRT) der Bundeswehr kooperiert überwiegend mit den afghanischen Streitkräften ANA und den bislang der Karzai-Regierung ergebenen Behörden.“

„Überwiegend“. Soso.

Von Milizenchef Hekmatyar heisst es seit Jahren abwechselnd, er verhandele mit der Karzai-Regierung, er sei auf ihre Seite gewechselt, oder er kämpfe auf Seiten „der Taliban“. Auch bei Entführungsfällen deutscher Fantomurlauber mit schlechter Handy-Verbindung und noch schlechterem Stern beim Entspannen in den Bergen Afghanistans, wurde sein Name schon mal präventiv, aber vergebens ins Spiel gebracht.

Bei Wikipedia (10) heisst es, Hekmatyar sei sunnitisch-paschtunischer Herkunft. Demgegenüber wurde in den Kriegsjahren seit 2001 von Konzernmedien und Staatspresse in Europa und den USA immer wieder behauptet, er arbeite mit dem Iran zusammen.

Noch im Jahre 2002 sass er, ohne Geld und Unterstützer, in Teheran fest. Die iranischen Behörden hatten Hekmatyar, welcher nach dem Einmarsch der „Taliban“-Milizen aus Pakistan 1996 in den Iran geflüchtet war, sogar die Telefonverbindungen gekappt und ihn faktisch unter Arrest gestellt (11).

2002 rief Hekmatyar dann aus Teheran zum Aufstand in Afghanistan und der Unterstützung der „Al Kaida“ und „Taliban“ auf. Daraufhin verwies ihn die iranische Regierung des Landes. Nach seiner Rückkehr verschwand Hekmatyar, bis heute für die Besatzungstruppen irgendwie unauffindbar, und baute mit enormen Geldmitteln aus ungeklärter Quelle eigene Milizen und Einfluss auf.

Bereits in den 80er Jahren Empfänger umfangreichster Geld- und Waffenlieferungen aus den USA und Saudi-Arabien, hatte Hekmatyar während des Bürgerkrieges in Afghanistan nach dem Ende der sowjetisch gestützten Regierung von 1990-1996 mehrfach das Amt des „Premierministers“ inne. Er richtete, wie alle seine wechselnden Bündnispartner und Gegner, welche als „Mujaheddin“ samt und sonders durch die Regierung Reagan/Bush Senior (und ab 1988 unter Bush Sen. als Präsident) unterstützt worden waren, ein einziges Gemetzel an, ohne dass es bis 2001 irgendeine „westliche“ Regierung auch nur eine Sekunde kümmerte.

Aus dem Jahresbericht Bericht von Amnesty International von 1995, Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 1994 (12):

„Wie schon in den vergangenen Jahren existierte keine effektive Zentralgewalt. Die Führer der wichtigsten kriegführenden Gruppen, Borhannudin Rabbani von der Gesellschaft des Islam (Jamiat-e-Islami) und Gulbuddin Hekmatyar von der Partei des Islam (Hezb-e-Islami), blieben Präsident und Ministerpräsident. Einem Zusammenschluß von Mudschaheddin-Gruppen unter Führung der Jamiat-e-Islami gelang es, die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul weitgehend zurückzuerobern. Ein Bündnis von Oppositionsparteien unter Führung der Hezb-e-Islami hielt andere Landesteile in ihrer Gewalt. Das übrige Afghanistan wurde von unabhängigen Befehlshabern kontrolliert, die mehr oder weniger mit der einen oder der anderen der rivalisierenden Allianzen paktierten. Einige von ihnen schufen regierungsähnliche Strukturen und betrieben ihre eigene Außenpolitik..

Am 1. Januar starteten die Truppen von General Abdul Rashit Dostum und Ministerpräsident Gulbuddin Hekmatyar eine gemeinsame Offensive gegen die Streitkräfte von Präsident Rabbani, die sich im Präsidentenpalast in Kabul und im Verteidigungsministerium verschanzt hatten..

Im September kam es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen zwei Schiiten-Milizen: der mit Gulbuddin Hekmatyar verbündeten Hezb-e-Wahdat und der Borhannudin Rabbani assoziierten Harakat-e-lslami. Dabei wurden mehrere hundert Menschen getötet und Tausende verwundet. Viele der Opfer sollen vorsätzlich und willkürlich ermordet worden sein..

Die Kämpfe zwischen den rivalisierenden Gruppen und die anhaltenden Angriffe auf Kabul forderten auch in den letzten vier Monaten des Berichtsjahres mehrere tausend Opfer unter der Zivilbevölkerung. Beobachter schätzten die Zahl der allein zwischen dem 12. September und dem 12. Oktober getöteten Menschen auf 800, die der Verwundeten auf mehr als 17000.

Unbewaffnete Zivilisten, die im Verdacht standen, rivalisierenden Gruppen anzugehören, sind nach vorliegenden Meldungen gefoltert und mißhandelt worden. So erhielt amnesty international Kenntnis von Berichten, denen zufolge mehrere hundert Frauen, Mädchen und Jungen von Angehörigen bewaffneter Gruppen brutal gefoltert und vergewaltigt worden sind. Darüber hinaus war es verbreitete Praxis, Menschen mit Schlägen zu mißhandeln. Alle bewaffneten Gruppen hielten Berichten zufolge Personen über lange Zeiträume hinweg in privaten Hafteinrichtungen gefangen und setzten sie Folterungen aus. Ehemalige Gefangene berichteten, mit Gewehrkolben geschlagen, mehrere Tage lang an Leichen festgebunden und gezwungen worden zu sein, Fleisch zu essen, bei dem es sich nach Auskunft ihrer Peiniger um Menschenfleisch handelte. Einige Häftlinge gaben an, mit Elektroschocks gefoltert, beinahe zum Ersticken gebracht und an den Hoden mit Zangen gequetscht worden zu sein. Nach vorliegenden Berichten sind zahlreiche Gefangene unter der Folter gestorben. Diejenigen Häftlinge, die sich nicht freikaufen konnten, liefen Gefahr, vorsätzlich und willkürlich getötet zu werden..

Bei der überwiegenden Mehrheit der Gefangenen handelte es sich vermutlich um Personen, die wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihren Verbindungen zu rivalisierenden politischen oder religiösen Gruppen festgenommen worden waren..

Im Dezember gab amnesty international eine Erklärung heraus, die auf Interviews mit Afghanen basierte, welche in Flüchtlingslagern in Pakistan lebten. Die Organisation verwies auf die ihr zur Kenntnis gelangten Berichte, denen zufolge alle bewaffneten politischen Gruppen in Afghanistan für Massenmorde, willkürliche Inhaftierungen und Folterungen, einschließlich der weitverbreiteten Vergewaltigung von Frauen und Kindern, Verantwortung tragen. Sie forderte die internationale Gemeinschaft auf, Maßnahmen zu ergreifen, um der Menschenrechtskatastrophe in Afghanistan entgegenzuwirken.“

Das war 1994. Man denke jetzt einmal an die sonoren, sorgenvollen Stimmen unserer Volksvertreter im Parlament, wenn sie heute im Jahre 2009 wieder und wieder vor der „Rückkehr des islamistischen Terrorismus“ nach Afghanistan und einer angeblichen Gefahr von Attentaten in Deutschland im Falle eines Rückzugs der deutschen Truppen aus Afghanisten warnen. Sie alle schwiegen jahrelang zu diesen Verbrechen der verschiedenen Milizen, welche US-Regierung und Staaten in Europa über ein Jahrzehnt lang systematisch gezüchtet hatten.

Und mit eben diesem Warlord Gulbuddin Hekmatyar verhandelt nun, wieder einmal, die Karzai-Regierung.

Hekmatyar hat bereits mehrfach den Eindruck erweckt, als übernehme er, seit seiner Abschiebung aus dem Iran nach Afghanistan in 2002, immer dann für obskure Attentate und Massaker in Afghanistan die Verantwortung, wenn westlichen Regierungen oder ihrem Karzai-Regime gerade jede andere Ausrede fehlte. Es sei hier nur ein Beispiel unter vielen erwähnt.

Im September 2008 übernahm Hektmatyar die Verantwortung für einen Überfall auf französische Soldaten in Ostafghanistan, bei dem zehn Franzosen um´s Leben gekommen waren.
Nach Aussagen überlebender französischer Soldaten gegenüber der renommierten Zeitung “Le Monde” spielte sich am Montag dem 18.August aber folgendes ab: (13)

Die französischen Soldaten des 8. Fallschirmspringer-Regiments der Marine, dem 2. Fallschirmspringer-Regiments der Fremdenlegion und dem Regiment des Tschad-Marsches (” Régiment de marche du Tchad (RMT)” sind an jenem 19.August des Jahres 2008 gegen 13.30 Uhr mittags im Rahmen einer ISAF-Mission unterwegs auf einer Strasse Richtung der Stadt Sarobi. Der Distrikt, in dem sie sich bewegen, hat die französische Militärführung erst kürzlich im Rahmen einer von Präsident Sarkozy verfügten Truppenaufstockung von den US-Militärs als “Verantwortungsbereich” (Besatzungszone) übernommen.

Die Strasse, welche bald zu einem engen Pass werden wird, ist noch Teil der Region Kabul. Das Kommando über die 5000 NATO-Soldaten in der nur 30 Meilen entfernten Stadt Kabul hat erst vor wenigen Tagen, am 5.August 2008, der Franzose Michel Stollsteiner übernommmen.

Die Strecke gilt als extrem gefährlich. Das anvisierte Ziel liesse sich auch anders erreichen. Trotzdem wird der französische Generalstabschef General Jean-Louis Georgelin nachher bei einer Pressekonferenz erklären, dass es nötig war die Elite-Soldaten zu Fuss auf die Pass-Spitze zu schicken.
Die französischen Soldaten sind mit US-Spezialeinheiten und afghanischen Militärs unterwegs. Diese halten sich hinter den Franzosen.

In dem Augenblick als die französischen Truppen die Pass-Spitze erreichen, geraten sie in einen Hinterhalt. Später wird Generalstabschef Georgelin in Paris behaupten, in diesen Minuten hätten die eigenen Truppen die meisten Verluste erlitten.
Nach Aussage der überlebenden Soldaten passiert aber folgendes: 4 Stunden lang erhalten sie im Gefecht durch die US-Soldaten und die afghanischen Truppen hinter ihnen nicht nur keine Unterstützung – sondern sie werden von den eigenen “Verbündeten”, darunter Elite-Scharfschützen, direkt unter Feuer genommen. Sie müssen sich nach allen Seiten verteidigen. Die Munition geht ihnen aus. Das eigene, das französische Kommando in Kabul unter Michel Stollsteiner bricht die Verbindung zu ihnen ab. Verstärkung und Entsatz kommt nicht, obwohl 5000 NATO-Soldaten nur 30 Meilen entfernt sind.

Die sogenannte “Rapid Force”, die schnelle Eingreiftruppe, ist angeblich nicht in Bereitschaft, was allen militärischen Grundregeln und Einsatzmustern widerspricht. Die afghanischen Soldaten, die mit ihnen auf die Patrouille gingen, nehmen sie immer dann unter Feuer, wenn sie versuchen sich vom Pass zurückzuziehen.

Dann kommen NATO-Bomber. Auch sie greifen die Franzosen an und töten mehrere Soldaten.

Über 13 Stunden gehen die Gefechte, schliesslich werden die letzten verwundeten Franzosen gegen 2 Uhr nachts am Dienstag evakuiert.

Als “Le Monde” schliesslich die Darstellung der französischen Elite-Soldaten veröffentlicht, verweigert man in Paris einen Kommentar dazu. Später steht in Kabul im Rahmen einer länger geplanten Reise der französische Präsident Sarkozy in der französischen Regionalkommandatur General Stollsteiners vor den Särgen der Toten und verneigt sich. Die Presse ist eingeladen.

Zurück in die Gegenwart, ein Jahr später.

Dem deutschen Auslandsgeheimdienst können die Machtkämpfe im tadschikisch dominierten afghanischen Geheimdienst NDS vor der Ermordung des paschtunischen Vize-Chefs Abdullah Laghmani nicht verborgen geblieben sein. Schliesslich arbeitete der BND eng mit diesem zusammen. So jedenfalls berichteten es deutsche Militärs aus Kabul der Nachrichtenagentur ddp, die am 25.August vermeldet (14):

„Aus deutschen Offizierskreisen in Kabul erfuhr ddp, dass die Bundeswehr mit der Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Afghanistan «ganz und gar nicht zufrieden ist». Gerade mit Blick auf die Lage in Kundus wäre es «sehr begrüßenswert, wenn es eine bessere Aufklärung» gebe, zumal der BND mit dem afghanischen Geheimdienst NDS eng zusammen arbeite, erläuterten Offiziere. Zwar sei die Geheimdienstaufklärung am Hindukusch schwierig. Doch sei eine Vorfeldaufklärung für die Soldaten von geradezu unschätzbarem Wert.“

Die Meldung von ddp enthält auch andere brisante Einzelheiten. Am Montag dem 24.August hatten nämlich das deutsche Aussenministerium unter Frank-Walter Steinmeier (SPD), sowie das deutsche Verteidigungsministerium unter Franz Jung (CDU) an die Abgeordneten des Bundestages ein Dossier versandt. In diesem Dossier hatten Steinmeier und Jung, mit wieder einmal geradezu prophetischer Sicherheit im Danebenliegen, von Attacken „der Taliban“ auf den eigenen Militärstützpunkt in Kunduz gesprochen. Es war die Rede von „erheblichen Finanzmitteln“ der „Taliban“, „zur Anwerbung kampfbereiter Jugendlicher“, ebenso eine „Präsenz ausländischer Kämpfer“. Und jetzt kommt´s:

ein „direkter Zusammenhang“ mit den Bundestagswahlen könne nicht ausgeschlossen werden.

Wie man mittlerweile weiss, gab es keinen Angriff auf den deutschen Militärstützpunkt in Kunduz; sondern es gab ein Massaker an der afghanischen Zivilbevölkerung und die anschliessende Schutzbehauptung von Verteidigungsminister Jung, es hätte möglicherweise einen Angriff mit zwei Tanklastern geben können welche praktisch unter der Nase der deutschen Isaf-Soldaten vor dem eigenen Stützpunkt auf der Hauptstrasse an einem „vorgetäuschten“ Checkpoint von „Taliban“ entführt worden und dann praktisch um den eigenen Stützpunkt herumgefahren seien, obwohl sie nach Aussage von Abgeordneten des Bundestages die ganze Zeit unter Beobachtung von deutscher Luftauflärung waren.

Der fraktionslose Abgeordnete Gert Winkelmeier, Mitglied im Verteidigungsausschuss, vorgestern im Bundestag (2):

„Lassen sie mich etwas zu der Entscheidung des örtlichen deutschen Kommandeurs sagen: Tankwagen sind nicht geländefähig. Sie können nur auf befestigten Straßen gefahren werden. Das Lager Kunduz hätte also auf den befestigten Zugangsstraßen mit ganz einfachen Mitteln gegen die vermeintliche Gefahr geschützt werden können. 2 000 Meter vor dem Lager postiert, hätten ein Schützenpanzer oder ein paar Maschinengewehre gereicht, um die Umwidmung dieser Lastwagen in Angriffswaffen zu unterbinden.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Was ist das denn für Unsinn!)
Zudem standen diese Lastwagen ständig unter Luftbeobachtung.“

Die „Bedrohungssituation“, von der Minister Jung nach dem Luftangriff auf eine Menschenmenge immer wieder berichtete, war keine für die deutschen Soldaten – es war seine eigene.

Angesichts dieses deutschen Bundestages ist seine eventuelle Besorgnis aber übertrieben. Durch die Bank hielten sich am Dienstag alle Redner aller Parteien an die völlig haltlosen Schutzbehauptungen der Regierung. Dabei erwähnte nicht einer das merkwürdige Dossier des Aussen- und Verteidigungsministeriums vom 24.August mit den „Hinweisen“ auf einen angeblichen Angriff der „Taliban“ ausgerechnet auf das Isaf-Hauptquartier in Kunduz.

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, Chefs der Linksfraktion, machten wieder einmal das Einzige, was bisher immer getan haben: einen Abzug aus Afghanistan zu fordern, indem man vor den „Bin Ladens“ dieser Erde, sowie Afghanen und Muslimen warnte. Dabei führte man nicht einen einzige Hintergrundinformation, eine einzige brauchbare Analyse, eine einzige rationale Einschätzung ins Feld, sondern plapperte ausschliesslich die Versionen der Geheimdienste nach und war sich einig im „Kampf gegen Terrorismus“, welcher der Welt durch die Bush-Regierung 2001 als „War on Terror“ erklärt worden war.

Gysi:

„Nehmen wir den Krieg in Afghanistan, über den wir vorhin diskutiert haben. Sie alle sind einer Meinung und glauben im Ernst, man könne Terrorismus mittels Krieg bekämpfen. Ich sage Ihnen: Im Krieg sterben immer Unschuldige und Unbeteiligte. Dabei entsteht Hass, und die Bin Ladens nutzen diesen Hass, um neue Terroristen zu rekrutieren. Deshalb ist das das völlig falsche Mittel. Wir müssen raus aus der Spirale der Gewalt, gerade wenn wir den Terrorismus bekämpfen wollen.

Lafontaine:

„Die Kultur, um die es geht, hat der Oberbefehlshaber der ISAF ganz klar angesprochen. Wir haben es dort mit einer Stammeskultur zu tun. Diese Stammeskultur verpflichtet all diejenigen, die im Verwandtenkreis Tote zu beklagen haben, auf Blutrache…Wir bewirken das Gegenteil von dem, was wir eigentlich bewirken wollen. Dies wird durch die Erklärung der Dienste hier in der Bundesrepublik auch noch bestärkt. Es ist gerade in den letzten Tagen erneut gemeldet worden – wir haben immer wieder darauf hingewiesen –, dass die Dienste in der Bundesrepublik sagen: Der Kampfeinsatz in Afghanistan, den die Bundeskanzlerin gerechtfertigt hat, erhöht die Terroranschlagsgefahr in Deutschland. Ich frage hier für meine Fraktion: Ist es Aufgabe der Bundesregierung, durch ihr Handeln dafür Sorge zu tragen, dass sich die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöht?
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Thomas Oppermann [SPD]: Es ist doch unglaublich, was Sie da sagen!)
– Ja, es ist unglaublich, welche Politik Sie machen; da haben Sie völlig recht. Sie haben kein rationales Argument, um diese Politik überhaupt noch zu rechtfertigen.
(Thomas Oppermann [SPD]: Durch die Terrorismusbekämpfung sorgen wir für Terrorgefahr? Das ist doch Wahnsinn! – Detlef Dzembritzki [SPD]: Das lohnt nicht mal einen Zwischenruf!)“

Sämtliche Informationen dieses Artikels sind aus öffentlichen Quellen. Also entweder sind diese sauberen Herrschaften in unserem Parlament professionelle Heuchler die über Leichen gehen, oder zu dumm zum Zeitunglesen.

Einen Tag vor der Bundestagsdebatte hatte am Montag der Sprecher des Verteidigungsministeriums eine merkwürdige Andeutung gemacht. „Reuters“ (15):

„Zugleich wies Raabe Vorwürfe zurück, das Bombardement sei auf die Informationen einer einzigen Quelle und Luftbilder hin erfolgt. Es habe „einen weiteren Aufklärungsstrang gegeben, über den wir nicht öffentlich reden“, sagte er. Mit dieser Formulierung umschreibt das Ministerium gewöhnlich den Einsatz des geheimen Kommandos Spezialkräfte (KSK). Die Quelle habe es ermöglicht festzustellen, ob bestimmte Personen vor Ort seien und weit mehr Erkenntnisse bringen können als Luftbilder.“

Der „Rheinische Merkur“ schrieb zum gleichen Thema (16):

„Beinahe stoisch sahen Kommandeure über Monate zu, wie Dutzende Granaten über ihrem Stützpunkt niedergingen. „Die Deutschen müssen das Töten lernen“, wurde in amerikanischen Kreisen gespottet, nachdem Soldaten Taliban hatten entkommen lassen. Erst der neue Kommandeur leitete im April die Wende ein – eben jener Oberst Georg Klein, der den Bombeneinsatz nahe dem Feldlager anordnete. Erstmals griffen Soldaten von sich aus feindliche Kämpfer an. Im Mai gelang es KSK-Spezialtruppen, einen Taliban-Kommandeur im Hochgebirge festzunehmen.“

Bei den seltsamen Andeutungen über die KSK in der Presse, welche auch in RTL-Nachrichten vom Montag wiederholt wurden, blieb es. Nicht ein einziger Abgeordneter des deutschen Parlamentes erwähnte am Dienstag auch nur die KSK, geschweige denn, dass er der Regierung im Parlament mal öffentlich unangehme Fragen stellte.

Spätestens die Befreiung des NYT-Times Reporters Stephen Farrell wirft nun unüberwindbare Schwierigkeiten sowohl für die gebetsmühlenartig wiederholten Erklärungsmuster der Regierung auf, also auch für das penetrante Wegschauen der Parlamentarier. Nicht nur dessen Entführung, mehr als 12 Stunden nach Eintreffens der Nato-Untersuchungskommission auf dem Isaf-Stützpunkt in Kunduz und mehr als 30 Stunden nach dem Bombardement des späteren Entführungsortes beim Wrack der Tanklaster, auch die Befreiung von Farrel am frühen Mittwoch wirft eine Menge Fragen auf.

Farell schilderte die Befreiung in einem zweiten Telephonat mit der „New York Times“. (1)

Zusammen mit den Kidnappern und seinem Übersetzer Sultan Munadi einem Raum befindlich, wurden auf einmal Hubschraubergeräusche hörbar.

„Wir waren alle in einem Raum, die Talibs rannten alle, es war offensichtlich ein Angriff. Wir dachten die würden uns umbringen. Wir überlegten uns ob wir rausgehen sollten.“

Als sie aus dem Raum ins Freie rennen, hört Farrell Stimmen.

„Da flogen die Kugeln um uns herum. Ich konnte britische und afghanische Stimmen hören“.

Am Ende einer Mauer angelangt, berichtet Farrell dass Munadi vorwärts tritt und „Journalist! Journalist“ ruft. Danach fällt Munadi in einem Kugelhagel.

„Ich warf mich in einen Graben,“

so Farrell, der später nicht genau sagen kann von wem die Schüsse auf Munadi abgefeuert werden, von seinen Kidnappern oder dem anrückenden Militärkommando. Nach ein oder zwei Minuten hört Farrell weitere britische Stimmen und ruft: „Britische Geisel!“. Die britischen Stimmen bedeuten ihm näher zu kommen. Als er dem Folge leistet, sieht er Munadi am Boden liegen.

„Er lag in der gleichen Position wie er fiel. Das ist alles was ich weiss. Ich sah ihn direkt vor mir zu Boden gehn. Er hat sich nicht bewegt. Er ist tot. Er war so nahe, er war nur zwei Fuss (Anm.: ungefähr 60 Zentimeter) vor mir als er fiel.“

Sultan Munadi war nach Aussage des Fahrers von Farrell ein gutinformierter Mann gewesen. Am Freitag vor der Reise hatte er einen Freund im Dorf nahe des späteren Entführungsortes angerufen. Angerufen hatte er auch nach der Entführung den geflüchteten Fahrer und ihm versprochen, dass sie alle freikämen wenn er sich ebenfalls den Kidnappern stelle.

Hätte der Fahrer dem guten Rat des guten Freundes (der nun keine Auskunft mehr geben kann) Folge geleistet, wäre Farrell am Mittwoch höchstwahrscheinlich nicht befreit worden.

Und wahrscheinlich hätte die deutsche Öffentlichkeit auch nicht in dem Maße über den Luftangriff ihres Militärs auf eine Menschenmenge erfahren, wie es nach jenem Samstag in Kunduz und der Entführung eines NYT-Reporters nur 5 Kilometer entfernt der Fall gewesen war.

(…)

Quellen:
(1) http://www.nytimes.com/2009/09/10/world/asia/10rescue.html
(2) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16233.pdf
(3) http://www.radio-utopie.de/2009/09/06/bundeswehr-oberst-befahl-offenbar-nach-bnd-behauptungen-luftangriff-auf-sichtbare-menschenmenge-125-tote/
(4) http://www.radio-utopie.de/2009/09/05/kriegsopfer-zu-selbstmoerdern/
(5) http://www.welt.de/politik/ausland/article4467492/Deutsche-Soldaten-in-Afghanistan-angegriffen.html
(6) http://www.tagesschau.de/inland/afghanistankonferenz102.html
(7) http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/8233265.stm
(8) http://www.nytimes.com/reuters/2009/09/07/world/international-us-afghanistan-strike.html
(9) http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/In-Kunduz-zeigt-sich-Schwaeche-der-Regierung-Karzai/story/30647853
(10) http://de.wikipedia.org/wiki/Gulbuddin_Hekmatyar
(11) http://www.time.com/time/world/article/0,8599,212595,00.html
(12) http://www.amnesty.de/umleitung/1995/deu03/002?lang=de%26mimetype%3dtext%2fhtml
(13) http://www.radio-utopie.de/2008/08/21/moerder-der-eigenen-soldaten/
(14) http://www.ad-hoc-news.de/afghanistan-amerika-vor-neuem-vietnam-trauma–/de/Politik/20460043
(15) http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE5860ER20090907
(16) http://www.merkur.de/2009_37_Rache_am_Besserwi.36980.0.html?&no_cache=1

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