Demokratie oder Euro-System: Die Wahl der Wahl

In Deutschland zieht eine Volksabstimmung über das Euro-System und seine systemischen Komponenten wie den „Europäischen Stabilisierungsmechanismus“ ESM herauf. In Griechenland stehen Parlamentswahlen an. Doch nicht nur diese beiden, sondern alle europäischen Demokratien sehen sich einem finanziellen Feldzug gegenüber, der sie in ihrer Substanz bedroht und der ihnen nur eine Wahl lässt: die Wahl selbst.

Der „Focus“ bewirbt heute einmal mehr den ehemaligen Bundesbanker und Finanzsenator von SPD und Die Linke in Berlin, dem keine Hetze gegen Arme, Religionen und dem friedlichen Zusammenleben der Völker in der Republik zu billig ist. Ganz besonders billig ist der erneute Versuch, Unmut und gesellschaftliches Protestpotential gegen das auf ganzer Linie destruktive, antiwirtschaftliche und antidemokratische Finanz- und Währungssystem „Euro“ in die rechtsreaktionäre, xenophobische, nationalistische und wirtschaftsfaschistische Ecke von Thilo Sarrazin zu lotsen.

Über eine extra in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage macht der „Focus“ die sensationell alternativlose Alternative zwischen Angela Merkel und Thilo Sarrazin auf und stellt zwei Fragen in den Raum: stimme man eher dem Satz zu „Europa braucht den Euro nicht“ oder „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“.

Mal abgesehen von der Frage, ob sie wohl den zweiten Satz (ein Zitat Angela Merkels) schon in Norwegen, Dänemark, Polen, oder Tschechien herum erzählt haben – rein zufällig ist der erste Satz, „Europa braucht den Euro nicht“, auch der Titel des Buches, was Thilo Sarrazin gerade gern verkaufen möchte.

Vor die Wahl zwischen Platzregen und Oberschichtstaufe gestellt, entscheiden sich dann 45 Prozent für Angela Merkels sinnfreies Gebrabbel und 43 Prozent für Thilo Sarrazins Buchtitel. Das ist eine Wahl, wie sie sich die Nomenklatura vorstellt. Aber wir haben eine andere.

Vor 164 Jahren erhoben sich die Deutschen, wie viele andere europäische Völker, zu einer Revolution gegen die Fürsten, Monarchen und Herrschaftshäuser ihrer Epoche. Ziel der Deutschen in ihrer Revolution von 1848 war eine Republik neben Republiken, nicht ein Imperium der Imperien über Europa. Stattdessen bekamen die Deutschen nach der Eroberung durch das preußische Königreich als ersten Nationalstaat ein Kaiserreich, die erste von drei Diktaturen bis heute.

Im Jahre 1821 erhoben sich in Griechenland die Menschen gegen das Osmanische Reich und kämpften für eine eigene hellenische Republik. Nach dem Eingreifen der anderen europäischen Königshäuser bekamen sie schließlich 1832 eine Monarchie, mit dem bayrischen Prinz Otto als erstem König. Erst fast 100 Jahre später schaffte es Griechenland nach einer Revolution von 1923 bis 1935 in knappe zwölf Jahre wackelige Republik, um es dann nach Königreich, deutscher Besatzung, wieder Königreich und dann Militärdiktatur, ab 1974 in eine zweite Republik zu schaffen, die fortan von zwei korrupten Staatsparteien beherrscht wurde. (7. Mai 2010, DIE GRIECHENLAND-KRISE (V): Politische Monarchie zu verkaufen)

Heute nun ist der über die Strategie von „maximalen Marktdruck und dadurch forcierte prozyklisch wirkende Sparprogramme“ (Regierungsberater Peter Bofinger) geführte finanzielle Feldzug gegen die europäischen Demokratien, den die Kanzlerin Deutschlands im Zuge eines neuen Finanzdiktats gegen Griechenland im Juli 2011 als „kontrollierter und beherrschbarer Prozess“ umschrieb, gescheitert. Die über das Euro-System angestrebte Erzwingung einer „politischen Union“ der Staaten des „Alten Europa“ (Zitat Donald Rumsfeld) findet nicht statt.

Sollten sich nun unter eben jenem „maximalen Marktdruck“ die Regierungsräte und Kommissare der „Europäischen Union“, die etablierten Parteien in Deutschland, oder gar das Bundesverfassungsgericht an eine Volksabstimmung Marke „Euro-Europa oder Nichts“, „ESM oder Chaos“, „Mutti oder Muselmaniker“ wagen, werden die Hasen merken, wo sie wieder einmal mit voller Wucht hinein laufen.

Bei den kommenden Wahlen und Abstimmungen, ob in Deutschland oder Griechenland oder irgendeiner anderen europäischen Demokratie, geht es nicht mehr um die Wahl zwischen Lügnern, Ausbeutern und Funktionären. Es geht schlicht nur noch um die Wahl, auch demnächst noch eine zu haben.

Und bei diesem Biegen und Brechen, in diesem Jahrhundert, hier und heute, werden die Antidemokraten verlieren, welches Mäntelchen sie sich diesmal auch wieder umhängen werden.

Epilog 12.15 Uhr

Laut einer im Laufe des heutigen Vormittags veröffentlichten Umfrage des ZDF Politbarometer haben sich 79 Prozent der Befragten in Deutschland gegen „Eurobonds“, also gegen den Verkauf von gemeinsamen Schuldtiteln aller 17 Staaten mit Euro-System an den Geldmärkten ausgesprochen. Nur 14 Prozent aller Befragten waren für diesen Verkauf gemeinsamer Staatenanleihen. 

Bereits gestern waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen, mit innerer Sicherheit nicht über das Umfrageergebnis des Staatssenders vorab informiert, völlig überraschend von „Eurobonds“ abgerückt. Sie hatten diese zuvor jahrelang gefordert. Von Thomas Oppermann, schon seit der großen Koalition unter Merkel parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, hörte die Republik zuvor nie gekannte Töne: „Wir sind natürlich konkret erst einmal für unser Land verantwortlich”, sagte Oppermann und hinterließ auf der Farm der Tiere gleich scharenweise totgelachte Hühner.

In Griechenland wurde derweil eine neue Umfrage bekannt. Die Koalition der Radikalen Linken SYRIZA, die aus Wahlrechtsgründen beim Verfassungsgerichtshof mittlerweile eine gemeinsame Liste als Partei eingereicht hat, konnte weiter zulegen und ist mit 30 Prozent klar stärkste Partei. Die Parlamentswahl ist am 17. Juni.

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