Keine Entwicklung ohne Sicherheit – keine Sicherheit ohne Entwicklung

Autor: Miri Watson

Ein unheiliger Bund: In der deutschen Außenpolitik gab es in den vergangenen Jahren mehr und mehr Bestrebungen, die Arbeit des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit der Arbeit des Ministeriums für Verteidigung (BMVg) zu synchronisieren. Während in einem klassischen Verständnis von Entwicklungshilfe eine Zusammenarbeit zwischen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und Sicherheitsdienstleister_innen oder dem Militär undenkbar ist, wird heute selbstbewusst für eine „vernetzte Sicherheit“[1] geworben. „Keine Entwicklung ohne Sicherheit – keine Sicherheit ohne Entwicklung“ weiterlesen

Ein Spaziergang durch (militarisierte) Forschungslandschaften

Autor: Christoph Marischka

Rezension einer Dissertation im Fachbereich Informatik

Wenn im Folgenden ein Buch aus dem Themenfeld der Militarisierung der Wissenschaften besprochen wird, gebietet es die Ehrlichkeit zu erwähnen, dass der Rezensent und der Autor des betreffenden Buches bekannt und befreundet sind. Wie der Autor, so lässt sich auch das besprochene Buch als freundlich, engagiert und zugewandt beschreiben.

Unter dem Titel „Verquickung der mathematischen und informatischen Forschung an zivilen deutschen Hochschulen mit der modernen Kriegführung“ hat der Shaker Verlag die Dissertation von Thomas Gruber aus dem Jahr 2018 veröffentlicht und obwohl es sich um eine Doktorarbeit aus dem Fachbereich Informatik handelt, die auch ein einigen Stellen mit Formeln aufwartet, ist das Buch auch fachfremdem Publikum wärmstens zu empfehlen. Der beispielhafte Überblick über verschiedene militärische Forschungsprojekte und zivil-militärische Kooperationen im Umfeld deutscher Universitäten liest sich wie ein Spaziergang durch die Manchen sicherlich sehr fremde Wissenschaftslandschaft im Bereich der Mathematik und Informatik.

Wir lernen verschiedene Disziplinen und Subdisziplinen kennen, deren Geschichte, wie etwa bei der Numerik und der Kontrolltheorie, auf wenigen Seiten und auf eine Weise beschrieben wird, die uns schnell zivilen wie militärischen Nutzen erahnen lässt. Mit einer an Nonchalance grenzenden Klarheit werden Dynamiken benannt, die diese Landschaft strukturieren. Wenn Gruber an verschiedenen Stellen feststellt, dass Drittmittelabhängigkeit und Ökonomisierung der Wissenschaft rein theoretische gegenüber anwendungsbezogenen Forschungszweigen systematisch benachteiligen, sieht man vor seinem inneren Auge geradezu entsprechende Beispiele dafür, wie allerorten Neubauten für industrienahe Forschung entstehen, während die Gebäude, in denen tatsächliche Wissenschaft (der Autor des Buches würde hier von Grundlagenforschung sprechen) betrieben wird, zunehmend am Verfallen sind. Die Rückwirkung der jeweiligen Anwendungsperspektiven werden z.B. bei der Spieltheorie benannt: Deren politische, militärische und v.a. wirtschaftliche Nutzung habe u.a. aufgrund der kompetitiven Fragestellungen nicht-kooperativen Ansätzen weitgehenden Vorrang gegenüber kooperativen Zugängen eingeräumt und zu einer allgemeinen Übernahme eines militärischen und wirtschaftswissenschaftlichen Duktus‘ geführt.

Ähnlich knapp aber nachvollziehbar wird auch die Geschichte der Forschung an Künstlicher Intelligenz (KI) beschrieben, die als „vorwiegend praxisbezogenes Forschungsgebiet“ wesentlich von den Konjunkturen abhängig war, nach denen politische, wirtschaftliche und militärische Akteure Hoffnungen in sie setzten. Diese wurden wiederholt enttäuscht, was jeweils zu einem Einbruch der externen Förderung und damit zum Zusammenbruch ganzer Forschungsstrukturen beigetragen hat. Nachdem die Erwartungen in ‚denkende Maschinen‘ weitgehend aufgegeben wurden, wären zwischenzeitlich in Teilgebieten wie den wissensbasierten Systemen und dem Maschinellen Lernen für spezifische Anwendungen große Fortschritte gemacht worden, die jedoch gerade auch für die moderne Kriegführung nutzbar sind und gefördert würden.

Und das ist ja das eigentliche Thema des Buches. Entlang der verschiedenen Fachbereiche und Disziplinen werden u.a. Beispiele für militärische und rüstungsnahe Forschung aus Bremen und Hannover, Leipzig, Bonn und Karlsruhe genannt. Die Zahl der beschriebenen Fälle bleibt dabei übersichtlich und ermöglicht es dem Autor, auch fachfremden Leser*innen Themen wie Verschlüsselung (Kryptologie), Satellitennavigation und Situationserkennung sowohl hinsichtlich ihrer militärischen Relevanz als auch der hieraus abgeleiteten Forschungsfragen und ihrer Bearbeitung näherzubringen. Trotz der überschaubaren Zahl beschriebener Beispiele kommt dabei ein breites Spektrum von Akteuren zur Sprache, die von außen auf die Forschungslandschaft einwirken und zur Verankerung militärischer Fragestellungen beitragen.

Genannt werden u.a. das Verteidigungsministerium und die Hochschulen der Bundeswehr, die DARPA als Forschungsagentur des Pentagon und alte Bekannte aus der Rüstung wie Airbus und der Satellitenhersteller OHB aus Bremen sowie die Sicherheitsforschungsprogramme des Bundes und der EU-Kommission.

Natürlich lässt es das Vorgehen, die verschiedenen Subdisziplinen anhand einzelner, anschaulich beschriebener Beispiele abzuarbeiten, nicht zu, valide Rückschlüsse über deren Relevanz und den jeweiligen Grad an Militarisierung zu ziehen – das erfolgt eher noch durch die historische Rekonstruktion der Fachbereiche und ist auch gar nicht primäres Ziel des Autors. Es gelingt ihm dafür aber, sehr nachvollziehbar jeweils unterschiedliche Formen der militärischen Verquickung herauszuarbeiten.

So findet diese in der Kryptologie – das ist vielleicht wenig überraschend, wird hier aber ausbuchstabiert – weitgehend unter Bedingungen der Geheimhaltung und mit tw. geheimdienstlichen Methoden statt. In der Optimierung bzw. Kontrolltheorie hingegen scheinen Drittmittelprojekte an Hochschulen mit konkreten militärischen Aufgabenstellungen – etwa zur Satellitennavigation – keineswegs unüblich und wenig problematisiert zu sein. Methoden der spezialisierten KI-Forschung werden an den Universitäten vermittelt, entsprechende anwendungsbezogene Forschung findet jedoch primär in großen, außeruniversitären Forschungszusammenhängen und oft unter Dual-Use-Fragestellungen statt.

In Fachbereichen wie der Numerik scheint das militärische Interesse weniger in konkreten Drittmittelprojekten zu bestehen, als darin, Studierende als Praktikant*innen oder Promovierende für Rüstungsunternehmen zu gewinnen und dort ggf. dauerhaft zu binden.

So wie diese Einblicke in die Mathematik und die Informatik, die zweifellos den Schwerpunkt der Dissertation ausmachen, für viele Außenstehende neu und erkenntnisreich sein dürften, verhält es sich womöglich mit dem ersten Drittel des Buches für viele Angehörige der betreffenden Disziplinen. Hier werden in ähnlicher Knappheit Begriffe wie Krieg, moderne Kriegführung und (positiver) Frieden sowie Grundkonzepte der Wissenschaftsethik vorgestellt. Entsprechende Debatten von der unmittelbaren ‚Nachkriegszeit‘ bis zur heutigen Auseinandersetzung um Zivilklauseln werden nachgezeichnet und ganz am Rande eine kurze Geschichte der sozialen Bewegungen in Deutschland er- und die Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgezählt. Auch die jüngeren Reformen und aktuellen Tendenzen des deutschen Bildungs- und Wissenschaftssystemes werden überblicksartig dargestellt. Dass all dies Teil einer Doktorarbeit in der Informatik sein kann, sollte beispielgebend sein und ehrt nicht nur den Autor, sondern auch seine Betreuer (Hans-Jörg Kreowski und Gregor Nickel).

Dass all dies auf gut 180 Seiten (mit Literaturverzeichnis und Bildern) passt, wirkt unglaublich – ist aber wahr. Zu bedauern ist allenfalls die Zitationsweise, die Leser*innen ohne Blättern im Unklaren über Art der Quelle lässt, – und der Preis. Mit der ‚modernen Kriegführung‘ bleibt ein zentraler Begriff der Arbeit relativ unbestimmt. Eine kritische Auseinandersetzung, inwiefern durch diese tatsächlich Überlegenheit erreicht wird, oder sie nicht vielmehr eine westliche, technikzentrierte Ideologie verkörpert und damit eine entsprechende (Rüstungs-)Industrie subventioniert, ohne tatsächliche Erfolge auf den durch sie strukturierten Schlachtfeldern hervorzubringen, muss zweifellos an anderer Stelle geführt werden, hätte aber angedeutet werden können.

Thomas Gruber, Verquickung der mathematischen und informatischen Forschung an zivilen deutschen Hochschulen mit der modernen Kriegsführung, Shaker Verlag, Aachen November 2018. 208 Seiten, 49,80 Euro

Artikel Erstveröffentlichung am 4.2.2019 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.

„Eine wachsende Bundeswehr braucht Platz“

Stationierungskonzept und Trendwende Liegenschaft

Mit der „Neuausrichtung der Bundeswehr“ ab 2010 sollte das Budget der Truppe – eigentlich – massiv gesenkt werden, u.a. indem ihr Umfang auf real ca. 180.000 Soldaten (plus zivile Angestellte) verringert wurde. Dementsprechend wurde im Oktober 2011 auch ein neues Stationierungskonzept veröffentlicht, mit dem die Zahl der Bundeswehrstandorte von 394 auf 263 reduziert werden sollte. Bekanntlich wurden die anvisierten Haushaltskürzungen dann aber umgehend wieder einkassiert und inzwischen komplett in ihr Gegenteil verkehrt – und auch personell soll es mit der Truppe wieder aufwärts gehen: Nach gegenwärtigen Planungen soll ihr Umfang bis 2025 auf 203.000 Soldaten anwachsen. Da aber mehr Soldaten scheinbar auch mehr Platz benötigen, hat die Bundeswehr mit einer umfassenden Re-Militarisierung der Fläche begonnen. „„Eine wachsende Bundeswehr braucht Platz““ weiterlesen

Schneehelden im Schneechaos

Autor: Martin Kirsch

Die Inszenierung der Bundeswehr und die Unterhöhlung des zivilen Katastrophenschutzes

Am Sonntag, 13. Januar 2019 besuchte die Oberbefehlshaberin von der Leyen die Gebirgsjägertruppe bei ihrem Schnee-Einsatz in Südbayern.[1] Ein vorläufiger Höhepunkt in der propagandistischen Darstellung der Aktivitäten der Bundeswehr in der Alpenregion. Während Focus Online bereits zwei Tage zuvor vom „Mini-Panzer der Schnee-Helden“ berichtet hatte – alle technischen Details des Kriegsgeräts inklusive – war sich die Lokalzeitung Berchtesgardener Anzeiger nicht zu schade, die Pressemitteilung der Bundeswehr zum Besuch der Ministerin vor ihrer Haustür eins zu eins wiederzugeben.[2] Neben der miserablen journalistischen Arbeit und der Verherrlichung der Armee durch die jeweiligen Medien handelt es sich dabei allerdings auch um einen Effekt der massiven Pressearbeit der Bundeswehr, die ihren Einsatz zur medialen Charmeoffensive zu nutzen weiß. Während die Verantwortlichen in einigen Gemeinden in Österreich, wie z.B. in Lech am Arlberg noch am Wochenende feststellen,[3] dass es sich trotz Lawinenabgängen mit Todesfolge um keine ungewöhnliche Lage handele, herrschte in den deutschen Medien bereits Katastrophenstimmung. „Schneehelden im Schneechaos“ weiterlesen

Bundeswehr-Werbung in Schulen verbieten

Pressemitteilung vom 16.01.2019 der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW)

Minderjährige bei der Bundeswehr

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert die Anhebung des Rekrutierungsalters für den Militärdienst auf 18 Jahre sowie das Verbot jeglicher Bundeswehr-Werbung bei Minderjährigen. Wie jetzt bekannt wurde, hat die Bundeswehr im Jahr 2018 1.679 Minderjährige rekrutiert, gut ein Fünftel davon waren junge Frauen. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl etwas gesunken, bleibt aber weiter auf einem skandalös hohem Niveau.

Die hohe Zahl an Minderjährigen in der Bundeswehr ist das Ergebnis einer aggressiven Werbung der Bundeswehr in Schulen, bei Ausstellungen und Messen, Vorträgen in Jobcentern, Arbeitsagenturen und Berufsinformationszentren. Bei diesen Veranstaltungen wirbt die Bundeswehr insbesondere bei Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren. „Bundeswehr-Werbung in Schulen verbieten“ weiterlesen

Konzeption und Fähigkeitsprofil: Bundeswehr-Umbau für den Neuen Kalten Krieg

Beim folgenden Beitrag handelt es sich um eine leicht aktualisierte Variante eines Artikels, der zuerst in der Graswurzelrevolution (Nr. 434/2018) erschien.

Seit einiger Zeit macht sich die Bundeswehr daran, konkret auszubuchstabieren, was der vom Zaun gebrochene Neue Kalte Krieg mit Russland für die Struktur, Bewaffnung und nicht zuletzt die Finanzierung der Truppe bedeutet – oder zumindest, was auf dieser Grundlage nun ganz oben auf ihrer Wunschliste steht. Wichtige Vorarbeiten hierzu wurden bereits im Jahr 2017 veröffentlicht, die dann in die „Konzeption der Bundeswehr“ (KdB) vom 20. Juli 2018 und das „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ (Fäpro), das am 3. September 2018 von Generalinspekteur Eberhard Zorn unterzeichnet wurde, einflossen. „Konzeption und Fähigkeitsprofil: Bundeswehr-Umbau für den Neuen Kalten Krieg“ weiterlesen

(Tarn-)Grüne Förderung von Sprunginnovationen

Autor: Christoph Marischka

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung wurde unter der Überschrift „Für eine modern ausgerüstete Bundeswehr“ die Gründung einer „Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien“ unter gemeinsamer Federführung des Innen- und des Verteidigungsministeriums angekündigt, welche die „technologische Innovationsführerschaft“ Deutschlands sicherstellen solle. Bereits im Vorfeld war durchgesickert, dass als Vorbild mit der DARPA die Forschungsagentur des Pentagon galt. Die Rüstungsindustrie frohlockte bereits. „(Tarn-)Grüne Förderung von Sprunginnovationen“ weiterlesen

Cloud-Anbieter für Bundeswehr, CIA und Pentagon

Autor: Christoph Marischka

Ein erstes Update zur These der Transformation Tübingens in einen Rüstungsstandort durch das Cyber Valley

Anfang Juli veröffentlichte die Informationsstelle Militarisierung eine Analyse, in der gewarnt wurde, das Projekt Cyber Valley werde die Stadt Tübingen und die umliegende Region in einen Rüstungsstandort transformieren. Diese Warnung wurde von Sprecher_innen des Cyber Valleys und dem Redaktionsleiter des Schwäbischen Tagblatts (ST) zurückgewiesen[1].

Wenige Wochen später berichtete das ST über die Kundgebung zum Antikriegstag am 1. September 2018.[2] Ein dort gehaltener Redebeitrag unterstrich, dass Bundeswehr und das Verteidigungsministerium bei der Cyber-Kriegführung und im IT-Bereich massiv auf externe Expertise angewiesen seien und diese auch bei kleinen und mittelständischen Betrieben sowie über Beraterverträge einkaufen würden. In diesem Kontext nannte der Bericht des ST auch das – bereits zuvor von der IMI angesprochene – Tübinger Unternehmen Syss, das auf Penetrationstests spezialisiert ist und die Bundeswehr auf seiner Homepage als „Referenz“ nannte. „Cloud-Anbieter für Bundeswehr, CIA und Pentagon“ weiterlesen

Nur eine Frage der Zeit?

Autor: Bernhard Klaus

Westliche Luftschläge gegen Syrien – Auch die Friedensbewegung sollte sich vorbereiten

Am Ende des Bürgerkrieges?

Gegenwärtig ist es in der Berichterstattung ruhig geworden im Hinblick auf den Bürgerkrieg in Syrien. Jeremy Bowen berichtet in seiner Reportage aus Idlib für die BBC davon, dass aktuell „die Gewehre schweigen“ und verschiedene Rebellengruppen ihre schweren Waffen zurückgezogen hätten.[1] Ein Gefühl, dass der Bürgerkrieg zuende ginge, sei allgegenwärtig. Zugleich beschreibt er jedoch verstärkte Stellungen und spricht von einem nahezu unausweichlichen und wahrscheinlich selbst für die Verhältnisse im syrischen Bürgerkrieg blutigen Showdown um Idlib. Außerdem verweist er auf die Gefahr, dass der Konflikt auch in größerem Maßstab wieder aufleben könnte: „Wichtige ausländische Mächte haben Teile des Landes besetzt oder bombardieren diese und es besteht ein großes Risiko der Eskalation, wenn sie aneinander geraten. „Nur eine Frage der Zeit?“ weiterlesen