“Wheel about and turn about and do just so. Every time I turn about I jump Jim Crow.” (etwa: Lasst uns tanzen und springen. Jedesmal, wenn ich mich umdrehe, springe ich auf Jim Crow) — Chorus eines Minstrel Songs aus dem Jahr 1828
„Wir haben nicht Schluss gemacht mit dem rassischen Kastenwesen in Amerika, wir haben es nur neu gestaltet.“ – Michelle Alexander, The New Jim Crow
Ja, es wird als Masseninhaftierung bezeichnet. Unsere Gefängnisse sind gefüllt mit schwarzen und braunen Männern und Frauen. Die Anzahl der Gefangenen, in erster Linie farbige Menschen, hat sich in den letzten drei Jahrzehnten laut Alexander versiebenfacht, von 300.000 auf über 2 Millionen, die bei weitem grösste Anzahl in der entwickelten Welt. Viele Millionen mehr stehen unter Bewährung oder sind bedingt entlassen. Und, was immer ihr Verbrechen ist, die Gefangenen bekommen niemals wieder ihre Bürgerrechte zurück. Das Stigma des Ex-Verbrechers bestimmt einen zu einem Leben als Mensch zweiter Klasse.
Aber noch ehe ihnen das Etikett des Ex-Verbrechers verpasst wird, werden bestimmte Menschen – besonders farbige junge Menschen – als gesellschaftliche Verlierer von der Polizei, Justizbürokratie und dem Gefängnissystem ins Visier genommen. Sie müssen damit rechnen, von der Polizei schikaniert zu werden, dass ihr privater Bereich missachtet und dass sie verhaftet werden, oft unter dem geringst möglichen Vorwand, wann immer sie aus dem Haus gehen.
Ich lebe in einer vitalen, rassen- und völkermässig mannigfaltigen Wohngegend in Chicago und ich sehe, wie es geschieht – rassische Zuordnung, das Stop-und-durchsuch-Spiel. Das macht meine Wohngegend nicht sicherer. Das zerstört Leben zu enormen öffentlichen Kosten und schafft wie der geisteskranke Krieg gegen den Terror Feinde. Wir brauchen kein Justizsystem auf der Basis von Vorurteilen und bewaffnetem Bullying.
„Seine Verhandlung ist um 1? OK,“ sagte ich, „ich werde versuchen, da zu sein.“
Das war vor drei Tagen. O Gott. Das war so ziemlich das letzte, was ich tun wollte. Ich wusste, was passiert war. Vor ein paar Tagen wurde Jerry verhaftet, der bei einer lokalen Diskussionsgruppe mitmacht, bei der ich auch mitmache und die Circles and Ciphers heisst … weil er mit seinem Fahhrad auf dem Gehsteig gefahren ist.
So fing es an. Zwei Polizisten in Zivil hielten ihn an wegen dieser Übertretung, wie das genannt wird, das Gegenstück etwa zu bei Rot über die Strasse gehen oder die Parkzeit überschreiten – und ein „Verbrechen,“ das tagtäglich von glücklichen Familien, Kindern und allen Arten von Menschen begangen wird, die dem gefährlichen Verkehr auf der Strasse entgehen wollen. Jerry, ein schwarzer Mann, wurde nicht einfach aufgehalten. Er wurde verhaftet. Immerhin hatte er eine Gesetzesübertretung begangen. Er wurde mit Handschellen gefesselt, in das Polizeiauto gesetzt und in die lokale Polizeistation gebracht.
Niemand, mit dem ich sprach, hat eine Ahnung, was mit seinem Fahrrad passierte. Wurde es beschlagnahmt? Am Tatort zurückgelassen?
Vielleicht regte er sich auf wegen der Möglichkeit, sein Fahrrad zu verlieren. Vielleicht regte er sich auf, weil er am nächsten Tag eine neue Arbeit antreten sollte. Wie auch immer, er fand sich mit Handschellen in der Polizeistation sitzend. Als einer der Polizisten, die ihn verhaftet hatten, zu ihm hin ging, stand Jerry angeblich auf und trat nach dem Polizisten und traf ihn am Schienbein. Und aus der Übertretung wurde plötzlich ein schweres Verbrechen. Er wurde angeklagt wegen schweren Widerstands gegen die Staatsgewalt.
Chicago, Stadt des Verbrechens! So steigen die Statistiken an.
Jerrys Verhandlung war am Montag. Die Organisatoren von Circles and Ciphers wollten Unterstützer in den Verhandlungssaal bringen, anscheinend kann das einen Unterschied bewirken. Ich hatte noch nie zuvor etwas in dieser Art getan.
Das Gerichtsgebäude ist in der Tat fremdes Territorium: der Staat gegen jeden. Ich verstehe den Sinn von Metalldetektoren, Sicherheitsuntersuchungen wie auf dem Lufthafen, und versuche meinen Humor zu bewahren, wenn ich meine Taschen leere und den Gürtel ablege. Ich versuchte, die Haltung eines Bürgers einzunehmen: Das ist mein Gerichtssystem. Ich habe ein Recht hier zu sein. Aber das war nicht leicht. Ich fühlte mich bestenfalls misstrauisch toleriert und in der Tat unwillkommen als Bürger.
Ich nahm Platz im Gerichtssaal. Als die Verhandlung begann, nahm ich einen Stift und ein Stück Papier aus meiner Tasche und begann zu schreiben. Uh-oh. Plötzlich warf mir die Sicherheitsbeamtin, die für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Gericht zuständig war, einen verärgerten Blick zu, zeigte auf mich und schüttelte ihren Kopf. Keine Notizen! Ich konnte das nicht glauben, steckte aber den Bic-Schreiber, dieses gefährliche Werkzeug, zurück in meine Tasche und schwor mir, später zu überprüfen, ob diese Einschränkung legal war. (Es gibt keine solche Einschränkung.)
Die Verhandlung selbst dauerte vielleicht sechs oder sieben Minuten. Ein Staatsanwalt fragte den Polizisten, was vorgefallen war. Dieser erklärte, dass der Angeklagte wegen der Übertretung verhaftet worden war, mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig zu fahren, aber die Richterin unterbrach ihn. Mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig fahren ist ein Bagatelldelikt, keine Übertretung, sagte sie. Mir war neu, dass es eine Kategorie des Verbrechens gibt, die noch geringfügiger ist als eine Übertretung, jetzt wusste ich es.
Ein paar Fragen später – der Polizist beschrieb den angeblichen Angriff, gab an, dass er nicht ärztlich versorgt werden musste – war alles vorbei. Jerry wurde aus dem Verhandlungssaal geführt. Ich stand auf und ging.
Da kommt noch mehr, natürlich. Jerry wurde nicht entlassen. Der Fall wurde nicht eingestellt. Ungewiss für den jungen Angeklagten ist, ob er eine Freiheitsstrafe bekommt und das lebenslängliche Stigma des „Exverbrechers.“ Und wofür das alles? Der öffentlichen Sicherheit wurde kein Dienst erwiesen. Keine positive Entwicklung hat stattgefunden. Absolut nichts wurde erreicht durch dieses ausgeklügelte und teure Drama, ausser dass ein kaputtes System sich selbst erhalten hat. Und dass Jim Crow wieder gewonnen hat.
Orginalartikel A Broken System Perpetuates Itself vom 5.Juni 2013
Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2013_06_06_einkaputtes.htm