STAATSAFFÄRE: Mit Papier nicht mehr geduldig

Berlin, Staatsaffäre im Zuge des Falls von MdB Edathy: Vor der Aussage des Präsidenten der Geheimpolizei Bundeskriminalamt, Jörg Ziercke („Sozialdemokratische Partei Deutschlands“) im Innenausschuss des Bundestages am Mittwoch (12.) springt diesem der ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier („Christlich-Soziale Union“) zur Seite.

Ex-Verfassungshüter Papier legt dabei ein – selbst für die Verhältnisse im Zirkus Zynismus Maximus des designierten Neuen Roms auf dem Kontinent – bemerkenswertes Doppeldenk an den Tag.

Wie mittlerweile bekannt ist – und das nicht Dank irgendwelcher Abgeordneten, irgendwelcher Ausschüsse, sondern in erster Linie Dank einer einzigen hartnäckigen Staatsanwaltschaft, namentlich der in Hannover – ist der ehemalige Vorsitzende vom Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Sebastian Edathy („Sozialdemokratische Partei Deutschland“), ins Ausland geflüchtet und untergetaucht, weil er jahrelang mit recht hohem konspirativem Aufwand Bilder nackter Kinder bei mindestens einem Händler kaufte, in Kanada.

Dass dies letzten Endes heraus kam, lag nicht am Bundeskriminalamt, welches als die „nicht.. zuständige Ermittlungsbehörde für Verfahren wegen Kinderpornografie“ (Zitat Thomas Oppermann, 19.02.) das Einzige was es zu tun hatte zwei Jahre lang nicht tat, nämlich die Namensliste der Kunden des in Kanada aufgeflogenen Händlers mit kinderpornografischen Materials an die Länderpolizeien weiterzuleiten. Dass das Bundeskriminalamt zwei Jahre lang die Aktenlage eines so brisanten Falles nicht an die zuständigen Länderpolizeien durchreichte, hatten alle parlamentarischen „Kontrollinstanzen“ in Bund und Land zwei Jahre lang genauso wenig festgestellt wie alles andere. Und selbst als die Affäre schließlich ans Tageslicht und B.K.A.-Präsident Ziercke am 19.02. zu Besuch gekommen war, sahen sich sämtliche Abgeordnete vom Innenausschuss des Bundestages nicht in der Lage es zu erfragen, geschweige denn der Öffentlichkeit mitzuteilen. B.K.A.-Präsident Ziercke musste es selbst tun, nach der Sitzung des Innenausschusses des Parlaments am 19. Februar.

Ziercke, nur noch im Amt wegen des am 12. November 2011 so plötzlich entdeckten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ – offenbar jahrzehntelang bei den eifrigen Gewaltensammlern der Multipolizeimilitärnachrichtendienstsicherheitsbehörden im Zuge des eurasisch-extremistisch-fundamentalistisch-islamistischen Terrorismus fahrlässig abgesoffen – rechnete bei seinem Statement nach der Sitzung des Innenausschusses offensichtlich damit, dass sämtliche etablierten Journalisten dieses Landes zu blöde waren zuzuhören was er da sagte. Recht hatte er. Aber wen kümmeln schon die Etablierten, wenn man über sie drüber fahren kann?

Von allen anderen „Pannen“ in Zeiten des Dogmas zusammenhangloser Zusammenhänge einmal abgesehen – mutmaßliche Weitergabe von Dienstgeheimnissen des geschäftsführenden Innenministers Hans-Peter Friedrich an den S.P.D.-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, legendäres Nichtgespräch von S.P.D.-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann und B.K.A.-Präsident Jörg Ziercke, der Brief einer Staatsanwaltschaft der nach fünf Tagen geöffnet den Bundestag erreicht, etc – stellte sich dann auch noch heraus, dass auf der Kundenliste des kinderpornografischen Händlers mit Sitz in Kanada neben MdB Edathy auch der Name eines Kriminaldirektors des Bundeskriminalamtes stand, eines Kriminaldirektors, in dessen Abteilung die Kundendaten des Kinderporno-Händlers aus Kanada überhaupt erst angekommen waren, im Oktober oder November 2011, und dann zwei Jahre lang liegenblieben.

Nochmal: In einer Abteilung des Bundeskriminalamtes rauscht von kanadischen Behörden die Liste pädophiler Kunden eines Kinderporno-Rings herein. In dieser Abteilung befindet sich ein Kriminaldirektor des B.K.A., dessen Name selbst in den Kundendaten steht, neben dem von MdB Edathy. Dem Edathy, der bereits als Vorsitzender des Innenausschuss in 2008, vor dem späteren Abnicken des B.K.A.-Gesetzes durch die erste „große Koalition“, nichts von der willkürlichen Spionage der Länderpolizeien in die Wohnungen von „verdächtigen“ Unschuldigen hinein gewusst haben wollte.

Und was sagt uns heute also zu all dem aus seiner „Welt“ der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, der vorgestern bereits kundgetan hatte, also das mit der Gleichheit der Wahl sei nach 65 Jahren unterm Grundgesetz plötzlich ein „relativ vager Begriff“, die Verfassung müsse geändert werden, sonst falle am Ende noch die 5-Prozent-Sperre bei den Wahlen zum Parlament von Deutschland?

Ich weiß wirklich nicht, was man dem Präsidenten des BKA hier vorwirft. Dieses Strafverfahren gegen einen Beamten seines Hauses hat mit dem Fall Edathy nichts zu tun. Herr Ziercke kann doch im Innenausschuss des Bundestages nicht einfach ausplaudern, wer sonst noch auf der Liste eines Anbieters von pornografischem Material steht oder gegen wen bereits strafrechtlich vorgegangen worden ist. Der BKA-Präsident hat sich völlig korrekt verhalten.

Der Offizier der Geheimpolizei zum gefolterten Smith in George Orwells „1984“:

„Die Partei strebt die Macht lediglich in ihrem eigenen Interesse an. Uns ist nichts am Wohl anderer gelegen; uns interessiert einzig und allein die Macht als solche. Nicht Reichtum oder Luxus oder langes Leben oder Glück: nur Macht,  reine Macht. Was reine Macht besagen will, werden Sie gleich verstehen. Wir sind darin  von  allen  Oligarchien  der Vergangenheit verschieden, daß wir wissen, was  wir  tun.  Alle anderen,  sogar  die,  welche  uns  ähnelten,  waren  feige  und scheinheilig.

Wir aber wissen,  daß nie jemand die Macht ergreift in der Absicht, sie wieder abzutreten. Die Macht ist kein Mittel, sie ist ein  Endzweck. Eine Diktatur wird nicht eingesetzt, um eine Revolution zu sichern: sondern man macht eine Revolution, um eine Diktatur einzusetzen. Der Zweck der Verfolgung ist die Verfolgung. Der Zweck der Folter ist die Folter. Der Zweck der Macht ist die Macht.

Fangen Sie nun an, mich zu verstehen?“

Nun, sicherlich sprach der vom MI5 zwei Jahrzehnte lang „beobachtete“ Orwell 1949 zu seinen Lesern. Das tue ich auch. Orwell ließ damals seinen Geheimdienst-Offizier die Zukunft der Menschheit wie folgt beschreiben:

„Dauernd, in jedem Augenblick, wird es den aufregenden Kitzel des Sieges geben, das Gefühl, auf einem wehrlosen Feind herumzutrampeln. Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft ausmalen wollen, dann stellen Sie sich einen Stiefel vor, der in ein Menschenantlitz tritt – immer und immer wieder. ..

Und vergessen Sie nicht, daß das für immer gilt. Das Gesicht zum Treten wird immer da sein. Den Ketzer, den Feind der Gesellschaft, wird es immer geben, so daß er immer wieder besiegt und gedemütigt werden kann.“

Nun, dazu müssen die Partei und Geheimpolizei erst mal gewinnen.

Meine Version von der Zukunft der Menschheit, die in entscheidenden Maße von der Standhaftigkeit einer gewissen Schrift dieser sehr einflussreichen Republik und ihrer Freunde abhängt, habe ich bereits beschrieben (23.12.2011, Wir sind nicht die Welt): Ein Licht das aufgeht, in der Welt – immer und immer wieder.

Wir verstehen das, liebe Plebs: Ein Licht, das nicht „bumm“, sondern „aha“ macht.

(…)

Artikel zum Thema:
11.08.2008 Offenbar Gespräch von BKA-Chef Ziercke und “Tagesspiegel” aufgezeichnet
Radio Utopie ist aus unerfindlichen Quellen heute die mutmassliche Mitschrift eines Abhörprotokolls zugespielt worden, welches Hintergrundgespräche von Nachrichtendienst-Chef Jörg Zierke (“BKA”) und den NachrichtenhändlerInnen Frank Jansen und Barbara Junge (“Tagesspiegel”) enthält. Die Konversation fand offenbar rund um das geführte Interview statt, welches heute im Berliner “Tagesspiegel” erschien.