Entsorgt: nierenkranker Busfahrer schuldlos aus AOK gefeuert

Abgeschrieben, fallengelassen: ältere oder längerfristig erkrankte Mitglieder sind mitunter für deutsche Krankenkassen wie ausgedienter, belastender hochtoxischer Giftmüll, der ausrangiert weit unter die Erde vergraben gehört (Foto: Ropable, Wikipedia)

Der innere Zustand einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang miteinander, besonders mit der Behandlung der schwächeren Mitglieder.

Der Niedergang und die Zerrüttung in diesem Land durch das vorgegebene Beispiel der hemmungslosen Morallosigkeit in der Politik und die Gier der Wirtschaft wirkt sich auch auf alle Ebenen der Behörden und Institutionen aus.

Der nachfolgend beschriebene Fall wäre mit Sicherheit noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen und mit erklärender Richtigstellung des Sachverhaltes erledigt gewesen.

Bernhard Poske aus Hollage, einem Ortsteil der Gemeinde Wallenhorst im niedersächsischen Landkreis Osnabrück, ist achtundfünfzig Jahre alt, von Beruf Busfahrer und ist mit fünfundvierzig Jahren Mitgliedschaft in der AOK wohl einer der Beitragszahler, die am längsten in die Krankenkasse eingezahlt haben.

Ende November 2010 wurde Poske krank, begab sich in ärztliche Behandlung und wurde arbeitsunfähig geschrieben. Rund dreissig Euro Krankengeld wurden ihm daraufhin täglich von der Krankenkasse bewilligt. Da die Erkrankung längerfristig war, musste der behandelnde Arzt alle vierzehn Tage neue Bescheinigungen ausfüllen, auf denen ein Feld mit „Ja“ für noch arbeitsunfähig anzukreuzen und ein Datum (das in vierzehn Tagen voraus) einzutragen war.

Bei dem Besuch in der Praxis am 6. Dezember 2010 kreuzte der Arzt das Feld „Ja, noch arbeitsunfähig“ an und schrieb das entsprechende Datum auf das Attest, überlegte es sich dann jedoch anders: Er strich die Zahlen wieder durch und notierte weiter unten den Termin für den nächsten Praxisbesuch. Zeitgleich ging bei der AOK ein Schreiben von Bernhard Poskes Hausärztin ein. Diese hatte in demselben Formular statt des Datums den Vermerk „Ende noch nicht absehbar“ eingetragen, hiess es in der Neue Osnabrücker Zeitung vom 13.Januar zu dem Fall.

Poske gab den Krankenschein – logischerweise ohne den „Fehler“ zu bemerken – bei seiner Kasse ab und erhielt beim nächsten Arztbesuch wiederum eine neue Bestätigung über seine noch anhaltende Arbeitsuntauglichkeit.

Obwohl die Hausärztin unabhängig davon die Krankenkasse darüber eindeutig und rechtzeitig informiert hatte, dass der Patient noch nicht wieder gesund ist und dass darüber hinaus dem behandelnden Arzt ein „Formfehler“ unterlaufen war, bei dem ein Anruf seitens der AOK genügt hätte, erhielt Bernhard Poske am 28.Dezember 2010 ohne Rücksprache ein Schreiben von der AOK mit dem unfassbaren Inhalt, dass diese ihm die Mitgliedschaft aufgekündigt hat:

„Auf Ihrem letzten Krankengeld-Auszahlschein wurde als voraussichtliche Dauer Ihrer Arbeitsunfähigkeit nichts eingetragen. Das heißt, Sie hätten sich spätestens am 20.12.2010 von ihrem Arzt die weitere Arbeitsunfähigkeit bescheinigen lassen müssen. Da dies erst am 27.12.2010 und damit 7 Tage zu spät erfolgte, entfällt Ihre Mitgliedschaft und damit auch Ihr Krankengeldanspruch.

Nicht etwa der Anspruch auf Auszahlung des Krankentagegeldes sondern gleich die gesamte Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse, bei der Poske fünfundvierzig Jahre seines Lebens Beiträge entrichtet hatte – ohne zuvor ein Schreiben mit einer Ankündigung einer drohenden Kündigung erhalten zu haben, was den Gepflogenheiten entsprochen hätte.

Bernhard Poske wandte sich an seinen behandelnden Arzt, der sofort schriftlich die AOK über sein Versehen aufklärte:

„Herr Poske leidet an einer terminalen Niereninsuffizienz und kommt regelmäßig in meine nephrologische Behandlung […]. Aufgrund eines Missverständnisses hatte ich die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht ausgefüllt, da diese nicht absehbar ist und längerfristig zu sein scheint. […].“

Die AOK blieb bei ihrer getroffenen Entscheidung.

Heidi Poske, die Ehefrau arbeitet in einem Teilzeitjob. „100 Euro haben wir noch auf dem Konto.“

Das Ehepaar hat jetzt Hartz IV beantragt. Auch das wird den Gatten vom Staat verwehrt. Die Arge schiebe den Schwarzen Peter wiederum der Krankenkasse zu – die solle doch gefälligst zahlen, sobald das Missverständnis geklärt sei, so Poske.

Letzter Ausweg aus dieser Hilflosigkeit war der Gang zum Rechtsanwalt, der Widerspruch gegen die Kündigung der Mitgliedschaft einlegte und auf die Entscheidung des AOK-Widerspruchsausschusses wartet. Poske ist auf Grund der Einlegung des Widerspruchs dank der aufschiebenden Wirkung noch über die AOK versichert.

Ohne diesen Einspruch würde der kranke Mann ohne Schuld und auch nicht durch die Schuld seines Arztes zur Zeit vollkommen ohne Krankenkasse dastehen.

„45 Jahre lang war ich bei der AOK Mitglied, habe immer brav meine Beiträge bezahlt, und jetzt, da ich krank bin, heißt es: tschüss“ , sagte Poske.

Dr. Martin Berger, Fachanwalt für Medizinrecht aus Osnabrück sagte:

„Die Intention ist klar: Wie werde ich ein teures Krankenkassenmitglied auf elegante Art und Weise wieder los?“

Die Neue Osnabrücker Zeitung schrieb, dass die AOK sich auf Anfrage nicht konkret zum Fall von Bernhard Poske äussern wollte, da es sich um ein „laufendes Verfahren“ handeln würde und habe auf einen ähnlichen Fall, in dem eine Beschwerde von dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurückgewiesen worden war, verwiesen.

„Die Versicherten erhalten nicht nur klare schriftliche Informationen über die Gesetzeslage, sondern wir erläutern auch in einem telefonischen oder persönlichen Gespräch die gesetzlichen Anforderungen.“ so die AOK.

Der Verweis der gesetzlichen Krankenkasse auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen zeigt, wie der Widerspruch von Poske bei der AOK wahrscheinlich abgewehrt werden wird.

Das ist ein weiterer, völlig überflüssiger Fall für die Sozialgerichte.

Für den Gesundungsprozess des Patienten sind diese nervlichen Belastungen über einen ungewissen, sich eventuell noch lange hinziehenden Ausgang das pure Gift – seiner eigenen Krankenkasse – für die er zur finanziellen Belastung geworden ist.

Quelle: http://www.noz.de/artikel/50677732/wegen-schreibfehler-aus-der-aok-geworfen