INTERVIEW MIT EINEM EX-AGENTEN: „Ich habe mich bemüht Bin Laden zu treffen“
Yasir Arafat und Wilhelm Dietl 1983 (Foto: © Wilhelm Dietl)
Dritter Teil des Interviews mit Wilhelm Dietl, ehemals Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND), über sein Buch „Schattenarmeen“.
1.Teil: Wilhelm Dietl über “Schattenarmeen”
2.Teil: “Wenn etwas auffällt, wird es immer dem Mossad in die Schuhe geschoben”
Radio Utopie: Sie berichten ausführlich über die Strukturen und den Aufbau der iranischen Spionagedienste. Sie gehen auch sehr detalliert auf deren Verhörmethoden ein, Folter, Mord; besteht zwischen der kaiserlichen Savak und der Vevak des heutigen islamischen Regimes keinerlei Unterschied für Sie?
Wilhelm Dietl: Keinerlei „technischer“ Unterschied. Die Folter wurde und wird von beiden gleichermassen als Grundprinzip benutzt. Das ist ein seltsamer roter Faden, der sich durch alle Geheimdienste im Nahen und Mittleren Osten zieht: dass sie glauben, mit der Folter die ultimative Methode gefunden zu haben, um an Informationen zu gelangen die sie ansonsten nicht bekämen – was ein Irrtum ist. Aber sie foltern, soviel es nur geht, aus „Leibeskräften“. Da unterscheiden sich nur manche Methoden. Aber es wird gefoltert ohne Rücksicht auf irgendetwas. Und ob Vevak oder Savak, das macht da keinen Unterschied. Das sind ja auch teilweise jahrelang dieselben Leute gewesen. Man hat ja nach der Wende für einige Jahre Savak-Leute übernommen, mangels eigenen Personals. Erst ab 1984/85, als das Staatssicherheitsministerium entstand, da war dann alles mit Mullahs besetzt.
Radio Utopie: Sie beschreiben auch – und das erstaunt – Verbindungen zwischen dem Regime im Iran und der als Organisation beschriebenen „Al Kaida“. Sie sehen da eine Verbindung zwischen „der Al Kaida“ und dem Regime im Iran?
Wilhelm Dietl: Lose Verbindungen, keine Verbindungen die wirklich tragfähig sind und wirklich weitreichende Folgen hätten. Denn die Iraner sagen, `wir müssen Kontakte überall hin haben, der Apparat des MOIS (Anm.: Vevak) ist stark genug, um überall dabei sein zu müssen` und deswegen gibt es Verbindungen zur Al Kaida. Und dann kommen noch diese privaten Elemente hinzu, die Familie von Bin Laden lebt weitgehend in Teheran.
Radio Utopie: Sie sehen also eine organisatorische Kontinuität der „Al Kaida“ seit den Attentaten vom 11.September 2001 und auch schon davor, bis zum heutigen Tag?
Wilhelm Dietl: Ich würde nicht sagen `seit dem 11.September`, das kam später erst. Ich kann das nicht einengen, wann das los ging. Aber das ist einfach eine Beziehung, die typisch ist für Geheimdienste, dass man sagt, `wir wollen den Kontakt halten, um zu sehen was die treiben`.
Radio Utopie: Darf ich da nochmal nachhaken – die organisatorische Kontinuität der Organisation „Al Kaida“, deren Existenz von den Nachrichtendiensten angenommen und behauptet wird, diese organisatorische Kontinuität entstand erst nach dem 11.September?
Wilhelm Dietl: Ich denke, ja. Ich weiss es nicht sicher. Es gibt da keinerlei Anhaltspunkte, wann das entstand.
Radio Utopie: Haben Sie vor dem 11.September 2001 den Begriff „Al Kaida“ schon gehört?
Wilhelm Dietl: Ja, klar. Ich kenne den Begriff seit 1995, 1996.
Radio Utopie: Und in welchem Zusammenhang, in welchem Rahmen kannten sie den?
Wilhelm Dietl: Aus dem afghanischen Zusammenhang heraus und aus dem Terrorismus als solches. Aus dem Fundamentalismus, den Anschlägen 1998, auf die Cole..
Radio Utopie: ..auf die US-Botschaften..
Wilhelm Dietl: Ja. Daher kenne ich den Begriff. Ich habe mich ja auch bemüht Bin Laden zu treffen, vor den Anschlägen in den USA. Ich war auch sehr nahe dran, habe mit denen verhandelt, habe seine Leute im Nahen Osten getroffen. Aber die Zeit hat nicht mehr gereicht.
Radio Utopie: Aus eigenem Antrieb? Oder weil der Bundesnachrichtendienst ein Interesse gehabt hat?
Wilhelm Dietl: Nein. Weil der „Focus“ ein Interesse gehabt hat.
Radio Utopie: Der „Focus“ hatte ein Interesse daran, eine ihm bekannte Person Bin Laden treffen zu lassen?
Wilhelm Dietl: Ja. Und als dann der 11.9. passierte, hab ich gesagt, vielleicht ist in den nächsten Wochen noch eine letzte Chance ihn zu sehen. Und dann hat Markwort gesagt, `mit so einem Menschen reden wir nicht`.
Radio Utopie: Wie kann es eigentlich sein, wenn schon der „Focus“ vor dem 11.September ein Interesse hatte Bin Laden zu treffen und von ihm Informationen zu bekommen – wie konnten dann diese Attentate passieren, angeblich außerhalb des Radars sämtlicher westlichen Nachrichtendienste?
Wilhelm Dietl: Die waren nicht außerhalb des Radars. Man wusste, dass was passieren würde. Nur man konnte die Dinge nicht zusammenführen, weil die Dienste zu wenig kooperiert und eher gegeneinander gearbeitet haben. Aber Anhaltspunkte und ein großes Puzzle an Informationen gab es ja damals, wie wir wissen, die auch in den einschlägigen Berichten stehen, z.B. vom US-Kongress.
Radio Utopie: Glauben Sie denn, letzten Endes, die heute kolportierte Version der US-Regierung vom Hergang des 11.Septembers? Gehen Sie davon aus, dass diese umfassend der Wahrheit entspricht?
Wilhelm Dietl: Es kann sein, dass manches ein bisschen von der Wahrheit abweicht, aber das Große und Ganze halte ich für korrekt.
Radio Utopie: Zum angestrebten Treffen mit Bin Laden – was kostet es eigentlich so sich heranzutasten, dass man sagen kann, jetzt hat man eine Chance diesen Mann zu treffen?
Wilhelm Dietl: Das hat gar nichts gekostet. Ich hatte einfach sehr gute Kontakte im Raum dort, in Pakistan, zum Beispiel, die dann natürlich alle weggefallen sind nach meiner Enttarnung durch den BND. Die konnten wir dann alle vergessen. Aber ich war sehr eng an den Islamisten dran in Pakistan und hatte eine ganze Reihe sehr persönlicher Kontakte, über viele Jahre hinweg.
Radio Utopie: Bis 2005, also bis zur Enttarnung?
Wilhelm Dietl: Ja. Aber ich habe sie in der Zeit nicht intensiv genutzt, weil ich nicht hingefahren bin.
(Foto: © Wilhelm Dietl). Wilhelm Dietl (links) und Abdul Halim Khaddam 2008. Khaddam ist ehemaliger Vizepräsident von Syrien und diente während der UNO-Untersuchung des 2005 erfolgten Attentats auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsident Rafik Hariri als Zeuge der Anklage.
Radio Utopie: Herr Dietl, zur Enttarnung durch den BND mal eine sehr spekulative Frage – ist es möglich, dass die Strategen der Strategie der Spannung einen Dietl nicht gebrauchen konnten als Terrorismusexperten? Und dass er deshalb enttarnt werden musste?
Wilhelm Dietl: Ich weiss es nicht. Kann ich nicht sagen. Ich kenne die Motivation nicht, denn es ging ja schon los mit diesen „gefälschten irakischen Papieren“, sage ich jetzt mal in Anführungszeichen. Das waren seltsamerweise im „Focus“ aufgetauchte Papiere in arabischer Sprache, die als Dokumente des irakischen Geheimdienstes ausgegeben wurden, wo ich solch himmelschreiende Kooperation mit dem irakischen Geheimdienst praktiziert haben soll, dass ich denen verraten habe was Herr Markwort über Saddam Hussein denkt.
Radio Utopie: Das wurde Ihnen vorgeworfen?
Wilhelm Dietl: Ja.
Radio Utopie: In diesen Papieren schreibt ein Herr mit unleserlicher Unterschrift, der Herr Dietl hätte gesagt, dass nach seinem Wissen die Journalistin XY vom „Focus“ nicht für den Bundesnachrichtendienst arbeitet..
Wilhelm Dietl: ..das auch, ja.
Radio Utopie: ..und das Herr Markwort das und das über Saddam Hussein gesagt hat. Ausserdem stand da drin: `ich schlage vor, Herrn Dietl für seine treuen Dienste`..sechstausend Dollar?
Wilhelm Dietl: `..zu bezahlen`
Radio Utopie: `..zu bezahlen`.
Wilhelm Dietl: ..und dass Herr Markwort gerne wieder in den Irak fahren könne, wenn sich das alles wieder ein bisschen beruhigt. Das stand da drin. Also, diese sensationellen Erkenntnisse veranlassten Herrn Markwort diese Papiere an den BND zu geben. Der BND übersetzte sie und übergab sie mit einer Beurteilung an die Bundesanwaltschaft, die leitete Vorermittlungen ein und stellte diese dann ein, weil der Verdacht der „geheimdienstlichen Tätigkeit“ (Anm.: „für den Geheimdienst einer fremden Macht„) nicht ausreichend war. Also ein Sturm im Wasserglas und ein echter Unsinn.
Radio Utopie: Herr Dietl, nochmal zurück zur Frage Ihrer Enttarnung durch den BND. Sie werden im Schäfer-Bericht enttarnt, wo sie gar nicht reingehören. Sie haben nicht als Journalist für den BND gearbeitet, sie haben als „reisender Gesprächsaufklärer“ für den BND gearbeitet, oder als Agent. Gleichzeitig wird in der Bundesrepublik, unter Herrn Hanning, der im Untersuchungsausschuss die unheilige Allianz mit Syrien lobt und sagt, `was habt Ihr denn gegen die Syrer? Die bringen Ergebnisse..`
Wilhelm Dietl: ..`die wir anders nicht kriegen würden`
Radio Utopie: ..wird also durch Herrn Hanning und Herrn Ziercke und wie sie alle heissen, eine Riesenhysterie in Deutschland verbreitet, als würde Osama bin Laden hier durch Berlin laufen und überall seine Bömbchen plazieren. Wenn Leute so etwas planen, dann steht ihnen immer eins im Wege: der Fach- und der Sachverstand. Warum wird der Terrorismusexperte Dietl ausgeschaltet, durch eine Enttarnung die für ihn lebensgefährlich ist, im Zusammenhang mit einer Journalisten-Affäre, die ganz offensichtlich vom Bundesnachrichtendienst selbst in die Presse gebracht wurde?
Wilhelm Dietl: Das frage ich mich selbst seit damals. Ich komme nur zu dem Schluss, dass es mit den beiden Juretzko-Büchern zu tun haben muss, denn sonst habe ich nichts „angestellt“.
4.Teil: „Wir sehen hier eine falsch verstandene Bündnistreue“