„Personenscanner mit Gesichtserkennungsfunktion“: Die Anzeigen von Digitalcourage gegen Real und Post
Eine der wenigen ernstzunehmenden Bürgerrechtsorganisationen der Republik hat gehandelt: Digitalcourage hat die Deutsche Post AG und dessen Vorstandsvorsitzenden, sowie die Real SB-Warenhaus GmbH und deren Geschäftsführer angezeigt und diese Anzeigen nun veröffentlicht.
Im Zuge des Einsatzes von „Personenscannern mit Gesichtserkennungsfunktion“, einer Verarbeitung der Bildaufnahmen Betroffener durch das Programm „Adpack“ der Firma „Indoor“ und einer Weiterleitung der Aufnahmen an die Firma „Echion“, geht es konkret um den Verdacht auf Straftaten nach §§ 44, 43, 6b, 4, 33 und 11 Bundesdatenschutzgesetz.
Eingereicht wurden die Strafanzeige gegen die Deutsche Post AG bei der Staatsanwaltschaft Bonn und die Strafanzeige gegen die Real SB-Warenhaus GmbH bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Rechtsvertretung für Digitalcourage und damit Repräsentant der Interessen aller von der optischen Erfassung und Analyse Betroffenen ist Rechtsanwalt Markus Kompa.
Leider ist nur eine der beiden von Digitalcourage veröffentlichten PDFs (die Anzeige gegen die Deutsche Post AG) durchsuchbar und kopierbar. Der Sachverhalt dürfte für die Öffentlichkeit ebenso interessant wie unbekannt sein.
Es ist zu raten sich nicht nur vorzustellen, was entsprechende oder sogar sehr viel weitergehende Technologien zur „Gesichtserkennung“ und Verhaltensanalyse in staatlichen Händen und bei entsprechender Gesetzgebung bedeuten würden, sondern zu begreifen, dass genau dies bereits Realität ist und permanent weiter ausgebautet wird. (10.06.2017, Neues vom Terror-Thomas: Automatisierte optische Massenidentifizierung der Bevölkerung).
Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der Öffentliche Raum auch Verkehrswege umfasst, wie etwa den Schienenverkehr und Autobahnen. Sämtliche bereits von der Bevölkerung mehr oder weniger willig und naiv akzeptierte – und von allen politischen Parteien aktiv oder passiv betriebene und / oder gedeckte – optische Erfassung durch Kameras, auf Straßen, Autobahnen (durch Mautsysteme, etc), Bahnhöfen, in Zügen, in U-Bahnen, an Verkehrsampeln, in Cafes, in Kinos, in Einkaufszentren, etc, pp, bis in die eigenen Wohnungen hinein, sollten mit anderen Augen betrachtet werden als die Augen die einen dort betrachten.
Auszüge aus der Begründung der Anzeige gegen die Deutsche Post AG (Fettmarkierungen wurden hinzugefügt):
„Der Verdächtige zu 1) ist Vorstandsvorsitzender eines Post- und Logistikunternehmens mit einem Mitarbeiterstamm von ca. 508.000 Personen, das in seinen Filialen und Partnerfilialen auch Produkte im Einzelhandel anbietet. Dieses betreibt in ihren für die Öffentlichkeit zugänglichen Räumen neben konventioneller Kameraüberwachung zur Wahrung des Hausrechts und von Sicherheitsbelangen auch neuartige Personenscanner mit Gesichtserkennungsfunktion zu Zwecken des Marketings.
Das Unternehmen testet in ca. 100 Partnerfilialen, darunter in NRW etwa in Schreibwarengeschäften in Köln, seit Herbst 2016 ein System des Dienstleisters Corporate Communication AG, Curt-Frenzel-Straße 10, 86167 Augsburg, mit dem das Verhalten von Kunden analysiert wird, die auf Displays eingespielte Werbung betrachten. Eine Kamera über dem Display im Kassenbereich registriert dabei alle Blickkontakte zu dem Bildschirm. Die aufgenommenen Bilder werden rein automatisch mit einer Software „Adpack“ der Firma Indoor Advertising (IDA) ausgewertet und dann sofort wieder verworfen. Die Bilder befinden nur für jeweils ca. 150 Millisekunden im Speicher und werden weder übertragen noch gespeichert. Die so ermittelten Metadaten, also Anzahl der Betrachter, Geschlecht, Alter und Blickkontakte, werden an die Firma Echion ausgeleitet, die zu diesen anonymen Kundenprofilen dann individuell personalisierte Werbung einspielt.
Welche Produktwerbungen aufgrund welcher Kriterien konkret zugeordnet werden, ist hier unbekannt. Außerdem soll der Einsatz auch zur Messung der erhofften Werbewirkung dienen, damit Echion potenziellen Kunden die Wirksamkeit des Mediums „TV in der Kassenzone“ schmackhaft machen könne (Kanneberg, Presseartikel „Werbedisplays mit Gesichtserkennung auch in Real-Märkten“, veröffentlicht unter der URL
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Werbedisplays-mit-Gesichtserkennnung-auch-in-Real-Maerkten-3728931.html, Reinle, Moos, Presseartikel, „Post und Real scannen Kundengesichter für Werbung“ http://www1.wdr.de/nachrichten/gesichtserkennung-personalisierte-werbung-100.html.)Weder werden die Kunden um eine Einwilligung ersucht noch wäre hier im Hinblick auf die Arbeitnehmer eine entsprechende Betriebsvereinbarung bekannt. Die Betroffenen werden lediglich auf die konventionelle Kameraüberwachung hingewiesen, nicht aber auch auf eine solche mit Gesichtserkennung, intelligenter Datenverarbeitung und Tracking. Den Betroffenen ist daher weder ihre qualifizierte Beobachtung bewusst noch ein Bezug zur eingeblendeten personalisierten Werbung. Ein Benachrichtigung über die Überwachung erfolgt ebenfalls nicht. Eine Möglichkeit, der Beobachtung zu widersprechen, wird mithin verwehrt.
Angeblich speichert das System die erfassten biometrischen Daten und die Verweildauer der Betrachtung nicht und gibt nur die durch Auswertung entstandenen Metadaten verschlüsselt an Echion weiter. Ob die Metadaten auch einen Zeitstempel aufweisen oder ein solcher auch dauerhaft gespeichert wird, ist unklar. Die Verwendung eines Zeitstempels ist allerdings naheliegend, da bei der Generierung entsprechender Datei- oder Feldnamen üblicherweise auf Kalenderdatum und Uhrzeit oder ähnliche Systeme zurückgegriffen wird, die einen Rückschluss auf den Zeitpunkt der Datenerfassung erlauben. Eine weitere Identifizierung der Betroffenen und damit die Zuordnung der Metadaten könnte dann auch nachträglich erfolgen.
Möglich wäre dies etwa durch Abgleich mit Abrechnungsdaten von Kreditkartenzahlung und Rabattsystemen, mit Aufzeichnungen konventioneller Videoüberwachung oder mit Tracking von Produkten z.B. mit RFID-Systemen. Ferner wird in der Werbebranche offen diskutiert, bei Smartphones von Kunden mit eingeschaltetem WLAN die Netzwerkseriennummer des Geräts auszulesen und zu speichern. Technisch wäre dies einfach zu realisieren. Zudem ist auch eine indirekte Speicherung von zusammengeführten Daten vorstellbar, wenn konventionelle Überwachungskameras die Werbemonitore erfassen und damit gleichzeitig auch das Ergebnis der Datenverarbeitungsvorgänge nebst der betroffenen Person aufzeichnen.
Von einer Speicherung der Metadaten bei Echion ist ebenfalls auszugehen, da das System auch der Messung von Werbewirkung dienen soll. Der Nachweis der Effizienz des Systems dürfte auch für die Vergütung der Dienstleisterin erforderlich sein.