10 Jahre antikrieg.com

Heute vor zehn Jahren ging antikrieg.com in Betrieb. Der folgende Artikel von Gideon Levy hat mich damals so beeindruckt, dass ich mich entschloss, mit den mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung aktiv zu werden. Das Internet bot sich als ideale Kommunikationsplattform an und – oh Wunder! – die Domain antikrieg.com war auch frei. Antiwar.com kannte ich ja schon bestens seit dem Überfall der NATO auf Jugoslawien. Die Idee, eine Website mit aus vom Englischen ins Deutsche übersetzten Artikeln zu betreiben, stammt von Lutz Forster, dem leider viel zu früh Verstorbenen – Ehre seinem Andenken! Ein paar Monate seines Lebens konnte ich noch mit ihm zusammenarbeiten.

Antikrieg.com hat also 10 Jahre auf dem Buckel,ich werde bald 70 auf selbigem haben. Na hoffen wir, dass es gut weitergeht …

Klaus Madersbacher, antikrieg.com

Die Zeit der Gerechten

Gideon Levy

Dieser Krieg lässt vielleicht tiefer in das Wesen der israelischen Gesellschaft blicken als seine Vorläufer. Rassismus und Hass erheben ihre Häupter, nicht anders als Rachsucht und Blutdurst. Die „Grundhaltung des Befehlshabers“ in der israelischen Armee lautet jetzt „so viele wie möglich töten“, wie die Militärkorrespondenten im Fernsehen berichten. Auch wenn sie gegen Kämpfer der Hamas gerichtet ist, ist diese Grundhaltung erschreckend.

Ungezügelte Aggression und Brutalität werden gerechtfertigt als „vorsichtiges Vorgehen”: das furchtbare Verhältnis im Blutvergießen – ungefähr 100 tote Palästinenser für jeden toten Israeli – führt zu keinen Fragen, als hätten wir beschlossen, dass ihr Blut hundertmal weniger wert ist als unseres, was unseren inhärenten Rassismus aufzeigt.

Rechte, Nationalisten, Chauvinisten und Militaristen sind die einzigen, die sich in der Stadt blicken lassen dürfen. Lasst uns in Ruhe mit Menschlichkeit und Mitleid. Nur am Rand der Gesellschaft sind Stimmen des Protests zu vernehmen – gesetzlos, verfemt und von den Medien ignoriert – von einer kleinen, aber mutigen Gruppe von Juden und Arabern.

Daneben erhebt sich die vielleicht schlimmste Stimme von allen. Das ist die Stimme der Gerechten und Scheinheiligen. Mein Kollege Ari Shavit scheint ihr wortgewandter Sprecher zu sein. In dieser Woche schrieb Shavit an dieser Stelle („Israel muss seine medizinische Hilfe für Gaza verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen“ – Haaretz 7.1.2009): “Die israelische Offensive in Gaza ist gerechtfertigt … nur eine sofortige und großzügige humanitäre Initiative wird zeigen, dass wir auch angesichts des brutalen Krieges, der uns aufgezwungen worden ist, nicht vergessen, dass auf der anderen Seite Menschen sind.“

Für Shavit, der die Rechtmäßigkeit dieses Kriegs verteidigt und gefordert hat, dass er nicht verloren werden darf, spielt der Preis eine unerhebliche Rolle, wie auch die Tatsache, dass es in solchen ungerechten Kriegen keine Siege gibt. Und er wagt es, im gleichen Atemzug „Menschlichkeit“ zu predigen.

Will Shavit, dass wir töten und töten und danach Lazarette errichten und medizinische Hilfe für die Verwundeten schicken? Er weiß, dass ein Krieg gegen eine hilflose Bevölkerung, vielleicht die hilfloseste der Welt, die nirgendwohin flüchten kann, nur grausam und verabscheuungswürdig sein kann. Aber diese Leute wollen immer nur gut aussteigen. Wir werfen Bomben auf Wohngebäude und behandeln dann die Verwundeten im Ichilov; wir beschießen erbärmliche Unterkünfte in Schulen der Vereinten Nationen und rehabilitieren dann die Behinderten in Beit Lewinstein. Wir schießen und weinen dann, wir töten und jammern darüber, wir metzeln Frauen und Kinder nieder wie automatische Mordmaschinen und wollen unsere Würde hochhalten.

Das Problem ist, dass das nicht funktioniert. Das ist himmelschreiende Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit. Diejenigen, die mehr und mehr Gewalt ohne Rücksicht auf die Folgen fordern, sind wenigstens ehrlicher.

Beides zugleich geht nicht. Das einzig „Reine“ in diesem Krieg ist die „Reinheit von Terroristen”, die in Wirklichkeit zu furchtbaren Tragödien führt. Was in Gaza geschieht, ist keine Naturkatastrophe wie ein Erdbeben oder eine Überschwemmung, in der es unser Recht und Pflicht wäre, den Betroffenen zur Seite zu stehen und Rettungsmannschaften zu senden, was wir so gerne tun. Alle Katastrophen, die jetzt in Gaza stattfinden, sind von Menschen gemacht – von uns. Hilfe kann nicht mit blutbefleckten Händen angeboten werden. Mitleid kann nicht aus Brutalität entstehen.

Dennoch gibt es einige, die beides haben wollen. Wahllos töten und zerstören und doch gut aussehen, mit einem reinen Gewissen. Weiter Kriegsverbrechen begehen ohne jedes Gefühl der schweren Schuld, die damit verbunden ist. Es braucht Courage. Jeder, der diesen Krieg rechtfertigt, rechtfertigt damit alle damit verbundenen Verbrechen. Wer immer diesen Krieg predigt und glaubt, dass der Massenmord, den er mit sich bringt gerechtfertigt ist, hat kein Recht, über Moral und Menschlichkeit zu sprechen. Man kann nicht gleichzeitig töten und aufziehen. Diese Einstellung entspricht genau der grundlegenden zwiespältigen israelischen Stimmung, mit der wir seit jeher aufgewachsen sind: das Falsche tun, uns aber in unseren eigenen Augen rein fühlen. Töten, zerstören, aushungern, einsperren und demütigen und im Recht – um nicht zu sagen ein Gerechter – zu sein. Den gerechten Kriegstreibern wird dieses erhabene Gefühl versagt bleiben.

Jeder, der diesen Krieg rechtfertigt, rechtfertigt damit alle seine Verbrechen. Jeder, der ihn als Verteidigungskrieg hinstellt, muss die moralische Verantwortung für seine Folgen übernehmen. Jeder, der jetzt Politiker und Militärs ermutigt weiter zu machen, wird nach dem Krieg das Kainsmal auf seiner Stirn tragen müssen. Alle, die diesen Krieg unterstützen, unterstützen auch dessen Horror.

erschienen in Haaretz am 9.1.2009

antikrieg.com

Hat man SIE einer Gehirnwäsche unterzogen?

ES IST ERSCHRECKEND. Gewissenlose Psychologen setzen im Dienste eines böswilligen Regimes ausgeklügelte Techniken ein, um aus der Ferne das Denken eines Menschen zu steuern.

Der Ausdruck „Gehirnwäsche“ entstand 1950. Es ist ein chinesisches Wort („xinao“, wörtlich: waschen Gehirn). Ursprünglich bezeichnete das Wort eine Technik, die führende Köpfe Chinas erfunden hatten, um das Denken amerikanischer Gefangener im Koreakrieg zu manipulieren – jedenfalls wurde der Anspruch erhoben: Sie könnten die mentalen Prozesse der Gefangenen verändern und sie zu Agenten finsterer Mächte machen. „Hat man SIE einer Gehirnwäsche unterzogen?“ weiterlesen

Gideon Levy: Eine herzliche Entschuldigung an Haaretz-Leser

Anmerkung der Redaktion: Zwei israelische Staatsbürger – Gideon Levy, Buchautor und Kolumnist der israelischen Zeitung „Haaretz“ und Mitri Raheb, Pfarrer an der lutherianischen Kirche in Bethlehem – wurden im Januar 2016 in Stockholm mit dem Olof Palme-Preis für ihren Einsatz gegen Gewalt und für ein friedliches Miteinander in Israel geehrt.

Von Gideon Levy

Eine herzliche Entschuldigung an Haaretz-Leser

An alle beleidigten Leser, bei denen ich mich für die Einseitigkeit entschuldige. Wie konnte ich die Balance nicht zwischen dem Mörder und dem Gemordeten halten; dem Dieb und seinem Opfer, dem Besatzer und dem Besetzten?

Liebe Orna und lieber Moshe Gan-Zvi, ich war traurig, als ich am Dienstag in der hebräischen Edition von Haaretz las, dass ihr euch entschieden habt, euer Abonnement zu kündigen. Ich kenne euch nicht, aber ich werde euch als Leser vermissen. Als jemand, der teilweise mit verantwortlich für eure Entscheidung ist, da euer Artikel darauf hinweist, erlaube ich mir, mich zu entschuldigen. Zu entschuldigen, dass ich all die Jahre die Wahrheit schrieb. Ich sollte beachtet haben, dass diese Wahrheit für euch nicht angenehm war und ihr entsprechend handeltet. „Gideon Levy: Eine herzliche Entschuldigung an Haaretz-Leser“ weiterlesen

Olof Palme-Preis 2015 für Gideon Levy und Mitri Raheb

Der dem Andenken des in 1986 ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme gewidmete Preis geht an zwei israelische Staatsbürger für ihren Einsatz gegen Gewalt und für ein friedliches Miteinander in Israel.

Am 29.Januar 2016 wird der Olof Palme-Preis offiziell in Stockholm verliehen.

Mit der Ehrung werden diesmal zwei Personen „für ihren mutigen und unermüdlichen Kampf gegen Besatzung und Gewalt und für eine Zukunft im Nahen Osten durch friedliche Koexistenz und Gleichheit für alle Menschen“ ausgezeichnet: Mitri Raheb, ein Pfarrer an der lutherianischen Kirche in Bethlehem und Gideon Levy, Buchautor und Kolumnist der israelischen Zeitung „Haaretz“. „Olof Palme-Preis 2015 für Gideon Levy und Mitri Raheb“ weiterlesen

Haaretz Verlag: Selbstzensur ist grösste Bedrohung für die Pressefreiheit

Amos Schocken erzählt auf der Konferenz, die von der französischen Botschaft in Israel in Zusammenarbeit mit Haaretz gesponsert wurde, dass viele Journalisten über die Entfremdung zu ihren Lesern beunruhigt sind.

Der Verleger Amos Schocken des Haaretz, einer liberalen Zeitung in Israel, warnte Montag, den 31.Mai, dass die Selbstzensur in den israelischen Medien die grösste Bedrohung für die Freiheit der Presse darstellt. „Haaretz Verlag: Selbstzensur ist grösste Bedrohung für die Pressefreiheit“ weiterlesen