Livestream: Wahl des Präsidenten von Italien

Artikel zum heutigen Wahlversuch eines Präsidenten der Republik Italien. Protokoll einer unfassbaren Schmierenkomödie.

Rom, 13.00 Uhr: Zur Zeit läuft in einer gemeinsamen Sitzung von Abgeordnetenkammer und Senat die Wahl des Präsidenten der Republik Italien. An der Wahl nehmen entsprechend den Vorschriften der italienischen Verfassung zusätzlich

„drei Beauftragte für jede Region teil, die vom Regionalrat in der Weise gewählt werden, daß die Vertretung der Minderheiten gewahrt ist. Das Aostatal hat nur einen Beauftragten. Die Wahl des Präsidenten der Republik findet in geheimer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit der Versammlung statt. Nach dem dritten Wahlgang genügt die absolute Mehrheit.“

Die beiden aussichtsreichen Kandidaten sind der gemeinsame Kandidat von Pier Luigi Bersanis Partito Democratico P.D. sowie Silvio Berlusconis Popolo della Liberta P.d.L, Franco Marini, und der Anwalt für Verfassungsrecht und ehemalige Vizepräsident der Abgeordnetenkammer Professor Stefano Rodota für die Fünf Sterne Bewegung von Beppe Grillo. Wie Bersani nach schweren Auseinandersetzungen innerhalb der P.D. zugeben musste, ist unklar ob der P.D. / P.d.L.-Kandidat Marini, trotz großer Mehrheit der beiden Parteien in der Versammlung, bereits im ersten Wahlgang gewählt wird.

Die Wahl des Präsidenten wird aus dem Saal der Abgeordnetenkammer per Livestream übertragen. Zur Zeit läuft der erste Wahlgang.

14.05 Uhr

Der Kandidat Bersanis und Berlusconis, Franco Marini, ist im ersten Wahlgang gescheitert. Er benötigte die Zwei-Drittel-Mehrhet. Das bedeutet, dass zumindest einige Abgeordnete von P.D. und P.d.L gegen Marini gestimmt haben müssen, höchstwahrscheinlich hauptsächlich Abgeordnete von Bersanis P.D.

In der Wahlversammlung gibt es insg. 1007 Stimmberechtigte. Die Zwei-Drittel-Mehrheit liegt somit bei 672 Stimmen und die absolute Mehrheit bei 504 Stimmen. Die Wahlversammlung wird um 15.30 Uhr fortgesetzt.

14.50 Uhr  – Analyse

Das Ergebnis des ersten Wahlgangs ist nicht für Marini eine Katastrophe, sondern vor allem für den leitenden P.D.-Kader Bersani. Zuerst das Ergebnis

Marini: um die 520 Stimmen. Das ist sogar nur knapp über der absoluten Mehrheit, geschweige denn dass die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wäre.

Rodota: rund 240 Stimmen. Das sind weit mehr, als die Fünf Sterne Bewegung in der gemeinsamen Wahlversammlung Vertreter hat (aus Senat und Abgeordnetenkammer 163 Abgeordnete).

Nicht nur in Bersanis P.D., sondern in seiner gesamten Parteien-Liste “Italia. Bene Comune” wird meutert. Die Sinistra Ecologia Libertà (“Linke Ökologie Freiheit”) weigert sich für den gemeinsamen Kandidaten mit Berlusconi zu stimmen und zieht den M5S-Kandidaten Rodota vor. In der P.D. selbst ist es ausgerechnet der Finanzextremist und extrem kapitalistische Marktradikale Matteo Renzi, der für die italienische Demokratie den nützlichen Idioten abgibt. Seine Handlanger – bis zum Erbrechen selbstsüchtige Karrieristen und Heuchler – haben angesichts der Schwäche des Leitkaders Bersanis und dem schwachen Ergebnis bei der Parlamentswahl Angst vor dem Verlust ihrer versprochen Beute aus dem Allgemeinwohl und werden unruhig. Aus den Reihen dieser Marktradikalen Renzis sind die über 100 ungültigen Stimmen zu vermuten, die im ersten Wahlgang abgegeben wurden. Das verschafft der Öffentlichkeit praktischerweise einen Überblick der tatsächlichen Stärke dieser extrem euro-kapitalistischen P.D.-Gruppe. Matteo Renzi ist ein Sadist, ein skrupelloser Ausbeuter und Hochstapler. Logischerweise ist er dafür nicht nur in Brüssel, sondern auch in Washington hoch angesehen.

Es ist anzunehmen, dass Renzis Gefolgsleute im dritten Wahlgang letztlich doch für Marini stimmen werden, um einen Zerfall der P.D. – in der sie sich wie weltweit viele Finanzextremisten und Sozialfaschisten in ehemals bzw vermeintlich sozialdemokratischen oder sozialistischen eingenistet haben – zu vermeiden, da sie diese noch als Wirtskörper brauchen können, jedenfalls solange dieser abgetakelte Verräterhaufen noch atmet.

15.45 Uhr

Der zweite Wahlgang läuft – und in was für einer Farce. Bersani hat seine Parteigänger aufgefordert leere und damit ungültige Wahlzettel abzugeben. Damit gibt Bersani den zweiten Wahlgang schlicht auf, um Zeit zu sparen, noch heute irgendwie den dritten Wahlgang durchziehen zu können (nach dem wie erklärt nur mehr die absolute Mehrheit notwendig ist) und Marini in diesem kritischen Moment doch noch als Präsident durch zu peitschen. (Anm,; Was erst im vierten Wahlgang mit absoluter Mehrheut möglich ist.)

17.05 Uhr

Wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtet, geben auch die Berlusconi-Abgeordneten der P.d.L. geben im zweiten Wahlgang leere Stimmzettel ab. Offensichtlich haben sich Berlusconis P.d.L. und Bersanis P.D. abgesprochen. Ein weiteres Detail in einer Präsidentenwahl, die bereits jetzt als Skandal bewertet werden kann. Dazu kommt, dass die Lega Nord, die im ersten Wahlgang für den P.D. / P.d.L.-Kandidaten Marini gestimmt hat, ankündigt am zweiten und dritten Wahlgang überhaupt nicht mehr teilzunehmen.

Beppe Grillo verglich bereits das Treffen der P.D. gestern im röimischen Capranica Theater mit dem letzten Auftritt Mussolinis am 16. Dezember 1944 vor dem Zusammenbruch des Faschismus in Italien. Ich freue mich jetzt schon darauf, wie er diese Wahl umschreiben wird.

18.15 Uhr

Die Auszählung des zweiten Wahlgangs läuft. Gefühlt mehr als jedes zweite Mal, wenn die Präsidentin der Abgeordnetenkammer Laura Boldrini das Ergebnis eines Stimmzettels vorliest, ertönt ein „bianca“ (weiß).

Es ist unklar, ob heute noch der dritte Wahlgang erfolgen wird. Sicher ist, dass die Verzweiflungstat der Parteileitung von Bersanis P.D., in Abstimmung mit Berlusconis P.d.L. im zweiten Wahlgang leere Stimmzettel abzugeben, nur dazu diente eine weitere katastrophale Niederlage zu vermeiden.

18.26 Uhr

Laura Boldrini liest vor: „Giovanni Trapattoni“. Beifall in den Rängen.

18.5o Uhr

Kammerpräsidentin und Leiterin der Wahlversammlung Laura Boldrini hat zum zweiten Mal 1007 Stimmzettel vorgelesen. Das Ergebnis des zweiten Wahlgangs, wenn noch nicht offiziell verkündet, lautet: bianca.

Übersetzt: alles nochmal von vorn. Dritter Wahlgang. Wann der stattfindet, wird sich bald herausstellen.

19.30 Uhr

In Rom bahnt sich seine Sensation an. Mehr dazu gleich.

20.15 Uhr

Nun aber.

Geschätzte Leserinnen und Leser. Wie oben zu sehen ist, habe ich bezüglich des Wahlvorgangs und des entsprechenden Prozedere die Verfassung zitiert. irgendwann im Laufe des Artikels (und allerlei Nebentätigkeiten dieser so ereignisreichen Tage, von der Technik mal ganz abgesehen) war ich der Meinung, dass „nach dem dritten Wahlgang“ im dritten Wahlgang bedeutet.  Also noch mal in Zeitlupe, für mich, für Sie, für alle: Für die Wahl des Präsidenten reicht erst im vierten Wahlgang die absolute Mehrheit.

Warum ist das für die Analyse der bisherigen Ereignisse bei der Präsidentenwahl so bedeutsam? Weil die Annahme, es könnte sich bei der Abgabe leerer Stimmzettel um ein taktisches Manöver gehandelt haben um Marini als Kandidaten heute  noch im dritten Wahlgang durch zu boxen Blödsinn ist. Das hätte ich merken müssen.

Wie sich jetzt heraus stellt, hat Bersani bereits nach dem katastrophalen ersten Wahlgang versucht seinen eigenen Kandidaten Marini wieder los zu werden. Noch peinlicher: der 80-jährige Marini weigerte sich. Daraufhin forderten Bersani und Berlusconi offensichtlich die eigenen Fraktionen auf, nicht mehr für den eigenen Kandidaten zu stimmen – um ihn irgendwie wieder loszuwerden. Bereits vor dem zweiten Wahlgang hatte Renzi (als messerwetzender innerparteilicher Konkurrent Bersanis) Marini als „aus dem Rennen“ bezeichnet.

Was für eine unfassbare Schmierenkomödie. Aber sie geht noch weiter.

Nachdem also Bersani und Berlusconi ihren in der etablierten Presse bereits als gesetzt geltenden renitenten Kandidaten Marini durch dessen Demontage im zweiten Wahlgang mühsam wieder losgeworden sind, heißt es nun durch Reporter des deutschen Staatsfernsehen ARD in Rom in der 20 Uhr Tagesschau:
1. Bersani habe angekündigt mal eben einen neuen Präsidenten für Italien finden,
2. es gäbe Gerüchte, das könne Romano Prodi werden.

Wenn Bersani das auch noch wagt, wird diese Superpfostennummer nicht nur ihm, sondern all seinen lieben, guten Freunde und Beratern den Kopf kosten. Hallo Berlin, „Regierungsviertel“.

Die Wahlversammlung ist unterbrochen bis morgen. Dann lesen wir uns wieder.

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