Die letzten Hoffnungsträger der ehemaligen Sozialdemokratie versuchen morgen in Kassel einen Neuanfang der SPD. Unter ihnen der alternative Nobelpreisträger Hermann Scheer und Andrea Ypsilanti.
Am wesentlich von den Autoren der „14 Thesen“ (1), Stefan Grönebaum und Stephan Grüger, inititierten Basis-Ratschlag der SPD (2) morgen in Kassel, nehmen u.a. Hermann Scheer und Andrea Ypsilanti teil. Beide geniessen durch ihre Arbeit und ihren durchgehalten Kurs im politischen Handeln, auch bei denen immer noch Respekt, welche die Partei SPD aufgegeben haben und sie nur noch niederringen wollen.
Die „Partei“ SPD, eine surreale, neokonservative Nomenklatura mit angeblich immer noch 500.000 Untertanen die mittlerweile von der FDP sozial überholt werden, befindet sich im Sturzflug auf den Müllhaufen der Geschichte. Das hat sie sich selbst zuzuschreiben.
11 Regierungsjahre lang demütigte man sich selbst vor der Hirarchie und klatschte sich dann, alle paar Monate, bei Anlässen und Zeremonien solange in Trance, bis man den ganzen Mist auch noch glaubte, der einem da von der Kanzel erzählt wurde. Am Ende folgte man der Parole, „Schnauze halten, Arm hoch, raus.“
11 Jahre lang sprang man, voller Verachtung für die eigenen Wähler und die nichtpriviligierten Kasten der Republik, diesen mit beiden Füssen in die Magengrube.
Nun traten die zurück, manche sogar aus.
Jetzt geht das Gejammer los. Von den Leuten, die ihr ganzes Leben lang nur versagt haben.
Versagt haben, ein einziges Mal zu den eigenen Wertevorstellungen und Idealen zu stehen und diesen Standpunkt auch zu verteidigen, wenn der Sturm losbricht.
Als ein exemplarisches, wenn auch wohlmeinendes Beispiel, hier ein Eintrag auf MeineSpd.net vom 20.Juni (3):
„Bestimmte Kader haben mit ihren sogenannten Netzwerken wichtige Stellen übernommen. Wie will man damit umgehen? Geht man daran diese Funktionäre zu tauschen oder ignoriert man diese Strukturen und bildet die inhaltliche Ausrichtung um oder ist es notwendig beides zu tun?“
Auch hier fehlt der grundlegende Gedanke, dass man gegen Strukturen nicht ankommt, wenn man sie ignoriert und selbst keine neuen errichtet. Eine Partei, deren fundamentales legislatives Gremium, der Ortsverein oder Kreisverband, nur einmal im halben Jahr tagt, ist keine Partei, sondern ein Witz. Dementsprechend ist zu bewerten, wenn der Bundesparteitag nur aus Delegierten dieser Ortsvereine und Kreisverbände bestehend (oder gar aus Delegierten, welche Landesparteitage bestimmen), alle zwei Jahre ein einziges Mal stattfindet. Ohne eine fundamentale Strukturreform ist dieser Laden tot.
Immerhin tauchte in dem Beitrag von MeineSPD.net die Idee auf (mindestens 11 Jahre zu spät) eine „SPD von unten“ ins Leben zu rufen. Vielleicht las jemand diesen Eintrag, vielleicht hatten auch andere den Gedanken, man könnte es in der ehemaligen Sozialdemokratie wenigstens wieder mit Demokratie versuchen, jedenfalls erschien am 27.Oktober schliesslich auf SPD-von-unten.de die Presseerklärung der Initiatoren des Basis-Ratschlags am morgigen 8.November in Kassel (4):
„Das geplante Treffen ist eine Reaktion auf die Anfragen vieler Genossinnen und Genossen aus dem gesamten Bundesgebiet in Folge der Veröffentlichung der 14 Thesen zu Lage und Zukunft der SPD. Dabei wurde immer wieder der Wunsch geäußert, dieses Papier – wie auch andere Positionierungen – bei einem bundesweiten parteiinternen Treffen offen zu diskutieren. Diesem Wunsch wollten wir, die Autoren der 14 Thesen, uns nicht entziehen und haben dafür Unterstützung bei den Unterzeichnenden gefunden. In der Einladung ist ausdrücklich vermerkt, dass es sich nicht um ein Flügeltreffen handelt.
Es stimmt bedenklich, dass offenbar bestimmte Kreise in der SPD versuchen, ein solches Treffen für ihre fortgesetzten Machtspielchen zu missbrauchen, indem sofort wieder auf den „linken Parteiflügel“ verwiesen wird. Diese Unterstellung sagt nichts über den Basis-Ratschlag, aber sehr viel über die zweifelhafte Einstellung dieser Kreise zu demokratischen Prozessen aus, sie folgt der cäsarischen Maxime `divide et impera´(teile und herrsche). Genau diese Machtspielchen aber will die Basis nicht mehr.“
Was allerdings auch in dieser Erklärung mitschwingt, ist die gleiche Verlierer-Mentalität, welche die SPD in diese Situation gebracht hat. Wer diese „Machtspielchen“ der Nomenklatura einfach nur „nicht will“, diese aber nicht qua Beschluss ein für allemal beendet, hat in einer real existierenden Partei des Establishments der Berliner Republik nichts verloren. Die derzeit herrschende Führer-Schicht der SPD will besiegt werden. Sie will zu Boden geworfen, überrannt, zerschmettert und geschlagen werden – anders geht sie nicht. Wer das jetzt für übertrieben und ganz, ganz doll schlimm hält, der sollte mal eine Sekunde darüber nachdenken, ob sich in den letzten 11 Jahren seine eigenen Lebensumstände verbessert haben und ob dies eventuell auch mit den wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen, geistigen und gesellschaftlichen Zuständen von 82 Millionen Menschen in diesem Land zu tun hat. Wessen Lebensumstände sich verbessert haben, herzlichen Glückwunsch – und jetzt raus.
Die Neokonservativen haben derzeit Angst um ihre SPD. Das ist nur logisch, da sie die Verbesserung ihrer Lebensumstände elementar dieser Partei verdanken. Seit sogar Nahles und Gabriel nun wieder mit der Klientel zu tun haben müssen, die sie am Meisten verabscheuen – den eigenen Parteimitgliedern – ist offensichtlich geworden, wie dünn das Eis ist, auf dem die längst weltpolitisch besoffene und im Orbit befindliche Spitze der Pyramide aka „die Mitte der Gesellschaft“ wirklich steht. Nun gilt es für die „Medien“ jeden Autoritätsbeweis der Parteiführer übermotiviert zu feiern. Das neokonservative Flaggschiff der Presse über einen Werbefeldzug von Gabriel und Nahles bei der SPD Nord-Niedersachsen (5):
„Das ist dann doch ein bisschen viel Basisdemokratie für Gabriel. Zumal, als Johannes ihm bei seiner Antwort auch noch ins Wort fallen will. „Was nicht geht: Austeilen, aber nicht einstecken können“, raunzt Gabriel den Parteifreund an. „Jetzt musst Du mal einstecken. Ich bin nicht in der Abteilung Weichei zu Hause.“ Es folgt eine etwas differenziertere Betrachtung der These, dass Hartz-IV zwar nicht der Prototyp sozial gerechter Politik ist, aber immerhin doch gerechter als das alte System aus Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Danach ist Johannes still.„
Ein anderes Beispiel, von dem, was da erreicht werden soll durch die Partei-Nomenklatura (6):
„Es ist überhaupt ein gigantisches Projekt, dass sich Gabriel und Nahles mit der „Revitalisierung der SPD“ vorgenommen haben. Den Dauerstreit über die Agenda 2010 hinter sich zu lassen, ist ein schwerer, aber nur ein erster Schritt. Danach müssen beide dafür sorgen, dass die Wähler der SPD das alte Versprechen wieder abnehmen: Es besteht Gabriel zufolge darin, dass die SPD sozialen Aufstieg ermöglicht und zugleich vor Abstieg schützt.“
Also den Streit über den Willen der Partei-Führer hinter sich lassen, alles akzeptieren, die Basis, die eigentliche Partei, weiter besäuseln und am Schluss dafür sorgen, dass die Wähler wieder an Versprechen glauben die nie eingehalten werden.
In der Tat ist das der Versuch, den Sigmar Gabriel und Andrea Nahles hier starten, und nichts anderes.
Zum Schluss noch ein Auszug der Erklärung von Andrea Ypsilanti zu ihrem Rückzug aus dem derzeitigen Parteivorstand (7):
„Es ist in erster Linie eine ideelle und geistige Herausforderung für die SPD, neue Zustimmung von innen und außen erwirken zu können. Die bloße Auswechslung der jeweiligen Parteiführung ist kein Ersatz dafür, wie das sich laufend schneller drehende Personalkarussell der SPD belegt. Dass sich dennoch selbst nach dem weiteren Tiefschlag in der Bundestagswahl die Aufmerksamkeit auf den Ebenen der Parteiführung darauf fixierte, zeigt erneut in hohem Maße das analytische Defizit. So kann keine angemessene Antwort auf den elementaren Widerspruch gefunden werden, dass unsere Gesellschaft mehr denn je eine zukunftsfähige und glaubwürdig praktizierte sozialdemokratische Gestaltungskraft braucht – und diese ausgerechnet bei der SPD vermisst. Es geht um die substantielle Identität als linke Volkspartei.
Ich will deshalb künftig unabhängig von aktuellen Führungsgremien für die programmatische Neufundierung sozialdemokratischer Politik wirken. Wo gewollt und erwünscht bin ich gerne bereit, meine Erfahrungen und Erkenntnisse einzubringen. Mein Beitrag wird die Weiterentwicklung des politischen Grundansatzes für eine „Soziale Moderne“ sein, mit dem wir in Hessen 2008 den größten Wahlerfolg der SPD seit 2002 errangen und – über die Wiedergewinnung und Neumotivierung unserer Stammwähler hinaus – viele neue Wähler in der jungen Generation und aus dem progressiven Bürgertum gewinnen konnten.“
Diese Frau ist eine der wenigen Personen, vielleicht sogar die Person, welcher als SPD-Kanzlerkandidatin 2013 ein Sieg zuzutrauen ist. Sie hat inhaltlich immer Wort gehalten und wird hoffentlich nie mehr das sinnlose Versprechen abgeben, sich als Parteilinke nicht von einer überflüssigen Partei-Linken in ein Amt wählen zu lassen.
Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, ähnlich wie der Sport. Zu nichts anderem wurde sie erfunden. Wer das nicht begreift, sollte jammern wo er will, aber woanders und sich auf die Tribüne setzen und die Schnauze halten. Dies hier ist die Realität, dies hier ist unser Leben und entweder kämpfen wir darum oder wir tun es nicht.
Sieg oder Niederlage. Es gibt nichts Anderes. So müssen wir denken, denn so denkt unser Gegner. Das macht uns nicht gleich, denn wir wollen etwas Anderes, etwas Besseres, etwas Gutes. Und wir tun das auch. Wer nicht in der Lage ist, dieses Selbstbewusstsein, diesen Stolz, diesen Geist und diese Würde mitzubringen, der ist auf dem Spielfeld falsch.
Gerade wenn es das Spielfeld der Demokratie ist.
(…)
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Quellen:
(1) http://spd-von-unten.de/14thesen.pdf
(2) http://spd-von-unten.de/
(3) http://www.meinespd.net/weblogs/beitrag/4715
(4) http://spd-von-unten.de/pe_svu_091027.pdf
(5) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,658534,00.html
(6) http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Sigmar-Gabriel-Andrea-Nahles-SPD;art122,2938399
(7) http://www.andrea-ypsilanti.de/meldungen/13538/74031/Andrea-Ypsilanti-kandidiert-nicht-mehr–fuer-den-Bundesvorstand-der-SPD.html