Eine weitere Verschärfung der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) der Regierung in 2005 verfügte die „Überwachung“ von Netzknoten auf deutschem Territorium, auch „vom und in das Ausland geführten Telekommunikationsverkehr“.
Wie Radio bereits berichtete, verfügte die Regierung bereits am 18. Mai 1995 in der Fernmeldeverkehrüberwachungsverordnung (FÜV), dass “jeder, der eine Fernmeldeanlage, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt ist, betreibt..die Überwachung und Aufzeichnung des gesamten Fernmeldeverkehrs” durch den Staat zu ermöglichen hat – durch in den eigenen Anlagen eingebaute “technische Schnittstellen”. Das betraf in 1995 primär die gerade entstaatlichte bzw kommerzialisierte Deutsche Bundespost (heute: Deutsche Telekom AG) als damals einzigen Versorger (“Provider”) von Telefon und Frühform von Internet.
Die der FÜV nachfolgende Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV), in erster Version am 25. Oktober 2001 durch die Regierung verfügt, wurde ab 2002 zwecks einer „Strategischen Überwachung der Telekommunikation“ durch Bundesnachrichtendienst bwz Regierungsbehörden erweitert.
„Überwachung“ von Telekommunikation ist diesbezüglich als Kopieren, mithin als Spionage zu verstehen.
Wie nun die Forschungsgruppe Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht im Juli 2006 in einem Gutachten (hier gespiegelt) für den „Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten“ (V.A.T.M.) feststellt, verfügte die im November 2005 erneut verschärfte Regierungsverordnung TKÜV nun ausdrücklich auch die „Überwachung“ der Netzknoten vom Internet, auch genannt „Auslandsknoten“ oder „Auslandsköpfe“:
„Nach § 4 TKÜV-alt war die Überwachung von Telekommunikation für den Fall, dass sich der überwachte Anschluss („das von der zu überwachenden Person genutzte Endgerät“) im Ausland befindet, mit Ausnahme von Fällen des Roamings ausdrücklich ausgeschlossen („ist nicht zu erfassen“). Nach der Änderung von 2005 sieht § 4 Abs 2 TKÜV-neu nunmehr genau das Gegenteil vor: „Die Telekommunikation ist […] in den Fällen zu erfassen, in denen sie von einem berechtigten Stellen nicht bekannten Telefonanschluss herrührt und für eine in der Anordnung angegebene ausländische Rufnummer bestimmt ist“. Das bedeutet konkret, dass die Übergabepunkte (Auslandsköpfe) künftig überwachungstauglich sein und damit eine technische Eigenschaft aufweisen müssen, die sie bis dahin gerade nicht haben durften. „
Im Verfahren VG 27 A 3.07 verwies das Verwaltungsgericht Berlin am 2. Juli 2008 die Klage der „Tochtergesellschaft“ eines Telekommunikations-Konsortiums mit Sitz im Vereinigten Königreich an das Bundesverfassungsgericht. Das Telekommunikationsunternehmen mit zwei Auslandsköpfen / Netzknoten in Deutschland und einem eigenen
„Transportnetz, das durch ganz Europa führt und weltweit 80 Länder berührt“,
bot Kunden in Deutschland keine „Verkehrsführung vom Inland in das Inland an“ und verfügte hierzulande auch nicht über „Endkunden-Anschlüsse“. Dennoch war der Ableger des britischen Konsortiums in Deutschland von der Regierung durch die neue, verschärfte TKÜV ab dem
„9. November 2005 verpflichtet, die von ihr betriebenen Auslandsköpfe mit entsprechender Überwachungstechnik auszurüsten. Die Umsetzung dieser Verpflichtung der Klägerin zur Auslandskopfüberwachung wurde allerdings zunächst durch Vereinbarung zwischen dieser und der Bundesnetzagentur bis zum 31. Dezember 2007 ausgesetzt, da der Ausrüster der Klägerin nicht in der Lage war, die erforderlichen technischen Lösungen zu liefern. Als Übergangslösung wurde vereinbart, dass die Klägerin die von ihr gewonnenen Verbindungsdaten der über die Auslandsköpfe abgewickelten Telekommunikation an die berechtigten deutschen Stellen tagesaktuell übermittelt.“
Die Klägerin, so das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Verweis an die Karlsruher Verfassungsrichter, beantrage
„festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, auf ihre Kosten an den Auslandsköpfen der von ihr betriebenen Telekommunikationsanlagen Vorrichtungen zur Überwachung der Telekommunikation ins Ausland einzurichten und zu unterhalten.“
Am 13. Mai 2009 erklärte das Bundesverfassungsgericht in Beschluss 1 BvL 7/08 die Klage für unzulässig.
Aus der Begründung der Verfassungsrichter:
„2. Gegenstand der auf Grundlage von § 110 Abs. 2 TKG ergangenen Telekommunikations-Überwachungsverordnung sind auch die von Telekommunikationsunternehmen in Deutschland betriebenen Vermittlungseinrichtungen für Datentransporte und Telekommunikation im internationalen Verkehr (sogenannte „Auslandsköpfe“). Hierbei handelt es sich um inländische Fernmeldenetzknoten, die jeweils mit einem ausländischen Netzknoten zusammengeschaltet sind, auf diese Weise das deutsche Telekommunikationsnetz punktuell mit einem benachbarten ausländischen Telekommunikationsnetz verbinden und den vom und in das Ausland geführten Telekommunikationsverkehr bündeln (vgl. BTDrucks 15/5199, S. 1 f.; Tiedemann, CR 2005, S. 858; Bock, in: Beck’scher TKG-Kommentar, 3. Aufl., § 110 Rn. 89).
Eine Telekommunikationsüberwachung, die Verbindungen von unbekannten Anschlüssen im Inland zu einem bestimmten Anschluss im Ausland erfassen soll, setzt an solchen Knotenpunkten an (Auslandskopfüberwachung; vgl. BRDrucks 631/05, S. 26; BTDrucks 15/5199, S. 3; Bock a.a.O.).
In den Anwendungsbereich von § 110 TKG fallen auch Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung einer derartigen Auslandskopfüberwachung. Nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 TKÜV zählen zum Kreis der nach § 110 TKG Verpflichteten die Betreiber eines Netzknotens, welcher der Vermittlung eines öffentlich zugänglichen Telefondienstes ins Ausland dient. In sachlicher Hinsicht nimmt § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 TKÜV von der erfassten Telekommunikation zwar solche aus, bei der sich das Endgerät im Ausland befindet. Nach der Unterausnahme in § 4 Abs. 2 Satz 1 TKÜV ist die Telekommunikation gleichwohl in solchen Fällen zu erfassen, in denen sie von einem den berechtigten Stellen nicht bekannten Anschluss herrührt und für eine ausländische Rufnummer bestimmt ist. Dies betrifft Sachverhalte, in denen Ermittlungsbehörden mangels Kenntnis der Anschlusskennung mit Überwachungsmaßnahmen nicht an einem bestimmten inländischen Telekommunikationsanschluss ansetzen können, die Kommunikation aber aufgrund der Kenntnis von einem bestimmten Zielanschluss im Ausland mittels einer Auslandskopfüberwachung erfasst werden kann (vgl. BTDrucks 15/5199, S. 2; Tiedemann, CR 2005, 858 <859>). „
Das Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht vom Juli 2006 (hier gespiegelt) führte die ganze Liste von Beratungen in Bundestag und Bundesrat an, die der Verfügung der neuen TKÜV und der im Zuge dessen erfolgten Änderungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vorangegangen waren und nachfolgten. Sie hatten bereits unter der „rot-grünen“ Regierung Gerhard Schröder (S.P.D.) / Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) begonnen.
„Anhang 1: Chronologie zur Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV)
– 22.01.2002: TKÜV tritt in Kraft
Inhalt: Telekommunikation mit dem Ausland ist nicht zu erfassen (§ 3 a.F. TKÜV; ab dem 24.08.2002 war dies in § 4 TKÜV geregelt)
– 30.04.2003: Referentenentwurf
Inhalt: § 4 TKÜV wird aufgehoben und damit die Auslandskopfüberwachung implizit ermöglicht
– 06.07.2004/ 03.09.2004: weitere Referentenentwürfe unterschiedlichen Inhalts
– 13.12.2004: Regierungsentwurf
Inhalt: § 4 TKÜV regelt Auslandskopfüberwachung explizit
– Januar 2005: Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission
– 12.08.2005 (nach Notifizierung): nochmalige Änderung der §§ 3, 4 TKÜV, BR-Drs. 631/05
– 03.11.2005 TKÜV-neu ausgefertigt (mit den nicht notifizierten Änderungen vom 12.8.)
– 08.11.2005 TKÜV-neu wird verkündet (BGBl. I., S. 3136)
– 09.11.2005 TKÜV-neu tritt in KraftAnhang 2: Chronologie zum Telekommunikationsgesetz (TKG)
– 25.06.2004: TKG verkündet
– 02.02.2005: Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften (Kabinettsentwurf), BT-Drs. 15/5213:
Inhalt: Entschädigungsregelung § 23 Abs. 5 JVEG (Übergangsregelung, bis die geplante Verordnung nach § 110 Abs. 9 TKG in Kraft tritt)
– 18.03.2005: Stellungnahme und Änderungsvorschläge des Bundesrates zu diesem Entwurf
– 07.04.2005: Gegenäußerung der Bundesregierung
– 15.04.2005: Entwurf wird in Ausschüsse überwiesen
– 19.04.2005: Änderungsantrag SPD/Grüne, BT-Drs. 15(9)1867:
Inhalt: Kostenregelung in einem § 113 a TKG und damit einhergehend Änderung von §23 Abs. 5 JVEG (bezogen auf § 113 a TKG)
– 12.05.2005: öffentliche Anhörung zum Entwurf
– 17.06.2005: Entwurf wird im Bundestag angenommen, BT-Drs. 15/5694:
Inhalt: ohne den vorgeschlagenen Kostenparagraphen § 113 a TKG
– 08.07.2005: Bundesrat beschließt Anrufung des Vermittlungsausschusses
– 05.09.2005: Vermittlungsausschuss vertagt Beratungen
Anmerkung: Damit ist der Gesetzentwurf gescheitert und muss in der neuen Legislaturperiode erneut eingebracht werden (Grundsatz der Diskontinuität, seit 18.09.2005 neuer Bundestag)
– 31.01.2006: Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften“
Inhalt: entspricht vollinhaltlich dem Entwurf vom 02.02.2005
– 06.03.2006: Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zu diesem neuen Entwurf
Inhalt: Mahnung die Entschädigungsregelungen ins Gesetzgebungsverfahren einzubringen
– 17.05.2006: Neuerlicher Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein „Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften“
Inhalt: Novellierung des Kundenschutzes durch Integration der bislang in der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV) enthaltenen Regelungen in das TKG; keine neuen Vorschläge zur Kostenregelung bei der TKÜ“
Diesen Mittwoch nun berichtete Radio Utopie von einer Kleinen Anfrage der Fraktion „Die Linke“ an die Bundesregierung im April 2012. Diese beinhaltete unter Punkt 16 ausdrücklich die Frage nach der „Überwachung von Telekommunikation..über den Frankfurter Netzknoten DE-CIX“ durch den Bundesnachrichtendienst.
Stellvertretend für die Regierung antwortete Kanzleramtsleiter Ronald Pofalla am 11. Mai 2012 den Abgeordneten über das, was diese bereits damals wissen mussten. Pofalla wörtlich:
„Gleichwohl wird die Bundesregierung nach gründlicher Abwägung dem Informationsrecht des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen nachkommen. Die Informationen werden als „Geheim“ eingestuft und dem Deutschen Bundestag zur Einsichtnahme übermittelt.“
Nach unserem Artikel sprach Fritz Mielert, langjähriger Aktivist in der Bürgerbewegung gegen Programm „Stuttgart 21“, via Twitter das Mitglied im Geheimdienste-Untersuchungsausschuss Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) auf den Inhalt unseres Artikels an (wir berichteten).
Der Rechtsanwalt Dr. Konstantin von Notz dazu:
„Ziemlich verquirlter Irrsinn.“
Es melde sich jetzt jeder weitere Ignorant, Contra, oder leidenswillige abendländische Christ, der allen Ernstes behauptet, alle Regierungsmitglieder, alle Abgeordneten und alle Vertreter der Landesregierungen hätten seit fast zehn Jahren von all dem nichts gewusst.
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