Ägypten: Letztes Gefecht des „war on terror“

Vor den heutigen Protesten der Pro-Demokraten und der Muslimbruderschaft gegen die Militärdiktatur über Ägypten etwas Licht durch den Nebel um die Geiselnahme von Hunderten von Menschen in der Al-Fath-Moschee am Kairoer Ramses-Platz.

Bereits am Tage des Putsches in Ägypten, am 3. Juli, sagte ich exakt die Entwicklung voraus, die sich derzeit abspielt. Das war kein Zeichen besonderer Intelligenz, sondern schlicht von Übung und korrekter Diagnose. In Ägypten versuchen die gleichen Kräfte, die seit fast 12 Jahren von einem durch Attentate erzeugten Krieg profitieren, diesen sowohl blutigen wie kafkaesken Prozess weiter am Laufen zu halten. In diesem „war on terror“ profitieren nicht nur diejenigen, die Attentate und Krieg hätten verhindern müssen – Geheimdienste, Polizei, Militär – sondern mindestens im gleiche Maße auch die Nomenklatura der jeweiligen Gesellschaft, die eine Entmachtung durch demokratische Mittel und die Entwicklung bzw Weiterentwicklung eines Öffentlichen Bewusstseins durch Kommunikation und Information der Bevölkerung scheut.

Um gerade dieses Öffentliche Bewusstsein – nennen wir es die Steigerung von zunächst Öffentlichem Interesse und dann Öffentlicher Meinung – zu verhindern, ist essentielles Mittel des seit 12 Jahren laufenden Krieges und seiner Kräfte die Beeinflussung der individuellen Psychologie über die Mittel der Massenpsychologie. Attentate, militärisch ohne jeden Sinn, politisch für die vermeintlich „eigene“ Seite verheerend und stets den vermeintlichen Gegner befördernd, gehören ebenso dazu wie Massenkontrolle („crowd control“), also z.B. die Manipulation von Ansammlungen Tausender Menschen durch gezielt, geplant und trainiert handelnde und eingeschleuste wenige Akteure.

Doch all diese Mittel der Psychologischen Kriegführung sind ineffektiv und verlieren ihre Wirkung, wenn die Informationskontrolle – effektiv: die Kontrolle über die „Medien“, die Presse – verloren geht. Und genau das ist derzeit hinsichtlich der Militärdiktatur in Ägypten zu beobachten.

Die Geiselnahme am Ramses-Platz

Gestern in der 20 Uhr Hauptnachrichtensendung des in alle Richtungen einflussreichsten und seit Jahren weltweit beliebtesten Landes der Welt, der „Tagesschau“ (Video Download), wurde die Story von einem „Schusswechsel“, von einem bewaffneten Kampf zwischen den „Sicherheitskräften“ der Militärdiktatur und den in der Al-Fath-Moschee am Ramses-Platz in Kairo verschanzten bewaffneten „Islamisten“ erzählt. Der Bericht von ARD-Korrespondent Volker Schwenk wurde später in den „Tagesthemen“ (Video Download) wiederholt, nachdem der „Berater“ (!) eines vom Militärrat eingesetzten „Übergangspräsidenten“ nachfolgend mit dem Verbot der stärksten Partei Ägyptens gedroht und diesbezüglich vom „Krieg“ der Militärdiktatur gegen den „Terrorismus“ gesprochen hatte (und im deutschen Staatsfernsehen dazu ausführlich zu Wort kam, im Gegensatz zu allen anderen).

Zuerst: dass aus dem Minarett der Al-Fath-Moschee kurz vor der Stürmung der Moschee in der Tat gefeuert worden war, dass bezeugte u.a. die (im Gegensatz zu allen ARD Korrespondenten) vor Ort und damit ständig in Gefahr befindliche Journalistin Bel Trew.

Nur konnte das Minarett aus dem Innern der, trotz „Ausgangssperre“ die gesamte Nacht über von bewaffneten „Bürgerwehren“ belagerte Moschee, nach Angaben des Imam vom Inneren des Gebäudes gar nicht betreten werden.

Andere bestritten dies und führten dazu dieses Foto vom Äußeren des Gebäudes an. Einfache gebäudetechnische Fakten lassen sich allerdings nicht erfinden. Wer zum Beispiel im Leben schon mal eine Kirche durch den Haupteingang betreten hat, der wird von dort nur schwer die Tür zum Kirchturm finden. Die gibt es nämlich nicht, aus gutem Grund.

Sogar die gestrigen Mittagsnachrichten von RTL (Video „Schüsse nahe der Fateh-Moschee zu hören“ ist hier zu finden, nicht unter eigenständiger Url zur Verfügung gestellt) konterkarierten die Darstellung der ARD Nachrichten. Die Moschee war seit den gestrigen Protesten von Polizei und „Sicherheitskräften“ umzingelt, die Menschen darin konnten schlicht nicht hinaus wurden de facto als Geiseln genommen. Bereits in der Nacht und am Morgen waren Schüsse zu hören (den sehr guten Bericht von RTL-Korrespondentin Antonia Rados in den gestrigen RTL 18.45 Nachrichten ließ der Sender dezent verschwinden.)

Bereits als gestern Mittag die Schüsse aus dem Minarett erfolgten, startete – wie zufällig! – eine Pressekonferenz der ägyptischen „Präsidentschaft“, die ihren heldenhaften Kampf gegen den „Terrorismus“ der nun auch offiziell zum Abschuss freigegebenen Präsidentenpartei beschrieb.

Bei der am Abend dann vom „Präsidenten“-„Berater“ Mostafa Hegazy geschwungenen (und in den ARD-Tagesthemen ausführlich gewürdigten) Rede verlautbarte dieser, wenn schon „Taliban“ das unterstützte was auf den Straßen von Kairo geschehe und „Al Kaida“-Flaggen geschwungen würden, bekäme man ein Bild des Geschehens.

Wie merkwürdig. Der „Berater“ der Militärdiktatur tat gestern Abend exakt das, was ich Stunden zuvor vorhergesagt hatte.

Wer wissen möchte, wie sich die Hunderte von Menschen, als Geiseln des Militärregimes, neben den aufgebahrten Leichen der Proteste des vorhergehenden Freitags im Inneren der Moschee gefühlt haben, mag dies folgendem Mitschnitt eines Al Jazeera Interviews mit einer dort eingeschlossenen jungen Besucherin irischer Staatsbürgerschaft entnehmen, die zu diesem Zeitpunkt dort mit ihrer Schwester bereits seit 16 Stunden ohne Nahrung und Wasser eingeschlossen war.

Die junge Irin Fatima Halawa (23), Tochter des Imams von Dublin und keineswegs Mitglied der Muslimbruderschaft, berichtete nicht nur, dass sie zusammen mit ihren drei Geschwistern und den anderen in der Moschee befindlichen Personen seit dem vorhergehenden Freitag von den „Sicherheitskräften“ und bewaffneten Personen in zivil unter Todesdrohungen am Verlassen der Moschee gehindert worden war, sondern ebenso, dass eine in der Nacht im Gebäude gestorbene Frau durch den Einsatz von in das Gebäude geschossenen Tränengases ums Leben gekommen war. Das Militärregime hatte dazu gegenteilig behauptet, die Frau sei durch austretende Gase eines Feuerlöschers getötet worden, der durch einen Insassen in der Moschee eingesetzt worden sei.

Kurz nach diesem – für das Militärregime mit innerer Sicherheit höchst peinlichen – Liveinterview der Iran aus der vermeintlich voller „islamistischer Terroristen“ belagerten Moschee begannen die Schüsse aus dem vom Inneren der Moschee nicht zugänglichen Minarett, welche nun den ägyptischen „Sicherheitskräften“ das Alibi verschaffte nun die muslimische Kirche zu stürmen und nachfolgend die Geiselnahme von Hunderten von Menschen als „Gefecht“ mit diesen darzustellen.

Nach dem Interview mit der Irin Fatimah Halawa interviewte Al Jazeera deren Schwester Omaima (21), inmitten von Gewehrfeuer. Auch hierfür wäre der Begriff „dramatisch“ untertrieben.

Es sollen hier nicht alle verschiedenen Seiten der Sicherheitskräfte verwechselt werden. Nur hat auch die berühmte „eine Hand“ der Ägypten beherrschenden Armee verschiedene Finger. Auch welch hervorragenden Job „zum Schutze Israels“ a.k.a. als „Vorsichtsmaßnahme“ die im Juni, also vor dem Putsch auf dem Sinai stationierten U.S.-Truppen (übrigens Sondereinheiten) die letzten Monate geleistet haben, sei einmal dahingestellt.

Falsche Brüder, falsche Flaggen

Der Muslimbruderschaft ist, nicht nur für den heutigen Sonntag, folgendes dringend zu raten: wenn sich wieder einmal, wie am Freitag z.B. auf der Brücke des 15. Mai Oktobers, plötzlich Bewaffnete unter den pünktlichen Augen des Staatsfernsehens an die Spitze ihrer Demonstration setzen, um dann willkürlich auf Balkone zu schießen, von denen eben noch den Demonstranten Wasser gereicht wird, damit dann anschließend Militär und Polizei das Feuer auf die Demonstranten eröffnen, damit dann die Demonstranten in Lebensgefahr von den Brücken springen, sollte vielleicht der eine oder andere Bruder mal den Daumen aus dem Auge und stattdessen einen Schuh gegen solche Freunde der Falschen Flagge zur Hand nehmen, bevor sie aus einer Polizeistation und aus dem Rücken unter Feuer genommen und wieder massakriert werden.

Der schlimmste Feind der Muslimbruderschaft sind die wahabitische (salafistische) Al Nour Partei („Al-Nur“) und die terroristische Al-Gama‘a al-Islamiyya, deren „Aufbau und Entwicklungs“-Partei unfassbarerweise zur Wahl zugelassen wurde und – unter Führung der Al Nour im „Islamistischen Block“ – dann auch noch 10 verdammte Sitze in der Abgeordnetenkammer bekam.

Natürlich werden diese „Islamisten“ vom Regime nicht angetastet. Schließlich haben sie ja den Putsch gegen die demokratische Bruderschaft gedeckt und befördern ebenfalls die Agenda „Keine Demokratien in mehrheitlich muslimischen Ländern in Vorderasien und Afrika“. Und jetzt kommen genau diese Brüüüüüder bei der Muslimbruderschaft angewackelt und atmen ihnen ins Gesicht: „Hey! Du! Willst ´nen bewaffneten Kampf kaufen…?!“

Von einem Verbot dieser Organisationen ist natürlich nicht die Rede, sondern von einem Verbot der CDU Ägyptens.

Redet darüber irgendjemand in Deutschland? Nein. Niemand redet darüber. Niemand, das bin ich.

Die (Staats)Völker der Welt schauen auf Ägypten

Wer auch immer (ich bilde mir natürlich zu wissen wer das wieder mal ist) hinter diesem nach der gescheiterten Syrien-Invasion nach exakt dem gleichen Muster (verdeckte Kräfte feuern bei Demonstrationen auf beide Seiten, bis die auf einander losgehen) in Ägypten angerichtetem Elend, Blutbad oder einfach Krieg steckt: diese Kräfte haben überhaupt kein Interesse an der Entstehung einer verfassungsbasierten, stabilen Demokratie in Vorderasien und Nordafrika, die am Ende noch auf die Idee käme die Kontrolle über das eigene Finanzsystem zu übernehmen. Wirklich überhaupt keines. Ganz im Gegensatz zu mir, zum Beispiel.

Am Ende passiert sowas noch auf dem Kontinent Europa. Namentlich im beliebtesten Land des Planeten Erde.

(…)

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