Wurden Bundeswehrsoldaten zum Verrat von Dienstgeheimnissen aufgefordert?

Pressemitteilung der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) vom 26. Januar 2015

Verwaltungsgericht Koblenz verhandelt am 29.01.2015 über Flugblatt eines Atomwaffengegners

Darf eine Behörde die Verteilung von Flugblättern verbieten, mit denen Bundeswehrsoldaten dazu aufgefordert werden, die Öffentlichkeit umfassend über den aktuellen Stand der geplanten Atomwaffenmodernisierung zu informieren? Das ist die Kernfrage, über die das Verwaltungsgericht Koblenz am kommenden Donnerstag entscheiden muss.

Hintergrund ist ein Flugblatt des Heidelberger Atomwaffengegners Hermann Theisen, das sich gegen die geplante Modernisierung der im rheinland-pfälzischen Büchel gelagerten Atomwaffen richtet. Das Flugblatt wurde im Juli des vergangenen Jahres während einer Kundgebung vor dem Atomwaffenlager im rheinland-pfälzischen Büchel an Bundeswehrsoldaten verteilt, was von der Kreisverwaltung Cochem-Zell zuvor mit folgender Begründung verboten wurde: „Durch seinen Aufruf hat der Kläger Amtsträger zu einer rechtswidrigen Tat aufgefordert. Er richtet sich an alle Bundeswehrsoldaten die Öffentlichkeit über Dienstgeheimnisse zu informieren, worin eine Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353b StGB zu sehen ist.“

Theisen erhob hiergegen Klage vor dem Verwaltungsgericht Koblenz, da er sich in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verletzt sieht. Zudem vertritt er die Auffassung, dass die Zivilgesellschaft ein Recht darauf habe, umfassend über die Hintergründe der geplanten Atomwaffenmodernisierung informiert zu werden. Nach seiner Ansicht verstößt die nukleare Teilhabe der Bundeswehr gegen den Nichtverbreitungsvertrag, das Völkerrecht und das Grundgesetz. Bei den vermeintlichen Dienstgeheimnissen handele es sich somit um illegale Geheimnisse, die nicht schutzbedürftig seien, so Theisen.

In vergleichbaren Fällen hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt eine Interessensabwägung zwischen dem Recht zur Rüge von Missständen im öffentlichen Leben und der hierdurch erzwungenen Preisgabe von Staats- und Amtsgeheimnissen gefordert:

„Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewusstsein des Staatsbürgers, der Missstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Ordnung (BVerfGE 12, 113)“,

so das Bundesverfassungsgericht. Der Atomwaffengegner verweist in seiner Klagebegründung auf Beschlüsse des Deutschen Bundestages und des rheinland-pfälzischen Landtages, die den Abzug der Atomwaffen aus Büchel fordern, was in Meinungsumfragen immer wieder auch von einer großen Mehrheit aller Deutschen gefordert worden ist.

Die Debatte um die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland und die nukleare Teilhabe der Bundeswehr hat durch die Neujustierung der Weltuntergangsuhr eine bedrohliche Aktualität erhalten, denn die Wissenschaftler begründen dies explizit damit, dass die geplante Atomwaffenmodernisierung ein neues atomares Wettrüsten zur Folge habe.

„Deshalb muss die Bundeswehr endlich damit aufhören, sich reflexhaft in beharrliches Schweigen zu hüllen, wenn es um das Thema Atomwaffen sowie deren Modernisierung geht“, so Theisen. Nach seiner Auffassung sind nicht atomwaffenkritische Flugblätter strafbar, „sondern die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland und die Bereitschaft der Bundeswehr diese Waffen im sogenannten Ernstfall auf völkerrechts- und grundgesetzwidrige Weise einzusetzen.“

Das Flugblatt wurde von Theisen trotz des Verbots mehrfach verteilt, worauf die Staatsanwaltschaft Koblenz eine Beschlagnahme vornehmen ließ und inzwischen Anklage vor dem Amtsgericht Cochem erhoben hat. Somit wird sich in Kürze auch dieses Gericht mit der Frage der vermeintlichen Aufforderung von Bundeswehrsoldaten zum Verrat von Dienstgeheimnissen beschäftigen müssen.

Roland Blach (Koordinator der Kampagne „atomwaffenfrei jetzt“ und Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Baden-Württemberg) erklärt zu dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Koblenz:

„155 Staaten haben in einer UN-Erklärung den Einsatz von Atomwaffen „unter allen Umständen“ geächtet und sprechen sich prinzipiell für einen umfassenden völkerrechtlichen Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen aus. Die Bundesregierung sollte sich 70 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki endlich auch klar dazu bekennen und einem drohenden Wettrüsten eine klare Absage erteilen. Den Druck der Zivilgesellschaft für ein Verbot werden wir in den kommenden Monaten intensivieren“.

Die Verhandlung gegen Hermann Theisen findet am Donnerstag, 29.01.2015 (9:00 Uhr, Deinhardpassage 1, 56068 Koblenz, Sitzungssaal A021) am Verwaltungsgericht Koblenz statt.

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