U.S.-Verteidigungsminister: keine völkerrechtliche Grundlage für Guantanamo und Afghanistankrieg

Regierung in Washington sagt dem im Jahr 2001 nach dem Attentat auf das World Trade Center ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ und dem eigenen Tiefen Staat erfolgreich den Kampf an.

Am Mittwoch, dem 11.Juni 2014 ereignete sich auf dem Capitol Hill ein historisches politisches Erdbeben, das der breiten Front der seit dreizehn Jahren unkontrollierbaren „Kriegsmaschine gegen den Terror“ den Boden unter den Füßen wegschlägt. Dieser Aufstand kommt nicht von unten sondern wird auf oberster Regierungsebene in den eigenen Reihen ausgetragen.

Letzter Auslöser war die Befreiung des seit dem Jahr 2009 unter geheimnisvollen Umständen „verschleppten“ U.S.-Soldaten Bowe Bergdahl in ein Camp, das vermutlich von dem eigenen U.S.-Spionageapparat betrieben und als Lager der Aufständigen getarnt wurde (Osama bin Laden und Bowe Bergdahl: zwei Seiten einer Medaille).

Der Austausch in Afghanistan von Bowe Bergdahl gegen die Entlassung von seit 2001/2002 inhaftierten fünf Häftlingen aus dem Militärgefängnis Guantanamo erschütterte die gesamte Kriegsmaschinerie der Vereinigten Staaten von Amerika.

Sofort begann eine hysterische Verleumdungskampagne, die über die Presse und Fernsehkanäle geführt wurde. Bergdahl wurde als Desserteur bezeichnet und ein halbes Dutzend U.S.-Soldaten hätten auf der Suche nach dem Entflohenen ihr Leben gelassen. Gegen Verteidigungsminister Chuck Hagel und Präsident Barack Obama erfolgten in den vergangenen beiden Wochen heftige Angriffe, die im extremsten Fall bis zu Rücktrittsforderungen wegen ihres unerhörten Alleingangs führten. Das ausführende Team der NavySeals hätte sein Leben riskiert, hiess es. Was natürlich Unfug bei einem sorgfältig geheim gehaltenen Deal ist, schliesslich wurde Bergdahl nicht irgendwelchen „Aufständigen“ urplötzlich entrissen.

Kongressabgeordnete der Demokraten und Republikaner beriefen sich auf ihre von der Verfassung verbrieften Rechte, dreissig Tage im Voraus von einem derartigen Schritt informiert zu werden und die Entscheidung darüber im U.S.-Repräsentantenhaus zu fällen. Seit wann kümmert es diese Abgeordneten, was das U.S.-Militär im Ausland im Einzelnen für Einsätze ausübt, die sie bisher nie hinterfragt haben und die viele Opfer forderten. Im Gegenteil verabschiedeten diese im letzten Haushalt grosszügige Summen für die Bugdets der im Dunklen operierenden Aufstandsbekämpfungs- und Cyberabwehr-Strategen.

So kam es zu dem Ruf nach einer Anhörung des U.S.-Verteidigungsministers vor dem Untersuchungsausschuss für militärische Angelegenheiten des U.S.-Kongresses, um die Regierung zur Strecke zu bringen und in der Öffentlichkeit zu zerreissen. Vier Stunden lang dauerte das heftig geführte Kreuzverhör. Auf einen der Angriffe reagierte Hagel sichtlich wütend:

„Die Entscheidung des Präsidenten, den Austausch der Inhaftierten sofort zu beschleunigen war eine schwierige Situation, in der ich Obama unterstützte und ich stehe dazu. Ich habe die Autorität und die Verantwortung zu entscheiden, welche Gefangenen in ein Gefängnis eines anderen Landes überführt werden können. Ich übernehme diese Verantwortung so seriös wie jede Verantwortung, die ich habe. Ich übernehme verdammt ernsthaft diese Verantwortung. Verdammt ernsthaft.“

Der Grund für den Aufschrei der Kriegslobbyisten auf dem Capitol Hill erschloss sich sehr schnell in diesen Stunden. Wir verzichten an dieser Stelle bewusst auf jede Kommentierung und Einschätzung über angewandte Kriegslist, Wahrheitsgehalt oder Propaganda, die vom Weissen Haus eingesetzt wurde, um dem Afghanistaneinsatz und der Fortführung des Militärgefängnisses Guantanamo die Grundlage zu entziehen – wie ein vom Weissen Haus über Katar angefordertes Video, dass beweisen sollte, dass Bergdahl noch am Leben ist. Im vom Spionageapparat gelieferten Video wurde ein abgehärmter, gequälter Bowe gezeigt, der nach einem „Fluchtversuch“ sogar in einem Käfig eingesperrt wurde und den Anlass für sofortiges Eingreifen bot, der keinen Aufschub duldete.

Als kurze Zusammenfassung führen wir das Ergebnis der Diskussionen der Anhörung vor dem House Armed Services Committee in bewusst verständlicher einfacher Ausdrucksweise aus:

Die Selbstverpflichtungen der Regierungen unter Bush und Obama, keinerlei Verhandlungen mit Geißelnehmern, Terroristen oder Aufständigen zu führen wurden unter Einbeziehen der Regierung von Katar als Vermittler umgangen, mit der am 12.Mai ein „memorandum of understanding“ unterzeichnet wurde.
Bergdahl wurde vom Pentagon nicht als Geißel sondern als Kriegsgefangener bezeichnet, da man sich mit den Taliban im Krieg befand. Der Austausch von Kriegsgefangenen ist somit legitim.

Mit der Zustimmung der „Taliban“, den vorgeschlagenen Gefangenenaustausch zu akzeptieren und zu arrangieren werden diese nicht als erklärte zu verfolgende Terroristengruppen gewertet, die der U.S.A. den Krieg durch Attentate erklärt haben. Somit entfällt die Grundlage, die zu dem Einmarsch in Afghanistan und die illegitime Inhaftierung in geheime C.I.A./Militärgeheimdienst-Foltergefängnisse führte.

Gegen die „Taliban“, denen keine Beteiligung an Terrorakten gegen die U.S.A. nachgewiesen werden konnten, kann aus diesem Grund kein Krieg geführt werden. Als nächster Schritt folgt, dass es keinen Status eines Kriegsgefangenen in ihren Reihen mehr geben kann und entsprechend alle Häftlinge in Guantanamo ohne Gerichtsprozesse freizulassen sind und die Anlage auf Kuba geschlossen werden kann.

Der Generalkonsul des Pentagons, Stephen Preston erklärte in Übereinstimmung mit dem U.S-Verteidigungsminister:

„An dem Punkt, an dem der bewaffnete Konflikt mit den Taliban endet, entzieht sich für jene Gefangene, die als Kriegsführende gehalten werden, für uns jede völkerrechtliche Grundlage.“

Hagel sagte, dass es

„keine Beweise für irgendeine unmittelbare Beteiligung an Attacken auf die Vereinigten Staaten oder irgendeine auf unsere Truppen gibt. Wir haben keine Grundlage, sie vor eine Militarkommission oder vor ein ziviles Bundesgericht zu stellen. Ich sage nicht, dass sich diese fünf Individuen alle plötzlich in den Heiligen Franziskus verwandeln.“

In einem Interview mit Democracy Now! vom 11.Juni 2014 vertrat der ehemalige Militärchefankläger der
Guantanamo military commission Colonel David Morris, der 2007 von diesem Posten zurücktrat, die gleiche Ansicht: „Wir hatten fünfundsiebzig Personen auf einer Liste zusammengestellt, die eventuell Verbrechen verübt haben könnten. Die Namen der jetzt ausgetauschten Häftlinge waren nicht dabei. Bei allen hatten wir zwölf Jahre für Untersuchungen Zeit, ihnen etwas nachzuweisen, dass sie etwas Falsches getan hatten und vor ein Militärtribunal zu stellen. Wir hätten es getan, haben wir aber nicht.“

Wie sollten sie auch? So gut wie alle Personen, die in Geheimgefängnisse transportiert wurden, waren zufällige Opfer von Denunzianten, Paramilitärs und Agenten, die an jedem ausgelieferten „Terroristen“ verdienten. Und es mussten möglichst viele einkassiert werden, um den „Krieg gegen den Terror“ auszuweiten und fortzuführen. Nur fünf Prozent der Verdächtigen wurden unmittelbar vom U.S.-Militär in Gewahrsam genommen (Bagram, Afghanistan: neues „Taxi zur Hölle“).

Die Beendigung des „Falls Bowe Bergdahl, dem letzten in Gefangenschaft geratenen U.S.-Soldaten“ wurde seit zwei Jahren von der zivilen Regierung in Washington vorbereitet. Obama und Hagel trafen nicht die alleinige spontane Entscheidung dazu. Die Unterstützung kam laut Hagel vom U.S.-Aussenminister (John Kerry), dem Generalbundesstaatsanwalt (Eric Holder), dem Minister für Heimatschutz – ein nach 9/11 gegründetes Ministerium, (Jeh Johnson), dem Direktor der Nationalen Geheimdienste (James Clapper), dem Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs (General Martin Dempsey) und Beratern des Sicherheitsteams des Präsidenten, die alle von dem Gefangenenaustausch wussten.

Insgesamt waren ungefähr neunzig Personen eingeweiht. In Absprache mit dem Justizministrium wurde die Rechtmässigkeit sichergestellt. Dazu wurde ironischerweise ein Gutachten aus der Amtszeit von George W. Bush eingeholt, in dem der Präsident laut dem im Jahr 2001 unmittelbar nach dem 11. September durchgepeitschten Patriot Act Aktionen im Namen der nationalen Sicherheit ohne vorherige Informationen an den U.S-Kongress ausführen lassen kann.

Ausschnitt von der Anhörung am 11. Juni 2014

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