Athen, Berlin: Zur heutigen Parlamentswahl in der Hellenischen Republik ein laufend aktualisierter Bericht mit Hintergründen, Analysen, Kommentaren, Informationen.
Zuerst das Wahlergebnis bei der vorhergehenden griechischen Parlamentswahl am 6.Mai, nach der keine Regierungsbildung zustande gekommen war.
Nea Dimokratia (ND): 18,9 % / 108 Abgeordnete
SYRIZA, Koalition der Radikalen Linken: 16,8 % / 52 Abgeordnete
Pasok: 13,8 % / 41 Sitze
ANEL, Unabhängige Griechen: 10,6 / 33 Abgeordnete
Kommunistische Partei Griechenlands: 8,5 % / 26 Abgeordnete
Chrysi Avgi, Neonazis: 7 % / 21 Abgeordnete
DIMAR, Demokratische Linke: 6,1 % / 19 Abgeordnete
Strategischer Hintergrund
Das bizarre und von den beiden alten Parteien der Monopole, Pasok und ND, nach der Militärdiktatur geschaffene Wahlgesetz lässt nur die Wahl von 250 der 300 Abgeordneten des Parlaments zu. Die restlichen 50 Abgeordneten bekommt die Partei mit den meisten Stimmen als „Bonus“. Nur so ist das absurde, undemokratische Verhältnis von Wähleranteil und Sitz der Abgeordneten (oben fett markiert) zu erklären.
Um nun mit allen Mitteln wieder als stärkste Partei vor SYRIZA zu landen und den „Bonus“ von 50 Abgeordneten zu kassieren, schluckte die ND kurz nach der Wahl die „liberale“ ND-Abspaltung Dimokratiki Symmachia und die Nationalisten der „Völkischen Orthodoxen Gesamtbewegung” LAOS, die zuvor an der Drei-Prozent-Hürde gescheitert waren.
Dabei geht es der ND – die zusammen mit der Pasok nicht nur verantwortlich ist für den Selbstmord der eigenen Volkswirtschaft, die massenhafte Verelendung der Bevölkerung und den Ausverkauf öffentlichen Eigentums, sondern auch für Dutzende von Streiks, verheerende Straßenschlachten und gesellschaftliche Desintegration – nicht um die Bildung einer handlungsfähigen Regierung. schon bei der letzten Wahl bekam die ND trotz „Bonus“ keine Regierung in ihrem Sinne mehr zusammen, da in Griechenland außer der ND nur noch die Pasok die Finanzdiktatur akzeptiert und vertritt.
ND und Pasok aber werden, daß sagen alle Umfragen, nach dieser Parlamentswahl zusammen noch weniger Abgeordnete stellen als im Mai. Die ND kann also nach der heutigen Wahl gar keine Regierung stellen, mit welchem Koalitionspartner auch immer. Das ist eine Frage der Logik.
Die objektive Funktion der ND besteht ausschließlich darin, als Marionette der im internationalen Kartell „Institute of International Finance“ (IIF) organisierten Banken, der Berliner Regierung, des Internationalen Währungsfonds, des Währungsdiktators EZB und der Kommissare der „Europäischen Union“, jede demokratische Regierung Griechenlands unmöglich zu machen, weiter maximales Chaos, maximale Konflikte und maximale Zerstörung im eigenen Land anzuzetteln, damit so wieder aus Berlin, Frankfurt und Washington eingesetzte Banker die Regierungsmacht ausüben können, ohne dafür von Volk und Parlament legitimiert worden zu sein.
Genau das plant die EU bereits mit der Wiedereinsetzung von Lucas Papademos als Premierminister von Griechenland.
Goldman Sachs, das Euro-System und Griechenland: Am Anfang war die Statistik
Lucas Papademos arbeitete bereits bei der US-Zentralbank, bei der Frankfurter Euro-Zentralbank, der griechischen Notenbank und natürlich, wie der ebenfalls ohne demokratische Legitimation über Italien eingesetzte Premierminister Mario Monti und EZB-Direktor Mario Draghi, für Goldman Sachs. Alle – Papademos, Monti und Draghi – müssen angesichts der langsam in der Öffentlichkeit bekannten Einzelheiten um Fälschungen der griechischen Staatsfinanzstatistiken ab 2001 durch Goldman Sachs in höchster Sorge sein.
Aus einem Zins-Swap-Trick von Goldman Sachs, mit 15 Milliarden Euro fiktivem Kapital, entstanden für Griechenland aus einem 2,8 Milliarden Euro-Kredit schließlich 5,1 Milliarden Schulden. Papademos, Monti und Draghi waren im entsprechenden Zeitraum hochrangige Funktionäre der Geschäftsbank. Alle haben sie angeblich nichts gewusst, was in ihrem Hohen Geldhause so vor sich ging.
Im November 2009, kurz vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags und der danach so plötzlich ausbrechenden „Euro-Krise“, hatte eine Delegation von Goldman Sachs unter persönlicher Führung ihres Präsidenten Gary Cohn die griechische Hauptstadt Athen besucht. Die Delegation machte der neuen Pasok-Regierung unter Giorgos Papandreou den “sehr modernen” Vorschlag, mittels eines “Finanzierungsinstrumentes” neue Kredite aufzunehmen, damit alte Schulden zu bezahlen und die Gesundheitsversorgung der Bürger in den Deal mit einzubeziehen. Im Spiel waren auch chinesische Staatsfonds, die großes Interesse an strategischen Einkäufen in Griechenland zeigten, namentlich an der Bank of Greece. (26.03.2010, DIE GRIECHENLAND-KRISE: Goldman Sachs und das China-Syndrom)
Ebenfalls bis heute Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung in Griechenland (die z.Z. wegen den Neuwahlen ausgesetzt ist und von der SYRIZA angekündigt hat sie schonungslos voran zu treiben): die mutmaßlich auf Druck der Berliner Regierung und in Kollaboration mit der EU-Statistikbehörde EUROSTAT nach oben gefälschte Statistik über das griechische Staatsdefizit.
Die griechische Statistikbehörde ELSTAT erhöhte im Oktober 2009 die Prognose über das griechische Staatsdefizit im laufenden Jahr von 3, 7 Prozent (März 2009) auf 12,5 Prozent und dann am 15. November 2010 noch einmal rückwirkend für 2009 auf 15,4 Prozent vom BIP. Leiter der im Großherzogtum Luxemburg sitzenden EU-Statistiker von EUROSTAT ab April 2008: Walter Radermacher. Zuvor war er Leiter des deutschen Statistischen Bundesamtes gewesen – unter dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble. (18. März 2012, DIE GRIECHENLAND-KRISE (VII): Am Anfang war die Statistik)
Mögliche Regierungskoalitionen in Athen nach der Wahl
Im Gegensatz zur Nea Dimokratia hat SYRIZA, wenn sie als stärkste Partei den umkämpften „Bonus“ erhält, gute Chancen sofort eine Regierung bilden zu können. Als Koalitionspartner einer von SYRIZA-Vorsitzenden Alexis Tsipras geleiteten Regierung bieten sich entweder die Kommunisten an (was diese zunächst ablehnen werden), oder DIMAR (die bereits mit den Euro-Parteien Pasok und ND eine Einheitsregierung über Griechenland formen wollte, um das Finanzdiktat fortzuführen) oder die konservative pro-Souveränitätspartei der „Unabhängigen Griechen“ ANEL.
Wer nun den Machtpoker etablierter Parteien ein wenig verfolgt hat, kann auch in Athen mit dem alten Herdenprinzip der Funktionäre rechnen, was einst Industrie-Boss Olaf Henkel nach der Bundestagswahl 1998 so treffend formulierte, als er am Wahlabend von der angesetzten Wahlparty Helmut Kohls zu der von Gerhard Schröder eilte:
„Ich bin immer auf der Seite der Sieger“
Die Frage ist nun, damals wie heute, in Berlin und Athen, ob Sieger solche Leute auf ihrer Seite haben wollen.
Brauchen tun sie das nicht.
14.00 Uhr
Der „Guardian“ schreibt in den letzten Monaten geradewegs so, als wolle er Deutschen mit vermeintlich linker politischer Position langsam und vorsichtig erklären, was sie eigentlich zu machen hätten. Die britische Zeitung springt dabei zwar in eine Lücke, vergißt aber, daß die deutschen Linken nicht nur die dümmsten, sondern auch die miesesten der Welt sind und sogar zu faul zum Lesen in ihrer eigenen, oh Verzeihung, in der deutschen Sprache sind. Daher ein kurzer, übersetzter Auszug aus diesem Artikel mit der schmissigen Überschrift „Ein Sieg von Syriza wird den Anfang vom Ende der griechischen Tragödie markieren“.
„Ein heutiges Votum für die Linke wird die Sparpolitik drastisch ändern, die eine humanitäre Krise verursacht hat.“
Nochmal, für deutsche Linke: es geht hier um Griechenland. Habt Ihr das verstanden?
Nein?
Na gut. Ich hab´s versucht. Machen wir also weiter.
14.45 Uhr
Ex-Bildungsminister Aris Spiliotopoulos (Nea Dimokratia) schreibt hier in den „Athens News“ schwer erschüttert, worum sich die Griechen zur Zeit zu kümmern hätten: um „den Kurs der amerikanischen und globalen Wirtschaft“. Diese sei nämlich in Gefahr, durch SYRIZA. Diese habe nämlich damit gedroht:
– aus der Nato auszusteigen
– die enge Kooperation mit dem Nationalstaat…mit Israel aufzukündigen
– sich mit den Nachbarn in Mazedonien über schwachsinnige Namens-Streitereien zu einigen
– endlich die Griechenland zustehende Ausschließliche Wirtschaftszone (exclusive economic zone, EEZ) auszurufen und die eigenen Erdöl- und Gasvorkommen bei Ioannina, Katakolo und Patras mit geschätztem Gewinn von 600 Milliarden Dollar selbst auszubeuten, als das den lieben, guten, pro-euro-europäischen Freunden in den weltweiten Monopolen zu überlassen.
Boah. Was werden die Griechen erschüttert sein. Man sieht sie förmlich vor den Wahllokalen weinend zusammenbrechen. Das könne man doch den lieben, guten, pro-euro-europäischen FreundInnen und Genösschen nicht antun.
Die mit Anlauf in die Eier treten. Nein. Nicht doch.
14.55 Uhr
Da fällt mir ein – ist das Existenzrecht Griechenlands eigentlich deutsche Staatsräson?
15.35 Uhr
In der „Zeit“ haben sie offensichtlich eine blasse Ahnung von dem Wahlergebnis, was irgendwann nach 18 Uhr über die Ticker der Welt rauschen wird. In kontinentaler Verwirrung werden Banken-Kartell, IWF, EU, EZB und die mutmaßlich bereits jetzt leichenblassen Staats- und Parteifunktionäre in Berlin mit einem Kontinent verwechselt:
„Europa muss mit Griechenland neu verhandeln“
16.50 Uhr
Ein Film von Aris Chatzistefanou über die Zustände im Krankenhaus von Nikaia.
17.20 Uhr
Gestern Abend. Pressekonferenz vom Fußballtrainer der Nationalmannschaft Griechenlands, Fernando Santos. Griechenlands Mannschaft hat soeben gegen die russische Mannschaft 1:0 gewonnen und sich so den Verbleib in der nächsten Runde der Fussball-Europameisterschaft gesichert. Santos, selbst Portugiese, wird von Journalisten gefragt, ob ihn die Ermahnung der Kanzlerin von Deutschland, Angela Merkel, hinsichtlich einer weiteren Befolgung des Spardiktats inspiriert habe.
Santos´ Antwort löst einen Begeisterungssturm in der griechischen Öffentlichkeit aus, die ihn nach seinem Statement „griechischer als die Griechen“ tauft:
„Wir werden inspiriert von der Geschichte Griechenlands. Das griechische Volk ist sehr stolz auf seine Geschichte und das verdient den Respekt der Menschen. Zivilisation, Demokratie und die Wissenschaften begannen in Griechenland. Es ist schwierig für andere uns Lehrstunden zu geben.“
17.40 Uhr
Nick Malkoutzis, Autor von „Inside Greece“, schreibt zu den Interventionsversuchen „europäischer“ Staats- und Parteifunktionäre:
„Ihre Kommentare enthielten eine tiefe Abneigung gegen die möglichen Entscheidungen freier Bürger. Dies begann im Februar, als der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble den unfassbaren Vorschlag machte, die Griechen sollten Wahlen abhalten und (dann) der von Lucas Papademos geführten Übergangsregierung erlauben länger im Amt zu bleiben. Das enthüllte ein Europa, was Angst vor der Demokratie bekommen hat und unfähig ist mit den unangenehmen Realitäten umzugehen, die sie produzieren kann.“
17.45 Uhr
Heute Nachmittag: ein „hochrangiger Kader“ der Pasok erklärt am frühen Nachmittag gegenüber „Guardian“-Korrespondentin Helena Smith in Athen, daß laut „inoffiziellen“ Umfragen an Wählern zu diesem Zeitpunkt die Nea Dimokratia mit 29 % vor SYRIZA mit 27 % in Führung liegt. Der Pasok-Kader zu Smith:
„Die nächsten Stunden sind entscheidend, da der Ansturm der jungen Leuten zur Wahl jetzt erst begonnen hat.“
18.00 Uhr, 19 Uhr griechischer Zeit. Die Wahllokale sind geschlossen.
Nach Fernsehberichten liegt laut ersten Prognosen die Nea Dimokratia – bitte festhalten – „bei 27,5 bis 30,5 Prozent“.
WOOOAAAHAAHAAHAA…
Nun aber der echte Spaß. „Laut den Prognosen“ liegt SYRIZA bei (trommel, trommel, TUSCH!) „bei 27 bis 30 Prozent“.
DHAHAHAHAHAHAAA…
18.35 Uhr
In Athen spielt sich, meiner bescheidenen Meinung nach, ein beliebtes Szenario der psychologischen Kriegführung ab. Nur mal zur Erinnerung: am 1. Juni, also vor knapp zwei Wochen, wurde seitens der konservativen und allgemein als seriös angesehen Zeitung „Kathimerini“ die letzte zugelassene Umfrage vor der Wahl veröffentlicht (in den 14 Tagen vor der Wahl sind Veröffentlichungen von Umfrageergebnissen verboten). In dieser Umfrage von „Kathimerini“ kam SYRIZA auf 31,5 Prozent, während die ND bei 25,5 Prozent verharrte, wie bei mehreren Umfragen der Zeitung zuvor.
Eine mögliche Variante dieses Possenspiels: man versucht die Leute schlicht so irre zu machen, daß sie das später veröffentliche Wahlergebnis, was dann ggf. anders als in den Prognosen ausfällt, anzweifeln. Andere Variante: da die alten Seilschaften, wie bei der Wahl von George W. Bush zum US-Präsidenten im Jahre 2000 im entscheidenden Staat Florida, die ausführende Kontrolle über den Zählvorgang haben, betrügt und hintergeht man einfach alle und warten dann ab, wie das Volk reagiert – abermals mit der Option, die Leute so wütend zu machen, daß sie ausrasten. Dann kann man wieder mit der „Stabilitäts“- und „Sicherheits“-Masche kommen und nach einer Notstands-, Verzeihung, „Übergangsregierung“ der gleichen Banker a la Papademos rufen.
18.45 Uhr
Aha. Die legendäre Superprognose kommt vom Sender Skai TV, der wiederum der Skai Group, die wieder Radio and Television Enterprises S.A. gehört, dem größten Medienkonsortium in Griechenland. Bei Skai TV flogen heute übrigens angeblich zwei Handgranaten rein, die aber nicht explodierten. Dafür wurden sie immerhin gefunden – „von einem Journalisten“.
Fox News? Ich weiß nicht, was das ist, Fox News. Da wird sicherlich alles mit rechten Dingen zugehn. Geht ja bloß um den „Kurs der amerikanischen und globalen Wirtschaft“ (ex-ND-Minister Aris Spiliotopoulos).
19.02 Uhr
Ein Tweet der Journalistin Efthimia Efthimiou, nicht eben von einer besonders linken Medienfamilie (capital.gr), berichtet von einer „Meinungsumfrage“. In der erreicht SYRIZA 25 bis 31 Prozent und die „konservative“ ND 25 bis 30 Prozent. Auch nicht besonders erhellend. Aber ein Anzeichen für den Nebel, der gerade in Athen über dem tatsächlichen Wahlergebnis liegt.
19.50 Uhr
Neue Durchsage von Skai TV. Hier liegt nun SYRIZA knapp vorne. Entsprechend dem absurden Wahlgesetz, daß von Pasok und ND geschaffen wurde, wäre das Ergebnis in Stimmen und Abgeordneten nun wie folgt:
SYRIZA: 28 % / 124 Abgeordnete
ND: 27,5 % / 73 Abgeordnete
Zur Erinnerung: die absolute Mehrheit liegt bei 150 der insg. 300 Abgeordneten.
20.00 Uhr
Jetzt kommt hier folgende Hochrechnung:
ND: 30,9 %
SYRIZA: 25,6 %
So, jetzt ist Schluss. Bereits den ganzen Tag über beschlich mich das sehr bestimmte Gefühl, daß hier ein Drehbuch abläuft, aber keine demokratische Wahl. Zu bedauern ist, daß SYRIZA offensichtlich keine unabhängigen Wahlbeobachter erzwungen hat.
Ich beende diesen Artikel, diese Wahl ist eine Farce.