Die Militärdiktatur Ägyptens unter Generalstabs-Leiter Sedki Sobhi hat dem gestrigen Ultimatum von Großimam Ahmed al-Tayeb nachgegeben und wie gefordert Wahlen versprochen. Tatsächlich aber versucht das Militär, wie nach dem vom Volk in der Revolution von 2011 erzwungenen Rücktritt des (Militär)Diktators Husni Mubarak, genau die Nationalversammlung zu verhindern, mit der es die sinnlosen verlorenen zwei Jahre von Blutvergießen, Chaos und Not nie gegeben hätte.
Laut dem durch die Militärdiktatur, offiziell vorgetragen von deren „Präsidenten“ Mansur, gestern präsentierten Zeitplan sollen zwei Komitees gebildet werden, die Verfassungszusätze (amendments) entwerfen sollen (ich möchte diesbezüglich daraufhin weisen, dass in der deutschsprachigen Presse wieder mal nur Dreck steht). In vier Monaten soll es über diese eine Volksabstimmmung (Referendum) geben.
Dann soll es Parlamentswahlen geben. In rund sieben Monaten, im Februar 2014. Danach sollen durch das neue Parlament Präsidentschaftswahlen angesetzt werden.
Nun zur Analyse.
Alles wird durch die Verfassung, den Gesellschaftsvertrag definiert. Die gesamte vergangene und zukünftige Geschichte einer verfassten Gesellschaft und Republik, in diesem Falle die von Ägypten. Und diese soll nun, nachdem sie zuvor einem Parlament in die Hände gegeben wurde, welches auf ganzer Linie nur versagt hat und deren Abgeordnete – namentlich die der aus Saudi Arabien gesteuerten „salafistischen“ wahabitischen Al Nour, aber auch die der Muslimbruderschaft – archaischen, primitiven, tribalistischen Mehrheitsprinzipien ohne einen Funken republikanischen Denkens folgten, zwei „Komitees“ in die Hände gegeben werden?
Wer bestimmt diese Komitees? Die Militärdiktatur. Wird es mehrere Entwürfe geben? Nein. Die Volksabstimmung wird, im wahrsten Sinne des Wortes, auf ein „Friss oder stirb“ hinaus laufen. Oder vielmehr: „Friss weiter, stirb weiter“.
Das ganze Chaos in Ägypten den letzten zwei Jahren haben zwei Kräfte zu verantworten. Das Militär (dessen Rechnungen aus Washington bezahlt werden) und die Demokratiebewegung. Deren Aktivisten begingen nach dem am Freitag, dem 11. Februar 2011 erzwungenen Rücktritt Mubaraks den wohl fürchterlichsten Fehler der jüngeren äygptischen Geschichte, indem sie in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar in einer Versammlung auf dem Tahrir-Platz beschlossen diesen bedingungslos wieder zu verlassen und auf die neue Militärdiktatur, den Militärrat zu vertrauen.
Und warum? Damit am Montag, den 14. Februar, der Autoverkehr wieder ordentlich fließen könne.
Der Militärrat bedankte sich bei der Demokratiebewegung, indem er noch am Sonntag – erst jetzt – die alte Verfassung außer Kraft setzte (Ägypten war damit völlig verfassungslos und den neuen Herrschern bedingungslos ausgeliefert), das Parlament auflöste und Parlamentswahlen in sechs Monaten versprach.
Wir alle wissen, was dann geschah. Der Militärrat, erst einmal an der Macht und das praktischerweise auch noch durch eine demokratische Revolution, dachte sich, „Fein, da bleib ich“ und installierte eben solch ein „Komitee“ (was es jetzt schon wieder verspricht) welches ein unbrauchbares und autoritäres Improvisorium ablieferte, dass die Ägypter in einer „Friss weiter, stirb weiter“-Volksabstimmung abnicken durften. Und dann brauchte es wieder ein blutiges halbes Jahr, bis das Militär nach Hunderten von Toten endlich Wahlen für ein Parlament zuließ, nur um es knapp acht Monate später wieder aufzulösen, nachdem es seinen Zweck erfüllt, nämlich zusammen mit der (auch unter dieser vom Militär diktierten Verfassungsprothese gewählten) Schura die „verfassungsgebende Versammlung“ gewählt hatte, welche anschließend allen weiteren bekannten Mist baute, für den die Ägypter bis heute bluten.
Stümper! Lügner! Lumpen! Versager! Idioten! Feinde Ägyptens!
Wer für Ägypten ist, lässt jetzt mal dieses Winden und Wenden um den einzig logischen und richtigen Weg und lässt stattdessen Ägypten seine Verfassung als eine Republik selbst bestimmen. Das kann nur durch eine Nationalversammlung geschehen, deren Mitglieder ausschließlich nur zu diesem Zweck gewählt werden und zwar direkt, nicht über irgendwelche verdammte Quoten irgendwelcher gottverdammten Parteilügner und -betrüger, die nur an Ministerposten, Ämter und zukünftiges Politgeschacher denken, sondern direkt gewählte Individuen, als im Volk bekannte und beliebte Persönlichkeiten, aus und in allen Regionen, auch aus den ländlichen Gebieten.
Was wäre das für eine Wahl! Wer würde von den Ägyptern in eine Nationalversammlung gewählt, ohne diesen ganzen Schmutz von Wahlversprechen, Parteitage kontrollierende Funktionäre und Wahlkämpfe steuernde Kapitalisten? Dichter. Künstler. Intellektuelle. Sportler. Prominente. Gewerkschaftler. Wissenschaftler. Vielleicht sogar ein General, wer weiß. Aber eben nur einer, der kein Blut an den Händen hat, wenn es den noch gibt in Ägypten. Aber ganz bestimmt kein Gott (der hat anderes zu tun), kein Kaiser, kein Tribun.
Es wird jetzt darauf ankommen, ob und wie sich die Diskussion in den denkenden Kreisen Ägyptens entwickelt. So wie bisher geht es nicht.