Dokumentation: Die Rede von Barbara Kern, Stuttgarter Wasserforum, auf der heutigen 139. Montagsdemonstration gegen das Industrieprogramm „Stuttgart 21“ (S21). Die heutige Montagsdemo steht unter dem Motto „Mineralwasser schützen – Stuttgart 21 stoppen“ und beginnt um 18.00 Uhr in Bad Cannstatt auf der Kursaal-Wiese.
Liebe Demokratie-Engagierte, unser größtes Zukunfts-Problem wird sauberes Wasser sein. Das erklärte letzte Woche die Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton. Denn nur 0,3% des Oberflächenwassers auf der Erde ist Trinkwasser.
Und dieses Trinkwasser wird von Tag zu Tag knapper. Durch Verschmutzung, die größtenteils durch verantwortungslosen Umgang mit unseren Ressourcen zustande kommt: durch Bergbau, Chemikalien, Pestizide, durch Förderung fossiler Energieträger wie Kohle, Gas, Öl, durch Fracking, durch fehlende Kläranlagen. Landschaften trocknen aus, weil Abwasser in Flüsse und damit unwiderruflich ins Meer geleitet wird, wegen Abholzung für Monokulturen, um nur Einiges zu nennen.
Die Wüste, die Sahara, rückt näher: Spanien versteppt. In den USA schrumpfen die Stauseen, Australien fährt aus Wassermangel immer kleinere Ernten ein. Nach der WHO, der Welt-Gesundheits-Organisation, sind 88 % aller Erkrankungen weltweit auf verschmutztes Trink– und Brauchwasser zurückzuführen. Wasser ist ein knappes Gut. Doch wir leben in einem Wasserparadies. Unsere Vorväter haben die Landes- und die Bodensee-Wasserversorgung geschaffen. Aber was woanders knapp ist, wird profitabel, wird interessant für die Gierigen.
220 Billionen US-Dollar befinden sich in der weltweiten Zirkulation, Geld, das in jedem Bruchteil der Sekunde nach krisenfesten Anlagemöglichkeiten sucht. Das ist die tiefere Ursache dafür, dass unsere Lebensgrundlagen immer weiter privatisiert werden. So bieten Banken auch Geldanlagen in Wasserfonds an, und treiben damit den Preis für Wasser immer weiter nach oben.
Vor diesem globalen Hintergrund hat 2002 der Stuttgarter Gemeinderat auf Initiative von OB Schuster unsere Stadtwerke, die TWS, verkauft an den drittgrößten deutschen Energiekonzern, an EnBW. Verkauft wurden die Stuttgarter Trinkwasserversorgung, die komplette Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgung, die Wasserkraftwerke, das Müllheizkraftwerk, mitsamt Hunderten wertvoller Grundstücke und Betriebswohnungen.
EnBW ist dadurch heute der größte Grundbesitzer in Stuttgart. Alles Bürgereigentum, in Generationen aufgebaut. EnBW bekam auch Stuttgarts Drittel-Anteile an der Bodensee- und der Landeswasserversorgung. Diese ehemals kommunalen Zweckverbände sind jetzt teilprivatisiert, mit gefährlichen Folgen für unsere Zukunft.
Es war der Ausverkauf der Lebensgrundlagen einer Großstadt an eine Aktiengesellschaft, die per Aktienrecht nur eine Aufgabe besitzt: die maximal mögliche Dividende für ihre Aktionäre zu erwirtschaften. Uns gegenüber trägt sie keine Verantwortung. Da spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Aktionäre gelbschwarz oder grün-rot sind. Über das Bürgerbegehren „100-Wasser“ sollte unsere Wasserversorgung wieder kommunal, demokratisch kontrollierbar und zukunftssicher werden.
Am 17.6.2010 wurde „100-Wasser“ vom Gemeinderat letztendlich mit großer Mehrheit angenommen. Wohl auch, um sich neben der Dauerbrennstelle S21 nicht noch eine weitere zu schaffen. „100-Wasser“ besteht aus einer einzigen Forderung: die Stadt übernimmt spätestens ab 2014, wenn die EnBW-Konzession abgelaufen ist, den Betrieb der Wasserversorgung zu 100 %. Denn auf den Betreiber kommt es an. Nur er hat die Kontrolle über die Versorgung.
Heute verhandelt die Stadt mit EnBW über den Rückkauf der Wassernetze. EnBW, die die Stuttgarter Wasserversorgung 2002 quasi umsonst erhalten hat, hat zum August diesen Jahres den Wasserpreis für uns Bürger um 9,5 % erhöht, um den Preis für die Netze in die Höhe zu treiben. Sie verlangt derzeit 600 Mio. €. Stuttgart droht nun, vor Gericht zu ziehen.
Aber die Stadt will EnBW nicht wirklich weh tun. Zu eng ist die Verbindung. Und so bietet OB Schuster der EnBW gleichzeitig die Betriebsführung unserer Wasserversorgung nach 2014 an, für wenigstens drei Jahre (Brief v. 9. Juli). Wenn es dazu kommt, wird es bei drei Jahren nicht bleiben. Dieses Angebot steht im völligen Widerspruch zum Bürgerbegehren „100-Wasser“. Wird der Gemeinderat OB Schuster wieder folgen? Bisher war kein Protest zu hören.
Es ist deutlich, die Stadt will EnBW’s Stellung in Stuttgart sichern. Der einstimmige Beschluss des Gemeinderats vor den Sommerferien zur europaweiten Ausschreibung unserer Energieversorgung ist der 1. Schritt hin zu ihrer erneuten Privatisierung. Alle Rechtfertigungen für die Ausschreibung wie rechtliche Zwänge oder die Notwendigkeit eines sogenannten ‚strategischen Partners‘ sind Lug und Trug. Hier geht es um Politik – sprich: Profit – und Macht.
Die EnBW-Anteile der beiden Trinkwasser-Zweckverbände müssen ebenfalls vollständig rekommunalisiert werden. Sonst besteht die Gefahr, dass die Rechte für die Wasserentnahme aus dem Bodensee bzw. dem Donauried 2037/38 komplett an Konzerne fallen, z. B. an Véolia oder Suez. Interesse besteht, denn ganz Südeuropa leidet unter Wasserknappheit. Die Wasserzweckverbände sind in großer Gefahr.
Es gibt noch sehr viel zu tun. Wir alle müssen hartnäckig und ausdauernd bleiben. Und: ein Kompliment an die Initiative „Cannstatter gegen S21“, dass sie dieses wichtige Thema aufgreift!