INTERVIEW MIT EINEM EX-AGENTEN: Wilhelm Dietl über „Schattenarmeen“.

SchattenarmeenDer ehemalige Agent des Bundesnachrichtendienstes Wilhelm Dietl hat ein Buch über die Geheimdienste des Nahen und Mittleren Ostens veröffentlicht. Radio Utopie traf den ehemaligen Schattenmann des BND zu einem Gespräch in Berlin Mitte.

Das Interview führten die Redakteure ter und Daniel Neun.

Radio Utopie: Zuerst einmal herzlichen Dank, Herr Dietl, dass Sie uns dieses Interview geben. Ist es für Sie angenehm, wieder in Berlin zu sein?

Wilhelm Dietl: Im Prinzip ja. Also ich dränge mich nicht danach, nach Berlin zu kommen, aber von Zeit zu Zeit ist das angenehm.

Radio Utopie: Was sind denn die Orte, die Sie gern besuchen und die Sie auch gern wiedersehen?

Wilhelm Dietl: Städte wie Wien, Prag oder Zürich.

Radio Utopie: Würden Sie den Leserinnen und Lesern vielleicht im Groben beschreiben, was Ihre Tätigkeit für den Bundesnachrichtendienst war und wie Sie dazu gekommen sind? Was können Sie dazu sagen?

Wilhelm Dietl: Ich bin 1982 vom Bundesnachrichtendienst angeworben worden. Ich hatte damals schon einen Namen als Nahost-, nennen wir es mal Korrespondent oder Journalist, der sich im Nahen Osten auskennt, hatte viele Kontakte, hatte viele Beziehungen; Beziehungen, die den Bundesnachrichtendienst interessiert haben. Es sah danach aus, als würde ich journalistisch den Nahen Osten wieder ein bisschen verlassen. Verlage oder Zeitschriften sind ja Einrichtungen, die Moden unterworfen sind. Die „Quick“ zum Beispiel, damals einer meiner Hauptauftraggeber, hat gesagt, so, jetzt kümmern wir uns wieder um andere Gegenden und um andere Themen. Also kam mir das dann richtig zustatten, dass der Bundesnachrichtendienst kam und sagte, wir suchen jemanden, der sich da richtig drauf konzentriert und nur bei dem Thema bleibt. Und so wurde es dann auch.

Ich habe dann in den ersten zwei, drei Jahren vor allem beschafft. Also ich war im Nahen Osten wie ein Journalist, habe wie ein Journalist Unterlagen, Dokumente, Informationen beschafft – aber eben der „anderen Art“. Also nicht Unterlagen, die man dann im nächsten Tag in einer Zeitung veröffentlichen würde, sondern, was weiss ich, das Handbuch eines sowjetischen Hubschraubers, oder Internas aus dem Verteidigungsministerium in Damaskus. Sachen, die mit Sicherheit nicht zur Veröffentlichung geeignet waren, das wird heutzutage immer vermischt. Es gibt ja Leute, die sagen, ich hätte das gleichzeitig gemacht, Sachen die ich für die „Quick“ gemacht habe dem BND gegeben, usw. So war es nicht. Es waren zwei völlig verschiedene Genres, weil, der BND war nicht an den Dingen interessiert, die er am nächsten Tag in der Zeitung lesen konnte.

Gut. Das hat sich dann ausgeweitet, dahingehend, dass ich ein komplettes Netz von Informanten aufgebaut habe, die regelmäßig geliefert haben, die in sensiblen Positionen saßen, die regelmäßig bezahlt wurden, die geführt wurden von mir. Ich bin also der Reihe nach zu den Leuten gereist, in immer kürzeren Intervallen und habe deren Dokumente, das, was sie angeboten haben, abgenommen, habe das bezahlt und nach Deutschland gebracht.

Radio Utopie: Können Sie sagen, in welcher Stadt Sie Ihren Hauptstützpunkt hatten, Ihren Haupt-Lebensmittelpunkt?

Wilhelm Dietl: Ich kann sagen, dass ich meistens in Damaskus gearbeitet habe, aber der Hauptstützpunkt war dort nicht, am Anfang war ich häufig in Beirut. Da kam dann natürlich die Gefahr der Entführung dazu. Als immer mehr Leute entführt wurden, musste ich mich zwangsläufig von Beirut fernhalten.

Radio Utopie: Gefahr durch wen?

Wilhelm Dietl: Die Iraner, bzw. die Hizb-Allah (Hisbollah). Die hat in den 80er Jahren immer mehr Ausländer entführt und das war dann ein triftiger Grund, das Schicksal nicht zu stark herauszufordern. Da war ich dann mehr in Zypern, oder „drumherum“, ich war in Amman öfters oder auch direkt in Damaskus.
Ich habe dann auch Abstecher gemacht nach Afghanistan und Pakistan, ich war in Libyen, ich war in Ägypten, ich war im Jemen..

Radio Utopie: Sie haben ein Buch veröffentlicht namens „Schattenarmeen“. Das ist ja nicht Ihr erstes Buch. Können Sie uns beschreiben, welche Bücher Sie geschrieben haben, welche Sie veröffentlicht haben und welchen Ärger Sie damit hatten?

Wilhelm Dietl: Das ist mein 18.Buch. Das erste Buch erschien 1981 und war eigentlich relativ harmlos und hatte mit Journalismus zu tun, mit journalistischen Darstellungsformen. Wird heute noch an Schulen verwendet, als sogenanntes „unterrichtsbegleitendes Buch“. Nachher habe ich mich dann mit den Bereichen beschäftigt, die mich beschäftigt haben, sprich Afghanistan, oder Waffenhandel, oder zunehmend dann mit Geheimdiensten. Ich habe mehrere Bücher veröffentlicht, die mit dem Mossad zu tun haben, zum Beispiel das Porträit einer Mossad-Killerin, die einen Palästinenser namens Ali Hassan Salameh auf dem Gewissen hat (Anm: „Die Agentin des Mossad“) oder zum Beispiel über die Jagd auf Adolf Eichmann (Anm.: „Der Jäger. Operation Eichmann: Was wirklich geschah.“), das ich mit dem Mann zusammen geschrieben habe, der Eichmann damals gefunden hat in Argentinien. Dann habe ich vier Bücher geschrieben, die mit dem BND in Zusammenhang stehen, zwei in Co-Autorenschaft mit Norbert Juretzko, der praktisch seine Geschichte erzählt hat und im Unfrieden geschieden war vom BND. Das hat sehr viel Ärger gebracht.

Juretzko wurde wegen Landesverrats angeklagt und freigesprochen. Ich wurde nicht wegen Beihilfe zum Landesverrat angeklagt – was sie eigentlich vorhatten, weil das ein sehr schwammiger Begriff ist – sondern bei mir hat man dann auf das grosse Repertoire der Intrigen zurückgegriffen und mich in eine Tüte gesteckt mit den Leuten die im Schäfer-Bericht vorkommen und die als Journalisten im Auftrag des BND andere Journalisten bespitzelt haben, über Jahre hinweg. Nach dem Motto, „Es wird schon was hängen bleiben“ hat man mich da auch reingesteckt. Und so kam ich eben in den Schäfer-Bericht und in diese ganze Mühle rein. Das war der Ärger, den die Juretzko-Bücher hervor gerufen haben. Das hatte zur Folge, dass ich zwei weitere Bücher über den BND geschrieben habe, in denen ich erklärt habe, dass dies nicht so war und dass das alles anders ist.

Ich habe ein Buch über Frauen im Geheimdienst geschrieben und eben jetzt dieses Buch über die Geheimdienste in der arabischen Welt und im Iran; ein Buch, was es noch nicht gibt, was noch keiner geschrieben hat, das exklusiv ist.

Radio Utopie: Berichten Sie doch mal über die Vorbereitung dieses Buches. Wie sind Sie da vorgegangen? Was können Sie dazu sagen?

Wilhelm Dietl: Es hat mir natürlich geholfen, dass ich sehr, sehr lange im Nahen Osten gearbeitet habe, dass ich viele Leute dort kenne, dass ich Leute auch bei den Geheimdiensten dort kenne, auch Leute die unzufrieden sind, die im Unfrieden geschieden sind, die natürlich viel extremere Angst haben vor ihrem früheren Arbeitgeber als bei uns einer. Wenn einer beim BND ausscheidet, dann kann er leichter reden, als wenn einer in Damaskus ausscheidet. Also war es natürlich sehr schwierig diese Leute zu sprechen und diese Dinge zu vertiefen..

Radio Utopie: Waren Sie vor Ort?

Wilhelm Dietl: ..ich war vor Ort. Ich war nicht in Damaskus bei der Recherche, denn ich kann dort nicht mehr hin. Seit der BND mich geoutet hat, 2005 und 2006, ist die Strasse nach Damaskus zu. Es ist zu gefährlich, dorthin zu gehen. Aber ich kann nach Jordanien, ich kann nach Beirut, ich kann nach Zypern, was auch immer. Aber ich war auch mehrere Male in Israel, weil, die Israelis sind ja zwangsläufig sehr gut informiert über ihre Nachbarn. Ich war in Paris, in London, in Washington in der Sache. Und da gibt´s überall gut informierte Leute. Wie gesagt, es gibt keine Danksagung in dem Buch, weil, das schliesst sich aus.

Ich habe keine Möglichkeit gehabt mit den deutschen Diensten oder Behörden darüber zu sprechen. Da hält man sich sehr, sehr bedeckt. Da gibt es keine Möglichkeit nachzufragen; wobei, da besteht die Problematik darin, dass die deutschen Dienste sehr gern mit „denen dort“ kokettieren, z.B. der BND mit den Syrern. Da ist inzwischen eine ganz innige Partnerschaft entstanden. Wo die Amerikaner noch leicht da drüber reden können, hat der BND ein Problem, weil er regelmäßige, gegenseitige Besuche kennt, weil der Resident des BND in Damaskus sehr eng mit den Kollegen dort verkehrt, und so weiter, also die haben ein echtes Problem über die Schattenseiten zu reden.

Radio Utopie: Wie kommt diese innige Beziehung ausgerechnet zwischen dem Bundesnachrichtendienst und den Syrern zustande? Hat das geostrategische, hat das politische, hat das wirtschaftliche Hintergründe?

Wilhelm Dietl: Es ist sehr schwer zu sagen, ich kann da eigentlich nur mutmassen. A) sind die Syrer natürlich so etwas wie die Deutschen des Nahen Ostens. Man ist schon so ein bisschen geistig verwandt miteinander. Die Syrer sind sehr formalistisch, sind sehr bürokratisch, bewundern „das Deutschtum“ an sich, was zum Teil auch auf die Iraker zugetroffen hat. Es gab sehr enge Kontakte in den 80er Jahren mit den Syrern, gerade als es deutsche Geiseln im Libanon gab, da haben die beiden Dienste sehr eng zusammen gearbeitet.

Vielleicht ist es auch so eine Art Arbeitsteilung. Die Syrer waren ja immer outlaws, parias, wenn Anschläge passierten die mit den Syrern in Zusammenhang standen und auffällig war, dass sich die Deutschen dann von der Verurteilung der Syrer fern hielten. Die Engländer haben die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, die Amerikaner haben zu gemacht gegenüber Syrien, da war dann plötzlich monatelang und jahrelang kein Botschafter mehr da, und so weiter, und die Deutschen haben immer weiter gemacht, immer weiter gemacht und immer innig. Vielleicht war das auch eine Absprache zwischen den westlichen Diensten, dass sie gesagt haben, egal was passiert, die Deutschen halten den Kontakt. Aber ich habe nie eine Anweisung gelesen, „machen wir so“.

Radio Utopie: Thema Syrien. Können Sie uns Einzelheiten zu dem Wechselspiel der Kräfte sagen, was letzten Endes zu der Festnahme von Carlos und von Weinrich geführt hat?

Radio Utopie: Eine Zigarettenschachtel.

Wilhelm Dietl: Ja. „Lucky Strike“.

Radio Utopie: Die merkwürdigerweise beim BKA gelandet ist.

Wilhelm Dietl: Ja. Weil der BND sie nicht wollte.

Radio Utopie: Eine Zigarettenschachtel. Was war da los, welche Umstände liefen da?

Wilhelm Dietl: Die deutschen Behörden wussten, dass Carlos und der harte Kern seiner Bande in den 80er Jahren in Damaskus unter gekommen waren, als der Boden für sie in Osteuropa verbrannt war. Sie wissen ja, die Carlos-Bande war sehr stark in Budapest, war sehr stark in Bukarest, gelegentlich in Ostberlin zu Besuch. Irgendwann brach das alles zusammen, weil die Osteuropäer natürlich auch ihre Umwälzungen hatten und in der Angst lebten, dass das alles bekannt wird im Westen. Deswegen trauten sie sich nicht mehr, diese Gruppe zu unterstützen. Also zogen die sich zurück und zwar nach Damaskus – und waren auch mehr oder weniger im „Vorruhestand“. Von dem Zeitpunkt an haben die terroristisch nichts mehr unternommen.

Aber die Suche nach Carlos und seinen Leuten lief natürlich weiter. Die Franzosen hatte eine offene Rechnung und auch andere hatten ein Interesse daran, Carlos & Co der Gerechtigkeit zuzuführen.

Radio Utopie: Darf ich da mal kurz unterbrechen. Ihre Formulierung war, „die deutschen Behörden wussten“, wo Carlos untergekommen war. Woher wussten die deutschen Behörden das? Weil ein Herr Dietl in einem Vorort den Wohnsitz von Carlos bzw. Weinrich gefunden hat?

Wilhelm Dietl: Das war bestimmt eine Komponente dabei, ja. Der Vorort war ein Diplomatenviertel.

Radio Utopie: An wen sind diese Informationen gegangen, an den BND oder an das BKA?

Wilhelm Dietl: An den Herrn Mehlis. An den Oberstaatsanwalt Mehlis, der in Berlin das Verfahren geleitet hat gegen Carlos und seine Gruppe. Und Mehlis hat sich ja stärker des BKA bedient als des BND. Der hatte zwar auch sehr gute Kontakte zur Terrorismusabteilung des BND, aber seine Helfer saßen beim BKA.

Also, es gab da eine größere Story im „Stern“, in dem auch ein Foto von Weinrich zu sehen war. Ein Exemplar dieser Ausgabe kam über die Lufthansa nach Damaskus und landete bei der Vertragswerkstatt von Daimler-Benz. Die sahen das dort und sagten, `oh, das ist doch der Herr Schmidt, der Herr Schmidt aus Österreich`. Der Herr Schmidt betreute den Fuhrpark des syrischen Luftwaffengeheimdienstes und kam immer mal wieder, alle paar Tage, mit einer großen Limousine deutscher Automobilfirmen in diese Werkstatt zum Kundendienst. Und eines Tags kam er wieder und entsorgte eine Zigarettenschachtel der Marke „Lucky Strike“ in den dortigen Papierkorb. Die wurde dann geborgen von den Leuten und an das BKA in Deutschland weiter gegeben. Und darauf waren die Fingerabdrücke des Herrn Weinrich. Das intensivierte die Ermittlungen und führte auch dazu, dass Oberstaatsanwalt Mehlis ein Auslieferungsersuchen formulierte an die Syrer. Das blieb ein Jahr lang liegen, weil sich in Deutschland die Politik dagegen sperrte.

Auch so ein typischer Fall. Ein Auslieferungsersuch des Kammergerichtes in Berlin kann man nicht einfach an das entsprechende Gericht in Damaskus schicken. Das musste damals an das Bundesjustizministerium in Bonn gehen und damit in die Hände der Politik. Dann musste das Auslieferungsersuchen an das Bonner Aussenministerium, von dort aus an das Aussenministerium in Damaskus, von dort aus an das Justizministerium in Damaskus, von dort aus an die zuständige Staatsanwaltschaft in Damaskus und dann, sagen wir mal, an die Polizei in Damaskus weiter geleitet werden. Und dieser Weg blieb versperrt.

In Bonn blieb das Auslieferungsersuchen hängen, ein Jahr lang. Es musste noch viel passieren und viele Leute mussten sich da noch einsetzen, bis es schließlich durchlief. Die Syrer erschraken, als sie dieses Auslieferungsersuchen bekamen und merkten, da ist es jemandem ernst. Das waren sie nicht gewohnt. Sie hatten bis dahin auch immer dementiert, dass diese Leute bei ihnen im Land sind. Es war ein Kurswechsel, der dann eintrat. Dann haben sie denen, Carlos und seiner Gruppe, dargelegt, man würde sich gern von ihnen trennen.

Radio Utopie: Bei wem blieben denn die Akten ein Jahr lang in Bonn hängen?

Wilhelm Dietl: Im Justizministerium.

Radio Utopie: Im damaligen Justizministerium?

Wilhelm Dietl: Ja. Vielleicht auch im Auswärtigen Amt. Da hat keiner mehr großartig drüber geredet. Oder das Auswärtige Amt hat gesagt, `behaltet das für Euch, schickt das gar nicht erst rüber zu uns`. Es blieb jedenfalls im Bonner Ministerial-Zirkel hängen. Am Ende kam es nach Damaskus. Ich habe mit dem deutschen Botschafter gesprochen, der hat das dann auch überreicht. So etwas nimmt dann der Botschafter unter den Arm und geht zu den dortigen Behörden und sagt, `ich habe hier etwas aus Bonn gekriegt, das würde ich gerne abgeben`. Dieser Vorgang passierte dann auch irgendwann mal. Die Syrer wurden daraufhin etwas panisch und haben Carlos und seinen Leuten gesagt, `jetzt wollen wir, dass ihr verschwindet, weil es wirklich Ärger gibt`.

Dann haben die versucht in Libyen unterzukommen und wurden wieder rausgeschmissen. Sie kamen bis zum Flughafen in Tripolis – Carlos, seine Frau, seine Mutter, zwei Mitstreiter, eine kleine Reisegruppe mit ein paar Handfeuerwaffen, ein paar Granaten und einem Koffer voller Geld dabei – und wurden wieder zurück geschickt nach Damaskus. Dort überlegten sie eine Weile und verteilten sich dann in alle Himmelsrichtungen. Carlos ging über Amman in den Sudan, Weinrich in den Jemen und die Ehefrau nach Venezuela. Und das war der Anfang vom Ende.

Radio Utopie: Zum Thema Detlev Mehlis. Am 14. Februar 2005 wurde der damals ehemalige Ministerpräsident Rafiq al-Hariri bei einem Attentat ermordet. Mit ihm starben 23 Menschen.  Die UNO setzte daraufhin den Berliner Staatsanwalt Detlev Mehlis als Sonderermittler ein. Am 20. Oktober 2005 übergab Mehlis einen Zwischenbericht seiner Untersuchungen an den damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan und berichtete am 25. Oktober sogar dem Weltsicherheitsrat über den Stand seiner Ermittlungen. Seinen Ermittlungen zufolge gab es einen Anfangsverdacht gegen Syrien, zumindest gegen einen Teil des dortigen Regierungsapparates. Wie sich dann im Nachhinein herausstellte, war sein Kronzeuge Suheir al-Sadik gekauft worden und ein mehrfach verurteilter Betrüger. Al-Sadik war an dem Attentat selbst beteiligt und hatte mehrfach gelogen und das wusste man in der UNO bereits zum Zeitpunkt der Übergabe von Mehlis´ Zwischenbericht im Oktober 2005. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Wilhelm Dietl: Das ist eine schwierige Frage. Der Sachverhalt ist äußerst komplex, gerade was einzelne Zeugen betrifft. Man weiss ja nicht, wenn der gekauft war, von wem er gekauft war; mit Sicherheit nicht von Mehlis. Er könnte ja, das ist jetzt eine Mutmaßung, z.B. von der Familie Hariri gekauft worden und Mehlis präsentiert worden sein. Das weiß man nicht.
Ich habe mich nicht um solche Details gekümmert. Mich hat die Sache generell interessiert. Ich habe nicht ein komplettes Buch über den Hariri-Mord geschrieben, es gibt ja schon mehrere Bücher darüber und jedes Buch kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es gibt ein Buch, das sagt, die Syrer waren es auf keinen Fall und es gibt englischsprachige Bücher die sagen, es kommen nur die Syrer in Frage. Da gibt es ganze Denkschulen, was den Hariri-Mord betrifft.

Mehlis hat als Zeugen zum Beispiel auch den früheren syrischen Vizepräsidenten Abdel-Halim Chaddam, der im Asyl in Paris lebt, den ich auch getroffen habe und der im Brustton der Überzeugung sagt, `unser Geheimdienst war das`. Und wenn man ihn dann fragt, wo denn die genauen Indizien sind, sagt er, `warten Sie auf den Abschlussbericht der Ermittlungen`, den es ja noch nicht gibt. Die UN-Ermittlungen laufen ja immer noch, auch unter dem Nachfolger von Mehlis, unter dessen Nachfolger und dessen Nachfolger. Das ist ja inzwischen institutionalisiert bei den UN, es soll ja am Ende ein Verfahren vor dem Weltgerichtshof stattfinden.

Radio Utopie: Mehlis hat ja nach seinem zweiten Bericht an die UNO seine Aufgabe abgegeben, aus persönlichen Gründen, wie es hieß. Trotzdem bekam er nachher zwei hohe Orden durch die Regierungen in Berlin und Paris verliehen, obwohl er den Fall ja nicht gelöst hatte und sich nachher die Spannungen im Libanon hochkochten – zwischen Hariris Sohn Saad, Erbe seines Milliardenvermögens, guter Freund Washingtons und des saudi-arabischen Königshauses, saudischer Staatsbürger, nach dem Attentat auf seinen Vater 2005 Wahlsieger mit seiner neu gegründeten „Rafiq-Hariri-Märtyrer-Liste“ einerseits, sowie dem Oppositions-Bündnis aus der schiitischen Amal, der Hizb-Allah und dem aus Frankreich zurückgekehrten ex-General Michel Aoun andererseits. Im Sommer 2006 marschierten die Israelis im Libanon ein, nachdem an der Nordgrenze zwei israelische Soldaten durch die Hizb-Allah entführt wurden. Vorher verlieh die Berliner Regierung Mehlis das Bundesverdienstkreuz erster Klasse und im Oktober 2006, also nach dem blutigen Libanonkrieg, bekam er den französischen Nationalen Verdienstorden.
Wie passt das alles zusammen?

Wilhelm Dietl: Ich weiss nicht, ob das nun unbedingt ursächlich mit den Ermittlungen in Sachen Hariri zusammenhing. Mehlis hat ja schon vorher sehr viel gemacht, La Belle, la Maison de France, Carlos – ich denke, das ist die Summe. Genauso wie man einen Oscar für das Lebenswerk verleiht. Ich glaube nicht, dass es nur die Hariri-Ermittlungen waren, denn alles was Mehlis gemacht hat, betraf sowohl Frankreich als auch Deutschland. Er war ja sehr eng mit dem Richter Bruguière, das war ein Tandem, eine Zeit lang.

Radio Utopie: Berührte dieser Hariri-Mord internationale Interessen? Also auch die Ermittlungen diesbezüglich?

Wilhelm Dietl: Unbedingt. Vor allem löste der Hariri-Mord eine Entwicklung aus, die für den Nahen Osten revolutionär war. Die Syrer mussten aus dem Libanon abziehen. Das hat kein Mensch vermutet, dass das so schnell gehen würde. Das ist vergleichbar mit dem Fall der Mauer in Berlin. Eine Woche vor dem Hariri-Mord hätte Sie jeder ausgelacht, wenn Sie gesagt hätten, die ziehen innerhalb von zwei Monaten ab. Die sassen da drin wie die Kletten, die waren ja seit 1976 im Libanon fest integriert, als sogenannte Friedenstruppen.

2.Teil: „Wenn etwas auffällt, wird es immer dem Mossad in die Schuhe geschoben“
3.Teil: „Ich würde mir ein öffentliches Gespräch mit Uhrlau und Hanning wünschen“