Anti-Terrorismus-Gesetz: Liberale zerstören ihre Partei-Mitgliedskarten
Die Liberale Partei Kanadas kippte in letzter Sekunde von ihrer Oppositionseinstellung um und stimmte für die Einführung des Patriot Act Bill C-51. Die Wut und Enttäuschung in den eigenen Reihen der Mitglieder auf ihre Parteiführung unter Justin Trudeau ist grenzenlos.
Die Liberale Partei Kanadas ist die älteste Partei, die seit der Kanadischen Konföderation im Jahr 1867 als einzige in ihrer ursprünglichen Form bis heute existiert. Sie gilt als die Partei der Menschenrechte, seit unter Premierminister Pierre Trudeau die Verfassung von Kanada festgeschrieben wurde und die Kanadische Charta der Rechte und Freiheiten in Kraft trat.
Kanada galt bis vor kurzer Zeit noch als eines der wenigen Länder, in dem die Menschenrechte hoch geachtet werden und war ein beliebtes Auswanderungsziel mit hoher Lebensqualität auch für Deutsche. Selbst U.S.-Soldaten, die den Dienst verweigerten, fanden Recht auf Asyl.
Unter der Amtszeit von Stephen Harper und der Konservativen Partei hat sich alles geändert. Seine Regierung als Hure Washingtons hat Kanada in einen Polizeistaat verwandelt und treibt die kanadische Armee in neue, uferlose Kriegsabenteuer.
Nun hat sich am 6.Mai 2015 im House of Commons freiwillig und ohne Grund die Führung der Liberalen Partei ins gesellschaftliche Aus geschossen.
In der dritten Lesung zum Anti-Terrorismus-Gesetz Bill C-51 , dem kanadischen Patriot Act, stimmten Parlamentsabgeordnete der Liberalen auf Druck ihres Parteivorsitzenden Justin Trudeau, dem Sohn von Pierre Trudeau zu (Abstimmergebnis: 183 zu 96). Der Gesetzentwurf wurde im Januar 2015 eingereicht, nachdem angeblich im Oktober 2014 ein Anschlagsversuch verhindert wurde.
Die Zeit vor der Abstimmung, die Anhörungen und Debatte dazu, wurde mit Auftritten von achtundvierzig „Zeugen und Opfern“ vergangener oder verhinderter Attentate verplempert, die auf das Konto von Geheimdienstoperationen zurückzuführen sind und „islamischen oder anderen Terroristen“ zugeschrieben wurden. Die ewige Leier der Attentate auf das World Trade Center in New York, das Wirtschaftszentrum in Mumbai in Indien, das Einkaufzentrum in Kenia wurden auf demagogische Weise als Beweise für die Notwendigkeit angeführt.
Bis zu dieser dritten Lesung hatten die Liberalen gegen den Gesetzentwurf so wie die Grünen und andere Oppositionsparteien erbitterten Widerstand geleistet. Justin Trudeau hat in einer Nacht das Lebenswerk seines Vaters zerstört.
Mit den Stimmen der Konservativen wäre der Gesetzentwurf angenommen worden, denn sie bilden die Mehrheit im Parlament. Die zusätzliche Befürwortung durch die Liberale Partei ist für die Bevölkerung der grösste Verrat an der Zivilgesellschaft, ihre Stimmen wurden dafür nicht benötigt.
Mit Inkrafttreten dieses Anti-Terrorgesetzes, das seinem Zwilling in den Vereinigten Staaten in nichts nachsteht, wird es zu präventiven Festnahmen und Inhaftierungen vorrangig von Oppositionellen und Dissidenten kommen. Zum Beispiel könnte die Polizei Aktivisten verhaften, von denen sie vermuten, dass sie eine Blockade oder ähnliche Akte des zivilen Ungehorsams durchführen könnten. Polizei und Geheimdienste erhalten ohne parlamentarische Kontrolle Zugriff auf das Leben der nationalen und internationalen Bürger, Regierungen, Organisationen und Firmen durch Ausspionieren ihrer Daten. Die Daten werden mit den Geheimdienstapparaten in den Vereinigten Staaten und anderen verbündeten Ländern ausgetauscht.
Es gibt mit dem Gesetz keine Chance, Verfehlungen von Geheimdienstmitarbeitern gerichtlich zu ahnden. Ein einziger geheimer Richter soll im Geheimen über solche Vorfälle richten. „Niemals wurde ein solcher Verfassungsbruch je von einer anderen Demokratie in Erwägung gezogen. Kein Land würde es erlauben“, sagte Elizabeth May, Vorsitzende der Grünen, zu dem geplanten Einsatz dieses Alibi-Richters.
Anders als in Deutschland bei Einführung derartig gelagerter Gesetzesänderungen gab es eine Massenbewegung gegen die Einführung des Bill C-51. Machtvolle Demonstrationen auf den Strassen und Plätzen in allen Provinzen wurden seit Anfang des Jahres organisiert. Im Internet wurde der erbitterte Widerstand mobilisiert. Die First Nation, Bürgerrechtsgruppen, Verfassungsrechtler, Juristen, Intellektuelle und Künstler traten unübersehbar mit breit angelegten Aktionen in Erscheinung. So gut wie der gesamte Staat hat rebelliert. Selbst das Verfassungsgericht hatte im Vorfeld die geplante Einführung des „Patriot Acts“ als verfassungswidrig eingestuft.
Der Protest geht unvermindert weiter, denn noch ist der vom Parlament gebilligte Entwurf nicht rechtskräftig und wurde dem Senat vorgelegt. Dieser setzt sich jedoch so gut wie nur aus Konservativen und Liberalen zusammen.
Die Mitglieder der Liberalen Partei Kanadas schäumen vor Wut. Sie beenden ihre Unterstützung für die Parteiführung, die mit entrüsteten Kommentaren, Briefen, Emails und Parteiaustritten überflutet wird. Fotos werden im Internet hochgeladen mit zerschnittenen und angezündeten Plasik-Mitgliedskarten.
Für Kanada wird eines der düstersten Kapitel in der Geschichte hereinbrechen. Die Konservativen, die sich um Stephen Harper scharen, werden sich nicht lange an ihrem Sieg mit der Zerstörung demokratischer Strukturen erfreuen können. Die Gesellschaft in Kanada ist nicht wie in Deutschland in althergebrachter Weise obrigkeitshörig und in alten Gewohnheiten erstarrt. Sie hat jahrzehntelang in fruchtbarem Austausch mit ihren aus verschiedenen Kulturen stammenden Mitbürgern gelebt und definiert den Begriff Freiheit tiefer und universaler als hierzulande. Vor allem der Versuch, rassistische Vorurteile zu säen, hat keine Aussicht auf Erfolg abgesehen von überall vorkommenden Idioten, die sich immer instrumentalisieren lassen und die sich profilieren wollen.
In der Bundesrepublik Deutschland ist der Widerstand der Mitglieder und Kreisverbände aller Parteien gegen ihre Parteiführungen nach anfänglichem Aufmucken in ähnlich gelagerten Fällen von Verrat gegen unsere Verfassung, das Grundgesetz, längst verblasst und dem gefügigen Parteilinien-Trott gewichen.
Nennen Sie ein gegenteiliges relevantes Beispiel und stellen Sie zur gefälligen Weiterverbreitung für die Öffentlichkeit den Link dazu unseren Grundwerten entsprechend in den Postkasten der Nachrichtenagentur. Nationalsozialistisch angehauchtes Gedankengut und Förderung des Grosskapitals verbieten sich hierbei von selbst.
Fotos: Screenshots von ThinkPol
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Quellen:
http://rabble.ca/blogs/bloggers/karl-nerenberg/2015/05/anti-terror-bill-c-51-passes-house-amid-angry-and-personal-exc
http://thinkpol.ca/2015/05/09/supporters-publicly-abandoning-liberal-party-over-trudeaus-support-for-bill-c-51/