Die Folterchronik

Ein geheimer Bericht des Geheimdienstausschusses des Senats zeigt die Nutzlosigkeit von „verschärften Vernehmungstechniken“ auf.

Wenn ein Wort im Nach-9/11-Lexikon der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika fehlt, dann ist das „Verantwortlichkeit.“ Während völlig legale, wenn auch ungebührliche sexuelle Beziehungen anscheinend immer mehr den Rang von schweren Verbrechen und Vergehen erreichen und zu Rücktritten führen, wurde noch niemand bestraft für gesetzwidriges Verhalten, Folter, geheime Gefängnisse oder außertourliche Überstellungen. Tatsächlich bestätigte die Obama-Administration im Jahr 2009, dass sie CIA-Folterer nicht bestrafen werde, da sie es vorziehe, „nach vorne zu blicken und nicht nach hinten zu schauen“, eine Entscheidung, das nicht zu verfolgen, was vor kurzem von Justizminister Eric Holder in zwei Fällen bestätigt wurde, in denen es um den Tod von zwei Häftlingen nach besonders brutalen Verhören durch die Agentur ging. Die Entscheidung des Weißen Hauses bedeutet nahezu mit Sicherheit, dass der Präsident im Kongress einen Konflikt mit den Republikanern über die nationale Sicherheit vermeiden will, der unweigerlich einen großen Berg von Schmutzwäsche ans Tageslicht bringen würde, auf dem beiden Parteien sitzen.

Die überparteiliche Bereitschaft, einer Konfrontation über mögliche Kriegsverbrechen aus dem Weg zu gehen, macht den kürzlich fertiggestellten 6.000 Seiten umfassenden Bericht des Geheimdienstausschusses des Senats über CIA-Folter zu einem außergewöhnlichen Dokument. Obwohl er noch immer geheim ist und leicht sein kann, dass er nie das Licht des Tages erblicken wird, nicht einmal in einer geschönten oder zensierten Variante, sickerten seine hauptsächlichen Schlussfolgerungen in den letzten beiden Wochen in die Medien durch. Er behandelt direkt das hauptsächliche Argument, das von Anhängern der Bush-Administration vorgebracht wurde und das weiterhin in Sachen CIA-Folter vorgebracht wird, nämlich dass wichtige Information, die durch „verschärfte Vernehmungstechniken“ erlangt wurden, zur Tötung von Osama bin Laden geführt haben. Laut dem Bericht spielte durch Folter erlangte Information keine besondere Rolle bei der letztendlichen Ermordung des Anführers von al-Qaeda, noch wurde diese als unabdingbares Element in einem der anderen Fälle von Terrorismus befunden, die von dem Senatsausschuss geprüft wurden.

Was heißt das genau? Es heißt, dass Folter weit davon entfernt ist, ein wichtiges Instrument bei den Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung zu sein und keine Information erbracht hat, die nicht anderweitig und ohne den Einsatz von Zwangsmethoden erreicht werden hätten können. Senatorin Diane Feinstein, die im Geheimdienstausschuss des Senats sitzt und Zugang zum gesamten als geheim eingestuften Bericht hatte, führte aus, dass die vom Senat durchgeführte Untersuchung alle von der CIA festgehaltenen Gefangenen umfasste und „die Bedingungen, unter denen sie angehalten wurden, wie sie verhört wurden, welche Informationen sie tatsächlich lieferten und die Genauigkeit bzw. Ungenauigkeit der Berichte über das Programm an das Weiße Haus, Justizministerium, Kongress und andere“ überprüfte. Sie „enthüllt verblüffende Einzelheiten über das Anhalte- und Verhörprogramm der CIA …“ Der Bericht enthält 35.000 Fußnoten, und die Ermittler gingen 6 Millionen Seiten offizielle Schreiben genau durch, weshalb es länger als zwei Jahre gedauert hat, bis der Bericht fertig war.

Die Schlussfolgerungen der Untersuchung des Senats führen unweigerlich zu der Annahme, dass es im Zusammenhang mit dem so genannten Krieg gegen den Terror einen ganzen Haufen Lügen und Verschleierung gegeben hat. Um noch einmal die wichtigsten Entwicklungen vor Augen zu haben: 9/11 löste eine Gegenoffensive der CIA-Antiterrorismuszentrale (CTC) aus, die damals unter der Leitung von Cofer „jetzt ist es vorbei mit den Samthandschuhen“ Black stand. Geheime Gefängnisse wurden in Europa und Asien eingerichtet, Folter wurde extensiv bei der Einvernahme von Verdächtigen eingesetzt, und einige Gefangene wurden überstellt an befreundete Geheimdienste in Ländern wie Ägypten, um dort mit noch aggressiveren Methoden befragt zu werden. Das lief unter der Bezeichnung Rendition (Überstellung). Einige Verdächtige wurden weg von Straßen in europäischen und asiatischen Städten geschnappt, ehe sie überstellt wurden. Das Justizministerium gab seine Zustimmung für die verschärften Verhörmethoden in einem berüchtigten geheimen Memorandum, das 2005 von John Yoo und Jay Bybee ausgearbeitet wurde, nur Monate nach einer öffentlichen Stellungnahme im Jahr 2004, in der dasselbe Justizministerium erklärte, dass Folter nicht akzeptiert werden könne.

Am 5. Oktober 2007 trug Präsident George W. Bush die offizielle Position erneut vor: „Diese Regierung foltert Menschen nicht. Wir halten uns an das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika und an unsere internationalen Verpflichtungen.“ Aber er widersprach sich auch selbst, indem er ausführte, dass die Verhörmethoden seiner Administration auch Befragungen umfasse, die von „hochqualifizierten Professionellen“ durchgeführt werden. Er erklärte: „Wenn wir jemanden finden, der möglicherweise über Informationen betreffend einen Angriff auf Amerika verfügt, dann können Sie darauf wetten, dass wir diese anhalten und darauf wetten, dass wir sie fragen. Die Menschen in Amerika erwarten von uns, dass wir zu Informationen kommen, zu handlungsrelevanten Informationen, so dass wir helfen können, sie zu beschützen. Das ist unsere Aufgabe.“

Seit damals wurde das Thema Folter selbst zu einer ideologischen Abstraktion, wobei die Neokonservativen, viele Republikaner, und sogar einige konservative Demokraten diese reflexhaft unterstützen. Es wurde auch häufig im Bereich der Geheimdienste debattiert. Es gibt unbestreitbar einige, welche glauben, dass alle des Terrorismus Verdächtigen sogar bis zum Tod gefoltert werden sollten, um zu sagen, was sie wissen, aber eine zunehmende Anzahl von ehemaligen Geheimdienstbeamten haben Zweifel an der Wirksamkeit der Prozedur geäußert, eine Schlussfolgerung, die jetzt durch die Erkenntnisse des Senats untermauert wird. Hier als ein Beispiel dafür, was Folter ergeben kann, die prominente al-Qaeda-Figur Khaled Sheikh Mohammed, besser bekannt als KSM. Dieser wurde 2003 in Pakistan verhaftet und laut Berichten 183mal der Wasserfolter („waterboarding“) unterzogen und von seinen CIA-Vernehmungsbeamten „gebrochen.“ In der Folge gestand er, praktisch an jeder terroristischen Aktion der letzten 20 Jahre, darunter 9/11, die Enthauptung des Journalisten Daniel Pearl und der Bombenangriff auf den Zerstörer USS Cole, beteiligt gewesen zu sein. Er war eindeutig an vielen der Vorfälle gar nicht beteiligt, aber er war bereit, alles zu gestehen.

Es gibt auch andere gute Gründe, gegen Folter und Folter durch Verbündete nach CIA-Auslieferung zu sein. Weltweit glauben die meisten Menschen und Regierungen, dass Folter unmoralisch ist, eine Ansicht, die im Allgemeinen von den meisten Amerikanern geteilt wird. Auch im Bereich des Rechts besteht eine lange Tradition der Ablehnung von Folter. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deutsche und japanische Offiziere hingerichtet, weil sie Gefangene gefoltert hatten, und der Grundsatz, dass Folter, darunter besonders auch die Wasserfolter, ein Kriegsverbrechen ist. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind der Anti-Folter-Konvention der UNO beigetreten und sowohl das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika als auch besondere Bestimmungen des Kongresses verlangen die Verfolgung von jedem Regierungsbediensteten, der sich an derlei Aktivitäten beteiligt. Praktisch gesehen öffnet Folter auch ein Tor, das nie geöffnet werden sollte von jedem, der sich Sorgen macht um Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika, um Diplomaten und Geheimdienstbeamte, die auf der ganzen Welt Gefahren ausgesetzt sind. Kurz und bündig: wenn wir es ihnen antun, werden sie es auch mit uns machen.

Fehler sind unvermeidlich, wenn man akzeptiert, dass es in Ordnung ist, gegen die Regeln zu verstoßen, um mehr Vernehmungen mit Zwangsmethoden durchzuführen. Hier ein Beispiel, wie Geheimdienstoperationen schiefgehen können: am 13. Dezember urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Vereinigten Staaten von Amerika den deutschen Staatsbürger Khaled es-Masri entführten und auf einen Flugplatz brachten, wo er „brutal geschlagen, sodomisiert, gefesselt und ihm ein Sack über den Kopf gezogen wurde,“ ehe er nach Afghanistan geschickt wurde, wo es in dieser Weise weiterging. Es stellte sich heraus als ein Fall von Identitätsverwechslung, während nachfolgende Versuche, durch Gerichte in den Vereinigten Staaten von Amerika zu einer Wiedergutmachung zu kommen, von der Obama-Administration blockiert wurden, die sich hinter behauptetem Staatsgeheimnis verschanzte. Ein anderer gut dokumentierter Fall von Überstellung, der des kanadischen Staatsbürgers Maher Arar, brachte einen unschuldigen Mann zwecks Folterung nach Syrien. Ein weiterer Fall, der des in Mailand wohnenden muslimischen Geistlichen Abu Omar erwies sich als Geheimdienstoperation im Stil von Monty Python, nur dass diese statt ein paar Hundertern viele Millionen Dollars verschlang. Bis heute sind Gerichte in Italien damit beschäftigt. Abu Omar wurde in Ägypten gefoltert und letztendlich freigelassen, nachdem sich herausstellte, dass er keine Informationen besaß, die einen Wert gehabt hätten.

Folterbefürworter haben fleißig eine Reihe von Mythen kultiviert, der bekannteste davon der Mythos von der „tickenden Zeitbombe.“ Dieser ist ein besonderer Liebling des gefürchteten Alan Dershowitz und einer Reihe weiterer prominenter Neokonservativer. Er geht so: ein Terrorist wird gefangen, welcher Kenntnis hat von einer bevorstehenden Attacke auf ein größeres ziviles Ziel, aber nicht kooperieren will. Wie soll man an die Information herankommen? Einfach. Finde einen entgegenkommenden Richter, der einen Rechtsbeschluss herausgibt, der es dir gestattet, ihn zu foltern bis er redet, wodurch die Leben von unschuldigen Zivilisten geschützt werden. Das einzige Problem bei der Derschowitz-Geschichte ist, dass es nie eine wirklich tickende Zeitbombe gegeben hat. Es wurde noch nie ein Terrorist gefangen, der gefoltert wurde und Informationen preisgab, die eine Attacke vereitelten, nicht einmal in Israel, wo in flagranti erwischte Terrorismusverdächtige routinemäßig gefoltert wurden (das ist jetzt verboten). Eine Politik der Folter mit all ihren Folgen zu befürworten auf der Basis von „was ist, wenn,“ bedeutet Schlimmes mit mehr Schlimmem zu bekämpfen und hat mit Lösung nichts zu tun.

Folter brutalisiert und entartet denjenigen, der sie anwendet, die Organisation, die er oder sie vertritt, und die Regierung, die dieser Vorgangsweise zustimmt. Der Bericht des Senatsausschusses sollte endlich den Behauptungen ein Ende setzen, dass Folter eine zuverlässige Vernehmungsmethode ist, wobei aber noch immer die Frage der Verantwortlichkeit offen bleibt. Ein vor kurzem erschienenes Buch von Jose A. Rodriguez, der das Folterregime der CIA billigte und überwachte, als er die CIA-Antiterrorismuszentrale leitete und später stellvertretender Leiter der geheimen Dienste wurde, zeigt auf, dass es noch immer Fanatiker gibt, die an „extreme Maßnahmen“ glauben, ungeachtet aller Beweise, die das Gegenteil belegen. Sein Buch trägt den Titel “Hard Measures: How Aggressive CIA Actions after 9/11 Saved American Lives” (Harte Maßnahmen: wie aggressive CIA-Maßnahmen nach 9/11 amerikanische Leben retteten). Offensichtlich entspricht das nicht der Wahrheit und vielleicht sollte Jose sich bei den überlebenden Opfern von „harten Maßnahmen“ entschuldigen.

Orginalartikel am 20. Dezember 2012 The Torture Chronicle

Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2012_12_23_diefolterchronik.htm