Was uns die Bundestagswahl bringt

Es gibt einige Folgen der Parlamentswahl, über die noch niemand so richtig reden will. Manche davon sind gut und schön.

Zuerst einmal: die „SPD“ hat mit 23 % ihr schlechtestes Ergebnis bei einer deutschen Parlamentswahl seit der letzten, nur noch eingeschränkt freien Parlamentswahl der Weimarer Republik in 1933 eingefahren. Sowohl CDU (27.3 %), als auch CSU ( 6.5 %) erreichten ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949, also der ersten Wahl eines Parlamentes seit 1933 überhaupt.
Das ist ein Abgesang auf die bisher geltenden Machtverhältnisse und vor allem auf die sorgsam austarierte Machtbalance der verschiedenen Oligarchien, Apparate und Eliten der „Parteien“, aber auch der im Bankensystem, in den Industrien, den Handelskammern und dem militärischen, nachrichtendienstlichen, sowie polizeilichen Komplex.

Jede Oligarchie, jede Herrschaftsstruktur, jedes feudale System lebt von innerer Stabilität und innerer Ruhe. Zur Machterweiterung oder Ausbau der Priviliegien kann aber genau das Gegenteil nützlich sein: Chaos, Krise, Zerfall im Weg stehender Schutzmechanismen der Bevölkerung, daraus resultierende Unsicherheit bei den Staatsbürgern, letztlich Angst, Panik, Aufgabe aller geistigen, moralischen, zivilisatorischen und politischen Güter und Akzeptanz des Übergangs zur offenen Diktatur.

Genau das haben wir seit 2005 erlebt – den offenen Staatsstreich einer Oligarchie. Und eine der beiden tragenden Säulen dieses Staatsstreiches ist gestern zu einem Drittel seiner Grösse zusammen gefaltet worden. Die „SPD“ ist nicht das, als was sie sich ausgibt. Die „SPD“ ist eine Gefahr für die Republik. Und diese Gefahr ist beseitigt worden.

Es sei hier einmal ganz praktisch gedacht und formuliert wieso.

In sämtlichen SPD-geführten Ministerien herrscht ein in 11 Jahren aufgebautes System von Staatssekretären, hochrangigen Beamten, mittelrangigen Beamten, niederrangigen Beamten und deren ganzer Knödel von Seilschaften, Sympathien, Antipathien, Gewohnheiten, vermeintlichen Gewohnheitsrechten, dem ganzen geschlossenen Evolutionsystem „Survival of the Fittest Flurdiplomat“ und – wie es immer so schön heisst – den „informellen Kontakten“. Dazu kommt noch das ganze Rudel der direkten Konzernangestellten, Lobbyisten und Ehrenlogen, mit ihren unbegrenzten Ressourcen an Zeit und Geld für ein Einsetzen der eigenen „informellen Kontakte“ für den eigenen Herr und Meister, für Dummquatscherei mit den Beamten, für Strippenziehen und Mediendarstellung, für Interviews und Gefälligkeitssendungen in den Fernsehsendern und für Einflüsterei bei den Gesetzentwürfen, wenn die nicht sowieso schon der Regierung abgequatscht wurden und den eigenen Kanzleien, Konzernen, „Experten“, „Instituten“, „Beratern“ oder irgendeinem anderen beliebigen Wegelagerer, Abschöpfer oder Sektierer übergeben worden sind.

Aus dieser ganzen Melange, aus diesem Biotop der SPD-geführten Regierung und deren Ministerien, ist in 11 langen Jahren eine monströse Korruption und Manipulation bis in die letzten Winkel der Gesellschaft gewuchert, deren Ausmass selbst die geübtesten Pessimisten weit unterschätzen. Sie unterschätzen ebenfalls die Erleicherung, die nun sofort und unmittelbar einsetzen wird, bis in die Bundesländer, bis in die Landkreise, bis in die kleinste Kommune hinein, in denen weisungs- und befehlsgewohnte Aktenkönige und arrogante Amtsschimmel sich nun leise, aber emsig wiehernd, hilflos neu sortieren müssen. Das wird die Hände der Ämter und Exekutivbehörden von unseren Kehlen nehmen.

Das gilt – nicht zuletzt, sondern zuerst – für den militärisch-nachrichtendienstlich-polizeilichen Komplex. Das gilt aber auch für die Armutsverwaltungsbehörden. Ich sage hier und jetzt voraus, dass jeder arme Schlucker von Hartz IV-Empfänger in den nächsten Tagen eine für ihn absolut unerklärliche, aber spürbare Erleichterung verspüren wird. Das gleiche Aufatmen wird jeder, jeder andere Staatsbürger verspüren, der es zur Zeit mit irgendeiner Verwaltungsmonarchie oder deren Bürokratie-Extremisten zu tun hat; einzig und allein weil dieser Haufen nun (für diesen völlig ungewohnt und höchst irritierend) über die Schulter nach oben glotzt und sich fragt, wer denn nun hier auf einmal das Sagen hat. Das kann zu Überraschungen im Apparat führen.

Mal ganz davon abgesehen, ist das ein ganz normaler Wechsel. Und der Wechsel ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie. Die US-Amerikaner haben, in ihrem Modell des kompletten Machtwechsels, alle paar Jahre folgenden Vorgang vor Augen, den sie öffentlich mitverfolgen können: die eine Crew um den neu gewählten Präsidenten rückt ins Weisse Haus ein und die andere muss raus. Ausgenommen die 12 langen Jahre von George Bush Sen., von 1980-1988 als Vizepräsident und danach bis 1992 als Präsident, fand dieser komplette Machtwechsel in den USA seit dem 2.Weltkrieg alle paar Jahre statt, wenn man von innerparteilichen Machwechseln wie dem unabsichtlichen Abgang John F. Kennedys aus dem Amt einmal absieht. Auch seit dem Inkrafttreten der US-Verfassung im Jahre 1789 gab es, bei allem Hin und Her, immer in regelmässigen Abständen einen vollständigen Machtwechsel.

In Deutschland gab es, in seiner gesamten Geschichte, egal ob als Nationalstaat, Kaiserreich, Republik, im Faschismus, oder in den Teilstaaten im Kalten Krieg, nur einen einzigen vollständigen verfassungsgemässen Machtwechsel: nach der Parlamentswahl 1998.

Vorher war in der westdeutschen Bonner Republik, unter scharfer Beobachtung ihrer Supermacht USA, immer eine Partei an der Regierung verblieben. In der DDR herrschte, unter scharfer Beobachtung ihrer Supermacht Sowjetunion, ein austariertes System der heutigen gesamtdeutschen „Linken“, sowie der Blockparteien CDU und LDPD, welche später mit den westdeutschen Parteien fusionierten. Im zwölfjährigen faschistischen Reich hatte es von 1933 bis 1945 keine Wahlen gegeben, ausser die üblichen 99%-Ergebnisse für die gerade herrschende Partei. In der Weimarer Republik war der Kanzler eine eher schwache Figur, welche vom Reichspräsidenten nach Belieben entlassen und eingesetzt werden konnte.

Der Reichspräsident wiederum wurde zum ersten Mal – nach der Revolution gegen das Kaiserreich im Jahre 1918, dem anschliessenden Bürgerkrieg, den Verfolgungen und Ermordungen von Sozialisten, Arbeiterführern, Kommunisten – in der Weimarer Republik zum ersten Mal 1925 verfassungsgemäss gewählt. Ins Amt kam, durch ein direktes Votum der von 47 Jahren Kaiserreich geprägten Bevölkerung, der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarshall Paul von Hindenburg, welcher 1932 wiedergewählt wurde und Hitler (nach dessen Niederlage bei der Parlamentswahl im November 1932) im Januar 1933 zum Kanzler ernannte. Schliesslich unterzeichnete Reichspräsident Hindenburg 1933 auch das verfassungswidrige Ermächtigungsgesetz, was nicht nur in sich selbst illegal war, sondern von einem Parlament beschlossen wurde in denen durch die Hitler-Regierung gerade soviele oppositionelle Abgeordnete verhaftet und ermordet worden waren, dass die eigene Mehrheit sichergestellt war. Der Reichspräsident hatte all dem einfach zugesehen. Trotzdem hätte Paul von Hindenburg noch bis zu seinem Tod 1934 den Diktator Adolf Hitler theoretisch seines Amtes entheben können. Der Reichspräsident hatte, bis zuletzt, den Oberfehl über das reguläre Militär, die Wehrmacht.

Warum nun dieser gewohnt langatmige (wenn auch hoffentlich lesbare und verständliche) historische Diskurs?

Weil es durch die nun stattfindende Regierungsbildung von CDU/CSU und FDP die Chance auf den zweiten vollständigen, legalen und geordneten Machtwechsel in der Geschichte Deutschlands geben wird und zwar nach den nächsten Parlamentswahlen im Jahre 2013.

Durch die jetzige Regierungsübernahme von CDU/CSU und FDP ergibt sich die Möglichkeit die SPD in der Opposition von allen Machthabern des „Wirtschaftsflügels“, eher der Fraktion der Oligarchen, zu befreien. Ich sage bewusst zu „befreien“, weil es hier nicht um die Säuberung einer Diktatur, sondern die Säuberung von einer Diktatur geht.

Jede „Partei“ ist so etwas wie ein kleiner Staat in sich. Dementsprechend sieht es auch mit der innerparteilichen Gewaltenteilung aus. Sämtliche demokratischen, legislativen Prozesse innerhalb der SPD sind seit der innerparteilichen Machtübernahme Gerhard Schröders 1999 nur noch mit Füssen getreten und verhöhnt worden. Sein Wasserträger und insgesamt zweimaliger Nachfolger Franz Müntefering krallt sich in diesen Minuten im Willy-Brandt-Haus immer noch an die Macht und mit ihm die alte Parteijunta um die bisherigen Regierungs-Minister Frank-Walter Steinmeier, der nie innerhalb der Partei jemals überhaupt irgendein Amt inne hatte, um den Ausputzer in den Geheimdienst-Ausschüssen Thomas Oppermann, der nun ausgerechnet parlamentarischer Geschäftsführer werden soll, um Peer Steinbrück, um Ulla Schmidt und all die anderen, welche mit Schröder an die Macht kamen.

Im Parlament, in der Opposition, wird nun im Laufe der nächsten Jahre folgendes passieren: langsam, unmerklich, wie beim Nachlassen einer Betäubung, wird die ganze Entwürdigung der angeblich immer noch 500.000 Mitglieder dieser Sekte offenbar werden. Einergehen wird das Ganze mit Staatsaffären und Skandalen nie gekannten Ausmasses: parlamentarische Untersuchungen im Zuge des Bekanntwerdens der Existenz von staatsterroristischen Attentaten, die Erpressung ganzer Staaten durch die Inhaber des Geldmonopols, das Erwürgen der Realwirtschaft durch den Bankenstreik, die sich mit voller Wucht entfaltende Deflation, welche schliesslich in einer Depression und dem teilweisen Zusammenbruch der internationalen Wirtschaftskreisläufe mündet.

Mehr und mehr wird auch innerhalb der“ SPD“ diese ganze erbärmliche, epische Tragödie ihrer 11 Jahre langen Regierungs-Operationen zutage treten. Und dann fängt das Gewimmer und Gejammer der Täter erst richtig an. Alle, alle werden sie nur Opfer gewesen sein, die alle nichts gewusst haben.

Wer sich ebenfalls verändern wird, ist die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“. Die alte Nomenklatura aus der rotgrünen Schröder-Regierung von 1998 bis 2005, die uns die faktische Enteigung von Einkommen durch die Einführung des Euro ohne Preisbindung, die uns den Krieg gegen Yugoslawien, sowie den bis heute andauernden Afghanistan-Krieg eingebrockt hat, wird im Laufe der nächsten Monate sukzessive entmachtet werden. Heraustreten aus dem Schatten werden die alten Werte dieser einst alternativ-progressiven Partei, denn das müssen sie, will die grüne Partei im neuen Digitalen Zeitalter nicht zerrieben und überflüssig werden.

Die alte Staatspartei, welche sich hinter dem epischen Namensraub „die Linke“ verbirgt, wird sich aus rein praktischen Gründen in den nächsten 4 Jahren verändern. Haben es fortschrittlich-sozialistische, alternative und einfach ganz normale soziale Kräfte 2006 nicht ganz geschafft den SPD/PDS-Senat Klaus Wowereits, mit seinem unfassbaren Finanzsenator und heutigen Bundesbanker Thilo Sarrazin zu stürzen, so wird dies bei der nächsten Landtagswahl 2011 geschehen. Da sollte jeder von ausgehen. Dann ist auch der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, ein alter Vertrauter Gerhard Schröders, endgültig fällig. Er hat dann nur noch die Wahl eine „grosse“ Koalition mit der CDU einzugehen (wenn dies dann rechnerisch überhaupt möglich ist), die Grünen hinzuzunehmen (was in Berlin eine extrem unwahrscheinliche und labile rot-rot-grüne Regierung vorausetzen würde) oder endgültig abzutreten. Eine Chance als Hoffnungsträger hat er bereits vor Jahren mit seinem Ausverkauf Berlins an transnationale Finanzkonglomerate verspielt.

Fällt aber die SPD-Linke-Stadtregierung in der Hauptstadt, sind auch die vom eigentlichen Strippenzieher der „Linken“, Gregor Gysi, als Erben der Partei designierten Mitglieder der Berliner Führungsclique sowie des amtierenden Senats strukturell-machtpolitisch (mindestens) geschwächt. Zu den wichtigsten Figuren des „traditionell“ mächtigen Landesverbandes der zentralistischen alten Staatspartei gehören u.a. folgende Figuren:
– Klaus Lederer. Landesvorsitzender der Linken Berlin, vorher der PDS Berlin.
– Petra Pau. Direkt gewählte Bundestagsabgeordnete in wechselnden sicheren PDS-Bezirken, ehemals PDS-Landesvorsitzende, stellv.PDS-Bundesvorsitzende, vorher SED-Mitglied seit 1983
– Gesine Lötzsch. Seit 2005 Vizechefin der Linksfraktion im Bundestag, seit 2002 ebenfalls direkt gewählte Bundestagsabgeordnete in Ostberliner Bezirken, Obfrau im Haushaltsausschuss des Bundestages, seit 2007 auch im Verteidigungsausschuss, vorher seit 1984 Mitglied der ostdeutschen Staatspartei)
– Stefan Liebich. Fraktionsführer der Linke Berlin im Abgeordnetenhaus, gestern wurde er direkt in den Bundestag gewählt.
– Harald Wolf, Wirtschaftssenator in der Hauptstadt,
die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.

Dieser traditionell mächtige Landesverband Berlin hat bereits in der nun neu gewählten Linksfraktion im Bundestag erheblich an Einfluss verloren. Die westdeutschen Wahlergebnisse lagen hoch genug, um entsprechend viele westdeutsche Abgeordnete ins Parlament einziehen zu lassen. Das Westdeutsche nicht bessere oder schlechtere Erdlinge sind als alle anderen, dürfte auf der Hand liegen. Der rein praktische Hintergrund ist vielmehr auch hier: die gewohnten Hierarchien und Befehlsstrukturen werden schlicht durcheinander gebracht – es findet ein Wechsel statt.

Ausserdem steht die Linke unter starkem Druck der Bürgerrechtsbewegung. Den hat sie gemerkt, den hat sie als Machtfaktor wahrgenommen (alle anderen Faktoren spielen für diese Partei keine Rolle), vor dem wird sie sich in Acht nehmen. Die wenigen ernstzunehmenden Bürgerrechtler in der Linken, wie Tobias Pflüger oder Ulla Jelpke, werden durch die zentralistischen Parteikader gestärkt (soll heissen: weniger sabotiert) werden. Sukzessive wird es auch hier ein zartes Abrücken von der Parteitags-Devise „Erst zicken, dann nicken“ geben.

Der soeben erfolgte Auftritt der linken Parteiführung um Gregor Gysi und einen müden Oskar Lafontaine deutet es an. Diese alten Funktionäre werden irgendwann einfach überrollt werden. Das ist nur eine Frage der Zeit. Und wenn es die Parteimitglieder nicht selbst tun, wird die Partei „Die Linke“ schlicht überflüssig und irgendwann mit einem grossen Ausatmen verschwinden.

Noch einmal: Demokratie heisst, in zeitlichen Abständen – „Die Einen rein, die Anderen raus“.

Gibt es keinen Wechsel, erstarrt jede politische Struktur, jede Republik, jede Demokratie, auch jede Kultur. Von der „Wirtschaft“, also den Funktionären grosser Verbände, wird man dies als grossen Lernprozess demnächst noch häufiger hören, mit dem Hinweis, dass Konzerne und Innovation schon immer ein- und dasselbe waren, sind, und immer, iiiiimmer sein werden.

2013 gibt es nun die Chance auf den zweiten vollständigen legalen Machtwechsel in der Geschichte der Deutschen. Allein diese Möglichkeit, diese Perspektive, wird alles verändern, auch und gerade in den kommenden Landtags- und Kommunalwahlen.

Die Zeiten ändern sich. Dass sie das überhaupt noch können, sogar in Deutschland, zumindest das hat der gestrige Tag bewiesen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert