Die Rede von Thilo Böhmer, Lokführer und Mitglied der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, auf der 246. Montagsdemo gegen „Stuttgart 21“ (S21) am 10. November. Die Rede trug den Titel „Stuttgart 21 und die Gewerkschaften GDL und EVG“
Liebe Protestierende für einen besseren Bahnhof, kennen Sie den angeblich personifizierten Schaden für die deutsche Wirtschaft? Denjenigen, der tagelang von den meisten Medien als machtbesessen, maßlos und jenseits jeder Verhältnismäßigkeit agierend diffamiert wurde? Der nach Meinung der Presse seine Machtspiele auf dem Rücken der Reisenden Deutschlands austragen ließ? Dessen Adresse und Telefonnummer die Boulevardpresse bereits auf der Titelseite veröffentlicht hatte?
Es ist Claus Weselsky, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).
Glaubt man der flächendeckenden Berichterstattung, sei er der Hauptschuldige für den derzeitigen Arbeitskampf mit der DB AG – nicht kompromissfähig, stur, uneinsichtig – das alles sind noch die harmlosesten Attribute, mit denen ihn die deutsche Medienlandschaft geschmückt hat. Die DB AG dagegen wurde als verhandlungsbereit und kompromissfähig hingestellt und war nicht müde, von der GDL zu fordern, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Während die GDL öffentlich dargestellt wurde wie ein jähzorniges Kind, hatte die DB AG plötzlich ihren Sinn für das Allgemeinwohl und die florierende deutsche Wirtschaft entdeckt.
Doch worum geht es in diesem Arbeitskampf wirklich? Was sind die Gründe für das Vorgehen der GDL und für deren nach außen hin so kompromisslosen Haltung? Um das zu verstehen, müssen wir ein wenig in die Vergangenheit blicken. Zwar hat man erst vor wenigen Jahren die GDL als eigenständige Gewerkschaft wahrgenommen, doch blickt sie mit ihrer Gründung im Jahr 1867 auf eine nahezu 150-jährige Geschichte zurück. Allerdings waren Lokführer bis zur Bahnprivatisierung vor zwanzig Jahren beamtet, und so war die GDL beim Beamtenbund angesiedelt. Streik war zu dieser Ära kein Thema.
Die GDL verhielt sich zurückhaltend bei der Privatisierung, während sich die Gewerkschaft Transnet, Vorgängerin der EVG, buchstäblich selbst vor den Karren Privatisierung spannte. Zum ersten Krach kam es allerdings erst, als die Transnet mit der DB AG einen Tarifvertrag unterzeichnete, der es der DB ermöglichte, Lokführer auf Basis von Leiharbeitnehmertum zu Stundenlöhnen um die 7,50 EUR einzustellen. Nur wenige Monate später wechselte der damalige Gewerkschaftsvorsitzende Norbert Hansen nahtlos und ohne Übergangszeit in den Vorstand der DB AG.
Ähnliche Vorgänge sind vonseiten der GDL nicht bekannt. Im Gegenteil, ein lukratives Angebot der DB wurde von Claus Weselsky abgelehnt.
Auch über weitere Jahre machte die Transnet so ziemlich alles mit, was der Bahn-Vorstand wollte, die Interessen der Beschäftigten spielten offensichtlich nur bei der GDL eine Rolle. Hervorzuheben wäre noch die Zustimmung der Transnet zu hohen Bonuszahlungen an Manager, die den Börsengang der DB schaffen würden. Auch vor wenigen Wochen war die Bahnnähe der EVG hier in Stuttgart erkennbar: Als Verkehrsminister Hermann die Modalitäten zur Ausschreibung des Nahverkehrsnetzes an die Betreiber für die nächsten Jahre bekanntgab, organisierte sie eine Demonstration von Mitarbeitern der DB Regio. Der Minister wurde bezichtigt, Sozialabbau zu fördern, da der Wettbewerb auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werde.Besonders laut stimmte dann die Landes-CDU in den Chor der Kritiker ein. Als Solistin war Frau Nicole Razavi zu hören, die das Verhalten des Ministers besonders öffentlichkeitswirksam geißelte.
Doch wäre das mit einem Ministerium unter Tanja Gönner wirklich anders gewesen? Bei den Schlichtungsgesprächen mit Heiner Geißler war sie als verantwortliche Ministerin auf die gegenüber anderen Bundesländern deutlich höheren Preise für die Nahverkehrsleistungen der DB Regio angesprochen worden (die ARD und der SWR hatten im Juni berichtet). Sie reagierte mit dem Hinweis, bei der nächsten Ausschreibung könne das der Wettbewerb regeln.
Die Folge: In harten Arbeitskämpfen erstritt sich die GDL für ihre Beschäftigten das Vertretungsrecht für die Lokführersparte und musste von der DB AG, die dieses Vorgehen auch gerichtlich zu unterbinden versucht hatte, als Verhandlungspartner für die Lokführer anerkannt werden. Der jetzige Arbeitskampf setzt den Kampf um das Vertretungsrecht für weitere Beschäftigte im Verkehrssektor fort. Es geht um die Zugbegleiter, Rangierlokführer und Bordgastronomen, die ebenfalls wie die Lokführer einen klassischen Bahnbetriebsdienst leisten.
Häufig wird dem entgegengehalten, die GDL sei eine kleine Gewerkschaft. Betrachtet man allerdings das Fahrpersonal für sich, so sind von den rund 37.000 Beschäftigten 19.000 in der GDL und nur
8.000 in der EVG. Damit sind in der GDL mehr als die Hälfte der Beschäftigten Zugdienst organisiert.
Die GDL hat sich in der Vergangenheit als Organisation gezeigt, die für ihre Mitglieder eingetreten ist. Während die EVG als extrem bahnfreundlich gilt, zeigt sich die GDL unbeugsam und unabhängig. Als es im März 2013 im Aufsichtsrat der Bahn zur Abstimmung über die Weiterführung von Stuttgart 21 gekommen war, stimmte der GDL-Vertreter als einziger dagegen. Zwei weitere Aufsichtsräte hatten sich durch Krankheit der Abstimmung entzogen. Nach inzwischen bekannt gewordenen Unterlagen waren extrem skeptische Aufsichtsräte zuvor von der Politik auf Linie gebracht worden. Und zur Belohnung wechselt ein Kanzleramtsminister demnächst in den Vorstand der DB
AG zu einem Gehalt, für das man im Bereich Mainz und in anderen von Personalmangel geplagten Stellwerken wie Schwandorf 40 Fahrdienstleiter hätte einstellen können.
Eine GDL, die immer mehr Mitglieder gewinnt und dann auch noch für deren Interessen einsteht, muss für die Gegenseite ein dickes rotes Tuch sein. Interessant ist hierbei, dass nicht nur die Bahn als Kontrahent auszumachen ist, sondern dass sich auch Medien und die sonst immer so auf Tarifautonomie bedachten Politiker deutlich auf die Seit der DB gestellt haben. Verkehrsminister Dobrindt ermunterte die Bahn zur Klage gegen die Streikenden – die DB verlor in beiden Instanzen.
In den letzten Tagen sind Rufe nach der Einschränkung des Streikrechtes für bestimmte Berufsgruppen lauter geworden – nur weil eine Gewerkschaft dieses nach den gesetzlichen Regelungen in An-
spruch nimmt. Dabei hat man das Streikrecht für Lokführer durch Abschaffen des Beamtentums erst vor wenigen Jahren selbst eingeführt. Jetzt wird man der Folgen des eigenen Handelns gewahr und muss damit leben.
Und was hat die GDL mit den hier Protestierenden gemeinsam, die sich für einen besseren und billigeren Bahnhof einsetzen? Der Vertreter der GDL hat sich bei der Abstimmung im Aufsichtsrat, ob Stuttgart 21 fortgeführt werden soll, nicht auf Linien bringen lassen. Er stimmte als einziger dagegen. Er argumentiert, dass das zusätzlich zu genehmigende Geld in Form notwendiger Sparmaßnahmen wieder die Beschäftigten treffen muss.
Was die Verführungen der Gewerkschaftsspitze mit hochdotierten Posten betrifft, ist man bei der GDL standhaft geblieben und verfolgt eine klare, manchmal auch harte Linie. Bleiben auch Sie standhaft und oben.