Dokumentation: Die Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder e. V., am 25. März 2013 auf der 166. Montagsdemo der Stuttgarter Bürgerbewegung gegen das Städtebauprojekt „Stuttgart 21“ (S21).
Liebe Freunde, ich hatte neulich einen schrecklichen Traum. Rüdiger Grube und Claus Schmiedel treffen sich in dunkler Nacht auf einem abgelegenen Parkplatz, ohne Chauffeure und damit ohne Zeugen. Rüdiger kurbelt das Fenster runter und sagt: Du Claus, Dir kann ich´s ja sagen, hätte ich 2009 alles das schon gewusst, was ich heute weiß, ich hätte nie und nimmer mit dem Bau von S21 begonnen.
Ist das nicht makaber? Aber die Wirklichkeit ist noch viel schlimmer, Rüdiger Grube sagt genau dies öffentlich im Fernsehen und – S21 wird trotzdem nicht eingestellt, obwohl doch bisher fast nur abgerissen und zerstört wurde und von den ca. 60 km Tunnel noch kein Zentimeter gebaut ist. 60 km Tunnel, das ist Luftlinie von hier bis Karlsruhe, und dies alles soll unter unsere schöne, lebendige Stadt mit Mineralwasser und Anhydrit gequetscht werden?
Nun, Rüdiger Grube wird trotzdem nicht unehrenhaft entlassen, nein, sein gutdotierter Posten wurde gerade erst um Jahre verlängert. Sein Mitstreiter Volker Kefer sprach dagegen vor kurzem der Stadt und dem Land ein Ultimatum aus, das die „Partner“ aufforderte, zu entscheiden, was nun auf den Fildern gebaut werden solle und dass sie dies dann auch gefälligst zu bezahlen hätten, sonst würde man u.U. auch klagen.
Wird hier nicht alles auf den Kopf gestellt? Der Versager, der Übeltäter stilisiert sich selbst zum Opfer! Beim Projekt Stuttgart 21 versagte die Bahn nun schon seit knapp zwanzig Jahren: Als sich z.B. Stuttgart
im Jahre 2003 um die Olympiade für 2012 bewarb, wurde versichert, bis dahin sei S21 fertig.
Besonders krass aber versagte die Bahn auf den Fildern: Erstmals 2002 hat sie dort versucht, ein Planfeststellungsverfahren einzuleiten. Bis heute ist dies noch immer nicht auch nur ansatzweise gelungen.
Eigentlich müssten die Projektpartner dem unverschämten Ultimatum von Kefer eigene, entschiedene Forderungen entgegensetzen, z.B.: „Wenn die Bahn nicht bis Ende März verwertbare Pläne, nachvollziehbare Kostenübernahmen, ein sicheres Brandschutzkonzept und wissenschaftlich fundierte Aussagen über die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs vorlegt, dann fordern wir unser bisher eingesetztes Geld zurück!“
Und überhaupt sollte die Bahn erst einmal ihre Hausaufgaben auf den Fildern erledigen:
• Sie muss ihre Antragstrasse planfeststellungsfähig machen und deren Kosten klären.
• Sie muss ernst zu nehmende Pläne, Betriebsabläufe und ehrliche Kosten für den neuen Filderbahnhof vorlegen. Auch diese Kosten scheinen manipuliert!
• Sie muss endlich aufhören, den Fernbahnhof unter der Flughafenstraße als Ergebnis des Filderdialogs zu verkaufen und ihn als viel besser zu bezeichnen.
Im Filderdialog gab es klare Vorgaben, die da u.a. hießen: „die Mehrheitsergebnisse werden ernsthaft geprüft“ und „der Kostendeckel darf nicht gesprengt werden“. Die jetzt diskutierten Umplanungen des Fernbahnhofs sind NICHT das Ergebnis des Filderdialogs. Mit sehr deutlichen Mehrheiten haben dessen Teilnehmer/innen für den Verzicht auf den Mischverkehr durch Leinfelden-Echterdingen und für den Erhalt der Gäubahn auf der Panoramastrecke mit Halt in Vaihingen votiert. Dieses klare Ergebnis haben die Projektbetreiber jedoch ohne Begründung einfach vom Tisch gewischt und ihre Wunschvariante als Dialogergebnis bestimmt. Dabei ist der neue Bahnhof unter der Flughafenstraße keinesfalls die bessere Alternative. Neben einigen unbestreitbaren Vorteilen, birgt er gravierende Nachteile:
1. Der Kostendeckel wird gesprengt.
2. Die viel weiter ausgreifenden Anschlussschleifen zur Neubaustrecke zerstören wesentlich mehr wertvolle Filderböden und auch das Naturdenkmal „Langwieser See“ auf Plieninger Markung.
3. Der neue Bahnhof rückt nur unwesentlich näher – zwanzig Meter – an den Flughafen heran, dafür wird das Umsteigen von der S-Bahn auf die Gäubahn wesentlich erschwert.
4. Dieser neue Bahnhof könnte in der Spitzenstunde niemals die dann noch hinzukommenden Gäubahnzüge bewältigen. In der Stressteststunde müssten sich 17 Züge auf nur zwei Gleisen
drängen. Zur Minute 50 sind es schon im Grundtakt 3 Züge usw.
Die Bahn hat also wirklich nicht das Recht, von Stadt und Land zu fordern, sich zwischen zwei gleichermaßen unbrauchbaren Alternativen zu entscheiden und dafür auch noch ultimativ Geld zu fordern. Der neue Filderbahnhof ist vielmehr das Resultat von mehr als elf Jahren Planungsmurks und somit nur die zwingende, allerdings misslungene Korrektur eigener Fehlplanungen. Deren Kosten sind allein von der Bahn zu tragen.
Die Filderdiskussion ist ein Lehrstück in Manipulation und infamer Taktik:
1. Die Bahn hat total versagt, es gibt bis heute keinerlei ernst zu nehmende Pläne für den Filderabschnitt.
2. Eigentlich will heute niemand mehr S21 beginnen (siehe Traum).
3. Die Bahn sagt, wir wollen weiterbauen, nicht weil S21 großartig wäre, sondern nur weil ein Ausstieg für die Bahn unrentabler wäre als ein Weiterwurschteln. Pervers, oder?
4. Durch plumpe Manipulation wurde der Filderdialog so pervertiert, dass die Bahn danach ungestraft auch noch die Bürger vorschiebt und behauptet, der neue Bahnhof sei deren Wunsch und allemal besser, nicht nur um ihr eigenes Versagen zu vertuschen, sondern auch noch um die anderen Partner zur Kasse zu bitten. Es wird getrickst, dass sich die Schienen biegen.
5. Wenn einer jetzt mitmacht und seinen Geldbeutel oder besser den der Steuerzahler öffnet und damit den Kostendeckel sprengt, dann gibt es für die Zukunft kaum ein Zurück mehr, wenn es irgendwann, wie wir alle wissen, viel, viel teurer wird.
Und dabei geht es uns ja wirklich nicht an erster Stelle ums Geld. Es geht um die Zukunft Stuttgarts, um einen leistungsfähigen Bahnhof, ja, um die Identität denkender Bürgerinnen und Bürger und um unsere
Kinder. Aber, wie sagte schon Goethe vor 200 Jahren in seinem Faust: „Es war die Art zu allen Zeiten, Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.“
Wir fordern ultimativ von der Bahn: verbreitet endlich Wahrheit. Stoppen wir diesen Unfug, dieses Unprojekt – jetzt – und wir versprechen, dass wir uns dann mit großem Ernst für eine bessere Stadt und einen verbesserten Kopfbahnhof einsetzen. Wir werden alle Politiker unterstützen, die sich dieser vernünftigen Haltung zuwenden.
In diesem Sinne auch ein Appell an Ministerpräsident Kretschmann: Bleiben Sie unnachgiebig beim Kostendeckel! Das müsste doch relativ leicht für Sie sein – als Ministerpräsident ist man doch keines Herren Knecht, oder? Eigentlich sind Sie in gewisser Weise wie unser einzigartiger Kopfbahnhof: Bahnhof und Ministerpräsident wollen doch, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, vor allem dies: Oben Bleiben!