Rainer Schedlinski – Die Fortsetzung der Poesie mit anderen Mitteln

2009, so November wie möglich, eröffnete eine Ausstellung im Prenzlauer Berg einen flüchtigen Überblick auf die Ostberliner Literaten- und Künstlerszene der letzten langen Dekade im kurzen Dasein der DDR. Die durchaus geglückte Ausstellung mit dem durchaus mißglückten Titel „poesie des untergrunds“ hatte es sich im past-forward-Verfahren zum Anliegen gemacht, auf die Geschichte sowie, in zentraler Randlage ihres Raumes, auf die Nebenwirkungen und auf die Folgen einer schwer auseinanderdriftenden Künstlergemeinde von Dichtern, Musi­kern, Malern, Fotografen, Renegaten und Kunden hinzuweisen.

Dieses Sittengemälde einer Szene wurde allerdings vom beispielhaften Verrat zweier Dichter kontaminiert, die in der Rezeption nicht selten mit ihren Klarnamen stellvertretend für viele andere stehen, da sie unter Decknamen für das Ministerium für Staatssicherheit schrieben.

„Rainer Schedlinski – Die Fortsetzung der Poesie mit anderen Mitteln“ weiterlesen

TOD FREI!

Vom real existierenden Surrealismus als höchste Form eines irrealen Sozialismus am Beispiel der Editionen Caligo und Braegen

Vor ihrer Verschriftung war Dichtung Gesang. Auf die Ost-Berliner Punkband The Leistungsleichen ange­wendet, traf diese Erkenntnis mit der offenkundigen Einschränkung zu, daß weder Dichtung noch Gesang zu ihrem Repert­oire zählten. Die strophenlosen Texte reihten mantrenhafte Nihilismen aneinan­der und ihr Her­ausgekläffe setzte sich kaum dem Verdacht aus, man könne etwa singen. Immer­hin sprachen die Texte für einen Ausdrucks­zwang, mit Dichtung aller­dings verband sie soviel wie die Proklamation eines ewigen Neins mit Poesie verbun­den sein kann. Als Ausrufer die­ser Band schien es mir entbehrlich, meine Schlag­zeilen auf­zuschreiben, und so mar­kierte das Ungeschriebene den Be­ginn meines Schrei­bens. … und ein Brief Ro­nald Lippoks. „TOD FREI!“ weiterlesen

10 Jahre Stunde 0

Es war im Wonnemonat November. Die Geschichte kippte wie ein Eisberg, dessen Schwerpunkt sich plötzlich verlagert.

Am Abend des 9. November 1989 waren die achtziger Jahre frühvollendet und die Utopiendämmerung eines verglühenden Staates trat in ihre letzte Phase ein. Ihr Finale sollte der 3. Oktober 1990 und eine Wiedervereinigung sein. Die elf Monate zwischen diesen beiden deutschen Daten waren keinem Jahrzehnt zugehörig. In ihnen ballten sich die neunziger Jahre erst einmal zusammen, ein Jahrzehnt, auf dessen Ereignisfeld sich die Wesensverschiebungen zweier Systeme abspielten. Das eine ging endlich im Zuge der ach so friedlichen Revolution unter, das andere triumphierte und konnte sich in der Postapokalypse des anderen auf unbarmherzige Weise verwirklichen.

„10 Jahre Stunde 0“ weiterlesen

Tanz den Kommunismus: Modesubkultur in Ostberlin

Wenn man von der Mode-Subkultur der 80er Jahre in Ostberlin spricht, so kann man diese Szene nicht kontextlos betrachten.

Die Genres im Ostberliner Offground lösten sich ineinander auf und die Wildwechsel ihre Vertreter kreuzten sich ständig. Die frühe Punkszene tollte etwa durch die Ateliers von Malern und durch die Wohnungen von Lyrikern, da sie aus dem öffentlichen Raum massiv verdrängt wurde. „Tanz den Kommunismus: Modesubkultur in Ostberlin“ weiterlesen

punk is dead!

Radio Utopie veröffentlicht in einer Artikelserie mit dessen freundlicher Genehmigung Texte des Ostberliner Künstlers Henryk Gericke. Der folgende Text ist Auszug aus dem im Verlag „Neues Leben“ erschienenen Buch „Leck mich am Leben – Punk im Osten“ (Herausgeber: Frank Willmann). Der Autor war seinerzeit in der Punkbewegung der D.D.R. aktiv und betreibt heute die Staatsgalerie Prenzlauer Berg.

2010 nahm die Anarchopunk-Legende CRASS mit einem Comeback Abschied. Die Band eröffnete ihr letztes Konzert mit einem Klassiker, der als Vermächtnis in den Festsaal Kreuzberg krachte. Die Botschaft kam an, aber nicht rüber, denn die versammelte Punkgemeinde skandierte pogend den Refrain – „punk! is! dead!“. Dem Genre Punk ist die Auflösung seines radikalen Anspruchs von der Stunde Null an eingeschrieben. Seine bald vierzigjährige Wirkungsgeschichte besteht dann auch eher in der Schaffung einer Punk-Idylle, die sich selbst ein „punks not dead“ ins zerfledderte Stammbuch schrieb. Das klingt wenig einleuchtend, wenn man sich die Gespenster vor den Supermärkten vergegenwärtigt, Penner, die mit Punk nur das P gemein haben. „punk is dead!“ weiterlesen

Zypern: Wie der Kontinent Euro fast im Mittelmeer versunken wäre

Die abscheuliche Farce der vorläufig gescheiterten Entstaatlichung und finanziellen Kolonisierung einer weiteren europäischen Demokratie.

Zyperns Präsident Dimitris Christofias, bislang treuer Kamerad des aus Deutschland von allen etablierten Parteien rückhaltlos unterstützen Staatsstreichs gegen die europäischen Demokratien über eine deflationär-depressive „Geldpolitik“ des Euro-Finanzsystem und seiner Frankfurter Zentralbank, bockt zur Zeit ein bisschen.

Wie die italienischen Nachrichtenagentur „Ansa“ berichtet, äußerte sich Christofias gegen die laufende Erpressung durch die „Troika“ aus „Internationalem Währungsfonds“ (I.W.F.), den Kommissaren der „Europäischen Union“ (E.U.) und der „Europäischen Zentralbank“ (E.Z.B.), die den Verkauf für die Gesellschaft elementaren staatlichen Eigentums und Infrastruktur fordert: „Zypern: Wie der Kontinent Euro fast im Mittelmeer versunken wäre“ weiterlesen

Eine Person, die man Niemand nennt

PLÖTZLICH wird mir bewusst, dass ein neuer Stern am politischen Firmament Israels erschienen ist. Bis gestern wusste ich nicht einmal etwas von seiner Existenz.

Eine geachtete öffentliche Meinungsumfrage stellte eine nixoneske Frage: Von welchem Politiker würden Sie einen Gebrauchtwagen kaufen? Die Antwort war überwältigend. Kein einziger Politiker erreichte 10%. Außer einem, dem beachtliche 34% der möglichen Stimmberechtigten vertrauen würden: ein gewisser „Niemand“.

„Eine Person, die man Niemand nennt“ weiterlesen