Töten mit Freundlichkeit: Somalia schafft einen Präzedenzfall für „humanitäre“ US-Interventionen

Autor: Ted Galen Carpenter

Eine Entwicklung, die einen äußerst unglücklichen außenpolitischen Präzedenzfall schuf, fand in den letzten Wochen der Regierung von George H.W. Bush statt, als die Vereinigten Staaten eine „humanitäre“ Militärintervention in Somalia starteten. Obwohl dieser Einsatz angeblich unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stattfand, hatte Washington das Kommando fest in der Hand. Der vielschichtige Konflikt in Somalia zwischen rivalisierenden Milizen hatte zu einer schweren Hungersnot geführt, die von US-amerikanischen und anderen westlichen Offiziellen – unterstützt von willfährigen Nachrichtenmedien – hervorgehoben und aufgebauscht wurde. In seiner Fernsehansprache an das amerikanische Volk betonte Bush selbst, dass das Motiv für die Militäroperation darin bestand, ein vernünftiges Maß an Ordnung wiederherzustellen, damit Lebensmittel und medizinische Hilfsgüter zu den schwer leidenden somalischen Zivilisten gelangen konnten. „Töten mit Freundlichkeit: Somalia schafft einen Präzedenzfall für „humanitäre“ US-Interventionen“ weiterlesen

Justizministerium: Beschlagnahmte News-Domains verstoßen gegen Sanktionen

Beamte werfen Nachrichtenseiten „bösartigen Einfluss“ vor

Das US-Justizministerium hat endlich eine Erklärung im Zusammenhang mit der Beschlagnahmung der Domain-Namen mehrerer ausländischer Nachrichten-Websites, darunter PressTV.com, veröffentlicht. In der Erklärung heißt es, dass 33 Website-Domains beschlagnahmt wurden, weil sie zumindest teilweise von der iranischen Islamic Radio and Television Union gehalten werden, drei weitere werden von der irakischen Kataib Hezbollah betrieben.

Das Argument ist, dass die Union seit Oktober unter US-Sanktionen steht und dass es ihr verboten ist, Domains ohne Lizenz von einem US-Dienst zu beziehen. Das Office of Foreign Asset Control (OFAC) sagte, die Seiten der Gewerkschaft seien als Nachrichtenorganisationen oder Medien getarnt“ und hätten bösartige Einflussoperationen“ durchgeführt. „Justizministerium: Beschlagnahmte News-Domains verstoßen gegen Sanktionen“ weiterlesen

Staat und Volk haben das Grundgesetz nicht verdient. Sie haben es nötig.

02.07.2007 Globaler Krieg: Grossbritannien und Deutschland sollen zu faschistischen Polizeistaaten transformiert werden
21.03.2020 Coronavirus: Einen kleinen Staatsstreich spielen
03.04.2020 Militäreinsatz im Inland? Die Putschisten bluffen.
31.08.2020 Berlin am 29. August: Analyse einer Dialektik von Sabotage an Verfassung und Demokratie

Ich höchte hier und jetzt einerseits die Putschisten im Staatsapparat und andererseits ihre dialektischen Spielfreunde von der anderen Seite der Medaille, „Querdenker“ und andere Monarchisten und Faschisten, ausdrücklich davor warnen, nach der Freimaurer-Parole „Ordo ab Chao“ zu versuchen ihre bereits gescheiterten Pläne zum Sturz des Grundgesetzes nochmals voran zu treiben. Auch die dreiundfuffzigste Welle von Propaganda und wohlständischem Schwachsinn, oder Fantasien von einem Systemwechsel, werden euch helfen. Das gilt auch für die E.U.-Reichsbürger.

All den Verwirrten, Verblödeten und Passiven in der berühmten „breiten Mehrheit“ der Deutschen – dazu zählen leider trotz über dreizehn Jahren unserer Arbeit offensichtlich auch Leser und Leserinnen von Radio Utopie – möchte ich hier in gestützter Kommunikation versuchen begreiflich zu machen:

Wie der Staat und seine Funktionäre habt Ihr das Grundgesetz nicht verdient, genauso wie die Demokratie. Ihr habt es nie erkämpft, ihr habt es nie verteidigt und ihr tut nichts dafür.

Nochmals – aus meiner Sicht ist folgende grundlegende Erkenntnis nötig:

„Weder wollen die Deutschen denken, noch können sie es. Auch wollen sie weder eine Demokratie, noch können oder begreifen sie diese.

Genau das ist der allerbeste Grund sie ihnen unbedingt zu erhalten.“

Gerade wenn und weil sich die Deutschen – das seid auch Ihr – sich alle paar Jahre wieder und wieder und wieder den letzten Dreck zusammenwählen und zu dumm sind die einfachsten Selbstverständlichkeiten einer Demokratie organisiert zu bekommen – z.B. neue Parteien zu gründen weil die bestehenden Verräter oder Müll sind – ist das der allerbeste Grund Euch dieses Recht unbedingt zu erhalten.

Nichts wird besser, wenn man den Menschen die Demokratie wegnimmt – gerade den Deutschen. Nichts. Weimar, aber auch die letzten 16 Jahre Einheitsregierung und Demokratie-Simulation, dürften dazu ausrechend Beleg sein.

Ich erläuterte es bereits: Der Staat (das heißt erstmal Nichts außer eine große, bewaffnete und mit allerlei Spielzeugen ausgestattete Hierarchie) steht vor einem Regimewechsel, der so nicht geplant war. Grund dafür wird die nächste Bundestagswahl sein (etwas, was der Staat hasst wie sonst Nichts: Veränderung durch Wahlen).

Auch die abermalige Selbstentmachtung des Parlaments durch Verlängerung des verfassungswidrigen Ausnahmezustands bis zur Wahl, im Konzert mit dem meiner Meinung nach kontinuierlichen Hochverrat im Bundesverfassungsgericht, nützt diesen staatlichen Stellen, und dem Staat insgesamt, gar nichts.

Übrigens: Die Verfassung schreibt dem Staat in Artikel 28 und 38 unmissverständlich vor, dass Wahlen geheim sein zu müssen. Nur zur Erinnerung, für die lieben virtuellen DemokratInnen…

Also: wenn Ihr schon nichts für das Grundgesetz und seine Demokratie hinbekommt, dann tut lieber gar nichts. Wartet die Wahlen ab und wundert Euch dann.

Beste Grüße von der Brücke.

Laschets Welt

Außen- und sicherheitspolitische Grundsatzrede

Der als Grundsatzrede angekündigte Auftritt von Unionskanzlerkandidat Armin Laschet bei der Konrad-Adenauer-Stiftung bot wenige Überraschungen. Die Welt stehe vor einem „Epochenwechsel”, u.a. durch den Aufstieg Chinas, das er sowohl als Wettbewerber und Rivale, aber auch als potenziellen Partner charakterisierte. Dieser Aufstieg habe das Zeug, „das internationale Machtgefüge grundsätzlich zu verändern.“ Mit konfrontativen Versuchen, China entgegenzutreten, wie dem Plan, im Sommer eine Fregatte in den Indopazifik zu entsenden, scheint Laschet dabei keine Probleme zu haben, er halte dies für „richtig“, gab er an. „Laschets Welt“ weiterlesen

Rüstungsgroßprojekte

Milliardenpoker des Verteidigungsministeriums

Die Wunschliste von Politik und Militär ist lang, weshalb noch vor den Wahlen im September 2021 eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten durch den Bundestag geschleust werden sollen. Hierfür übermittelte das Verteidigungsministerium (BMVg) bereits im Februar eine Liste mit 51 sogenannten 25-Millionen-Vorlagen. Dabei handelt es sich um Vorhaben, die den besagten Betrag übersteigen und denen der Verteidigungs- und Haushaltsausschuss deshalb gesondert zustimmen muss. Schon damals wurde allerdings über eine weitere Aufstellung mit Rüstungsprojekten berichtet, die auf – vorsichtig formuliert – wackliger Finanzgrundlage stünden.

„In einer zweiten Liste werden Vorhaben genannt, deren Finanzierung derzeit ‚nicht gesichert ist‘. Genannt werden 15 Projekte, darunter die Nachfolge für das Kampfflugzeug Tornado und die Beschaffung eines Schweren Transporthubschraubers.“

Insofern mag es auf den ersten Blick etwas überraschen, dass am 10. Mai 2021 in zahlreichen Medien Alarm geschlagen und vor einem Scheitern diverser zentraler Rüstungsprojekte gewarnt wurde. Bei Spiegel Online hieß es beispielsweise:

„Zahlreiche Rüstungs-Großprojekte der Bundeswehr stehen auf der Kippe, weil die Finanzierung nicht gesichert ist. Das geht aus einer vertraulichen Liste des Verteidigungsministeriums hervor, die auch dem SPIEGEL vorliegt. Die Kosten für die bisher nicht sicher finanzierten Vorhaben summieren sich auf etliche Milliarden Euro.“

Eine Erklärung, worin der Unterschied zwischen der Liste im Februar und der im Mai liegt, blieben aber nahezu alle Medienberichte schuldig. Er besteht vor allem darin, dass nun auch die deutsch-französischen Prestigeprojekte Kampfpanzer (Main Ground Combat System, MGCS) und Kampfflugzeug (Future Combat Air System, FCAS) den Stempel „nicht finanzierbar“ verpasst bekommen haben. Beide Vorhaben gelten aber als Schlüsselprojekte von zentraler Bedeutung auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Rüstungskomplex und wurden mit viel politischem Kapital angeschoben, weshalb ihr Scheitern einen ziemlichen Scherbenhaufen hinterlassen würde.

Dies gilt insbesondere für das FCAS, über das es in der aktuellen Ausgabe der Internationalen Politik heißt: „Strategisch gesehen wird das Luftkampfsystem der Zukunft der Testfall schlechthin für eine europäische Sicherheitspolitik sein. […] FCAS war von Beginn an eher ein politisches denn ein militärisches Konzept, und vielleicht liegt darin ein Geburtsfehler. […] FCAS ist keine freiwillige Industriekooperation, sondern ein Projekt der politischen Machtzentren in Paris und Berlin.“

Das Verteidigungsministerium argumentiert deshalb schon seit einiger Zeit, diese länderübergreifenden Großprojekte müssten aufgrund ihrer (industrie)politischen Bedeutung entweder über andere Haushalte finanziert oder über eine Zusicherung kontinuierlich und deutlich steigender Militärausgaben abgesichert werden.

Vor diesem Hintergrund hat sich das BMVg zu einem Erpressungsversuch entschlossen, bei dem es hoch pokert. Die Abgeordneten sollen unter Druck und ihnen die sprichwörtliche Pistole auf die Brust gesetzt werden: Entweder ihr sorgt in der ein oder anderen Form für viele zusätzliche Milliarden oder wir fahren zentrale deutsch-französische Rüstungsprojekte gegen die Wand.

Finanzierungsprobleme?

Seit Jahren kennt der Militärhaushalt nur den Weg nach oben: von €24,3 Mrd. (2000) über €32,5 Mrd. (2014) und €38,5 Mrd. (2018) auf €46,9 Mrd. (2021). Dennoch sieht das von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn am 9. Februar 2021 veröffentlichte „Positionspapier: Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“ weiteren Handlungsbedarf:

„Angesichts dieser Gesamtlage stellen wir fest, dass die Bundeswehr trotz erheblicher Zuwächse im Verteidigungshaushalt in den vergangenen Jahren weiterhin unterfinanziert ist.“

Für wie unterfinanziert sich das Verteidigungsministerium genau hält, ließ es vermutlich bewusst durchsickern, indem die interne Finanzbedarfsanalyse 2022 an die Medien gelangte. Darin wird von einem Bedarf von €53,1 Mrd. für das Jahr 2022 ausgegangen, der sich schrittweise bis 2025 auf €61,5 Mrd. erhöhen soll.

Insofern hielt sich die Begeisterung auch in Grenzen, als die Eckwerte des Bundeshaushaltes vom 24. März 2021 für 2022 einen Haushalt von €49,3 Mrd. vorsahen, obwohl es sich dabei um eine nochmalige deutliche Steigerung des Haushaltes handeln würde. Besonders erbost zeigten sich militärnahe Kreise aber über die weitergehende Finanzplanung für die Jahre 2023 (€46,32 Mrd.), 2024 (€46,16 Mrd.) und 2025 (€45,73 Mrd.).

Zwar fällt der endgültige Beschluss über den Haushalt 2022 ohnehin in die Verantwortung der nächsten Bundesregierung, die auch nicht an die Vorgaben der Eckwerte für die Jahre 2023 bis 2025 gebunden sein wird. Die Sorge aber, dass die fetten Jahre unter Pandemiebedingungen und einer wahrscheinlichen Regierungsbeteiligung der Grünen nun vorbei sein könnten, dürfte die aktuelle Strategie des Verteidigungsministeriums befeuern, den eigenen budgetären Spielraum schon jetzt möglichst zu erweitern und den der kommenden Bundesregierung so weit als möglich einzuengen.

Outsourcing von Rüstungsgroßprojekten?

Schon November 2020 warnte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Grundsatzrede:

„Das führt mich zu einem zentralen Punkt: Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zu Lasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Betriebs nicht zustimmen. […] Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird – oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.“

Als Lösung für die Finanzierbarkeit der besonders teuren länderübergreifenden Großprojekte schwebt dem Verteidigungsministerium nun, wie bereits angedeutet, vor, deren Kosten einfach anderen Haushaltsposten aufs Auge zu drücken.

Zunächst tat sich mit diesem Vorschlag der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl hervor. Als dann aber Kramp-Karrenbauer und Zorn dieselbe Forderung – wenn auch ein wenig verklausuliert – in ihrem bereits erwähnten Positionspapier zur Zukunft der Bundeswehr erhoben, war klar, dass diese abstruse Idee ernst zu nehmen war.

„In diesem Zusammenhang weisen wir mit besonderem Nachdruck darauf hin, dass Verteidigung eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die sich nicht allein im Verteidigungshaushalt niederschlagen kann. Für die Finanzierung von politisch übergeordneten Großvorhaben, vor allem in der multinationalen Rüstungskooperation, steht die Bundesregierung gemeinschaftlich in der Verantwortung. Die staatliche Kernaufgabe Sicherheit muss breit getragen werden.“

Hier geht es um alles andere als Peanuts: Die wichtigsten „politisch übergeordneten Großvorhaben“ der „multinationalen Rüstungskooperation“ sind, wie erwähnt, das deutsch-französische Kampfflugzeug und der Kampfpanzer, bei denen jeweils von Entwicklungskosten von bis zu €100 Mrd. die Rede ist.

Blankoscheck für Rüstungsprojekte?

In seinem Anschreiben zur Liste der finanziell nicht abgedeckten Großprojekte verweist das BMVg explizit darauf, sie sei die direkte Folge der in den Eckwerten anvisierten Mittelausstattung, mit denen die Vorhaben nicht mehr finanzierbar seien: „Die Finanzierungsprobleme ergeben sich insbesondere aus dem im Eckwertebeschluss vorgesehenen starken Rückgang der Haushaltsmittel nach dem Jahr 2022.“

Dennoch sollen die Vorhaben augenscheinlich dem Haushaltsausschuss vorgelegt werden, der dann vor der Wahl steht, sie abzulehnen oder eine Finanzierung ggf. auch außerhalb des BMVg-Etats zuzusichern. Der militärnahe Blog Augengeradeaus schreibt dazu:

„Das Verteidigungsministerium will dem Haushaltsausschuss des Bundestages zahlreiche Rüstungsprojekte zur Billigung vorlegen, auch wenn deren Finanzierung noch offen ist. […] Anfang des Jahres hatte das Verteidigungsministerium den Abgeordneten von Verteidigungs- und Haushaltsausschuss bereits eine lange Liste mit den geplanten Vorhaben übergeben […]. Ein wenig überraschend scheint, dass das Verteidigungsministerium damit auch die bislang als gesichert geltenden multinationalen Projekte infrage stellt – und auch im Haushalt offensichtlich sichere Vorhaben doch nicht so sicher sind.“

Bei den „bislang als gesichert geltenden multinationalen Projekten“ handelt es sich, wie gesagt, vor allem um die deutsch-französischen Projekte FCAS und MGCS, die nun vom Verteidigungsministerium ebenfalls infrage gestellt werden. Die BMVg-Strategie ist dabei insofern recht clever, weil auch die Eckwerte des Bundeshaushaltes nicht nur die Bedeutung dieser Großprojekte betonen, sondern sie gehen sogar so weit, eine Art finanzielle Garantieerklärung für sie vorzuschlagen:

Es besteht Einvernehmen innerhalb der Bundesregierung, dass bestimmte Großvorhaben zum Schließen von Fähigkeitslücken gemäß dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und damit zur Wahrnehmung bereits eingegangener internationaler Verpflichtungen finanziert werden und dem Verteidigungshaushalt ermöglicht wird, die insoweit verabredeten Fähigkeitsziele zu erreichen. Dies gilt insbesondere für Vorhaben im Rahmen der deutsch-französischen und deutsch-norwegischen Rüstungskooperationen […].“

Indem das Verteidigungsministerium nun aber unter anderem keine Finanzgarantie mehr für die deutsch-französischen Rüstungskooperationsprojekte übernimmt, spielt es den Ball den Abgeordneten und dem Finanzministerium zu, die hierdurch massiv unter Zugzwang gesetzt werden: Entweder sie entscheiden sich dafür, den Erpressungsversuchen nicht auf den Leim zu gehen und die Vorhaben zu strecken oder gar einzustampfen. Damit würden sie sich dann aber den Schwarzen Peter für das mögliche Scheitern der Prestigeprojekte einhandeln. Denn spätestens Ende Juni müssen zum Beispiel die Gelder für das FCAS freigegeben werden, ansonsten droht eine deutliche Verschiebung, was das ohnehin gespannte Verhältnis zum Kooperationspartner Frankreich endgültig überdehnen könnte.

Hier geht es allein für die nächste Projektphase bis 2027 (der Erstflug ist erst für 2035 und die Auslieferung für 2040 terminiert) um immense Summen. Die Internationale Politik schreibt dazu: „Der Druck auf die deutsche Regierung also ist immens, denn in diesem Sommer tritt FCAS in die entscheidende Planungsphase. Im April haben die beiden ausführenden Rüstungskonzerne Dassault Aviation und Airbus Defence and Space ihren Regierungen einen Plan auf den Tisch gelegt, der den Bau eines flugfähigen Prototyps bis 2027 vorsieht. Kostenpunkt: rund neun Milliarden Euro. Soll der Zeitplan eingehalten werden, müsste der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen Finanzierungsplan freigeben mit dem deutlichen Hinweis: Hier wird nicht mit Millionen, sondern Milliarden gerechnet.“

Vor diesem Hintergrund ist es gut möglich, dass vor allem dem FCAS vom Bundestag ein Blankoscheck ausgestellt wird, schließlich ist das Projekt, in den Worten der Stiftung Wissenschaft und Politik, „too big to fail“.

Sollte den ungedeckten Rüstungsprojekten aber zugestimmt werden, würde dies den Spielraum der nächsten Bundesregierung wohl extrem einengen, was wohl auch das Ziel der Übung sein dürfte: Entweder müsste sie die diesbezüglichen Gelder durch ein weiter jährlich stark steigendes Militärbudget oder durch eine Verlagerung auf andere Haushaltstöpfe garantieren – in beiden Fällen würde das Verteidigungsministerium damit einen milliardenschweren Coup landen.

Veröffentlicht am 18. Mai 2021 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)

Wer Wind säht, wird im Sturm nicht mehr gerettet

Autorin: Emma Fahr

Die Privatisierung der Verwundetenevakuierung in Mali

Man musste schon resigniert mit dem Kopf schütteln, als die neuesten Bundeswehr-Nachrichten über ihre Rettungshubschrauber in Mali bekannt wurden.

Kurz zu den Basics: Die Bundeswehr ist seit 2013 im Rahmen der UN-Mission MINUSMA (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali) mit bis zu 1100 Soldat:innen im Einsatz. Das MINUSMA-Mandat ist (nach Afghanistan) nicht nur der zweitgrößte, sondern auch der zweittödlichste Einsatz. Mali gilt als „gefährlichste Uno-Mission der Welt“.1 „Wer Wind säht, wird im Sturm nicht mehr gerettet“ weiterlesen

Kirchentag: NATO

Nachdem die Bundeswehr im Gegensatz zu vorherigen Jahren diesmal keine Präsenz beim Ökumenischen Kirchentag haben soll (siehe IMI-Aktuell 2021/240), hätte man eigentlich davon ausgehen können, dass die Veranstaltung komplett militärfrei über die Bühne geht. Zu früh gefreut: Scheinbar soll nun NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ein Podium geboten werden, um sein Verständnis von Militär und Gewalt zu predigen. Aus der Pressemitteilung bei militaerseelsorge-abschaffen.de: „Der Ökumenische Kirchentag 2021 bietet NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ein Podium – also eine öffentlichkeitswirksame Werbeplattform – von wo aus er seine Kriege (z.B. Mali, Syrien, Irak, Afghanistan) und aggressiven Manöver (Defender 2021) rechtfertigen kann. Seit der Konstantinischen Wende (circa 313 n. Chr) bis heute arbeiten die großen Kirchen kontinuierlich bis heute mit dem Militär zusammen. Fast vergessen hat man, dass Christ*innen vorher (also von Jesus Christus bis 313 n. Chr.) militärische Gewalt strikt ablehnten. Die Kirche sollte sich zurückbesinnen auf diese Wurzeln!!!“

Veröffentlicht am 14.5.2021 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)
Link: https://www.imi-online.de/2021/05/14/kirchentag-nato/

Europa ohne Neutrale: Die NATO und Österreich

Am 10. Mai traf der Generalsekretär der Nordatlantikpakt-Organisation Jens Stoltenberg mit dem österreichischen Außenminister Alexander Schallenberg im NATO-Hauptquartier in Brüssel zusammen, um eine Vereinbarung über die Eröffnung eines NATO-Verbindungsbüros in Wien zu unterzeichnen.

Der NATO-Chef dankte Österreich für sechsundzwanzig Jahre militärischer Zusammenarbeit, beginnend mit dem Beitritt Österreichs zum Programm „Partnerschaft für den Frieden“ im Jahr 1995. Insbesondere würdigte er den Beitrag Österreichs zur NATO-Mission der International Security Assistance Force in Afghanistan, wo Österreichs Truppen zusammen mit denen von 53 anderen Ländern unter dem Kommando der NATO dienten. (Zu den anderen gehörten die EU-Mitgliedsstaaten und NATO-Partner Irland, Finnland, Schweden und die Schweiz. Im Jahr 2014 wurden Finnland und Schweden in den Status von „Enhanced Opportunities Partners“ erhoben. Die beiden Länder waren für Mazar-i-Sharif in der Provinz Balkh zuständig, wo ihre Truppen unter dem Kommando der NATO an Kampfhandlungen beteiligt waren.)

Stoltenberg würdigte auch Österreichs Beitrag zu den NATO-Operationen in Bosnien und im Kosovo und erörterte mit dem österreichischen Außenminister die Situation auf dem Westbalkan. Er lobte Österreichs Rolle bei der Entwicklung einer verstärkten Zusammenarbeit – bis hin zu einem effektiven Zusammenschluss – zwischen der EU und der NATO.

Das Internationale Zentrum des Österreichischen Bundesheeres ist ein offizielles Trainings- und Ausbildungszentrum der Partnerschaft für den Frieden, das „die Interoperabilität fördert, indem es Trainingsmöglichkeiten für Bündnispartner und andere Partnerländer bereitstellt.“

Österreich ist auch Mitglied des Programms zur Verbesserung der Verteidigungsausbildung und des Planungs- und Überprüfungsprozesses der Partnerschaft für den Frieden, in dessen Rahmen es „eine zunehmende Anzahl von Streitkräften und Ressourcen als potenziell verfügbar für Operationen unter der Führung der NATO erklärt hat.“ In den letzten sieben Jahren hat es zusammen mit dreiundzwanzig anderen Partnern, die „aktive Beiträge zu den Operationen der NATO leisten“, an der Interoperabilitätsplattform der NATO teilgenommen. Es ist auch Mitglied des NATO-Treuhandfonds und Teilnehmer an dem Programm „Wissenschaft für Frieden und Sicherheit“.

Das heute formell beschlossene Abkommen wird die offizielle Einrichtung des NATO-Verbindungsbüros zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien und damit den Zugang zu anderen internationalen Organisationen in der Bundeshauptstadt mit sich bringen.

Auf ihrer Website listet die NATO jedes Land auf dem europäischen Kontinent (mit Ausnahme der Kleinststaaten Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Mario und Vatikanstadt) als Mitglied oder Partner auf. Die Partner werden unter Programmen wie dem Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat, der Partnerschaft für den Frieden, einzelnen Partnerschaftsaktionsplänen, Aktionsplänen für die Mitgliedschaft, der Initiative für die Interoperabilität der Partnerschaft, Partnerschaften mit erweiterten Möglichkeiten, nationalen Jahresprogrammen, der Adriacharta usw. subsumiert, oft mehr als einer auf einmal.

Es gibt keine Neutralen in Europa. Im Ersten Weltkrieg gab es welche, im Zweiten Weltkrieg gab es welche. Aber jetzt gibt es keine mehr.

Orginalartikel „Europe Without Neutrals: NATO and Austria“ vom 10. Mai 2021

Quelle: antikrieg.com
Link: https://www.antikrieg.com/aktuell/2021_05_11_europaohneneutrale.htm

Reserve für die Heimatfront

Autor: Martin Kirsch

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz

Auf einer Pressekonferenz am 6. April 2021 verkündete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer feierlich den Start des neuen „Freiwilligen Wehrdienstes im Heimatschutz“ mit dem zusätzlichen Werbeslogan „Dein Jahr für Deutschland“. In diesem Kontext ließ sie verlautbaren: „Heimat ist für mich und für viele andere Menschen in Deutschland mehr als nur ein Ort, es ist ein Gefühl, etwas was man im Herzen trägt“.[1] Die militärische Perspektive ist deutlich nüchterner. In einem nicht zufällig im selben Monat auf dem Youtube-Kanal der Bundeswehr veröffentlichten Video mit Filmausschnitten einer Heimatschutzübung der Bundeswehr von 1976 heißt es: “Heimat, das bedeutet nicht nur Freunde, Familie, die Landschaft, in der man aufgewachsen ist. Heimat, das sind auch Fabriken, Nachrichtenanlagen, Straßen, Brücken – kurz all das, was man mit dem neudeutschen Wort Infrastruktur bezeichnet“.[2]

So soll auch die neue Heimatschutztruppe der Bundeswehr nicht primär Gefühle, Landschaften, Freund*innen und Familie, sondern eben diese kriegswichtige Produktions-, Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur im Kriegsfall schützen.

In Skandinavien, den baltischen Staaten und in Polen wurden die Heimwehren, Nationalgarden und Territorialverteidigungseinheiten im Zuge der Aufrüstungspolitik der letzten Jahre längst reaktiviert oder aufgestockt. Reservist*innen üben die Sicherung von Infrastruktur und Verkehrswegen, um im Fall der Fälle den Kampftruppen auf ihrem Weg zur Front den Rücken freihalten zu können.

Seit Anfang April 2021 sind auch bei der Bundeswehr wieder Rekrut*innen in die Kasernen eingerückt, um sich explizit für den Reservedienst im Heimatschutz ausbilden zu lassen. Vorerst als einjähriges Pilotprojekt soll mit dem Freiwilligen Wehrdienst (FWD) im Heimatschutz das Personal gewonnen werden, um eine neue Heimatschutztruppe aufzubauen.

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz

Der neue Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz ist formal auf ein Jahr ausgelegt und besteht aus sieben Monaten Ausbildung in der aktiven Truppe und fünf Monaten Reservedienst – die allerdings über sechs Jahre verteilt werden. Im Gegensatz zum bisherigen Freiwilligen Wehrdienst, der neun bis einundzwanzig Monate dauert, nach der Grundausbildung in der aktiven Truppe stattfindet und Auslandseinsätze mit einschließen kann, dient der Heimatschutzdienst in der ersten Phase ausschließlich als Ausbildung für den späteren Reservedienst.

Zum Beginn der sieben Monate Ausbildung in der aktiven Truppe durchlaufen die Heimatschutzrekrut*innen die dreimonatige Grundausbildung gemeinsam mit angehenden Zeit- und Berufssoldat*innen. Danach trennen sich die Wege. Während die angehenden Soldat*innen in ihrer Spezialgrundausbildung auf den späteren Dienst auf einem Schiff, in einem Panzer, an einem Flugzeug oder in einem Krankenhaus vorbereitet werden, dreht sich bei den künftigen Reservist*innen alles um Heimatschutz. In drei eigens kurzfristig eingerichteten Ausbildungsstützpunkten in Wildflecken, Berlin und Delmenhorst werden die Rekrut*innen für den Objektschutz sowie in den Bereichen Sanitätsdienst, ABC-Abwehr und Brandschutz geschult.[3] Darin inbegriffen ist die Ausbildung an Infanteriewaffen wie Pistole, Sturmgewehr und Panzerfaust. In einem letzten Ausbildungsabschnitt im siebten Monat lernen die angehenden Heimatschützer*innen unter Aufsicht des zuständigen Landeskommandos die lokalen Gegebenheiten und die Heimatschutzkompanie kennen, in der sie später als Reservist*in zugeteilt werden. Nach sieben Monaten verlassen sie die Kasernen und kehren als frisch ausgebildete Reservist*innen ins Zivilleben zurück. Für die folgenden sechs Jahre haben sie sich allerdings verpflichtet, insgesamt mindestens fünf Monate für kleinere Übungen und Einsätze in der Heimatschutztruppe zur Verfügung zu stehen.[4] Bis April 2022 sollen insgesamt 1.000 angehende Heimatschützer*innen dieses Programm durchlaufen haben. Die Ergebnisse werden dann ausgewertet und für künftige Ausbildungsjahrgänge weiter angepasst.

Ein Schnupperkurs bei der Bundeswehr

Seit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 kämpft die Bundeswehr mit Rekrutierungsproblemen. So sanken auch die Zahlen der freiwillig Wehrdienstleistenden über die Jahre. Während 2013 noch rund 12.000 Freiwillige ihren Wehrdienst bei der Bundeswehr ableisteten, sank diese Zahl auf rund 9.000 in 2020. Damit blieben gut ein Viertel der im Bundeshaushalt vorgesehenen und finanzierten 12.500 Stellen[5] unbesetzt. Die Einführung des neuen FWD im Heimatschutz erfüllt daher mindestens eine Doppelfunktion für die Bundeswehr. Offensichtlich geht es darum, neues Personal für die Reserve-Heimatschutztruppe zu gewinnen. Zudem gilt der FWD auch als Schnupperkurs für diejenigen, die sich aufgrund der hohen Einstiegshürden nicht gleich für Jahre und Jahrzehnte verpflichten wollen, der Idee aber nicht grundsätzlich nicht abgeneigt sind. Laut dem scheidenden Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber, handelt es sich um den Versuch, eine spezifische Gruppe Jugendlicher zu erreichen, die ein generelles Interesse an der Bundeswehr haben, sich aber von längeren Verpflichtungszeiten, Dienstorten fern des Wohnortes und der Option, in Auslandseinsätze geschickt zu werden, abschrecken lassen. Eben diese Gruppe, die es wohl häufiger bis ins Karrierecenter der Bundeswehr schafft, dann aber für keine der bisherigen Optionen zu gewinnen war, soll jetzt erreicht werden.[6]

Massive Kritik an eben dieser Rekrutierungspolitik kommt von den Sozialverbänden. So meldeten sich im Sommer 2020 die Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt zu Wort und bezeichneten das Missverhältnis von Finanzierung und Werbung für den Bundeswehrdienst und die zivilen Freiwilligendienste als „große Ungerechtigkeit“.[7] Während die zivilen Freiwilligendienste mit 130 bis 411 Euro Taschengeld und kaum Ressourcen für Aus- und Fortbildung als massiv unterfinanziert gelten, wird den freiwillig Wehrdienstleistenden im Heimatschutz mit 1.550 Euro Sold und freien Bahnfahrten der Dienst vergoldet – Budget für Werbekampagnen, Aus- und Fortbildung nicht einberechnet.

“Wo ist die Wertschätzung für die Arbeit, die unsere Freiwilligen im sozialen und ökologischen Bereich leisten?“ fragt Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und veranschaulicht die ungleiche Behandlung mit einem Beispiel: „Menschen, die freiwillig in der Pflege, Alten- oder Behindertenhilfe arbeiten, bekommen nicht mal ihr S-Bahn-Ticket ersetzt”.

Grundlegende Kritik an der Verwendung der Bezeichnung als Freiwilligendienst kam von Caritas und Arbeiterwohlfahrt. So kritisierte Caritas-Chef Peter Neher: „Die Bundeswehr sollte es als das bezeichnen, was es ist: Es ist eine Art Schnupperkurs für die Bundeswehr. Freiwilligendienste sind das Vorrecht der Zivilgesellschaft und nicht des Staates.“[8]

Heimatschutz: zwischen konservativem Populismus und Rechtsterrorismus

Ebenfalls bereits im Sommer 2020 wurde Kritik aus der Partei Die Linke am neuen Heimatschutzdienst laut. Neben der Ablehnung der Rekrutierung Minderjähriger – unter den ersten 1.800 Bewerber*innen war fast ein Viertel unter 18 Jahre alt – nahm die Kritik der Linken den Begriff Heimatschutz und dessen Implikationen in den Blick.

Der damalige Vorsitzende der Partei, Riexinger, kritisierte etwa gegenüber dem Spiegel: „Faschisten verwenden ihn seit je her gern für Nazi-Kameradschaften, ‚Bürgerwehren‘ und paramilitärische Einheiten. Ich erinnere nur an den ‚Thüringer Heimatschutz‘, der auch die NSU-Terroristen hervorgebracht hat“.[9] Der verteidigungspolitischen Sprecher der Linken, Tobias Pflüger, ging weiter darauf ein, wer von Begriffen wie Heimatschutz und Dienst für Deutschland angezogen wird: „Mit dieser Wortwahl riskiert die Bundeswehr, speziell rechte Kreise anzuziehen. Zumal gerade für rechte Kreise eine Ausbildung an der Waffe attraktiv ist. Der neue Dienst darf nicht dazu führen, dass nun noch mehr rechtslastige Akteure an scharfen Waffen ausgebildet werden.”[10]

Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Militärgeheimdienst MAD 1.200 Reservist*innen als „Rechtsextremisten“ eingestuft hat. Dieser Gruppe wird jetzt der Dienst an der Waffe und das Tragen der Uniform und damit die Teilnahme an Reserveübungen verboten.[11]

Dass auch die Reserve der Bundeswehr und die RSU-Kompanien – die Vorgänger der künftigen Heimatschutzverbände (s.u.) – ein deutliches Problem mit rechten bis rechtsterroristischen Strukturen haben, zeigen die Enthüllungen der letzten Jahre deutlich auf. So fiel der Fokus im Rahmen der Aufdeckung des Hannibal-Netzwerks auch auf die Gruppe Nordkreuz aus Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatten sich Polizisten und aktive Reservisten in Chatgruppen organisiert, um an einem Tag X politische Gegner*innen massenhaft zu entführen und umzubringen. Bei Durchsuchungen wurden neben Feindeslisten, Waffen- und Munitionslagern auch Chatprotokolle gefunden, in denen sich darüber ausgetauscht wird, an besagtem Tag X Bundeswehrfahrzeuge und Uniformen zu benutzen. Den Zugang dazu hatten sie.[12] Ein Mitglied der Gruppe, Horst S., war zu diesem Zeitpunkt Kommandeur der RSU-Kompanie Mecklenburg-Vorpommern. Zudem hatten weitere Mitglieder der Gruppe über ihren Reservistenstatus Zugang zu Kriegswaffen, Schieß- und Taktiktrainings der Bundeswehr.

Als Replik auf diese Kritik antwortete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Anfang April 2021 mit einer besonderen Spielart des konservativen Populismus. So ließ sie verlauten: „Wir haben diesen Dienst bewusst Heimat und Heimatschutz genannt“ und führte weiter aus: „Ein Fehler war es, dass wir in der Vergangenheit den Begriff Heimat, der uns allen am Herzen liegt, einfach den Rechten in diesem Land überlassen zu haben“. „Es wird Zeit, dass wir diesen Begriff wieder in die demokratische Mitte holen und dass wir ihn zurückerobern, wenn sie so wollen“. Zudem sei es die Bundeswehr, die sich dazu verpflichtet habe, die „Heimat Bundesrepublik Deutschland“ und die damit einhergehenden Werte „Freiheit, Demokratie und Vielfalt“ zu beschützen.[13]

Dabei handelt es sich allerdings um einen durchsichtigen Versuch, sich einerseits von Rechten und Neonazis abzugrenzen, andererseits aber die konservativsten Ränder von Parteibasis und Wählerschaft anzusprechen, die sich – nicht nur im Vokabular – mit dem rechten Rand überschneiden. Diese Form der gleichzeitigen Abgrenzung und Anbiederung nach Rechts führt allerdings, abgesehen von der Option auf kurzfristige Stimmgewinne, zu einer Normalisierung des rechten Diskurses. Erschreckendes Beispiel dafür ist die Debatte um Flucht und Migration in den 1990er Jahren.

Mit Pilotprojekten zur neuen Heimatschutztruppe

Bereits 2012, nur fünf Jahre nach der Auflösung der letzten Einheiten des ehemaligen Territorialheers, wurde mit einem ersten Pilotprojekt begonnen, an einer neuen Heimatschutztruppe – wenn auch unter anderem Namen – zu arbeiten.[14] Die damals als Pilotprojekt neuen aufgestellten sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien (RSU-Kompanien), bestehend aus Reservist*innen aus der Region, werden jetzt die Startmasse für die neuen Heimatschutzregimenter bilden.

Da es die 30 RSU-Kompanien in vielen Regionen allerdings nicht schafften, genügend Reservist*innen zu rekrutieren, wurde 2017 unter Federführung des Reservistenverbandes mit der Erprobung von Kursen für Quereinsteiger*innen begonnen. Durch eine zweijährige Wochenendausbildung können berufserfahrene Interessierte, die zuvor keinen Wehrdienst geleistet hatten, seitdem mit einer Art „Grundausbildung Light“ in den aktiven Reservedienst in den RSU-Kompanien aufgenommen werden.[15]

Im Dezember 2018 wurde ein weiteres Pilotprojekt ins Leben gerufen: Zwischen April 2019 und Dezember 2021 wird mit dem Landesregiment Bayern getestet, in welchen Strukturen die bisherigen RSU-Kompanien zu eigenständigen Großverbänden zusammengeführt werden können, die dann in der Lage sein sollen, unabhängig von der aktiven Truppe zu agieren.[16]

Aufbauend auf den Erfahrungen und mit dem Personal aus diesen drei Pilotprojekten – aufgestockt durch die neuen Heimatschützer*innen aus dem Freiwilligen Wehrdienst – soll jetzt die neue Heimatschutztruppe der Bundeswehr entstehen. Bis 2025 ist geplant, die Einsatzbereitschaft von fünf Heimatschutzregimentern mit insgesamt 5.000 Reservist*innen herzustellen.[17] Bewähren sich die Strukturen in dieser Aufbauphase, ist davon auszugehen, dass die Heimatschutztruppe der Bundeswehr bis Anfang der 2030er Jahre auf deutlich über 10.000 Reservist*innen anwachsen wird.

Regimenter an der Heimatfront

Der Begriff Heimatschutz ist bei der Bundeswehr kein unbekannter und wurde nicht erst von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer für dieses Aufgabenfeld gewählt.

Bereits von den 1960er bis Mitte der 2000er Jahre existierte ein Territorialheer für den Heimatschutz in der Bundeswehr. Nach der Aufbauphase standen in den 1970er Jahren bereits über 100.000 Reservisten und wenige aktive Soldaten in den Heimatschutzverbänden bereit. Größtenteils bestehend aus ehemaligen Wehrdienstleistenden wäre es der Auftrag des Territorialheeres gewesen, den Kampftruppen des Feldheeres unter NATO-Kommando den Rücken frei zu halten. Nach Ende des Kalten Krieges wurde das Territorialheer zwischen 1992 und 2007 schrittweise aufgelöst.

Mit den aktuellen Beschlüssen zur Wiederherstellung einer voll funktionsfähigen Heimatschutztruppe stellt sich allerdings die Frage, welche Aufgaben aktuell für den Heimatschutz vorgesehen sind. Drei zentrale Handlungsfelder des neuen Heimatschutzes der Bundeswehr werden in einer aktuellen Broschüre des Verteidigungsministeriums zum FWD im Heimatschutz benannt.[18]

Das erste Aufgabenfeld, das auch die Struktur und Ausbildung der Heimatschutzkräfte bestimmt, erinnert dabei stark an den letzten Kalten Krieg: „In Krisenlagen müssen sich die Heimatschutzkräfte darauf einstellen, die für die Verteidigung wichtige Infrastruktur in Deutschland als rückwärtigem Raum einer möglichen Bündnisverteidigung zu sichern und zu schützen. Dazu zählen beispielsweise Häfen und Bahnanlagen, Güterumschlagplätze, die NATO-Pipeline, Marschstraßen, Brücken, Verkehrsknotenpunkte und digitale Infrastrukturen. Aufmarschierende Verbände der Bundeswehr und auch befreundeter Streitkräfte, die sich für einen Transfer in die Einsatzräume zeitlich befristet in Deutschland aufhalten, können ebenfalls geschützt werden“.[19]

Weiter heißt es: „Angesichts heute vorstellbarer hybrider Bedrohungen gilt es hier, sich auch auf verdeckt operierende irreguläre Gruppierungen einzustellen. Die Heimatschutzkräfte werden daher mit Infanteriewaffen ausgestattet sein und z.B. über Mittel zur lokalen Aufklärung verfügen“. In besagtem Filmchen über eine Heimatschutzübung aus dem Jahr 1976, tauchen die nahezu gleichen Aufgaben, allerdings mit älterem Vokabular und damit vielleicht klarer auf: „Im Hinterland operiert der Gegner häufig mit den Mitteln des verdeckten Kampfes. Daher ist die wichtigste Aufgabe eines Spähtrupps, feindliche Kommandos und Partisanen ausfindig zu machen und ihren Standort dem Kompaniegefechtsstand zu melden“.[20]

Diese Aufgabe an der Heimatfront, im Hinterland der Kampftruppen, schlägt auch den Bogen zu den zwei weiteren Aufgabenfeldern. Kommt es in Friedenszeiten zu Naturkatastrophen oder Großunfällen wie Hochwasser, extremen Schneefällen, einem Zugunglück oder einer Pandemie, konnten bereits die alten und werden auch die neuen Heimatschutzverbände zur Unterstützung für den zivilen Katastrophenschutz eingesetzt werden können. Bei Übungen und Einsätzen mit dem zivilen Katastrophenschutz knüpfen die Kommandostrukturen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit auf Bundes- und Länderebene und die Heimatschutz-Reserve vor Ort Kontakte und pflegen den Austausch. Diese direkte Zusammenarbeit nutzt ihnen dann nicht nur im Kriegsfall oder bei Naturkatastrophen.

Auch für das dritte mögliche Einsatzspektrum, den Einsatz gegen Feinde im Inneren, sind diese Kontakte und die Normalisierung der Bundeswehr als Akteur im Inland für die Truppe von Vorteil. Bei diesen Einsatzoptionen handelt es sich um die Ausrufung des Inneren Notstandes oder die explizit vom Verteidigungsministerium erwähnte Option, die neue Heimatschutztruppe gemeinsam mit der Polizei zur Terrorabwehr im Inland einzusetzen. So wird in der besagten Broschüre auch die „Unterstützung von Polizeikräften in Terrorlagen beim Einrichten von Kontrollpunkten und Durchführen von Absicherungsmaßnahmen“ als möglicher Aufgabenbereich der Heimatschutzkräfte benannt. Zur Rechtsinterpretation heißt es weiter: „Sind die Voraussetzungen eines katastrophischen Ausmaßes gegeben, können – unter Führung der Polizei – hoheitliche Zwangs- und Eingriffsbefugnisse wahrgenommen werden“. Damit reiht sich die Aufgabenbeschreibung der neuen Heimatschutztruppe in eine Reihe von Vorstößen aus der CDU/CSU ein, die seit Jahren versucht die Bundeswehr an den äußersten Grenzen der Verfassung aktiver in der Terrorabwehr im Inland einzubinden.

Ob aus bürgerrechtlicher Perspektive mit Blick auf die Ausweitung der Fähigkeiten und Kompetenzen der Bundeswehr im Inland, aus antifaschistischer Perspektive mit Blick auf neue Zugänge zu Strukturen und Waffen der Bundeswehr für rechtes Klientel oder aus friedenspolitischer Perspektive mit Blick auf Rekrutierung und die Rückkehr zu Strukturen aus dem letzten Kalten Krieg: die Wiederbelebung des Heimatschutzes der Bundeswehr ist ein deutlicher Beleg dafür, dass autoritäre Tendenzen in der Innenpolitik und die aktuelle Aufrüstungspolitik kaum voneinander zu trennen sind.

Anmerkungen

[1] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz – Neuer freiwilliger Wehrdienst gestartet, 06.04.2021, bmvg.de.

[2] Bundeswehr: CLASSIX – Übung der Heimatschutztruppe (1976), 30.04.2021, youtube.com.

[3] Phoenix: Pressekonferenz mit Annegret Kramp-Karrenbauer zum neuen Freiwilligen Wehrdienst am 06.04.21, youtube.com.

[4] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz in Deutschland – Zum Start des neuen Freiwilligen Wehrdienstes, Broschüre, März 2021, bundeswehr.de.

[5] Bundesfinanzministerium: Bundeshaushaltsplan 2021 – Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung, Seite 21, bundeshaushalt.de.

[6] Phoenix: „Dein Jahr für Deutschland“ – AKK stellt neuen Bundeswehr-Freiwilligendienst vor, 23. Juli 2021, youtube.com.

[7] Redaktionsnetzwerk Deutschland: Wohlfahrtsverbände kritisieren Kramp-Karrenbauers neuen Wehrdienst, 23.07.2020, rnd.de.

[8] Deutschlandfunk: Der neue Freiwilligendienst im Heimatschutz, 06.04.2021, deutschlandfunk.de.

[9] Spiegel: Linke kritisiert „Heimatschutz“-Begriff für neuen Freiwilligendienst, 20.07.2020, spiegel.de.

[10] Die Linke im Bundestag: Die Bundeswehr schwächt zivile Freiwilligendienste – Pressemitteilung von Tobias Pflüger, 06.04.2021, linksfraktion.de.

[11] Focus: Bundeswehr-Geheimdienst suft 1200 Reservisten als rechtsradikal ein, 08.05.2021, focus.de.

[12] Luca Heyer: Der Hannibal-Komplex, IMI-Studie 2019/04 (13.06.2019), imi-online.de.

[13] Phoenix: Pressekonferenz mit Annegret Kramp-Karrenbauer, 06.04.21.

[14] Martin Kirsch: Der neue Heimatschutz der Bundeswehr, AUSDRUCK 3/2013, imi-online.de.

[15] Reservistenverband – Landesgruppe Brandenburg: Ausbildung Ungedienter erfolgreich beendet, 14.02.2019, reservisten-brandenburg.de.

[16] Martin Kirsch: Experiment Landesregiment Bayern – „Nationale Reserve“ als eigenständige Truppe für Inlandseinsätze?, IMI-Analyse 2019/07 (08.02.2013), imi-online.de.

[17] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz in Deutschland, Broschüre, Seite 4, März 2021.

[18] Ebd.

[19] BMVg: Heimatschutz in Deutschland, Broschüre, Seite 5, März 2021.

[20] Bundeswehr: CLASSIX – Übung der Heimatschutztruppe, 30.04.2021.

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI)
https://www.imi-online.de/2021/05/12/reserve-fuer-die-heimatfront/