Horst Köhler hat den Blues: Angela Merkel drängt sich zum Grossen Zapfenstreich auf
Zum Grossen Zapfenstreich der Bundeswehr, der höchsten Form militärischer Ehrerweisung durch deutsche Soldaten am heutigen Dienstag, hat sich der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler wohlweislich kein klassisches deutsches Volkslied ausgesucht, denn mit seiner letzten Unterschrift unter das europäische Rettungsfondpaket wäre das wie ein Hohn gegenüber der deutschen Bevölkerung gewesen. (Abbildung: Die erste Seite der Partitur des St. Louis Blues (1914), Wikipedia) Zum Vergrössern anklicken
Obwohl, als Mahnung an seinen Nachfolger, es besser zu machen als er es vermochte, hätte er dieses Lied, gespielt von Liederjan mit einem Text von Heinrich Heine wählen können oder das flotte Bürgerlied von Zupfgeigenhansel oder diese Ballade in Erinnerung an das Revolutionsjahr 1848.
Horst Köhler hätte auch aus Solidarität mit den ärmeren Bürgern mit dem Song Lohntag von Frank Baier Kritik an dem Sparpaket der Bundesregierung zeigen können.
Stattdessen bevorzugt Horst Köhler zum Abschluss des Musikprogramms ein uramerikanisches Lied, einen Blues von William Christopher Handy aus dem Jahr 1914 – den berühmten Saint Louis Blues, dessen Text mit der folgenden ersten Strophe beginnt – beim Zapfenstreich jedoch nur stramm instrumental dargebracht wird:
I hate’s to see dat ev’nin’ sun go down
Hate’s to see dat ev’nin’ sun go down
Cause ma baby, she done lef’ dis town.
If I feel tomorrow lak ah feel today
Feel tomorrow lak ah feel today,
I’ll pack up my trunk, and make ma git away.
(alle Strophen hier auf Lyrics Keeper im Louis Armstrong- Slang)
Der Bundespräsident zeigt beim seinem freiwillig verkündeten Abschied noch Schwarzen Humor oder eiskalte Berechnung. Falls er vorhatte, damit auf die Mitleidstour zu kommen und auf die Tränendrüsen seiner Bevölkerung zu drücken, wird er sich mit Ausnahme seiner Hofpresse verrechnet haben. „Sein Volk“ – an dieses zu denken hatte er viele Jahre die Gelegenheit gehabt und das nun für die unerhörten Geschenke an die Acker-Banken mit dieser Fron zu deren Leibeigenen geworden ist.
Das Zeremoniell des Zapfenstreiches erinnert an vergangene kaiserliche Tage, als Deutschland auf Eroberungszüge ausging und in „Übersee“ Kolonien anlegte wie zum Beispiel im heutigen Staat Namibia. Für die Verabschiedung des deutschen Bundespräsidenten, der sich gern als Repräsentant des Volkes darstellte, wirkt dieser militärische Mief wie aus Zeiten von „Preussens Glanz und Gloria“ und entspricht weder den Interessen des „einfachen Mannes“ noch ist er einer friedliebenden Republik würdig, auch wenn er in Berlin stattfindet und der Amtssitz des Präsidenten ein Schloss ist.
Mit den militärischen Bündnissen Deutschlands und den Auslandseinsätzen der Bundeswehr werden mit dieser Ehrenbezeigung böse Assoziationen geweckt, denn dieses Land schlägt zum wiederholten Male den Weg eines Aggressors ein, der mit dem Schwert in der Hand sich den Weg zu rohstoffreichen Ländern bahnt.
Logisch, dass diese Trommeltöne und Paukenschläge ihre Hacken innerlich zusammen schlagen lässt. Vor Begeisterung darüber bringt man diesen aufputschenden Krach – der Begriff Musik verbietet sich von selbst (altgr. mousik? techn?‚ musische Kunst) – voller Überzeugung den afghanischen Kollegen als Entwicklungshilfe bei:
Bundeswehr bläst Afghanen den Marsch
Zu allem Überfluss wird sich laut Protokoll der ehemalige Bundespräsident um 21.58 Uhr auf ein Podest (ein symbolischer Thronersatz) stellen, flankiert von dem adligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und Generalinspekteur Volker Wieker.
Punkt 22.00 Uhr beginnt der ehrende Zapfenstreich durch das Stabsmusikkorps der Bundeswehr. Der Präsident durfte sich vier zu spielende Stücke selbst aussuchen. Zuerst wird der Yorck‘sche Marsch gespielt, bei dessen Klängen sich die Ehrenformation in Positur bringen wird, um anschliessend vor dem scheidenden Landesherren stramm zu stehen. Nach der Serenade folgt der Kürteil. Es wird Tränen der Rührung geben und die erlauchten Gäste sollten ihre weissen bestickten Taschentücher nicht vergessen.
„Geschwindmarsch aus Quadrillen“ von Johann Strauss senior hat sich Horst Köhler gewählt, weil das der Parademarsch des an seinem früheren Wohnort Ludwigsburg einst stationierten Württembergischen Infanterie- Regiments war. Laut Financial Times schliesst sich daran ein Marsch aus der Zeit des „Grossen Fritz“ an, mit dem Köhler wiederholt Staatsgäste begrüßen liess.
Altpreussischer Parademarsch
Nach einer Hommage an die gesamte Bevölkerung klinkt diese Musikauswahl irgendwie nicht, die dieser ganzen teuren „Zerremonje“ nichts abgewinnen kann. So etwas war schon immer ausschliesslich als Statussymbol für die Herrscherkaste gedacht: der König und seine Armee.
Wie die Medien berichteten, würde zum ersten Mal die Bundeskanzlerin entgegen aller bisherigen Gepflogenheiten an dem Zapfenstreich, dem ein glänzender Empfang mit 200 Gästen vorausgeht, teilnehmen. Nach bisheriger Praxis werden andere Verfassungsorgane bei solchen Zeremonien eigentlich nicht eingeladen, schrieb die Financial Times.
Man kann davon ausgehen, dass Angela Merkel durch ihre bedrohliche Anwesenheit Horst Köhler und seine Gäste mit Argusaugen überwachen wird und diese davon abzuhalten versucht, in Gegenwart der Presseteams irgend etwas zu den Rücktrittsgründen oder den Zustand im Kuppelbau in Berlin bei einem lockeren Gespräch mit einem Gläschen Sekt in der Hand auszuplaudern – allen Grund dazu hätte die Regierungschefin. Deshalb bringt sie zur ihrer Unterstützung auch den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert und ihren Vizekanzler Guido Westerwelle mit. Inneren Instinkt, Taktgefühl und vornehmen Adel des Herzens – das hat man oder eben auch nicht.
Der Saint Louis Blues in dieser Orginalaufnahme von 1929 mit Bessie Smith ist ein Ohren- und Augenschmaus für verwöhnte Musikliebhaber, der zum Glück auf Youtube von Yeguma für alle bereit gestellt wurde – ein Stück Musik- und Zeitgeschichte: