Umbauprogramm „Stuttgart 21“: Abwasser-Düker und Cross-Border-Leasing

Dokumentation: Die Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure 22, auf der gestrigen 165. Montagsdemo der Stuttgarter Bürgerbewegung gegen das Städtebauprojekt  “Stuttgart 21″ (S21).

Wusstet Ihr, dass der vorgesehene Tiefbahnhofstrog sämtliche Abwasser-Hauptkanäle aus der Innenstadt zerschneidet? Bisher war ja, wenn überhaupt, nur vom Nesenbach-Düker die Rede – das ist zwar der größte und wegen seiner Tiefenlage auch der bautechnisch schwierigste, weil er unter Wasser gebaut werden muss, und man nicht so recht weiß, ob und wie das gehen wird. Dass er dabei auch noch im lichten Querschnitt von bisher 7 x 3,60 m auf nur 6 x 3,60 m deutlich um rund 16 % verringert wird, hat aber niemand mitgekriegt. Also wird er künftig weniger Wasser ableiten können als bisher!

Doch der Nesenbach-Kanal ist nicht der einzige, dem der Bahnhofstrog in den Weg gebaut werden soll: Da ist als nächstes der Abwasser-Hauptsammler Cannstatter Straße entlang dem abgerissenen Südflügel, der die Bereiche Königstraße und Schillerstraße entwässert. Dieser Abwasserkanal mit einem Querschnitt von 2,08 x 2,05 m soll durch ein Rohr mit 2,20 m Ø ersetzt werden; das sind nur noch 88 %! Dieser neue Kanal soll nach den Planfeststellungsunterlagen parallel dazu im Park entlang dem früheren ZOB gebaut werden – genau unter dem bereits erstellten Grundwassermanagement hindurch. Wie die Bahn das machen will, bleibt ihr Geheimnis. Wie gesagt, es handelt sich ja um das bestgeplante Vorhaben aller Zeiten!

Dann ist da der Hauptsammler West, als Maulprofil 4,50 x 2,80 m mit einem Querschnitt von 10 m² aus der Kriegsbergstraße kommend und als Rohr 3,7 m Ø unter dem LBBW-Gebäude hindurchgeführt. Weil der U-Bahn-Tunnel im Weg ist, muss der Hauptsammler zunächst bis knapp vor das Technik-Gebäude am Nordausgang abgeschwenkt werden, bevor er auf drei Einzelrohre 0,8, 1,6 und 3,2 m Ø aufgesplittet unter dem Trogbauwerk hindurchgeführt und auf der anderen Seite knapp vor der Glasfassade der LBBW hochgeführt und dort an die Bestandsleitung wieder angeschlossen wird. Dazu muss unmittelbar vor dem LBBW-Gebäude eine 20 m tiefe Baugrube ausgehoben werden, 12 Meter unterhalb der Fundamente des LBBW-Gebäudes und mehrere Meter tief in das Grundwasser hinein. Wie die Bahn das hinkriegen will, ohne dass das LBBW-Gebäude dabei einstürzt, bleibt ihr Rätsel. Womöglich steht auch das auf der geheimen Liste der 121 Risiken von Hany Azer.

Schließlich gibt es noch den Abwassersammler Lautenschlagerstraße, bisher als Rohr mit 1,0 m Ø entlang dem abgerissenen Nordflügel verlaufend. Dieses soll nun durch ein Rohr mit nur 90 cm Weite ersetzt werden, was eine Querschnittsverringerung auf 81 % bedeutet. Außerdem soll es an die Zulaufsei-te des neuen Dükers Hauptsammler West angeschlossen werden, abwassertechnisch ein Unding, weil der Hauptsammler West hier rund 4 Meter höher liegt! Damit ist ein Rückstau im Abwassersammler Lautenschlager Straße unvermeidlich, die Überflutungsgefahr bei Starkregen erheblich größer.

Weil der bestehende Abwassersammler Lautenschlagerstraße mitten durch die Baugrube des neuen Technikgebäudes hindurchführte, wurde er inzwischen winkelförmig entlang der Baugrubenwand umverlegt und mittels Durchpressung an den Bestands-Schacht 024 wieder angeschlossen; die Bestandsleitung innerhalb der Baugrube wurde entfernt. Beim Aushub der Baugrube für den Bahnhofstrog muss diese neu verlegte Leitung zurückgebaut und dazu ein weiteres Mal umgelegt und in den neuen Düker des Hauptsammlers West umgeschlossen werden – mit einer neu zu verlegenden, rund 80 Meter langen Leitung 90 cm Ø knapp neben der neuen Abwasserleitung DN 1.000 mm Ø in der Baugrube. Die gerade neu verlegte Leitung wird damit nutzlos; die dafür aufgewendeten Baukosten von schätzungsweise 150.000 – 200.000 Euro sind dann sinnlos vertane öffentlicher Gelder!

Warum wurde die Umlegung dieser Leitung nicht so vorgesehen, dass sie nach Errichtung des Dükers dorthin hätte umgeschlossen werden können? In Summe wären durch eine besser abgestimmte Planung allein bei dieser einen einzigen Umlegungsmaßnahme schätzungsweise eine halbe Million Euro an Kosten einzusparen gewesen! Wie gesagt, es handelt sich um das bestgeplante Projekt.

Grundsätzlich stellt die Dükerung immer ein Hindernis dar mit einer Einschränkung der bisherigen Abflussleistung, was bei Starkregen-Ereignissen die Überschwemmungsgefahr in der Innenstadt vergrößert! Das ist nie in der Öffentlichkeit dargestellt worden. Außerdem müssen die Düker regelmäßig von dem sich hier unvermeidbar absetzenden Schlamm gereinigt werden, weil dieser nicht wie in einer gerade durchgehenden Leitung fortlaufend von selber weg-gespült wird. Wer trägt die dadurch verursachten Folgekosten? Die Bahn als Verursacher wohl sicher nicht! Also werden das die Bürger der Stadt durch erhöhte Abwassergebühren tragen müssen! Auch das ist nie in der Öffentlichkeit dargestellt worden.

Während der mehrtägigen Umschlussarbeiten der neuen Düker an die jeweilige Bestandsleitung ist keine Abwasser-Ableitung möglich. Dafür wird eine sehr aufwendige Ersatzlösung notwendig, die aber nirgends berücksichtigt ist! Der Tiefbahnhof verschlechtert also die Abwasser-Ableitung der gesamten Innenstadt! Aus fachtechnischer Sicht hätte das Tiefbauamt Stuttgart der aufwendigen Dükerung der Haupt-Abwasser-Sammler für den geplanten Tiefbahnhof S21 nicht zustimmen dürfen; damit könnte dieser nicht gebaut werden. Das lässt vermuten, dass Druck von hoher politischer Seite auf die Entscheidung ausgeübt worden ist. Wir haben dem Tiefbauamt dazu 16 peinliche Fragen gestellt – auf die Antwort sind wir gespannt.

Es kommt aber noch besser: Das Abwassernetz der Landeshauptstadt Stuttgart wurde 2001 – wie die Trinkwasserversorgung übrigens auch – mit einem Cross-Border-Leasing-Vertrag an einen US-Investor verkauft, gehört also gar nicht mehr der Stadt! Diese darf – und muss! – das Abwassernetz betreiben und auch unterhalten; dafür zahlt die Stadt dem Investor alljährlich ein hübsches Sümmchen von etlichen Millionen Euro! Der Erlös aus beiden Verkäufen diente damals dazu, der Bahn 2001 vorzeitig die Gleisflächen abzukaufen! Wurde der Investor als Besitzer des Abwassernetzes überhaupt zu diesen Veränderungen am Abwassernetz befragt? Nach den Vertragsunterlagen darf die Stadt wohl Instandsetzungs- und Erneuerungs-Maßnahmen am Abwassernetz vornehmen, aber keine Verschlechterung herbeiführen. Genau dies aber geschieht mit dem vorgesehenen Bau der Düker! Somit handelt die Stadt vertragswidrig!

Und jetzt der Skandal: In der öffentlichen Sitzung des Umwelt- und Technik-Ausschusses des Gemeinderates am 26. Februar hat Technik-Bürgermeister Thürnau, SPD-Mitglied und strammer S21-Befürworter, auf die Frage von Gangolf Stocker geantwortet, das Abwassernetz sei definitiv nicht verleast! Diese Aussage ist wahrheitswidrig – was hat Thürnau veranlasst, so zu antworten? Ob nun falsch unterrichtet oder schlicht gelogen, weder das eine noch das andere ist hinnehmbar! Wann hört die Befürworter-Riege in der Stadtverwaltung endlich damit auf, ihre Bürger immer wieder täuschen zu wollen?

Oben bleiben.

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