Anm. d. Red.: Heute beschloss im während des Kaiserreichs errichteten Reichstag das Parlament der Berliner Republik einen in ihrer Geschichte präzedenzlosen „Hauptausschuss“. Wohlgemerkt – in ihrer Geschichte, der Republik, nicht in seiner Geschichte, der des Reichstags.
Der Hauptausschuss des Reichstags (hier eine Buchveröffentlichung , bei Wikipedia vernebelnd „Interfraktioneller Ausschuss“ genannt) wurde 1915 während des Ersten Weltkriegs drei Jahre vor der deutschen Revolution eingesetzt. Nach der Beibehaltung des Deutschen Reiches durch die Weimarer Nationalversammlung 1919 – die Republik wurde am 9. November 1918 zwar ausgerufen, aber anschließend nicht geschafft – bestand die „große Koalition“ Weimars („Weimarer Koalition“) aus genau den Parteien, die unter dem Kaiser den Hauptausschuss des Reichstags gebildet und repräsentiert hatten: der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ S.P.D., der „Zentrumspartei“ (einem Vorläufer der späteren C.D.U. / C.S.U. nach dem Faschismus, sowie der „Deutschen Demokratischen Partei“ D.D.P. (vor der Revolution „Fortschrittliche Volkspartei“), Vorläufer der „F.D.P.“ in Westdeutschland.
Heute nun veröffentlichten die Abgeordneten der Linksfraktion (persönliche Anmerkungen seien hier ausgespart) Halina Wawzyniak, Petra Pau, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Stefan Liebich, Jörn Wunderlich, Kathrin Vogler, Cornelia Möhring, Harald Petzold auf dem Portal der netzpolitischen Sprecherin und Juristin Halina Wawzyniak folgende Erklärung zu Ihrer Ablehnung vom heute, am 28. November 2013, durch den Bundestag beschlossenen „Hauptausschuss“. Die Erklärung im Wortlaut, ein Link wurde hinzugefügt:
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Wir haben der Einsetzung des „Hauptausschusses“ nicht zugestimmt, weil wir erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen seine Einsetzung haben. Der „Hauptausschuss“ stellt eine Entmündigung des Parlaments dar.
1. Die Einsetzung des „Hauptausschusses“ entbehrt einer Rechtsgrundlage in der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT). Nach dieser setzt der Bundestag zur Vorbereitung der Verhandlung ständige Ausschüsse ein (§ 54 Abs. 1 GO-BT). Ein „Hauptausschuss“ ist ein Ausschuss und nicht Ausschüsse. Darüber hinaus ist der „Hauptausschuss“ nach dem Einsetzungsbeschluss kein ständiger Ausschuss. Im Einsetzungsbeschluss heißt es: „Mit der Konstituierung der ständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages ist der Hauptausschuss aufgelöst (…).“
Der „Hauptausschuss“ ist auch kein Sonderausschuss nach § 54 Abs. 1 S. 2 GO-BT. Ein Sonderausschuss ist ausweislich dieser Regelung ein Ausschuss für einzelne Angelegenheiten. Nach dem Einsetzungsbeschluss werden die Zuständigkeiten des „Hautpausschusses“ aber unspezifisch allein durch Überweisung des Plenums des Deutschen Bundestages begründet. Bereits die Tagesordnung der heutigen Sitzung zeigt, dass dies für sämtliche Gesetzesvorlagen, die das Plenum behandelt, geschehen soll. Damit bezieht sich die Zuständigkeit des „Hauptausschusses“ nicht auf „einzelne Angelegenheiten“ – bei Lichte besehen ist genau das Gegenteil der Fall.
2. Der „Hauptausschuss“ verstößt gegen die Garantie freien Mandats durch Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Im den Art. 38 Abs. 1 GG konkretisierenden „Wüppesahl-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 13.06.1989 – 2 BvE 1/88) heißt es: „Alle Abgeordneten sind berufen, an der Arbeit des Bundestages mit gleichen Rechten und Pflichten teilzunehmen. Dies folgt vor allem daraus, daß die Repräsentation des Volkes vom Parlament als Ganzem, dh in der
Gesamtheit seiner Mitglieder als Repräsentanten, bewirkt wird. Dies setzt die gleiche Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten voraus.” Weiter heißt es dort: “Alle Mitglieder des Bundestages haben dabei gleiche Rechte und Pflichten. Dies folgt vor allem daraus, daß die Repräsentation des Volkes sich im Parlament darstellt, daher nicht von einzelnen oder einer Gruppe von Abgeordneten, auch nicht von der parlamentarischen Mehrheit, sondern vom Parlament als Ganzem, d.h. in der Gesamtheit seiner Mitglieder als Repräsentanten, bewirkt wird. Dies setzt die gleiche Mitwirkungsbefugnis aller voraus.”
Der Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG ist nach dem Einsetzungsbeschluss evident. Nach dem Einsetzungsbeschluss soll der Hauptausschuss aus 47 Mitgliedern und 47 Stellvertretenden Mitglieder bestehen. Mithin sind lediglich 94 Abgeordnete von 631 Abgeordneten Mitglieder eines Ausschusses. Dies sind gerade einmal knapp 15 Prozent. Der Hauptausschuss führt also dazu, dass über 85 Prozent der Abgeordneten von der Mitwirkung in Ausschüssen ausgeschlossen sind.
Dem Bundestag lag mit dem Antrag der Fraktion Die Linke (Bundestagsdrucksachen 18/54) welcher die Einsetzung der im Grundgesetz vorgesehenen Ausschüsse und des Haushalts-, Innen-, Rechts- und Finanzausschusses vorsah, eine Alternative vor. Zusammen mit dem Antrag der Fraktion Die Linke zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Anzahl der Sitze der Fraktionen (Bundestagsdrucksache 18/53) würde dadurch deutlich geringer in Artikel 38 GG eingegriffen. Nach diesen Anträgen könnten unter Einbeziehung von Stellvertreter/innen-Regelungen 592 Abgeordnete in Ausschüssen arbeiten.
3. Der Hauptausschuss verstößt gegen Art. 45, Art. 45a Abs. 1, Art. 45c Abs. 1 GG. Das Grundgesetz sieht in Art. 45 vor, dass der Bundestag einen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union bestellt. In Art. 45 Abs. 1 GG formuliert das Grundgesetz, dass der Bundestag einen Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und einen Ausschuss für Verteidigung bestellt. Artikel 45c Abs. 1 GG schreibt die Bestellung eines Petitionsausschusses durch den Bundestag vor.
Diese Ausschüsse sind unabhängig vom Ressortzuschnitt einer Regierung zu bilden. Ausweislich des Einsetzungsbeschlusses soll der Hauptausschuss die Aufgaben der im Grundgesetz vorgesehenen Ausschüsse und die des Haushaltsausschusses für Finanzvorlagen nach § 96 Abs. 2 GO-BT übernehmen.
Mithin unterläuft der Hauptausschuss die zitierten Regelungen des Grundgesetzes und der GO-BT, die explizit Ausschüsse vorschreiben.
4. Der Hauptausschuss belebt einen Vorschlag aus dem Unterausschuss III des Herrenchiemsee-Konvents zum Entwurf eines Grundgesetzes aus dem Jahr 1948 (Stenographisches Protokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses III des Verfassungsausschusses der Ministerpräsidenten-Konferenz der Westlichen Besatzungszonen am 13.8.1948, S. 12), der indes von der Mehrheit abgelehnt wurde. Angeregt wurde damals, das Notverordnungsrecht an die Zustimmung eines „zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung und zur Behandlung dringender Angelegenheiten für die Zeit zwischen zwei Tagungen oder nach der Auflösung bis zum Zusammentreten des neuen Bundestages“ (Art. 44 des Entwurfs laut Bericht des Unterausschusses III, in: Der Parlamentarische Rat: 1948-1949; Akten und Protokolle, hrsg. vom Dt. Bundestag u. vom Bundesarchiv unter der Leitung von Kurt Georg Wernicke und Hans Booms, Bd. 2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 314; vgl. dazu auch ebd. S. 281 mit Fn. 7 und S. 291 mit Fn. 39) eingesetzten Haupt- bzw. „ständigen Ausschusses“ des Bundestages zu binden (Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10 bis 23. August 1948, S. 48; vgl. dazu Dreier, GG, Bd. II, Art. 53a, Rdn. 2).
Der Hauptausschuss war also bereits seiner Konzeption nach als ein Krisenzeiten vorbehaltenes Konstrukt gedacht, welches gerade keinen Eingang in das Grundgesetz gehalten hat. Die Einrichtung eines Hauptausschusses widerspricht damit auch dem erkennbaren Willen des historischen Verfassungsgebers.
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Artikel zum Thema:
21.11.2013 “Hauptausschuss” des Bundestages: Institutionalisierung des abrufbaren Ausnahmezustands
Kleine Rechtschreibkorrekturen in der Einleitung am 01.12.2017. aus aktuellem Anlass.