Crazy Country: Nicht-Besatzung und Wassertanks
In der griechischen Mythologie wird die Geschichte von Tantalus erzählt, der von den Göttern verflucht wurde, immer in einem Teich zu stehen, aber nie seinen Durst löschen konnte, da das Wasser immer zurückging, bevor er trinken konnte.
In den Gebieten unter der Herrschaft des Staates Israel sind Mythen wahr geworden: aus Lust und Tollerei operieren die Militäroffiziere als Rachegötter gegenüber den Palästinensern.
Wenn die Leute von Ein-al-Hilweh, einer kleinen palästinensischen Gemeinde im Jordantal, ihr Ohr auf den Boden legen, können sie leise das Gurgeln des Wassers in den Röhren hören, die unter ihnen liegen, zu denen sie aber keinen Zugang haben. Das Wasser kommt von einer Quelle in der Nähe, die das Leben der Gemeinde generationenlang erhalten hat und dem Dorf auch den Namen gab: „Die süße Quelle“ = Ein-al-Hilweh auf arabisch.
Der Name ist geblieben – aber die Quelle selbst ist, wie fast alle Quellen im Jordantal, von „Mekorot“, der israelischen Regierungswassergesellschaft weggenommen worden. Die süße Quelle wurde eingezäunt und abgesperrt und fleißige Pumpen, die dort installiert wurden, bringen jeden einzelnen Tropfen in das Röhrensystem der jüdischen Siedler.
Könnte nicht eines dieser Wasserleitungsrohre mit dem nahen Ein-al-Hilweh verbunden werden? Nicht solange die Angestellten der Zivilverwaltung der Militärregierung (von den bewaffneten Streitkräften des Staates Israel) alles zu sagen haben, auch was diese Leute betrifft. Ein-al-Hilweh ist eine von mehreren lästigen arabischen Dörfern, die dort existieren, wo sie nicht sein sollten – nämlich im Jordantal, das alle israelischen Regierungen seit 1967 als strategisches Gebiet beanspruchten, das ständig unter israelischer Herrschaft bleiben müsste.
Man spart nicht mit Bemühungen, sie das wissen zu lassen. Deutlich wird ihnen gesagt, dass sie ein unerwünschtes Hindernis sind, und dass es sehr entgegenkommend sein würde, wenn sie einfach verschwinden würden.
Ihres Brunnens beraubt, sind die Menschen von Ein-Al-Hilweh gezwungen, sich das Wasser in von Traktoren gezogenen Tankwagen aus 25km Entfernung zu holen. Ein mühseliger und teurer Weg, sich und seine Haustiere mit Wasser zu versorgen. Ein Kubikmeter Wasser kostet zehnmal mehr, als das, was die Leute, die Siedler, zahlen müssen, die das Privileg haben, fließendes Wasser durch die Wasserleitung zu erhalten. Für die Leute von Ein-al-Hilweh, die im heißesten Teil des Landes leben, (jetzt 40Grad) gibt es den Luxus einer Dusche nicht, um den verschwitzten Körper zu erfrischen. Doch noch halten sie hartnäckig an ihrem kleinen Stück Land fest.
Vor einer Woche kam die Armee mit einem neuen Trick. Die Soldaten kamen nach Ein-al-Hilweh und mehreren anderen Gemeinden, die in derselben Situation sind, konfiszierten die Wassertanks und das kostbare Wasser in ihnen. Der Grund? Ein wesentlicher Verdacht der Diensthabenden sei, dass diese Tanks dazu benützt werden, ein Verbrechen zu begehen – das heißt „Wasserdiebstahl“.
Die meisten Fernsehkanäle wussten nichts davon und kümmerten sich nicht um diese besonderen Nachrichten, nur Gideon Levy schrieb darüber in Haaretz.
Die letzten Kühe im Land der Nicht-Besatzung
Und da wären wir nun – eine Gruppe von versammelten Aktivisten am gewohnten Verabredungspunkt außerhalb des Arlosoroff- Bahnhofs in Tel Aviv und eine andere Gruppe aus Jerusalem und anderen Teilen des Landes. Zwei Minibusse, einige Privatwagen plus einem vollen Wassertank, als Solidaritätsgabe und ein paar Dutzend Flaschen Mineralwasser. Das kam alles zusammen auf Grund der Bemühungen von Ya’akov Manor aus Kvar Sava, dem unermüdlichen Katalysator von gemeinsamen Aktionen von Friedensgruppen.
Es ist tatsächlich nicht schwierig, ins Jordantal zu gelangen, obwohl es selten beim durchschnittlichen Tel Aviver passiert. In den 90er Jahren hat Ariel Sharon große Summen Geldes in eine Reihe von „Umgehungsstraßen“ investiert, die die Westbank mit dem Ziel durchschneiden, das Jordantal schneller zu erreichen. Der größte Teil der Straßen ist nur für Israelis – die palästinensischen Orte auf beiden Seiten der Straße sind nicht mit ihr verbunden.
Unser kleiner Konvoi fiel im Siedlerverkehr kaum auf, und an den Checkpoints winkten uns die Soldaten durch, ja, warfen kaum einen Blick auf uns.
Der Fahrer machte das Radio an: in der Mitte einer heißen Debatte, ob die Haredim (Ultra-Orthodoxe) in die Armee gehen sollten oder könnten. Einer der ranghohen, im Ruhestand befindlichen Offiziere sagt: „Einige der Haredim sind schon in Sondereinheiten eingezogen; und die Resultate sind ausgezeichnet. Das Netzach Jehuda Bataillon („Ewiges Judäa“) ist im Jordantal eingesetzt und hat dort sehr gute Arbeit geleistet …“ „Was ist das? Mach diesen Mist aus!“ rief die Frau, die hinter dem Fahrer saß. Er stellt das Radio auf einen Sender mit klassischer Musik.
Das Jordantal. 41 Grad Celsius, aber weniger feucht als die Küstenebene. Wir machen an einem kleinen Shoppingzentrum kurz Halt. Eine Reihe ordentlicher Läden, ein Drahtbehälter voll leerer Plastikflaschen mit der Bemerkung: „es ist verrückt, sie nicht zu recyceln.“Mehrere Aktivisten stehen am Eingang eines solchen Ladens, der Getränke verkauft. „Diese Läden werden wahrscheinlich von Siedlern geführt, wenn wir hier kaufen, helfen wir ihnen, das Wasser der Palästinenser zu stehlen,“ sagt einer. Der Ladenbesitzer unterbricht ärgerlich. „Wir stehlen Wasser? Wenn ihr so redet, werden wir euch nichts verkaufen.“ „Wer – zum Kuckuck – will denn hier etwas kaufen?“ Ein Austausch gegenseitiger Beschimpfungen wird beendet, und wir kehren zu unsern Fahrzeugen zurück,
Eine kurze Fahrt weiter und wir sind mitten in der 3. Welt – um genau zu sein, einem besonders vernachlässigtem und elenden Teil von ihm. Eine Reihe armseliger Hütten und armseliger Unterstände, ein paar Tiere, eine Wäscheleine mit Hemden und Hosen. Dies ist Abu al Ajaj, einer der sechs Teile der palästinensischen Stadt Jiftlik. Der Name kommt vom türkischen Chiftlik, was Familienbesitz bedeutet. In Ottomanischen Zeiten waren die Leute hier Pächter, die von ihren Ernten viel an die mächtigen Landbesitzer abgeben mussten.
Wie wir bald herausfanden, war das vorherige Einkaufzentrum für die Palästinenser nicht zugänglich, die so nahe dran wohnten – und doch so fern.
Fathi Hudirat von der Jordantal-Solidarität kam und begleitete uns als Führer und Gastgeber. „Seht, die Stromleitung, die über die Hütten geht. Sie geht direkt über ihre Köpfe hinweg, aber es ist ihnen nicht erlaubt, angeschlossen zu werden,“ sagt er. „Selbst in der Apartheid von Südafrika gab es so etwas nicht. Da bestand wohl eine sehr starke Trennung zwischen Weißen und Schwarzen, aber sogar dort erhielt jeder Wasser aus derselben Wasserleitung und Strom aus derselben Leitung.
Der freundliche und gut gekleidete Hudirat gehört in einen etwas besseren Teil des palästinensischen Jordantales ; „Das Jordantal ist mehr als 30% der Westbank und nur in ein paar kleinen Teilen werden Palästinenser geduldet. Da ist die Jericho-Enklave und ein paar andere kleine Enklaven – wie mein Heimatort Bardala (ganz im Norden). Wir werden ziemlich zusammengedrängt und schrecklich eingeengt, aber wenigstens dürfen wir feste Häuser bauen. Die Leute hier können das nicht. Sie werden ständigen Schikanen ausgesetzt, ihr Leben ist eine Hölle.“ Tatsächlich lebten in der Vergangenheit sehr viel mehr Palästinenser in Jiftlik. 1967 wurden Tausende nach Osten über den Jordan vertrieben und Hunderte von Häusern wurden dem Erdboden gleich gemacht. „Nur die Moschee blieb stehen – innerhalb eines Militärlagers. Wir nennen sie „Die gefangene Moschee“; kein Muslim hat seit 1967 einen Fuß hineingesetzt. Im Augenblick ist Jiftlik für etwa 4000 Bewohner ein unsicheres Zuhause.
Die Jordantal-Solidarität ist eine Grassroot-Organisation, die sich dem gewaltlosen Widerstand gegen die Besatzung widmet. Ihre Mitglieder machen Rundgänge durch die Dörfer und Zeltlager, unterstützen die Dorfbewohner durch besseres Organisieren, überwachen die Menschenrechts-verletzungen und bemühen sich darum, die Außenwelt dies wissen zu lassen und organisieren juristische Hilfe, und als Aktivisten bauen sie zerstörte Strukturen wieder auf. Sie arbeiten zusammen mit der „Gesellschaft der Freunde“, besser als Quäker bekannt, und zusammen mit ihnen renovierten sie ein Jahrhunderte altes Haus, das zum Aktionszentrum geworden ist. Aktivisten sind ständig dort, manchmal fünf, manchmal zwanzig – Internationale. Palästinenser aus dem Tal und sonst woher, manchmal sogar Israelis.
Sie würden es sehr zu schätzen wissen, wenn es noch größere israelische Präsenz und Engagement gebe, wie es Ta’ajush seit Jahren in den südlichen Hebronhügeln tun, wo palästinensische Gemeinden sich ähnlichen Problemen gegenübersehen.
„Geschenke von Wasser oder Lebensmittel nehmen wir auch mit großem Dank als einen Akt der Solidarität entgegen, noch dankbarer wären wir allerdings, wenn ihr die Welt wissen lasst, wie es uns hier geht. Es ist eine Schande, eine schreckliche Schande. Ich sah, dass ihr ein Poster mit den Worten mitgebracht habt: „Ein kleiner Tropfen gegen die Schande.“ Das ist wahr. Eine Schande, nicht nur für die, die uns dies antun. Eine Schande für jeden. Wir sind alle Menschen.“
Hudirat erzählt von einigen Fällen, mit denen seine Gruppe zu tun hat. Es gibt hier einen ziemlich reichen Bauer, einer der wenigen glücklichen, die genug Wasser und Land hatten, genug für seinen Palmenwald. Aber jetzt behauptet die Armee, dass dies Staatsland sei. Wenn er vor Gericht verliert, dann verliert er alles. Das nicht protzige, aber ordentliche und gemütliche Haus des Bauern war schon zerstört worden.
Und der Fall der Korzolia-Quelle. Es ist eine kleine Quelle dort am Bergabhang. Vier Brüder leben dort mit ihren Familien. Sie bekamen von der Zivilverwaltung eine Vertreibungsorder. Der Anwalt Taufic Jabarin, ein israelischer Araber aus Umm el Fahm, ging für sie vor Gericht – und gewann. Am nächsten Tag bekamen sie noch eine Vertreibungsorder. Dieses Mal vom israelischen Umwelt-Ministerium, um die natürliche Quelle zu schützen. Der Anwalt versucht auch dagegen anzukämpfen.“
Während wir zuhörten, hielt ein Armeejeep und ein Armeeoffizier stand unauffällig neben uns. Er unterbrach nicht, aber unsere Gegenwart wurde vorschriftsmäßig notiert. Wenige Minuten später fuhren wir weiter nach Norden, wo wir in Ein-al-Hilweh schon erwartet wurden. Unterwegs wurden wir von einem Checkpoint aufgegehalten.
Nur wir. Alle anderen wurden durchgewinkt. „Wir haben Order. Diese beiden Minibusse müssen aufgehalten werden,“ sagt einer der jungen Soldaten und steckt die Ausweise der Fahrer in die Tasche. 20 Minuten vergehen in brennender Juli-Mittagssonne… „Ich habe die Telefonnummer des zuständigen Offiziers für das ganze Jordantal. Es gab ein paar Fälle in der Vergangenheit, als er sich einigermaßen vernünftig verhielt.“ Schließlich gaben die Soldaten die Personalausweise zurück und wir konnten weiterfahren.
Ein-al-Hilweh: Eine Gruppe von Dorfbewohnern, vom 91 Jährigen Patriarchen Ealian Daragmeh angeführt wartet auf uns. Einige scheue Jungs, andere ziemlich kühn gegenüber den Besuchern. Zelte und Hütten, die etwas besser erhalten sind als die in Abu al-Ajaj. Hühner laufen herum. Ein Esel; ein Dach, das dicht zusammengedrängten Kühen etwas Schatten gibt. Und – Wassertanks. Es kommt heraus, dass die Armee eine riesige Summe Lösegeld für die konfiszierten Geräte verlangt. Aber der palästinensische Ministerpräsident will sie hier und an anderen Orten mit neuen ausrüsten.
Aktivisten verteilen sich zwischen den Zelten und halten Poster mit hebräischen und englischen Slogans:
„Stoppt den absichtlich verursachten Durst!“ „Stoppt die Verweigerung von Wasser!“, „Jede Person hat ein Recht auf Wasser“, „Richter Levy, hier ist Besatzung!“ „Juden bekommen Wasser – den Arabern wird es weggenommen, hier herrscht Apartheid!“
Nahe dem Kuhunterstand interviewt ein Reporter vom deutschen ARD-Radio einige Teilnehmer. „Die Menschen in Europa sollten wissen, was hier vor sich geht. Dies hat nichts mit den Launen eines Offiziers zu tun, das ist Politik,“ sagt einer der jüd. Aktivisten. „Vor ein paar Monaten machte Netanjahu nicht weit von hier einen Besuch und hielt eine Rede: Das Jordantal muss auf immer israelisch bleiben. Ich denke, dass nicht Netanjahu persönlich die Konfiszierung des Wassers und andere Schikanen gegenüber den Palästinensern befohlen hat. Das hat er nicht nötig. Offiziere vor Ort wissen, welche spezifischen Maßnahmen zur Politik gehören.
Wir gehen in ein großes Zelt, um den Patriarchen Fathi Daragmeh zu hören . Er spricht arabisch, Hudirat übersetzt ins Englische. Zunächst redet er zögerlich, da öffentliches Sprechen für ihn völlig ungewohnt ist; dann gewinnt er Vertrauen.
„Ihr seid alle herzlich willkommen. Wir Palästinenser und Israelis sind beide in diesem Land geboren. Wir müssen einen Weg finden, um zusammen zu leben und die Probleme zu lösen.
Es gibt keinen anderen Weg.
Wir leben seit vielen Generationen hier. Wir haben neben der Quelle gewohnt, neben unserer Quelle. Wir haben uns an der Quelle erfreut. Nun wurde sie uns weggenommen. Sie wurde den Siedlern von Maskiot gegeben. ( jetzt wohnen Siedler dort, die aus dem Gazastreifen kamen)
„Wir hassen die Siedler von Maskiot nicht. Wir versuchen, gute nachbarschaftliche Beziehungen zu schaffen. Aber wir waren nicht sehr erfolgreich. Einmal riss eines unserer Pferde aus und kam in die Siedlung. Ihr Sicherheitsmann wickelte ein Seil um den Pferdehals und zog ihn hinter dem Wagen her, bis es starb. Reine, grundlose Grausamkeit gegenüber einem Tier.
Ein paar Monate später riss eines ihrer Pferde aus und kam zu uns. Wir gaben dem Pferd Futter und Wasser und stellten es in unsern Stall. Dann rief ich den Sicherheitsmann an. Ich bot ihm Kaffee an und sagte ihm: „Ihr habt unser Pferd getötet, wir haben uns um euer Pferd gekümmert, ihr könnt es zurücknehmen.“ Er sagte nur: „Wir sind stark und ihr seid schwach“. Er nahm das Pferd, den Kaffee rührte er nicht an.“
Wir sind fast die einzigen, die im Jordantal noch Kühe halten. Die palästinensische Kuh.
Früher gab es viele hier im Tal. Aber jetzt ist es schwierig. Kühe brauchen eine Menge Wasser, und das ist sehr schwierig zu beschaffen. Sie brauchen Weiden, und die meisten Wiesen sind jetzt in den Händen der Armee oder der Siedler; wir können nicht dorthin gehen. Vor ein paar Wochen überquerten Kühe meines Bruders die Straße. Die Armee konfiszierte sie, und wir mussten eine Menge Geld zahlen, um sie zurück zu bekommen. Kühe mögen sich im Sommer gern im Schlamm wälzen, um sich so vor Fliegen zu schützen, aber hier gibt es keinen Schlamm mehr. Es wird uns nicht erlaubt, an das Ufer des Jordanflusses zu gehen – es ist militärisches Gebiet.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Mühe es macht, Kühe unter den Bedingungen zu halten, in denen wir leben. Wir sind fünf Brüder mit unserm alten Vater und unsern Familien. Wir arbeiten Tag um Tag sehr hart, damit wir unsere 50 Kühe halten können. Die Kühe sind alles , was wir haben.“
(dt. u. gekürzt: Ellen Rohlfs)