Berlin am 29. August: Analyse einer Dialektik von Sabotage an Verfassung und Demokratie
Während Staat und ein Großteil der Bevölkerung es für völlig normal halten, das Grundgesetz auf unbestimmte Zeit auszusetzen, marschiert in der Hauptstadt der Republik eine vermeintliche Demokratiebewegung auf, die anfangs forderte das Grundgesetz einzuhalten und es nun für völlig normal hält es zu ersetzen.
Ein Bericht über und aus Berlin im unbefristeten Ausnahmezustand. Und eine Erinnerung an die Vorgeschichte: eine über Jahrzehnte hinweg schleichend, verdeckt und von oben organisierte Herzschwäche der Demokratie.
Am 29. August versammeln sich in Berlin Hunderttausende von Menschen zu einer Großdemonstration. Organisiatoren der Demonstration ist die Initiative „Querdenken“. Die ganze Innenstadt ist voller Menschen.
Im Nebel eines von der Berliner Landesregierung (durch kurzfristiges und zweimal von Gerichten wieder aufgehobenes Demonstrationsverbot) gezielt organisierten Chaos und Tausenden von Demonstrationsanmeldungen, marschieren nahe der angemeldeten Demoroute der „Querdenken“-Demonstration Hunderte von Faschisten auf, die zunächst vor der russischen Botschaft nach Trump und Putin rufen und mit genau den Reichsflaggen wedeln, vor denen zwar wir, aber leider nicht die Organisatoren der „Querdenken“-Demonstration immer gewarnt haben.
Derweil blockiert und schikaniert, wie aus dem Handbuch perfider hegelianischer Dialektik, die Polizeiführung stundenlang die angemeldete Großdemonstration und erklärt sie schließlich für aufgelöst. Die Menschen strömen über die Straße des 17. Juni Richtung Siegessäule, wo die Hauptkundgebung stattfindet. Auch dieser wird später ständig mit Abbruch und Auflösung bedroht.
Im Rahmen ihres über zehnstündigen Livestreams interviewt Youtuberin Carolin Matthie gegen 15 Uhr auf der Straße des 17. Juni einen Demonstranten. Dieser berichtet, dass gegen 13 Uhr auf der Friedrichstraße Ecke Rosmarinstraße Nazis in die „Querdenken“-Demonstration „eingeschleust“ worden seien und anschließend Absperrungen und Polizisten angegriffen hätten. Demnach befand sich zu diesem Zeitpunkt ein Kamerateam der ARD mit Rechtsextremismus-Experte „Sundermann“ (offensichtlich Olaf Sundermeyer) vor Ort, welches die Szenerie filmte. Der Zeuge berichtet auch, dass die Polizei vor Ort diese Versammlung als getrennte Versammlung erkannte und diese umgehend auflöste.
Irgendwann am Nachmittag dann marschieren in aller Ruhe vorm Reichstagsgebäude bzw Sitz des Bundestages Rechtsextremisten und bestenfalls Verwirrte (neben der faschistischen Reichsflagge sind auch die türkische und französische Nationalflagge zu sehen) auf, beseitigen ein paar Polizeiabsperrungen und produzieren Bilder der extremen politischen Hässlichkeit. Diese werden dann von den vor Ort befindlichen etablierten Medien multipliziert (dieser Screenshot eines Artikels vom ZDF, auf denen es fast wirkt als stünden die plötzlich doch anwesenden behelmten Polizeikräfte geradezu Spalier vor den Nazis, stammen nicht von irgendwelchen Twitter Accounts. Passenderweise taucht diese Einstellung bzw dieses Bild im nachfolgenden Videobeitrag nicht auf.)
Obwohl zuvor Polizeikräfte von Bundes- und Landespolizei in Legionsstärke aufgefahren sind und die genehmigte Demonstration mit Hunderdtausenden von Menschen schikaniert haben, befinden sich zu diesem Zeitpunkt vor dem „Sturm“ auf die Treppe gerade mal drei (!) Polizisten vor dem Eingang des Parlaments.
Wer sich mit Polizeitaktiken nur ein bisschen auskennt – und das sind immer die Taktiken der höheren Stellen der Polizeihierarchie – könnte den Eindruck haben, dass hier Beamte bewusst verheizt werden sollten, um dann noch ganz andere Hässlichkeiten zu berichten und später dann exekutieren zu können.
Für die Verbreitung des im Original schnell gelöschten Videos der Treppenstürmer sorgte übrigens wieder einmal der Twitter Kanal „Antifa Zeckembiss“. Zeuge „Tagesspiegel“:
„Die Szene stammt aus einem Video, das die linke Plattform „Antifa Zeckenbiss“ auf Twitter gepostet hat. Die ursprüngliche Quelle ist ein rechter Youtuber, dessen Account mittlerweile gesperrt ist.“
Man erinnere sich an den Raubmord an Daniel Hillig in Chemnitz nahe eines Geldautomaten („cashpoint“) und den danach von den Zeckenbisslern „zufällig“ in einem „patriotischen Forum“ gefundenen Aufnahmen, die (Faschisten inspirierend) Hetzjagd auf Migranten in Chemnitz zeigen sollten.
Die Aufnahmen hätten sicherlich weniger inspirierend auf den für so etwas anfälligen Teil der Bevölkerung gewirkt, hätten sie auch die Faustschläge ins Gesicht der Freundin des zufällig nahe der rechtsextremistischen Demonstration anwesenden Alihassan Sarfaraz gezeigt.
Oder mal in Zeitlupe erklärt: die Aufnahmen wurden von „Antifa Zeckenbiss“ offensichtlich gekürzt.
Der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen übertrieb es seinerzeit mit der Dialektik und stellte die Authenzität dieses angeblich linksradikalen, antirassistischen Twitterkontos in Frage. Maaßen erklärte, ganz Er, der Staat, der Account sei „kein Beobachtungsobjekt“ des Inlandsgeheimdienstes.
Danach musste Maaßen bekanntermaßen zurücktreten. Er hatte es einfach übertrieben damit Eigenes für Eigenes zu benutzen. Allerdings ist ihm bis heute für seinen Zynsísmus und Sadismus in allen entsprechenden staatlichen / reaktionären / faschistischen / hierarchischen Stellen ein lamoryantes Schulterklopfen sicher.
Man darf jetzt erwarten, dass sich die linke Leserschaft von Radio Utopie inspiriert fühlt einen Twitterkanal namens „Kameradschaft Stiefellecker“ oder „Sturmbandführer Untertan“ aufzumachen, Aufnahmen zu veröffentlichen (die sie angeblich vorher irgendwo in einen linken Forum gefunden haben) die zeigen wie aus einer Menge von Linken heraus z.B. heldenhaft ein einzelner Neonazi gejagt wird und dann auf begeisterte / empörte Twitter Follower in der rechten Szene bis hin zu den Massenmedien warten.
Ganz ehrlich – bei der dümmsten Linken der Welt muss man auch damit rechnen.
Was nun auf den Treppensturm der Rechtsextremisten und ihren Verwirrten im Schlepptau auf den Reichstag folgte, war völlig klar. Vom Gänsemarsch der entsetzten Statements aus der Nomenklatura stach vor allem die des großkoalitionären Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier heraus, der heute das Gespräch mit den drei Polizeibeamten suchte und von einem „unerträglichen Angriff auf das Herz unserer Demokratie“ sprach.
Reden wir jetzt mal von dessen schwachen Puls.
Dass der Bundestag während des unbefristeten verfassungswidrigen Ausnahmezustands vollständig versagt hat und seiner vom Grundgesetz zwingend vorgeschriebenen Kontrollfunktion gegenüber Exekutive und Behörden, wie dem „Robert Koch Institut“ und dem „Deutschen Institut für Medizinische Information und Dokumentation“, in keinster Weise nachgekommen ist und somit die Gewaltenteilung des Staates außer Kraft ist, haben wir bereits erläutert. (24.08.2020, Verfassungswidriger Ausnahmezustand, Gewaltenteilung außer Kraft, Staat will Repression noch eskalieren)
Was gerade in Deutschland im Zuge des wegen eines Virus ausgerufenen Ausnahmezustands auffallen muss: diese Herzschwäche der zweiten deutschen Demokratie ist nicht neu, im Gegenteil. Sie ist Teil einer seit fast zwanzig Jahren andauernden, schleichenden und für die Meisten unmerklichen Entwicklung.
Man könnte fast sagen: eines Programms.
Seit zehn Jahren bemängeln wir, dass der Bundestag fast sieben Monate im Jahr überhaupt nicht tagt. (04.01.2010, „Is grade Krieg?“: Das Parlament arbeitet 2010 nur 22 Wochen)
Auch in 2020 tagt der Bundesrat lediglich 22 von 52 Wochen. Und tagt er, gilt in der „Arbeitswoche“ des Parlaments Montag als Anreisetag und Freitag als Abreisetag. Eine Anwesenheitspflicht gibt es nicht. Und Reden müssen seit Jahrzehnten nicht einmal mehr gehalten, sondern lediglich in Schriftform abgegeben werden. „Zu Protokoll gegeben“ nennt man das.
Vor elf Jahren, in 2009, schrieb dazu der mittlerweile völlig in der Versenkung verschwundene liberale Journalist Heribert Prantl im SZ-Artikel „Demokratie als Farce“:
Der Bundestag wird dann zu mitternächtlicher und späterer Stunde nur noch durch seinen Präsidenten repräsentiert, der mit müder Stimme den Tagesordnungspunkt aufruft und die zu Protokoll gegebenen Reden registriert. Das Parlament verwandelt sich in eine Reden-Abwurfstelle samt Registratur. Der Clou: Die nun ganz offizielle Einführung von „Reden zu Protokoll“ erfolgte durch Reden, die „zu Protokoll“ gegeben wurden.
In der vergangenen Nacht sind 43 Tagesordnungspunkte auf diese Weise parlamentarisch „erledigt“ worden. Dafür vorgesehen waren 35 Minuten. Das ergab, so errechnete süffisant der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch, 52 Sekunden Beratung pro Tagesordnungspunkt: „Wenn das keine Leistung ist!““
Was ebenfalls keinen außer Radio Utopie zu interessieren schien, auch diejenigen nicht, die heute die unbefristete und in aller Öffentlichkeit erfolgte Aussetzung des Grundgesetzes beklagen (eine teilweise Aussetzung der Verfassung gibt es nicht): Schon vor der Bundestagswahl in 2013, im Zuge der Snowden-Affäre, warnten wir davor, dass die vom Grundgesetz definierte Republik bereits außer Funktion gesetzt wurde, wenn auch (noch) nicht mit den Auswirkungen wie es heute der Fall ist. Im Oktober 2014 umschrieben wir dies ausführlich. (28.10.2014, Republik außer Funktion)
Der Bundestag tagte nach seiner Neuwahl in 2013 nur noch fünfmal bis Ende des Jahres, verweigerte die Einsetzung der durch das Grundgesetz zwingend vorgeschriebenen Ausschüsse, sowie dem „Parlamentarische Kontrollgremium“ (mitten in der B.K.A.-Edathy-Affäre) und formierte stattdessen einen seit dem Kaiserreich nie gekannten „Hauptausschuss“. Anschließend ermöglichte er durch jahrelanges Nichtstun und Sabotage der eigenen Verfassungsklagen die letztendlich vom Bundesverfassungsgericht genehmigte unbegrenzte und außerhalb der Gewaltenteilung vonstatten gehende Spionage des internationalen geheimdienstlichen Komplexes innerhalb Deutschlands, trotz oder gerade wegen der Enthüllungen von Agent im Außendienst Edward Snowden.
Des Weiteren machte das Parlament sukzessive den Weg frei für die Entsendung deutscher Soldaten und Waffenlieferungen in den Syrien-Krieg und den Irak, sah zu wie dort zuvor der „Islamische Staat“ als Einladung aus dem Hut sprang und tat bis heute generell was die Regierung wollte und ansonsten so viel Nichts wie möglich.
Sicherlich erinnern Sie sich: da war doch dieses Attentat auf dem Breitscheidplatz Ende 2016. (25.12.2016, Attentat in Berlin: Nichts ist geklärt)
Haben Sie, werte Leserinnen und Leser, diesbezüglich irgendeinen Puls vernommen? Von Ihnen, oder gar aus dem Reichstagsgebäude..?
Oder ist Ihnen vor lauter Pandemie schon alles Andere schnuppe? Seien Sie ehrlich!
Womit wir zu diesen Flitzpiepen von „Querdenken“ kommen.
Als ich gestern die Bilder von der Berliner Demonstration am Samstag sah, fühlte ich mich irgendwie an diese Filmszene erinnert…
Zu den Beispielen von Selbstsabotage, Zersetzung, Verwirrung, Unfähigkeiten und gefährlichen Irrtümern, der sich am Wochenende hier in Berlin abspielte, sei hier zur Aufklärung erläutert:
DAS GRUNDGESETZ GARANTIERT DIE SOUVERÄNE STAATLICHKEIT DEUTSCHLANDS
Zitat aus dem Urteil 2 BvE 2/08 des Bundesverfassungsgericht vom 30. Juni 2009 zum Lissabon Vertrag:
“Das Grundgesetz ermächtigt die für Deutschland handelnden Organe nicht, durch einen Eintritt in einen Bundesstaat das Selbstbestimmungsrecht des Deutschen Volkes in Gestalt der völkerrechtlichen Souveränität Deutschlands aufzugeben. Dieser Schritt ist wegen der mit ihm verbundenen unwiderruflichen Souveränitätsübertragung auf ein neues Legitimationssubjekt allein dem unmittelbar erklärten Willen des Deutschen Volkes vorbehalten…
Das Grundgesetz setzt damit die souveräne Staatlichkeit Deutschlands nicht nur voraus, sondern garantiert sie auch.”
Keine Fragen offen.
ENTWEDER GRUNDGESETZ ODER NICHT
Wer das Grundgesetz ersetzen will, will es beseitigen. Die entsprechenden Pläne der Nomenklatura genau dies zu tun, explizit durch eine Volksabstimmung, die einzige Möglichkeit die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juni 2009 offen gelassen hat („unmittelbar erklärten Willen des Deutschen Volkes“), sind zumindest unseren Leserinnen und Lesern seit Jahren bekannt – anders wird es nämlich nichts mit den angestrebten „Vereinigten Staaten von Europa“, denn die sind mit dem Grundgesetz nicht zu machen.
Genau deswegen haben alle etablierten Parteien links von der C.S.U. das Grundgesetz bereits in Programmen und Erklärungen in Frage gestellt und fordern dessen Beseitigung zugunsten von „Vereinigten Staaten von Europa“ oder einem entsprechenden paneuropäischen Konstrukt. Jetzt allen Ernstes, wie im Irrenhaus, eine „verfassungsgebende Versammlung“ auf der Straße des 17. Juni auszurufen, verrät das Ziel das Grundgesetz wieder in Funktion zu setzen und spielt stattdessen der Querfront von Reichsbürgern und E.U.-Reichsbürgern in die Hände. Zudem werden alle anderen wohlmeinenden und vernetzten Inhalte, Projekte und Initiativen, wie die der Mutigmacher, der Klagepaten oder der Demokratischen Gewerkschaft, mit in den Abgrund gezogen und Verleumdung und Repression preisgegeben.
ÖFFENTLICHKEITSARBEIT ODER NICHT
Erst am Samstag gab es eine allererste Presseerklärung von „Querdenken 711“, der Kernorganisation der Demonstration „Berlin invites Europe“. Vorher war man monatelang teilweise nicht in der Lage die eigenen Veranstaltungen auch nur anzukündigen.
Mittlerweile gibt es ein paar Pressemitteilungen. Aber es gibt immer noch keine deutliche schriftliche Ansage auf der eigenen Webseite, dass man eine Demokratiebewegung und keine Reichsbewegung ist. Vor genau den etablierten Medien, die primär alles tun einen zu verleumden, irgendetwas zu erzählen und dann zu erwarten, dass diese darüber berichten und alles richtig stellen, ist bestenfalls naiv.
Warum wird ausgerechnet die Rede von Robert F. Kennedy Jr. nicht live übertragen ? (mittlerweile ist sie endlich auf dem Youtube-Kanal von „Querdenken 711“ zu sehen).
OPPOSITION ODER NICHT
Es blieb dem mit außerordentlich viel Fachwissen, Mut und Insiderinformationen auftretenden Flensburger Stadtverordneten David Claudio Siber („Bündnis 90 / Die Grünen“), überlassen, genau die Erkenntnis zu formulieren, vor deren Verbreitung die Nomenklatura tatsächlich Angst haben muss:
„Wir haben keine funktionierende Opposition in Deutschland. Wir haben nicht mal eine kontrollierte Opposition. Wir haben zur Zeit überhaupt keine Opposition.“
MAN GIBT NICHT AUF WAS MAN VERTEIDIGT
Opposition oder Widerstand kann nur erfolgreich sein, wenn man nicht die Verfassung in Frage stellt, die dies überhaupt erst ermöglicht. Anstatt schon wieder, wie praktisch alle größeren Strömungen, Gruppen, Organisationen in Deutschland in den letzten neunzehn Jahren Krieg (ja, den gibt es!), sich durch Geschwafel, Panikmache, Einschüchterungen und Nebelkerzen vom Kurs weg quatschen zu lassen und Dialektik von Staatsstreich, Republikzerstörung und Demokratieabbau in die Hände zu spielen, sollten alle Gruppen, Organisationen und Personen in der derzeitigen Demokratiebewegung, ein für allemal und ohne weiteres Rausgerede, ihr anfängliches Versprechen – nämlich das Grundgesetz zu verteidigen – erneuern. Alle die das nicht tun, begehen politischen Selbstmord und ziehen alle vernetzten Gruppen mit hinein.
Es warten Zeitungen, Medien, Vereine, Initiativen, Organisationen, bis hin zu längst überfälligen Gewerkschaften und Parteien im Sinne des Grundgesetzes, die entweder noch aufgebaut werden müssen und können, oder bessere Unterstützung benötigen. Diese Arbeit muss die derzeitige Demokratiebewegung schlicht leisten. Eine Flucht in irgendwelche Fantasmagorien wird dabei nicht helfen.