Warum die GDL-Lokführer Erfolg haben

Berlin, Frankfurt: Wahrlich kein Tag des Autopiloten. Die Bahn AG muss wieder mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer über einen eigenständigen Tarifvertrag verhandeln. Warum?

Das Ende der Deutschland AG

Die Deutschland AG, sie schlingert, man könnte sagen – sie schmiert ab. Das alte Geflecht der Erpressung, der Korruption und des unerträglichen Betrugs aus Seilschaften, Beteiligungen und Mitwisserschaft, welches sich in fast 60 Jahren im Kapitalismus westdeutscher Nachkriegszeit wie ein gieriges Spinnennetz über die Republik erhoben hatte, es ist durch eine kleine, mutige und 140 Jahre alte Gewerkschaft zerrissen worden, die zwar über keine Lobby, keinen Apparat und wenig Geld verfügt, aber dafür etwas anderes – Rückgrat, Ehre und Kampfeswillen. Denn die GDL hat etwas geschafft, was selbst Gott nur mit unserer Hilfe hinbekommt: sie hat eine deutsche „Regierung“ zum Handeln gezwungen.

Wenn man sich mal unseren „Ich-geh-allem-aus-dem-Verkehr-Minister“ Wolfgang Tiefensee gestern in den Tagesthemen anschaut, dann ist er der beste Zeuge für etwas Ungeheuerliches: eine demokratische Gewerkschaft.
Wolfgang Tiefensee wörtlich (1): „Ein Streik will niemand und ich hab heute wieder einmal mehr festgestellt – beide Tarifpartner, weder Herr Mehdorn, noch Herr Schell, wollen den Streik“.

So. Nun hat aber gestern die GDL einen unbefristeten Erzwingungs-Streik für den 7.Januar angekündigt. Laut Tiefensee gegen den Willen des Gewerkschaftsvorsitzenden Manfred Schell. D.h. es hat sich hier das abgespielt, was für eine Republik – eine Demokratie mit den Spielregeln einer Verfassung – normal ist, aber für das Kapital alles Infernalische, Teuflische und Gemeingefährliche höchstselbst ist: die Basis, das Volk, die Menschen entscheiden mit der Gewalt einer demokratischen und fairen Abstimmung was hier läuft und der Rest hat die Schnauze zu halten und zu parieren.

5 Jahre Kampf der GDL-Lokführer

Mit dem Verweis auf unvereinbare tarifpolitische Ziele löste sich die GDL bereits im Juli 2002 aus der Tarifgemeinschaft der Deutschen Bahn, die sie bis dahin mit der gleichfalls zum dbb beamtenbund und tarifunion gehörenden GDBA sowie der DGB-Gewerkschaft Transnet bildete. Im November 2002 scheiterte ein Ergänzungstarifvertrag, der bis zu 18 zusätzliche unbezahlte Schichten pro Jahr bei DB Regio vorsah, am Widerstand der GDL.

Im Februar 2003 legte die GDL erstmals einen Vorschlag für einen Spartentarifvertrag für das Zugpersonal vor. Verhandlungen von März bis Mai 2003 zwischen DB AG und der Gewerkschaft scheiterten; am 6. März 2003 kam es zu einem Warnstreik. Ein Schlichtungsverfahren bleibt ohne Ergebnis, aber bereits damals bescheinigt ein Gerichtsurteil der GDL, für einen eigenen Tarifvertrag streiken zu dürfen. Im Mai 2003 wurde eine Regelungsabrede zwischen DB und GDL vereinbart; diese legt eine Tarifführerschaft der GDL fest: Belange der Lokführer dürfen nicht über die GDL hinweg entschieden werden. Im Februar 2005 scheitern Verhandlungen über einen Flächentarifvertrag; nach Angaben der GDL kommt es, neben einem Kündigungsschutz und Fragen der Arbeitszeit, zu keiner signifikanten Einkommensverbesserung des Fahrpersonals. Im August 2005 werden Verhandlungen zwischen DB und GDL über Langzeitarbeitskonten und einen Sozialsicherungstarifvertrag aufgenommen. Die Verhandlungen scheiterten, nachdem keine Einigung über die Verwendung der Mittel erreicht werden konnte. Im Anschluss legte die GDL einen Qualifizierungstarifvertrag vor, über den seither keine Verhandlungen mehr erfolgten.

Bereits im Mai 2006 beschloss das höchste Gremium der Lokführergewerkschaft, die Generalversammlung, die Forderung nach einem eigenständigen Fahrpersonaltarifvertrag (insbesondere Lokführer, Zugbegleiter und Mitarbeiter der Bordgastronomie). Diesen stellte sie im Frühjahr 2007 als Modell vor. Er sah bessere Arbeitsbedingungen und eine Erhöhung des Grundentgeltes um bis zu 40 Prozent vor, wobei einige Zulagen der heutigen Entgeltsystematik in das Grundentgelt integriert werden sollten.

Vor diesem Hintergrund erfolgten dann am 3. und 10. Juli 2007 flächendeckende Warnstreiks des in der GDL organisierten Fahrpersonals. Es waren die ersten flächendeckenden Lokführerstreiks in der Geschichte der Deutschen Bahn AG. Ende Juli wurde die Urabstimmung eingeleitet. Am 6. August gab die GDL das Ergebnis bekannt, wonach eine Mehrheit von 95,8 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen Streik stimmte. Die GDL kündigte daraufhin für den 9. August 2007 erste bundesweite Streikaktionen an. Diese versuchte die Deutsche Bahn zunächst per Einstweiliger Verfügung durch das Arbeitsgericht Nürnberg zu verbieten, diese galt bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in Chemnitz, längstens bis zum 30. September 2007. (2)

Der Rest ist bekannt.

Die GDL: Gewerkschaft ohne Apparat

Dass nach Angaben der Transnet im Rahmen der Tarifauseinandersetzung bis Mitte August 2007 nahezu 1.000 Gewerkschaftsmitglieder zur GDL wechselten, sagt viel, aber nicht alles. Das entscheidende sagt folgende Zahl:
bei etwa 34.000 Mitgliedern (Stand: Juli 2007, jetzt werden es über 35.000 sein), hat die GDL nur 49 Vollzeitbeschäftigte in der Verwaltung (2).
Darum geht es. Keine Bande von Quatschnasen und Sesselplattsitzern die sich verselbstständigt, den ganzen Tag nur schwatzt, telefoniert oder im Chatroom bei Lycos abhängt, eigene Verwaltungstreffen abhält, Kaffee trinkt und mit „bürokratischem Widerstand“ ihre Privilegien des Nichtstuns verteidigt.
Das ist eine Gewerkschaft. Und kein elender, mieser Witzverein wie der DGB.

Manfred Schell hinterlässt Claus Weselsky ein gutes Erbe

Der Gewerkschaftsvorsitzende Manfred Schell wollte den Streik am 7.Januar nicht. Das heisst jetzt nicht, dass er kein Guter ist, im Gegenteil – das war sein grösster Trumpf. Er konnte gegenüber dem Tarifpartner und der Öffentlichkeit, als der Verantwortliche für das Schicksal und der Zukunft seiner 140 Jahre alten Gewerkschaft, hundertprozentig glaubwürdig darlegen, dass es ihm um eine Einigung ging. Letztendlich zählt aber immer das Ergebnis, und da band ihn der demokratische Beschluss des höchsten, weil niedrigsten Gremiums, der Entscheid der GDL-Generalversammlung vom Mai 2006. Er musste den Streik verkünden, auch weil das höchste, weil niedrigste Gremium zwischen den Generalversammlungen, der GDL-Hauptvorstand, weiter den Beschluss so verteidigte, wie ihn die Generalversammlung vor 1 1/2 Jahren beschlossen hatte.

Der stellvertretende GDL-Vorsitzende (nicht „Chef“, sondern Vorsitzende) Claus Weselsky, hatte vorgestern in den Tagesthemen noch einmal das deutsche Murmeltier gegrüsst. Wie immer schick angezogen, höflich im Ton und schienbeinhart in der Sache, machte er noch mal klar, wo der Hase in den Igelstachel lief: kein eigenständiger Tarifvertrag, ergo Streik (3). Das war der „Druck von aussen“, von dem dann der ex-Leipziger Bürgermeister Wolfgang Tiefensee gestern sprechen musste (1), das ist der Grund für die neuen Verhandlungen, das ist der Grund warum die Bahn AG jetzt den eigenständigen Tarifvertrag für die Lokführer unterschreiben muss.
Manfred Schell gestern nach Verlassen des Verkehrsministeriums (wie immer wörtliche Rede, 1):
„Also die Uhr tickt, die Uhr tickt, jetzt warten wir darauf, was es uns gelingt, es..alles Andere ist..weg vom..sondern es geht nur noch jetzt, die Verhandlungen, um Entgelt und um Arbeitszeit“.

Das heisst: der DBAG-Eigentümer Bundesrepublik, stellvertretend die Bundesregierung, ausführend Verkehrsminister Tiefensee hat seinen Staatskonzern angewiesen, den Lokführern einen eigenständigen Tarifvertrag herauszurücken. Warum nicht gleich so.

Wenn Manfred Schell in Rente geht, hinterlässt er dem wahrscheinlichen Nachfolger Claus Weselsky, der sich natürlich erst in einer fairen und demokratischen Abstimmung durchsetzen muss, ein gutes Erbe. Und nicht nur ihm. Sondern der ganzen Berliner Republik.

Sie hat es ihm zu danken.

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Quelle:
(1)
http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt260.html
(2)
http://de.wikipedia.org/wiki/Gewerkschaft_Deutscher_Lokomotivf%C3%BChrer
(3)
http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt258.html

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