Die heutige erste Regierungserklärung der frischgebackenen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer war so übel, wie das angesichts ihrer präministeriellen Aussprüche zu erwarten war. Es war zuallererst eine an die Soldatinnen und Soldaten gerichtete Regierungserklärung, mit der sie sich wohl bewusst deutlich von ihrer Vorgängerin absetzen wollte. Von der Leyen hatte nämlich den geballten Zorn der Truppe auf sich gezogen, nachdem sie ihr im Zusammenhang mit zahlreichen rechten Vorkommnissen völlig zu Recht ein „Haltungsproblem“ attestierte. „Kramp-Karrenbauers Regierungserklärung an die Bundeswehr“ weiterlesen
Iron Sky und die Militarisierung des Weltalls
Lange achteten die Staaten tunlichst darauf, nicht offen einer Militarisierung des Weltraums das Wort zu reden, sie aber selbstredend dennoch zu betreiben. Nun sind die Masken aber wohl endgültig gefallen: „Der Kampf um die militärische Dominanz des Weltraums ist entbrannt“, erklärt Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH).
Erst gingen die USA in die Offensive und nun ziehen die NATO, Frankreich – und womöglich sogar Deutschland – im Weltraum in den Krieg, indem sie ihn auch offiziell zu einem potenziellen Schlachtfeld erklären und dementsprechende Kommandos aufstellen wollen. Gleichzeitig torpediert der Westen seit Jahren Versuche durch China und Russland, einen Vertrag gegen Rüstungsspiralen im Weltall ins Leben zu rufen, nur um im selben Atemzug ausgerechnet diesen beiden Ländern die Schuld daran zu geben, dass man sich um die Aufrüstung des Alls bemühen müsse. „Iron Sky und die Militarisierung des Weltalls“ weiterlesen
Europäischer Türöffner
Die Neuauflage der Rüstungsexportrichtlinien
In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich CDU/CSU und SPD darauf verständigt, die aus dem Jahr 2000 stammenden „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ bis Ende 2018 zu aktualisieren. Auf den ersten Blick suggerierte die betreffende Passage, es gehe darum, die Richtlinien restriktiver zu gestalten. Näher betrachtet war darin aber – augenscheinlich bewusst – lediglich die Rede davon, man beabsichtige die Ausfuhrbestimmungen zu „schärfen“. Tunlichst wurde es vermieden, von einer „Verschärfung“ zu sprechen, wodurch der Rücken für Veränderungen in alle denkbaren Richtungen frei blieb [1]. „Europäischer Türöffner“ weiterlesen
Geld für Panzer statt für Kitas
Haushalt für 2020: Bundesregierung steigert Militärausgaben
Anfang der Woche veröffentlichte die NATO ihre neuesten Zahlen über die Rüstungsetats ihrer Mitgliedsländer. Ihnen zufolge stiegen die Ausgaben des Bündnisses von 895,5 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf geschätzte 1.036 Milliarden Dollar in diesem Jahr an. Für die Bundesrepublik weist die NATO Steigerungen von 35,9 Milliarden Euro (2015) auf 47,3 Milliarden Euro (2019) aus. Analog dazu wuchs auch der offizielle Rüstungshaushalt hierzulande – weil hier einige Posten herausgerechnet werden, bleibt er allerdings leicht unter den NATO-Angaben: »2014 betrug der Solletat noch 32,4 Milliarden Euro. „Geld für Panzer statt für Kitas“ weiterlesen
Konzert statt Kakophonie?
Strategische Autonomie: Ein EU-Sicherheitsrat für die EU-Großmächte
Spätestens mit Verabschiedung einer neuen Globalstrategie im Juni 2016 hat sich die Europäische Union auf die Fahnen geschrieben, so bald wie möglich eine „Strategische Autonomie“ zu erlangen.[2] Darunter wird die Fähigkeit verstanden, in den wichtigsten außen- und militärpolitischen Bereichen eigenständig ohne Abhängigkeiten von den USA (oder gar von Russland oder China) handlungsfähig zu sein.[3] Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass eine solche autonome Handlungsfähigkeit im militärischen Bereich drei Ebenen umfasst: „Konzert statt Kakophonie?“ weiterlesen
„Major Tom“ wird Lobbyist
Drehtür durchlaufen: Früherer Airbus-Chef Enders bewirbt sich um Führung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
Thomas Enders soll künftig einen der einflussreichsten Lobbyvereine der Bundesrepublik leiten: die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Der langjährige Spitzenmanager von Airbus hat seine Absicht bekundet, bei der nächsten Mitgliederversammlung am 13. Juni 2019 den bisherigen DGAP-Präsidenten Arend Oetker, der nicht mehr kandidieren wird, beerben zu wollen. Dass sich hier eine Person mit einem klaren Profil zur Wahl stellen will, trifft augenscheinlich auf vollste Unterstützung bei den DGAP-Oberen. Jedenfalls wurde die formelle Ankündigung der Wahlen seitens der Gesellschaft gleich mit einer direkten Wahlempfehlung verknüpft, indem dem scheidenden Vorsitzenden Oetker attestiert wird, dass er als »Vorstandsmitglied Enders’ Nominierung befürwortet«. „„Major Tom“ wird Lobbyist“ weiterlesen
Total Defence
Schwedens Mobilmachung von Militär und Gesellschaft
Fast zweieinhalb Jahre tüftelte eine parteiübergreifende „Verteidigungskommission“ an einem schwedischen Weißbuch, mit dem das Konzept der „Umfassenden Verteidigung“ („total defence“) für den militärischen Bereich ausbuchstabiert werden sollte. Das Mitte Mai 2019 veröffentlichte Papier gilt als Grundlage für die Militärhaushalte der Jahre 2021 bis 2025, die massiv aufgestockt werden sollen. Zusammen mit seinem bereits vor einiger Zeit veröffentlichten „zivilen Pendant“ seien beide als „zwei Teile eines einheitlichen Gesamtkonzepts zu verstehen.“ (Weißbuch 2019: S. 1[1])
Die Folgen sind weitreichend: Hierüber wird nicht nur auf Basis äußerst schwammiger Annahmen einer Dämonisierung Russlands das Wort geredet und die Bevölkerung auf umfassende Maßnahmen sowie die daraus abgeleitete Rüstungsmaßnahmen eingeschworen schwört. Noch schwerer wiegt, dass nahezu die gesamte schwedische Bevölkerung zur Teilnahme an der „Umfassenden Verteidigung“ verpflichtet wird, deren ziviler Pfeiler wiederum systematisch auf die Zuarbeit zum militärischen Teil ausgerichtet wird. Nicht zuletzt dies dürfte der Grund sein, weshalb das Konzept hierzulande teils als vorbildlich bewertet wird, handelt es sich bei der „Umfassenden Verteidigung“ doch im Wesentlichen um eine Blaupause für die großangelegte zivile und militärische Mobilmachung gegen Russland: „Letztlich erfordert die Umfassende Verteidigung Schwedens eine glaubwürdige Fähigkeit zur Kriegsführung, die sowohl militärische wie auch zivile Verteidigungskomponenten beinhaltet.“ (Weißbuch 2019: S. 2)
Militärische Mobilmachung
Am 9. Januar 2017 beauftragte die schwedische Regierung die Verteidigungskommission, bis spätestens zum 14. Mai 2019 ein Verteidigungs-Weißbuch vorzulegen. Punktgenau an diesem Tag wurde dieser Bericht dann auch veröffentlicht, der die künftige schwedische Militärpolitik maßgeblich beeinflussen dürfte. Schließlich waren in seine Erstellung Abgeordnete aller acht im Reichstag vertreten Parteien ebenso eingebunden, wie Vertreter des Verteidigungs-, Außen- und Finanzministeriums sowie der Streitkräfte.[2]
Das Weißbuch beginnt mit einer düsteren Lageeinschätzung: Die Sicherheitslage habe sich „verschlechtert“, sie sei durch „Instabilität und Unvorhersehbarkeit“ geprägt (Weißbuch 2019: S. 1). Die Schuld an dieser misslichen Lage wird vor allem einem Land in die Schuhe geschoben: „Russlands fortdauernde Aggression gegen die Ukraine und die illegale Annexion der Krim verletzen das Gewaltverbot, das in der UN-Charta verankert ist. […] Russlands Handlungen in Georgien 2008, in der Ukraine seit 2014 und in Syrien seit 2015 unterstreichen seine Bereitschaft, sowohl in Europa als auch darüber hinaus militärische Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele einzusetzen.“ (Weißbuch 2019: S. 1)
Wie üblich wird dabei die – nicht unbeträchtliche – westliche Verantwortung an den benannten Krisen geflissentlich ausgeblendet. Und genauso wenig hält man sich mit der Frage auf, ob die Annahmen, auf denen die späteren Vorschläge aufsatteln, einen Plausibilitätstest bestehen würden. So erscheint der an den Tag gelegte Alarmismus mit Blick auf das russische Militärpotenzial doch reichlich übertrieben: „Die militärstrategische Lage hat sich in den letzten Jahren aufgrund politischer Entwicklungen und der gestiegenen russischen militärischen Fähigkeiten verschlechtert. […] Bislang wurde dem Ausbau der russischen militärischen Fähigkeiten nicht mit entsprechenden Maßnahmen zur Erhöhung der westlichen militärischen Kapazitäten begegnet.“ (Weißbuch 2019: S. 1)
Auf noch wackligerem Grund fußt die anschließende Aussage, Russland sei nicht nur in der Lage, sondern auch Willens zu einem Angriff auf Schweden oder einen seiner Nachbarn. „[Ein] bewaffneter Angriff auf Schweden kann ebenso wenig ausgeschlossen werden, wie die Anwendung von oder die Drohung mit Gewalt gegen Schweden.“ Gleiches gelte für die Nachbarländer, weshalb das „Konzept der Umfassenden Verteidigung entwickelt und konzipiert wird, um einem militärischen Angriff auf Schweden zu begegnen.“ (Weißbuch 2019: S. 2)
Nicht zuletzt weil davon auszugehen sei, dass die USA im Versuch sich mit China anzulegen künftig wohl weniger Ressourcen für NATO-Maßnahmen gegen Russland bereitstellen würden[3], müsse der Landesverteidigung, also möglichen Auseinandersetzungen mit Russland, künftig oberste Priorität eingeräumt werden. Ähnlich wie in Deutschlands „Konzeption der Bundeswehr“ sollen die Fähigkeiten für militärische Auslandseinsätze zwar durchaus aufrechterhalten werden – aber nur so weit als möglich, der Fokus liegt auf Russland: „Die Verteidigungskommission gelangt zu dem Ergebnis, dass Schweden sein aktives Engagement und seine Teilnahme an internationalen Operationen fortsetzen sollte […]. Die Verteidigungskommission betont, dass die Teilnahme an internationalen Militäreinsätzen auf der Basis der Ressourcen und Kapazitäten erfolgen muss, die für die schwedischen Streitkräfte zur Verteidigung Schwedens entwickelt werden.“ (Weißbuch 2019: S. 8)
Darauf hin schlägt das Weißbuch eine Reihe von Maßnahmen vor, die beiden wichtigsten sind sicherlich die massive Aufstockung der Streitkräfte und des Militärhaushaltes. Bis 2024 solle der Umfang der schwedischen Armee von aktuell 60.000 auf 90.000 Personen anwachsen (einschließlich der Heimatschutzgarde und Zivilangestellter). Unter Berufung auf Russland und die vermeintliche Notwendigkeit, die Armee aufzustocken, führte das Land bereits im März 2017 nach nur sieben Jahren die Wehrpflicht wieder ein. Schon im Februar 2019 tauchten Berichte auf, es sei geplant, die Zahl der eingezogenen Wehrpflichtigen in den kommenden Jahren deutlich zu erhöhen.[4] Auch im Weißbuch wird dies nun mit der Begründung angekündigt, der angestrebte Aufwuchs der Armee sei nur so zu bewerkstelligen: „Das bedeutet, dass 8.000 Wehrpflichtige jährlich eingezogen werden, ein Anstieg von den 4.000, die heute hinzukommen.“ (Weißbuch 2019: S. 7)
Trotz der somit absehbar steigenden Personalkosten soll auch noch in neues Gerät investiert werden, weshalb das Weißbuch eine saftige Erhöhung des Militärhaushaltes vorschlägt. Dabei ist das Budget in den letzten Jahren bereits von 42,3 Mrd. Kronen (2012) auf 50 Mrd. Kronen (2018) angestiegen – in Dollar handelte es sich dabei um eine Erhöhung von 5,06 Mrd. (2012) auf 5,75 Mrd. (2018) oder um 13,6 Prozent.[5] Schon im Frühjahr 2018 hatte man sich auf nochmalige Steigerungen verständigt: „Dazu beschloss die rot-grüne Regierung, die Verteidigungskosten bis 2020 um jährlich 2,7 Milliarden Kronen (270 Millionen Euro) anzuheben.“[6] Doch auch dies genügt den Autoren des Weißbuchs bei weitem nicht: Bis 2025 sollen 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht werden. In Zahlen soll der Haushalt deshalb um knapp 70 Prozent auf satte 84 Mrd. Kronen in die Höhe schießen! (Weißbuch 2019: S. 10)
Hinzu würden dann noch jährliche Kosten von 4,2 Mrd. Kronen für die Ausgaben im Zusammenhang mit Maßnahmen des „zivilen“ Pfeilers der „Umfassenden Verteidigung“ kommen, wie sie schon länger ins Auge gefasst worden seien.
Zivile Mobilmachung
Am 20. Dezember 2017 erschien mit „Resilience, The Total Defence Concept and the Development of Civil Defence 2021-2025“ der zivile Teil der “Umfassenden Verteidigung”. Wie dann auch im späteren Weißbuch, heißt es bereits darin, das Umfeld sei geprägt von „Instabilität und Unsicherheit“, wobei ein „bewaffneter Angriff auf Schweden nicht ausgeschlossen werden kann.“ (Resilience 2017: S. 1[7])
Gleich am Anfang wird unmissverständlich klargestellt, dass es sich bei der „Umfassenden Verteidigung“ um ein wahrhaft holistisches Konzept handelt, in das alle gesellschaftlichen Akteure eingebunden sind: „Sollte die Regierung die höchste Alarmstufe ausrufen, werden alle gesellschaftlichen Teilbereiche zur Umfassenden Verteidigung gezählt, die aus der militärischen und der zivilen Verteidigung besteht. Dementsprechend sind das Parlament, die Regierung, Regierungsbehörden, die Kommunen, private Unternehmen, freiwillige Verteidigungsorganisationen ebenso wie Einzelpersonen alle Teil der Umfassenden Verteidigung.“ (Resilience 2017: S. 1)
Nach dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges, bemängelt der Bericht, seien „große Teile der früheren Umfassenden Verteidigung aufgelöst worden, nicht zuletzt die auf der zivilen Seite.“ (Resilience 2017: S. 2) Dies gelte es rückgängig zu machen, denn: „Schwedens Konzept der Umfassenden Verteidigung basiert auf dem Willen der Bevölkerung, ihr Land zu verteidigen, ihrer Bereitschaft dazu in Friedenszeiten und ihrer Widerstandsfähigkeit und ihrem Widerstand im Krieg.“ (Resilience 2017: S. 4) Jeder Einzelne sei aufgefordert, ausreichend Vorräte anzulegen, um eine Krisensituation überstehen zu können: „Die Kommission ist der Ansicht, dass ein ausreichender Zugang zu Nahrung, Trinkwasser, Energie und Arzneimitteln wesentlich für die Fähigkeit zur Umfassenden Verteidigung im Falle einer schweren Krise oder eines Kriegs ist.“ (Resilience 2017: S. 5)
Mag man rein zivilen Vorbereitungsmaßnahmen auf Krisensituationen noch positiv gegenüberstehen, handelt es sich aber bei dem schwedischen Konzept nicht um eine Alternative, sondern um eine Ergänzung der militärischen Komponente, das sich, auch wenn andere denkbare Krisenszenarien (zB Hochwasser) angesprochen werden, recht eindeutig primär gegen Russland richtet. Und es ist dann konsequenterweise das Verteidigungsministerium, dem im Krisenfall auch das Oberkommando über alle zivilen Anstrengungen im Rahmen der „Umfassenden Verteidigung“ zufallen soll: „Die Kommission schlägt weiter vor, dass ein Ministerium die gesamte Verantwortung für die Koordination der Anstrengungen im Zusammenhang mit der Umfassenden Verteidigung übertragen werden soll. Die Kommission schlägt vor, dass die Koordination der Umfassenden Verteidigung beim Verteidigungsministerium liegen sollte.“ (Resilience 2017: S. 3)
Als Ergänzung zu „Resilience“ veröffentlichte die Regierung im Frühjahr 2018 die Broschüre „If Crisis or War Comes“, die an sämtliche schwedischen Haushalte verteilt wurde.[8] Sie versteht sich einerseits als praktische Handreichung, welche überlebenswichtigen Güter in jedem Haushalt bevorratet sein sollten, um möglichst unbeschadet über eine Krisen- oder Kriegssituation zu kommen. Per praktischer Checkliste lassen sich dabei in den Kategorien „Nahrung“, „Wasser“, Wärme“, Kommunikation“ und „Sonstiges“ einzelne Posten abhaken, um so mit einem guten Gefühl auf den Ernstfall vorbereitet zu sein (War 2018: S. 10f.)
Gerade auf den gesicherten Zugang zum staatlichen Radiosender P4 wird besonders Wert gelegt, um nicht gegnerischen Falschinformationen aufzusitzen – Kapitulation ist schließlich keine Option: „Sollte Schweden von einem anderen Land angegriffen werden, werden wir niemals aufgeben. Alle Nachrichten in diese Richtung, dass der Widerstand endet, sind falsch.“ (War 2018: S. 12)
Gleichzeitig wird allerdings mit einiger Klarheit festgehalten, dass die zivilen Verteidigungskomponenten vor allem auch zur „Verbesserung“ der militärischen Seite beizutragen haben: „Im Falle eines Krieges oder einer Kriegsdrohung muss die zivile Verteidigung Schwedens in der Lage sein, die bewaffneten Kräfte zu unterstützen.“ (War 2018: S. 8)
Und schließlich wird noch klargestellt, dass es im Zweifelsfall nicht die Option gibt, sich nicht vor den Karren der „Umfassenden Verteidigung“ spannen zu lassen: „In Schweden existiert eine Pflicht, zur Umfassenden Verteidigung beizutragen. Das bedeutet, dass jeder, der hier lebt und zwischen 16 und 70 Jahren ist, dazu aufgefordert werden kann, auf verschiedene Arten zu helfen. Jeder ist verpflichtet, etwas beizutragen und jeder wird benötigt. Die Pflicht, zur Umfassenden Verteidigung beizutragen, umfasst drei Möglichkeiten:
– Einberufung in die Streitkräfte;
– Zivile Einberufung in eine Behörde unter Kontrolle der Regierung;
– Allgemeiner Nationaler Dienst, der es beinhaltet, in Organisationen zu dienen, die im Falle eines Krieges oder Kriegsdrohungen funktionieren müssen.“ (War 2018: S. 9)
Zwar ist auch in dieser Broschüre die Rede von verschiedenen Katastrophenfällen, dass das Ganze aber primär wenn nicht gar ausschließlich auf Auseinandersetzungen mit Russland abzielt, ist mehr als eindeutig. Ein starker Hauch von Kaltem Krieg durchzieht somit wie ein roter Faden das gesamte Konzept der „Umfassenden Verteidigung“. Spiegel Online etwa schrieb: „Die Regierung in Stockholm verteilt eine Infobroschüre an sämtliche Haushalte im Land: Auf 20 Seiten erfahren die Schweden, wie sie sich im Falle von Krisen und Krieg zu verhalten haben. […] Es ist das erste Mal seit mehr als 50 Jahren, dass die Regierung eine solche Broschüre an sämtliche Haushalte verteilen lässt. […] Die aktuelle Veröffentlichung wurde von der Regierungsbehörde Swedish Civil Contingencies Agency erstellt, die zum Verteidigungsministerium gehört; der Auftrag dazu kam von der Regierung. Das Heft wird zu einem Zeitpunkt in Umlauf gebracht, an dem in Schweden intensiv über das Thema Sicherheit diskutiert wird. Hintergrund sind die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 sowie jüngere Vorfälle, bei denen russische Flugzeuge und U-Boote in schwedisches Gebiet vorgedrungen sein sollen.“[9]
Vorbild Schweden?
Viele der den schwedischen Papieren zugrunde liegenden Annahmen lassen sich trefflich hinterfragen. Wie begründet sich beispielsweise die Aussage, die militärische Bedrohung durch Russland nehme zu, wenn es die NATO ist, die seit Jahren massiv die Rüstungshaushalte aufstockt. Die Ausgaben des Militärbündnisses (in die diejenigen, der „neutralen“ Staaten ja überhaupt nicht mit einfließen) stiegen zuletzt von 917 Mrd. Dollar (2017) auf 988 Mrd. Dollar (2018) an[10], während das ohnehin im Vergleich geringe russische Budget von 66,5 Mrd. Dollar (2017) auf 61,4 Mrd. Dollar (2018) gesenkt wurde.[11]
Es fällt schwer zu glauben, dass Russland angesichts dieser Zahlen eine ernsthafte militärische Bedrohung darstellt. Doch selbst wenn dies der Fall wäre: Dass eine Möglichkeit existiert, dass Schweden oder eines der Nachbarländer angegriffen wird, macht dies beileibe nicht wahrscheinlich – im Gegenteil, seine Militärpolitik auf dieser Annahme zu begründen entbehrt jeglicher Plausibilität.[12] Tatsächlich tragen die zahllosen Maßnahmen zur Aufrüstung der NATO-Ostflanke, in die Schweden trotz seiner vermeintlichen Neutralität knietief eingebunden ist, zur Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen massiv bei.
Es drängt sich deshalb der Verdacht auf, dass die Bevölkerung mit der „Umfassenden Verteidigung“ in ihrer Alltagserfahrung vor allem auf die Akzeptanz des Neuen Kalten Krieges, die damit einhergehende Dämonisierung Russlands und daraus abgeleitete Rüstungsmaßnahmen eingeschworen werden soll. Außerdem mag sich „Zivile Verteidigung“ zunächst einmal gut anhören, aber nur solange geflissentlich ausgeblendet wird, dass sie in der Praxis nicht zuletzt auch der Zuarbeit zur „militärischen Verteidigung“ dient. Nicht zuletzt hierzulande dürfte dies den Reiz des schwedischen Gesamtverteidigungskonzeptes (unter Führung des Militärs) ausmachen, da es sich doch deutlich von der bereits 2016 verabschiedeten „Konzeption zivile Verteidigung“ unterscheidet, die nicht vom Verteidigungs-, sondern vom Innenministerium angefertigt wurde.[13]
In jedem Fall scheint ein Interesse zu bestehen, auch die deutsche Bevölkerung noch stärker in die Bemühungen gegen Russland einzubinden, als dies bislang der Fall ist. Um dies zu fördern, werden teils beachtliche argumentative Klimmzüge unternommen, so etwa, wenn die FAZ ausgerechnet John Lennons „Imagine“ ausmostet, um Vorzüge und Notwendigkeit eines Gesamtverteidigungskonzeptes schwedischer Prägung zu untermauern: „In Schweden, da sind sich Regierung und Opposition einig, soll sich künftig jeder Bürger und jede Bürgerin an der Verteidigung des Landes beteiligen. […] ‘Stell dir vor es gibt keine Staaten mehr, (…) nichts, wofür man morden oder sterben müsste‘, sang John Lennon in seinem berühmten Lied ‚Imagine‘. Was aber, wenn die Staatsgrenzen nicht so deutlich sind, wenn Krieg nicht Mord und Tod durch Soldaten, sondern Lahmlegung der Zivilgesellschaft bedeutet? Genau das scheint heute realistischer denn je zu sein. […] Gerade weil die Bedrohungen sich immer mehr gegen die Zivilgesellschaft richten, müssten also selbst Pazifisten das Konzept einer Gesamtverteidigung mit resilienter ziviler Komponente gutheißen. Bürger, die mit Wasser und Thunfisch zur Verteidigung beitragen und ihre Vorräte auch untereinander teilen, während sich die Streitkräfte auf das vorwiegend militärische konzentrieren: dem sollte in Deutschland, wie in Schweden, jede Partei ohne Probleme zustimmen können. John Lennon hätte der Idee gewiss auch etwas abgewinnen können.“[14]
Anmerkungen
[1] Von dem Weißbuch existiert nur eine 10seitige englische Zusammenfassung, aus der im Folgenden zitiert wird. Siehe The Swedish Defence Commission’s white book on Sweden’s Security Policy and the Development of the Military Defence 2021-2025, The Swedish Defence Commission secretariat – unofficial summary, 14.05.2019.
[2] Swedish Defence Commission: https://www.government.se/government-of-sweden/ministry-of-defence/defence-commission/
[3] „Entwicklungen in Asien, besonders Chinas rasche Entwicklung und sein bestimmteres Auftreten, wird von zunehmender Bedeutung für die schwedische Außen- und Sicherheitspolitik sein. Die chinesische militärische Aufrüstung und seine wachsende globale Macht haben zur Folge, dass die USA sich mit ihrer Militär- und Sicherheitspolitik auf Asien konzentrieren werden.“ (Weißbuch 2019: S. 2)
[4] Orange, Richard: Sweden’s first new conscripts prepare to repel Russian invaders, The Telegraph, 03.02.2019.
[5] Die Daten stammen von Sipri: https://www.sipri.org/databases/milex
[6] Rötzer, Florian: Schweden: Militär fordert Verdopplung des Verteidigungsbudgets, Telepolis, 26.02.2018.
[7] Resilience, The Total Defence Concept and the Development of Civil Defence 2021-2025, The Swedish Defence Commission secretariat – inofficial summary, 20.12.2017.
[8] „If Crisis or War Comes“, The Swedish Civil Contingencies Agency 2018.
[9] Schweden bereitet seine Bürger auf den Ernstfall vor, Spiegel Online, 20.05.2018.
[10] Defence Expenditure of NATO Countries (2011-2018), NATO Press Release, 14.03.2019.
[11] Sipri a.a.O.
[12] Siehe zur Kritik der “Russland-Szenarien” zB Bryen, Stephen: Did RAND get it right in its war game exercise? Asia Times, 13.03.2019.
[13] Konzeption zivile Verteidigung, BMI, 24.08.2016.
[14] Braw, Elisabeth: Wir müssen vorbereitet sein, FAZ, 23.04.2018.
Veröffentlicht auf Informationsstelle Militarisierung e.V. am 17.5.2019
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Sinkender Rüstungshaushalt? Fakten und Fiktionen
Ein „Spin“ der besonders dreisten Sorte dreht sich aktuell um die am 19. März 2019 vorgestellten Eckwerte für die Haushaltsplanung bis 2023. Der ansonsten eigentlich seriöse, wenn auch militärnahe Blog Augengeradeaus gab die Richtung vor, als er titelte: „Steigender Bundeshaushalt, sinkender Wehretat“. So ähnlich griffen auch die meisten anderen Medien das Thema auf, garniert gerne noch mit Zitaten des US-Botschafters Richard Grenell („inakzeptable Beiträge“) oder des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (unerreichbare „Vollausstattung der Bundeswehr“). „Sinkender Rüstungshaushalt? Fakten und Fiktionen“ weiterlesen
Selbstbehauptung oder Fremdbestimmung“
Autor: Jürgen Wagner
Münchner Sicherheitskonferenz – Alternativlose Aufrüstung als Gebot der Stunde
Betrachtet man sich Titel und Inhalt der letzten beiden „Munich Security Reports“ (MSR), die seit einiger Zeit als Aufgalopp unmittelbar vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo) veröffentlicht werden, fühlt man sich unweigerlich an den alten Spruch erinnert: „Gestern stand die Regierung am Abgrund – heute ist sie einen Schritt weiter!“ So lautete der letztjährige MSR-Titel „Am Abgrund? Und wieder zurück?“, während in der aktuellen Überschrift überdeutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass das Kind bereits in den sicherheitspolitischen Brunnen gefallen ist und es jetzt darum geht, die Scherben aufzusammeln: „Das große Puzzle: Wer sammelt die Teile ein?“ „Selbstbehauptung oder Fremdbestimmung““ weiterlesen
INF-Vertrag: Stunde der Hardliner?
Am 2. Februar 2019 suspendierten die USA den INF-Vertrag zum Verbot landgestützter substrategischer atomarer Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500km, kurz darauf folgte Russland, weshalb viel drauf hindeutet, dass das Abkommen in sechs Monaten endgültig Geschichte sein dürfte. Und auch das dürfte erst der Prolog für den nächsten Schritt darstellen, nämlich die Aufkündigung bzw. Nicht-Verlängerung der zweiten tragenden Säule der atomaren Rüstungskontrolle, des nur noch bis Ende nächsten Jahres geltenden „New-Start-Vertrags“ zur Begrenzung strategischer Nuklearwaffen mit einer Reichweite über 5.500km.
Einer neuen Schätzung des „Congressional Budget Office“ werden die USA im nächsten Jahrzehnt ihr Arsenal mit fast 500 Mrd. Dollar „modernisieren“. Mit dem im „Nuclear Posture Review“ bereits im Februar 2018 angekündigten Bau „besser“ einsetzbarer Mini-Atomwaffen, wurde laut Informationen des Guardian mittlerweile bereits begonnen. Vor aller Augen bahnt sich hier mehr als deutlich eine neue atomare Rüstungsspirale an, die hierzulande auch noch durch lautstarke Rufe nach einer neuen atomaren „Nachrüstung“ – sprich: „Aufrüstung“ – befeuert wird. „INF-Vertrag: Stunde der Hardliner?“ weiterlesen