Die Winkelzüge von EZB-Präsident Draghi, Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande deuten auf einen bevorstehenden Staatsbankrott Griechenlands, einer Neubewertung von dessen Staatsanleihen und einer „Umstellung“ des Euro-Systems hin, um Griechenland weiter offiziell als Währungsstaat führen zu können. Gleichzeitig versuchen die Beteiligten weiter, über das Festhalten am repressiven Gebrauch des Euro-Systems ihre Agenda Paneuropa zu retten.
Die Rede von EZB-Präsident Mario Draghi gestern bei der „Global Investment Conference“ in London, die Kapital im nominellen Werte von Hunderten Billionen Euro rund um den Erdball in Bewegung setzte, haben die wenigsten gelesen. Auch bei denjenigen, die sie gelesen haben, wie z.B. den Analysten der „Financial Times“, herrscht allgemeines Rätselraten über dessen ominöse Ankündigungen.
Laut einem „Le Monde“-Bericht läuft das Ganze aber keineswegs auf ein Wiederanfahren des „Securities Markets Programme“ (SMP) hinaus – welches bei kontinuierlichem, verbindlichen Gebrauch den EFSF und ESM überflüssig machen würde – sondern im Gegenteil auf eine exzessive Nutzung des noch nicht bis zum Anschlag benutzten Staatsgelderfonds EFSF, sowie Vorabverpflichtungen für den ESM; offenbar ein typischer Erpressungsversuch Wolfgang Schäubles, der seine „Macht des Faktischen“ demonstrieren und das Bundesverfassungsgericht vor seinem Urteil am 12. September unter Druck setzen will.
Draghi hat das SMP in seiner Rede nicht einmal erwähnt. Dafür betonte er abermals sein unbedingtes Bekenntnis zum politischen Kapital, dem Euro-System und seinen Kräften, sowie zu deren systemisch einhergehenden Versuch zum Staatsstreich gegen diejenigen europäischen Demokratien, die diesem parlamentarisch-demokratisch völlig unkontrollierten und destruktiven Finanzsystem unterworfen sind.
„Der letzte Gipfel (Anm.: des obersten Regierungsrates der „Europäischen Union“) war ein echter Erfolg, weil zum ersten Mal in vielen Jahren all die Führer der 27 Staaten von Europa, eingeschlossen das Vereinigte Königreich, etc, gesagt haben, daß der einzige Weg aus dieser gegenwärtigen Krise ist mehr Europa zu haben, nicht weniger Europa. Ein Europa, das auf vier Blöcken basiert: einer Fiskalunion, einer Finanzunion, einer Wirtschaftsunion und einer politischen Union. Diese Blöcke, ein zwei Wörten – wir können das nachher diskutieren – bedeuten, daß viel mehr von dem, was nationale Souveränität ist, auf der supranationalen Ebene ausgeübt werden wird, daß gemeinsame fiskalische Regeln Regierungshandeln an die fiskalische Seite binden wird.“
Nicht nur mit diesen Worten, sondern auch mit seinen vorhergehenden Erzählungen über den Vorsprung des „Euro-Gebiets“ gegenüber den USA und Japan, sowie die „bemerkenswerten Fortschritte“ der Länder „im Programm“, Portugal und Irland, sowie über die Länder „nicht im Programm“, Italien und Spanien, bewies Draghi einen beachtlichen Realitätsverlust.
Was auffiel: Griechenland erwähnt der Zentralbank-Präsident bei seiner Rede mit keinem Wort. Dafür sagt er folgendes:
„Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit zu tun, was immer es braucht um den Euro zu bewahren. Und glauben sie mir, das wird genug sein.“
Dann folgt die Passage, die auch die FT-Analysten stutzig macht:
„Dann gibt es zu diesem eine andere Dimension, die zu tun hat mit der Prämie, die auf Staatsanleihen („sovereign states borrowings“) erhoben wird. Diese Prämie hat zu tun, wie ich bereits sagte, mit Zahlungsausfall (Anm.: „default“, auch mit „Bankrott“ übersetzbar), mit Liquidität, aber sie haben auch mehr und mehr mit Konvertierbarkeit zu tun, mit dem Risiko der Konvertierbarkeit. Nun, soweit diese Prämien nicht mit Faktoren zu haben, die zusammenhängend mit meinen Kontrahenten sind – fallen sie unter mein Mandat. Sie fallen in unseren Aufgabenbereich.
In dem Maße, daß die Größe dieser Prämien (Anm.: der Zinsen) auf Staatsanleihen das Funktionieren des geldpolitischen Übertragungsweges beeinträchtigen, fallen sie in unser Mandat. Also müssen wir mit dieser finanziellen Zersplitterung fertig werden, indem wir diese Dinge angehen.
Ich denke, ich werde hier aufhören: Ich denke, meine Einschätzung war offen und freimütig genug.“
Kommentar der „Financial Times“ dazu:
„‘Konvertierbarkeit.
Mit anderen Worten, Risiko einer Umstellung („redenomination risk“): Furcht vor einer erzwungenen Konvertierung der eigenen Anleihen aus dem Euro in eine andere, (möglicherweise schwächere) Währung. Allein schon das Wort selbst, ´Konvertierbarkeit`, legt das Spektrum der Kapitalkontrollen nahe.“
Warum aber sprach darüber keiner in der deutschsprachigen Presselandschaft? Warum warnten die Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Scheffler (FDP) vor etwas ganz anderem, nämlich vor der Plünderung vom „Spargroschen der Bürger“ (!) durch einem möglichen Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB, wegen einer angeblich drohenden „Inflationsgefahr“?
Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger – ist auch bei Ihnen der Spargroschen immer noch nicht gefallen?
Über die Verwechslung von Inflation und Vermögensinflation und das Element der Nachfrage im angebotenen Kapitalismus
Nicht nur Draghi weist in seiner Rede beachtlichen Realitätsverlust auf.
Inflation entsteht durch Geld, was in den Wirtschaftskreislauf gelangt. Genau das tut es nicht, weil die Banken streiken und selbst eine Billion geschenkte Euro wieder in die EZB zurückwerfen. (5. März, 820 Milliarden Euro: EZB-Gelddruckerei überschüttet die Wucherer, die schütten zurück)
Kurz bevor Mario Draghi und der institutionelle Währungsdiktator des Euro-Systems den Banken eine Billion Euro druckte, definierte ich die „Theologischen Grundlagen der Inflationskirche“ (27. November 2011, DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (IV) : Sollen sie doch Geld drucken):
1. Gelddrucken durch Banken gut
2. Gelddrucken für Banken besser
3. Gelddrucken für Staaten böse
4. Gelddrucken durch Staaten superböse
Wer nun in dieser Situation – nach dem Drucken von einer Billion Euro für die Banken – ohne positiven Effekt, also ohne verstärkte Kreditausgabe in die Realwirtschaft – allen Ernstes immer noch vor einer Inflation durch das Anleihenkaufprogramm SMP warnt, durch das sich die im Umlauf befindliche Geldmenge nicht erhöht, der ist verwirrt oder fachlich untauglich. Und das ist noch milde ausgedrückt. Ich empfehle jedem einmal die Studie des Begriffs Vermögensinflation und eine nachdenkliche Minute darüber, warum er nirgendwo zu hören ist.
Wer Leuten die kein Geld haben keines gibt und dafür Leuten die keines (in den Wirtschaftskreislauf) ausgeben wollen immer mehr davon schenkt, ist entweder verrückt, ein Schwachkopf, ein Feind der (Volks)Wirtschaft, alles zusammen, oder einfach der Angestellte von denjenigen, denen es geschenkt wird.
Ebenso ist es nicht nur Blödsinn, sondern übelster Zynismus im Zusammenhang mit dem SMP-Anleihenkaufprogramm von einer „Umverteilung“ von Geld von reicheren Staaten in ärmere Staaten zu sprechen. Das Gegenteil ist der Fall. Durch das SMP-Programm macht die EZB Gewinn, das investierte Geld druckt sie sich selber. Im Gegensatz dazu haben sich gerade die deutschen Steuerzahler bereits Hunderte von Milliarden Euro aus der Tasche ziehen lassen, mit denen Zinsforderungen von Kapitalisten bezahlt werden, die deswegen so ungeheuer hoch sind, weil dies vorher die Zinsen auf die Staatsanleihen waren, weil das SMP-Programm nicht aktiviert wurde.
Selbst der „Financial Times“ fiel auf, daß die EZB das SMP-Anleihenprogramm seit Beginn der Krise ständig ruckartig aktivierte und dann wieder, vor einer neuen Eskalation der Krise, wieder deaktivierte. Das hatte schlicht System. Dadurch wurde dem gewürgten Opfer kurze Zeit gegeben Luft zu holen, um es dann wieder ins Financial Bording zu tauchen.
So geschehen mit Italien und Spanien im letzten Sommer.
Zuerst sahen EZB, IWF, EU-Kommission und die Merkel-Regierung dem strategischen Feldzug des Weltkapitalismus, oh Verzeihung, der „Märkte“ gegen Spanien und Italien tatenlos zu, dann startete die EZB das SMP wieder, die Zinsen für Italien und Spanien sanken plötzlich wieder und dann verlangten EZB, Merkel und der damalige französische Präsident Sarkozy im Gegenzug eine Verfassungsänderung in Spanien, die sie auch bekamen.
Eine andere Frage ist, was mit den Staatsanleihen eines Staates passiert, der tatsächlich in den Bankrott getrieben wurde.
Wer wäre bereit alles zu tun, um die Demokratie zu retten?
Nachdem der heute der, offensichtlich überhaupt nicht mehr eingeweihte, Bundesbank-Präsident Jens Weidmann vor dem Inflationsaltar wieder einmal Verwirrtes von sich gab – wer beachtet eigentlich noch Weidmann? – sonderten Merkel und Hollande nach ihrem Telefonat genau das gleiche Glaubensbekenntnis zum politischen Kapital ab wie ihr Zentralbank-Präsident Draghi:
„Bundeskanzlerin Merkel und der französische Staatspräsident Hollande haben in einer gemeinsamen Erklärung ihre Entschlossenheit zum Schutz der Eurozone bekräftigt. Deutschland und Frankreich sind der Integrität der Eurozone zutiefst verpflichtet. Sie sind entschlossen, alles zu tun, um die Eurozone zu schützen.“
Abermals nichts, was konkret Sinn ergab. Und abermals kein Wort zu Griechenland.
Und die Farce wurde komplett, als der in „Le Monde“ umschriebene Plan vom Ankauf spanischer Staatsanleihen durch den EFSF-Fonds in Brüssel auf äußerst peinliche Weise konterkarikiert wurde. Die Sprecherin der EU-Kommission sagte in einer Pressekonferenz aus, daß aus Spanien überhaupt keinen Antrag darauf vorlag.
Natürlich nicht. Denn Geld aus dem EFSF-Staatsgelderfonds gibt es nur gegen die brutalen Entstaatlichungsprogramme a.k.a. „Rettungen“ durch EZB, EU-Kommissare und Internationalen Währungsfonds, die bereits Griechenland, Irland und Portugal nach Plan ausbluten lassen. Das will man in der spanischen Regierung unbedingt vermeiden, weil man in Madrid mittlerweile mehr Angst vor dem eigenen Volk als vor EZB, IWF und EU zusammen hat. Auch das ein Zeichen des Machtverfalls vom so lange für das internationale Banken-Kartell so profitablen Euro-System.
Persönliche Einschätzung:
Meiner bescheidenen Ansicht nach läuft das hier auf eine Währungsumstellung und eine faktische neue Währung in Griechenland hinaus, die offiziell weiter als „Euro“ oder Teil des „Euro“ verkauft werden wird, aber nicht sein wird. Der in diesem Zeitraum zwingende Staatsbankrott Griechenlands soll bis zum Inkrafttreten des ESM hinaus gezögert werden, der seitens der Anhänger der paneuropäischen Idee gelähmt und schlafwandelnd erwartetet wird.
Merkel, Hollande, Draghi, sowie natürlich der operative Strippenzieher Schäuble und dessen Unterstützer in der kontrollierten „Opposition“ im Bundestag, agieren nur noch nach dem Prinzip Führerbunker und Warten auf die Wunderwaffe – koste es was es alles wolle, nur nicht die eigene Autorität. Augen zu und runter. Kopp zu und weg. Raus, rauuuus, alles muss raus.
Die Operateure des politischen Kapitals, die das parlamentarisch-demokratisch unkontrollierte Euro-System seit Jahren repressiv zum Staatsstreich gegen die europäischen Demokratien benutzen, versuchen weiterhin das Eingeständnis der eigenen, bitteren Niederlage und den Zusammenbruch ihrer Machtbasis um jeden Preis vermeiden.
Dieser Preis steigt nun mit jedem Tag. Bezahlen werden ihn am Ende alle, die Griechen zahlen ihn bereits. Nur wahrscheinlich bald nicht mehr in Euro.
Ob er dann wirklich höher ist, darf bezweifelt werden.