Tagebucheintrag von THE VISITOR. Der Basis Filmverleih bringt den Nonfiction Film im Februar 2015 in die Kinos.
Durch einen Zufall lernen wir Dave kennen. Wer Englisch kann, wer studiert, wer Geschäfte macht gibt sich einen englischen Namen. Dave, Christina, Chris, Karen. Eine Selbsttaufe in die internationale Welt. Dave hat Business gemacht. Er hat viel Geld verdient. Sehr schnell, sehr jung und natürlich international, mit irgendwelchen Belgiern. Er hatte irgendwann keine Freunde mehr oder vielleicht nie wirklich welche gehabt. Alles ging nur um Geld. Jetzt mag er kein Business mehr machen. Dave ist Ende 20. Wir begleiten Dave ein wenig, einfach so, wir filmen ihn nicht, wir begleiten ihn wie er versucht, ein anderes Leben zu leben. Es scheint, er möchte vor allem eins: Freunde. Und damit er Freunde haben kann, muss er die Welt in der er lebt verändern. Die Welt in der er lebt züchtet keine Freunde, sondern verwöhnte, erfolgsgepeitschte Einzelkinder auf ihrer Insel in einer Masse von Menschen, ohne Zugang oder Sehnsucht nach den anderen. Eine Milliarde Königskinder, die nicht selbst putzen können. Das empört ihn. Dave wohnt in einem Haus mit Garten, so ein Haus in Shanghai kostet ein Vermögen. Jetzt möchte er dieses Vermögen der Gemeinschaft zur Verfügung stellen.
In einer Ecke steht eine junge Frau. Sie hat einen Besen in der Hand, hält ihn ungelenk, streicht damit knapp über dem Boden, als hätte sie Angst ihn zu berühren. Dave spricht über sie wie über ein ungelehriges Tier. Er deutet auf sie, redet, sie kichert und kehrt. Dieses Mädchen, er deutet auf die Freundin, sei ein typisches chinesischen Einzelkind. Absolut unselbstständig. Deshalb gibt er ihr einen Putz Kurs. Sie sei auf einer Modeschule. Es sei eine sehr elitäre Schule. Sie müssten sehr viel arbeiten. Vor allem aber würden die Mädchen darauf hoffen, dass ein Redakteur vorbeikommt von einem Magazin oder ein Produzent von einem Film und sie zum Essen ausführt. Es sei eine sehr bekannte Schule, die Chancen, dass so jemand vorbeikommt seien gross. Das sei kein Arbeits-sondern ein Heiratsmarkt. Dave glaubt, daran dass die Menschen voneinander lernen müssen und zwar umsonst, ohne Geld, Geld, Geld. Er möchte sich mit anderen austauschen, ohne an Handel zu denken. Jeder soll das teilen was er kann. Dafür wird es in Daves Haus kostenlose Kurse geben. Er möchte, dass die Menschen ihr Leben wieder lernen zu teilen.
Heute abend werden Flusskrebse gekocht, eine Spezialität von Shanghai. Ob wir nicht auch kommen wollen, Flusskrebse essen. Es werden auch andere aus dem Westen da sein. Wir schaffen es erst am nächsten Tag. Überall liegen Bierflaschen. Auf dem Sofa fläzt der Mensch aus dem Westen, mit dreckigen nackten Füssen. Der Fernseher schreit. Dave hat sich bei Couchsurfing angemeldet und lässt Reisende umsonst bei sich übernachten. Er sucht den Kontakt zum Westen. Die haben mehr Erfahrung mit dem alternativen Leben, die brauchen kein Visum für den Rest der Welt, die können auf alle Seiten des Netzes. Dave hat keine Vorbilder, er braucht Austausch. Der westliche Mensch rührt sich und will Kaffee. In China gibt es nur Nescafé, sagt Dave. Ich bin sehr berührt von Daves Suche nach einem anderen Leben. Die Atmospähre im Haus hat aber etwas hilfloses, aufeinander geworfene Fremde, Wirt und Parasit. Dazu sein kläffender Hund, der versucht, mein Bein zu begatten. Niemand im Haus scheint so recht zu wissen, wohin mit seinen Bedürfnissen. Dave sagt, dass China seine Kultur verloren habe. Es gab keine Kulturrevolution, sondern nur eine Rodung. Wer etwas über die chinesische Kultur lernen will, müsse Computerspiele spielen. In Computerspielen zeigen sie das alte China. Die alten Chinesen, das waren Reiter und Jäger. Vielleicht sollte er in die Wälder gehen, sagt Dave. Und jagen. Er sagt das ohne Lachen, mit grossem Ernst. Die Regierung vermittle die falschen Werte.
Er redet oft von der Regierung und nicht sehr gut. Ich frage ihn, ob das nicht gefährlich ist für ihn. Nein, sagt er, überhaupt nicht. Die Regierung habe sich in ihrer Verfolgungsstrategie verändert. Es interessiere niemand was er sagt. Solange er sich nicht organisiert. Solange er alleine vor sich hindenkt, interessiert das niemand.
Ich treffe Dave nochmal in einer kleinen Behausung, in seiner Zweitwohnung. Sie besteht aus zwei dunklen Zimmern im Erdgeschoss, wovon das eine ein Käfig ist. Im Käfig sind riesige Hunde. Es brennt kein Licht, nur die Augen der Hunde leuchten, ihre Zähne und der Bildschirm. Dave, tief eingefallen in einem Sesel, sitzt vor dem Computer und spielt, es ist spät, er spielt schon lang, er spielt schon sehr lang, er sieht mich an, seine Augen brennen rot wie die der Hunde. Er sagt: überall auf der Welt spielt man Computerspiele, oder? Er findet das traurig. Dass sich diese unsere Welt so angleicht. Es mache doch keinen Sinn mehr auf der Welt zu sein, wenn es nichts anderes mehr zu entdecken gibt. Am nächsten Tag will er sich eine alte Fabrik ansehen, er überlegt einen Club zu eröffnen. Er hat Angst, dass dann wieder jede menschliche Beziehung mit Geld verknüpft ist. Aber er hat kaum mehr welches. Er muss sich seine geldfreien Beziehungen auch leisten können. Ich frage ihn was ihn jetzt mit seinen neuen Freunden verbindet. Er sagt: I hope they like me for what I am.