U.S.-Kongress: Gesetzentwurf zur Begrenzung von Totalüberwachung zugelassen

Washington: Ausschuss lässt Abstimmung im Repräsentantenhaus zur Eingrenzung von Spionage zu, trotz Intervention von N.S.A.-General und Präsident. Berlin: Republik außer Funktion. Das „Team Telecom“ und die Telekom. Eine kleine Zusammenfassung (korrigiert und ergänzt).

Wenn der Leiter des Pentagon-Geheimdienstes „National Security Agency“, General Keith Alexander, extra in den Kongress eilen muss und dessen Vorgesetzter im Weißen Haus darum bettelt in den (regulär) über eine halbe Billion Dollar schweren U.S.-Verteidigungshaushalt doch bitte, bitte nicht einen ganz bestimmten Passus aufzunehmen, dann hat die Machtarchitektur Washingtons ein lange nicht gekanntes Problem: die in der Verfassung der Vereinigten Staaten einst festgeschriebene Staatsform Republik, mit ihrem demokratischen Prinzip der Oberhoheit des Parlaments vor jeder exekutiven Macht im Staate, auch der des Präsidenten, auch der des Militärs.

Während in der Republik Deutschland der gesamte verfassungsmäßige, demokratische Prozess offensichtlich seit Jahrzehnten faktisch außer Kraft gesetzt ist – und unleugbar keine einzige Institution oder etablierte Organisation oder Partei willens und / oder fähig ist diese in Funktion zu setzen – sind die für die deutschen Bürgerinnen und Bürger einzig relevanten Vorgänge in der U.S.-Hauptstadt zu beobachten.

In Washington wird derzeit die zweite Welle der jährlichen Finanzierungsgesetze für das Militär debattiert. Der Hauptbeschluss des Kongresses zum Militäretat, der „National Defense Authorization Act“ für 2013/14, erfolgte bereits und wurde vom Präsidenten Anfang Juli unterschrieben. Nun geht es um den „Appropriations Act“ H.R.2397, ein Finanzierungsgesetz.

Zu diesem hat der Abgeordnete Justin Amash eine Ergänzung eingebracht. Dieser Zusatz würde jede nach einem Beschluss des 1978 nach dem F.I.S.A. Act installierten U.S.-Geheimgerichts F.I.S.C. durchgeführte Spionage der Behörden auf eben die Personen beschränken, gegen die nach Abschnitt 501 des F.I.S.A Acts überhaupt eine Überwachung angeordnet wurde.

Dies wiederum würde Abschnitt 215 des „Patriot Acts“ außer Kraft setzen, der nach den Attentaten des 11. September 2001 in Windeseile durch den Kongress gejagt worden war.

Wie Amash beschreibt, lässt sich die U.S.-Regierung und ihre Geheimdienste – durch eine Anweisung des F.I.S.A.-Geheimgerichts, unter Berufung auf Abschnitt 215 im „Patriot Act“ –  von Telekommunikations-Providern wie Verizon schlicht alle „Metadaten“ von Telefonanrufen innerhalb der U.S.A. übersenden, eingeschlossen rein „lokale“ Telefonate, also z.B. innerhalb einer Ortschaft.

Hintergrund

Im eigentlichen „Appropriations Act“ H.R.2397 heißt es in Sec. 8079:

„Keine der in diesem Gesetz zur Verfügung gestellten Geldmittel hat für die Eingliederung von ausländischen / im Ausland gewonnenen Geheimdienst-Informationen („foreign intelligence information“) verfügbar zu sein, außer diese Informationen sind während der Durchführung von autorisierten ausländischen / im Ausland unternommenen Geheimdienst-Aktivitäten gesetzmäßig gesammelt und verwertet worden: Zur Verfügung gestellt, haben diese zu Personen der (/ in den) Vereinigten Staaten gehörenden Informationen nur in Übereinstimmung mit dem im Vierten Zusatz der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika verfügten Schutz gehandhabt zu werden, wie es in Executive Order Nummer 12333 eingeführt wurde.“

Eine Executive Order des U.S.-Präsidenten ist faktisch ein Präsidentenfehl oder ein Präsidentenerlass. Ob ein U.S.-Präsidentenbefehl über der U.S.-Verfassung steht, ist in den Vereinigten Staaten von Amerika bis heute ungeklärt. Ob er über der deutschen Verfassung steht, will Niemand wissen. Niemand, das bin ich.

Der im Militärfinanzierungsgesetz H.R.2397  erwähnte U.S.-Präsidentenbefehl 12333 wurde am 4. Dezember 1981 durch den damaligen Präsidenten Ronald Reagan erlassen und bestimmt ausführlich die Spionage bzw. „Spionageabwehr“ der U.S.-Bundespolizei F.B.I. hinsichtlich „ausländischer Geheimdienst-Informationen..innerhalb der Vereinigten Staaten“. Was damit gemeint ist, dürfte 30 Jahre später der eine oder die andere begreifen.

Netzpolitik.org veröffentlichte gestern einen Geheimvertrag des F.B.I. und des U.S.-Justizministeriums mit „Deutsche Telekom AG“, einem 1995 aus dem staatlichen Versorger Deutsche Bundespost hervorgegangen zentralen kommerziellen internationalen informationstechnischen Konsortium. Im Dezember 2000 und Januar 2001 unterschriebenen Vertrag verpflichtet die Telekom AG sich, jedwede „inländische“ („domestic“) “gespeicherte Kommunikation”, “jede drahtgebundene oder elektronische Kommunikation”, “Transaktions- und Verbindungs-relevante Daten”, “Bestandsdaten” und “Rechnungsdaten” ihrer damaligen Unterfirmen „Voicestream Wireless Corporation“ und „Voicestream Wireless Holding Corporation“ F.B.I. und Justizministerium zur Verfügung zu stellen. Betrifft der Vertrag formal lediglich „inländische“ Informationen, so bedeutet dies faktisch alle jene vertraglich exakt definierten und äußerst umfangreichen Datenströme, die z.B. über einen Server oder ein Kommunikationsnetzwerk innerhalb der U.S.A. fließen.

Rechtsgrundlage des Vertrags in den U.S.A. ist, darauf wies Netzpolitik hin, einerseits das dortige Kommunikationsgesetz („Communications Act“) von 1934. Andererseits aber ist Rechtsgrundlage dieses Vertrags von U.S.-Bundespolizei und -Justizministerium mit dem größten Kommunikationskonzern auf dem Kontinent Europa von 2000 / Anfang 2001 U.S.-Präsidentenbefehl 12958, erlassen am 17. April 1995 von U.S.-Präsident Bill Clinton. Dieser definiert und umschreibt die „Information der Nationalen Sicherheit“ und setzte den entsprechenden vorhergehenden Präsidentenbefehl Ronald Reagans 12356 aus 1982 außer Kraft.

Kurz gesagt: Auch der Vertrag des Konsortiums „Deutsche Telekom AG“ mit den U.S.-Regierungsbehörden, der seit über 12 Jahren unmittelbar die Lebensführung und die Lebensgestaltung einer unbekannten Zahl von Menschen betraf, mutmaßlich auch in der Republik Deutschland, beruft sich u.a. auf einen Befehl des Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Methoden der U.S.-Spionage: Erpressung und Bedrohung der Internet-Provider

Wie viele weitere Verträge von Konsortien und Konzernen mit Regierungsbehörden weltweit geschlossen worden sind, die u.a. deutsche Staatsbürgerinnen und -Bürger   betreffen, ist völlig unklar. Wie solche Verträge in den U.S.A. selbst mit kleinen, innerstaatlichen Unternehmen zustande kommen, hat der standhafte, mutige Pete Ashdown (wir berichteten), Leiter des Internet-Providers XMission beschrieben:

„Die wollten reinkommen und in mein Netzwerk Equipment installieren, um einen einzelnen Kunden zu beobachten. Der Kunde, den sie beobachteten, war eine einzelne  Webseite, die völlig harmlos war. Es erschien mir lächerlich. Es war jenseits von absurd… es endete mit einer kleinen Box in unserem Betriebsraum, die jedweden Traffic dieses Kunden abfing. Alles, was sie sendeten und empfingen.“

Pete Ashton und Xmission verweigern, im Gegensatz zu fast allen anderen Providern, die Herausgabe von Daten an die Geheimdienste. Der Vater von drei Kindern beugte sich nicht, auch als Geheimdienste, Polizei-Behörden, Presse und andere übliche Unverdächtige mit den üblichen schmutzigen Verleumdungen und Tricks versuchten ihn kleinzukriegen, selbst als ihm die Inhaftierung angedroht wurde.

Wer wagt denn sowas? Wer?

Am 7. Juli berichtete die „Washington Post“ über die, faktisch seit Beginn des Digitalen Zeitalters, laufende Erpressung der U.S.-Behörden von internationalen und innerstaatlichen Telekommunikations-Versorgern zur Kollaboration zwecks flächendeckender, systemischer Spionage. Ausführendes Organ der U.S.-Regierung: ausgerechnet ein eigens eingerichtetes „Team Telecom“. Besonders im Fokus der U.S.-Regierung und ihrer Spione: Schlüsselinfrastrukturen, wie Überseekabel, Internet-Knoten, etc. Als Beispiel führte die „Washington Post“ die Erpressung des Konsortiums „Singapore Technologies Telemedia“ in 2003 auf. Diese hatte den Internet-Versorger „Global Crossing“ aufgekauft, der zum damaligen Zeitpunkt Internet-Verbindungen, Infrastruktur und Glasfaserkabel auf und nach vier Kontinenten kontrollierte. Der Konzern wurde gezwungen ein „Netzwerk-Operationszentrum“ in den Vereinigten Staaten einzurichten, zu dem U.S.-Regierungsstellen jederzeit Zugang hatten. Ebenso musste ein neues Unterkonsortium gegründet werden, dessen Vorstand zur Hälfte aus U.S.-Bürgern mit „Sicherheitszugang“ bestehen musste. In 2011 wurde „Global Crossing“, mittlerweile Schlüsselkonzern in der Telekommunikation in 55 Staaten, von „Singapore Technologies Telemedia“ größtenteils an „Level 3 Communications“ verkauft.

Dieses Konsortium bestritt nun nach dem Bericht der „Washington Post“ eine Spionage-Kollaboration mit der U.S.-Regierung. Gleichzeitig enthält der in 2011 wiederum von Level 3 Communications mit dem „Team Telecom“ der U.S.-Regierung unterschriebene Vertrag die Verpflichtung U.S.-Behörden innerhalb von 30 Minuten Zugang zur Infrastruktur bwz den vorgeschriebenen Operationszentren zu geben, aber ausländischen Behörden Informationen zu verweigern.

Noch einmal: es handelte sich hierbei um ein Konsortium, dass Datenströme, Telekommunikation und Internet-Verkehr in, aus und von 55 Staaten, sowie transkontinentale Infrastruktur kontrolliert.

Und wer glaubt jetzt der „Deutsche Telekom AG“ und irgendwelchen Behörden in Deutschland? Wir stehen vor einem Abgrund. Also Freiwillige vortreten. Es wäre nur ein kleiner Schritt für eine Behörde, aber ein großer Schritt für die Menschheit.

Aktuelle Entwicklungen

Der Ausschuss für Regeln des Repräsentantenhauses, einer der beiden Kammern des Kongresses, ließ gestern Abend die Abstimmung über den Zusatz von Justin Amash zum Militärfinanzierungsgesetz H.R.2397 im Repräsentantenhaus zu. Die Debatte beginnt am heutigen Dienstag.

Ergänzung 25.07.:

Der von Justin Amash, mit Unterstützung von John Conyers, eingebrachte Zusatz scheiterte gestern im Repräsentantenhaus. Aber es war knapp. 205 Abgeordnete stimmten für den „Amash-Conyers-Amendment“, 217 dagegen.

Von Amashs eigener Partei, den „Republikanern, stimmten 94 mit Ja, 134 mit Nein. Bei den „Demokraten“ stimmten 111 mit Ja, 83 mit Nein.

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