Reserve für die Heimatfront

Autor: Martin Kirsch

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz

Auf einer Pressekonferenz am 6. April 2021 verkündete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer feierlich den Start des neuen „Freiwilligen Wehrdienstes im Heimatschutz“ mit dem zusätzlichen Werbeslogan „Dein Jahr für Deutschland“. In diesem Kontext ließ sie verlautbaren: „Heimat ist für mich und für viele andere Menschen in Deutschland mehr als nur ein Ort, es ist ein Gefühl, etwas was man im Herzen trägt“.[1] Die militärische Perspektive ist deutlich nüchterner. In einem nicht zufällig im selben Monat auf dem Youtube-Kanal der Bundeswehr veröffentlichten Video mit Filmausschnitten einer Heimatschutzübung der Bundeswehr von 1976 heißt es: “Heimat, das bedeutet nicht nur Freunde, Familie, die Landschaft, in der man aufgewachsen ist. Heimat, das sind auch Fabriken, Nachrichtenanlagen, Straßen, Brücken – kurz all das, was man mit dem neudeutschen Wort Infrastruktur bezeichnet“.[2]

So soll auch die neue Heimatschutztruppe der Bundeswehr nicht primär Gefühle, Landschaften, Freund*innen und Familie, sondern eben diese kriegswichtige Produktions-, Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur im Kriegsfall schützen.

In Skandinavien, den baltischen Staaten und in Polen wurden die Heimwehren, Nationalgarden und Territorialverteidigungseinheiten im Zuge der Aufrüstungspolitik der letzten Jahre längst reaktiviert oder aufgestockt. Reservist*innen üben die Sicherung von Infrastruktur und Verkehrswegen, um im Fall der Fälle den Kampftruppen auf ihrem Weg zur Front den Rücken freihalten zu können.

Seit Anfang April 2021 sind auch bei der Bundeswehr wieder Rekrut*innen in die Kasernen eingerückt, um sich explizit für den Reservedienst im Heimatschutz ausbilden zu lassen. Vorerst als einjähriges Pilotprojekt soll mit dem Freiwilligen Wehrdienst (FWD) im Heimatschutz das Personal gewonnen werden, um eine neue Heimatschutztruppe aufzubauen.

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz

Der neue Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz ist formal auf ein Jahr ausgelegt und besteht aus sieben Monaten Ausbildung in der aktiven Truppe und fünf Monaten Reservedienst – die allerdings über sechs Jahre verteilt werden. Im Gegensatz zum bisherigen Freiwilligen Wehrdienst, der neun bis einundzwanzig Monate dauert, nach der Grundausbildung in der aktiven Truppe stattfindet und Auslandseinsätze mit einschließen kann, dient der Heimatschutzdienst in der ersten Phase ausschließlich als Ausbildung für den späteren Reservedienst.

Zum Beginn der sieben Monate Ausbildung in der aktiven Truppe durchlaufen die Heimatschutzrekrut*innen die dreimonatige Grundausbildung gemeinsam mit angehenden Zeit- und Berufssoldat*innen. Danach trennen sich die Wege. Während die angehenden Soldat*innen in ihrer Spezialgrundausbildung auf den späteren Dienst auf einem Schiff, in einem Panzer, an einem Flugzeug oder in einem Krankenhaus vorbereitet werden, dreht sich bei den künftigen Reservist*innen alles um Heimatschutz. In drei eigens kurzfristig eingerichteten Ausbildungsstützpunkten in Wildflecken, Berlin und Delmenhorst werden die Rekrut*innen für den Objektschutz sowie in den Bereichen Sanitätsdienst, ABC-Abwehr und Brandschutz geschult.[3] Darin inbegriffen ist die Ausbildung an Infanteriewaffen wie Pistole, Sturmgewehr und Panzerfaust. In einem letzten Ausbildungsabschnitt im siebten Monat lernen die angehenden Heimatschützer*innen unter Aufsicht des zuständigen Landeskommandos die lokalen Gegebenheiten und die Heimatschutzkompanie kennen, in der sie später als Reservist*in zugeteilt werden. Nach sieben Monaten verlassen sie die Kasernen und kehren als frisch ausgebildete Reservist*innen ins Zivilleben zurück. Für die folgenden sechs Jahre haben sie sich allerdings verpflichtet, insgesamt mindestens fünf Monate für kleinere Übungen und Einsätze in der Heimatschutztruppe zur Verfügung zu stehen.[4] Bis April 2022 sollen insgesamt 1.000 angehende Heimatschützer*innen dieses Programm durchlaufen haben. Die Ergebnisse werden dann ausgewertet und für künftige Ausbildungsjahrgänge weiter angepasst.

Ein Schnupperkurs bei der Bundeswehr

Seit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 kämpft die Bundeswehr mit Rekrutierungsproblemen. So sanken auch die Zahlen der freiwillig Wehrdienstleistenden über die Jahre. Während 2013 noch rund 12.000 Freiwillige ihren Wehrdienst bei der Bundeswehr ableisteten, sank diese Zahl auf rund 9.000 in 2020. Damit blieben gut ein Viertel der im Bundeshaushalt vorgesehenen und finanzierten 12.500 Stellen[5] unbesetzt. Die Einführung des neuen FWD im Heimatschutz erfüllt daher mindestens eine Doppelfunktion für die Bundeswehr. Offensichtlich geht es darum, neues Personal für die Reserve-Heimatschutztruppe zu gewinnen. Zudem gilt der FWD auch als Schnupperkurs für diejenigen, die sich aufgrund der hohen Einstiegshürden nicht gleich für Jahre und Jahrzehnte verpflichten wollen, der Idee aber nicht grundsätzlich nicht abgeneigt sind. Laut dem scheidenden Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber, handelt es sich um den Versuch, eine spezifische Gruppe Jugendlicher zu erreichen, die ein generelles Interesse an der Bundeswehr haben, sich aber von längeren Verpflichtungszeiten, Dienstorten fern des Wohnortes und der Option, in Auslandseinsätze geschickt zu werden, abschrecken lassen. Eben diese Gruppe, die es wohl häufiger bis ins Karrierecenter der Bundeswehr schafft, dann aber für keine der bisherigen Optionen zu gewinnen war, soll jetzt erreicht werden.[6]

Massive Kritik an eben dieser Rekrutierungspolitik kommt von den Sozialverbänden. So meldeten sich im Sommer 2020 die Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt zu Wort und bezeichneten das Missverhältnis von Finanzierung und Werbung für den Bundeswehrdienst und die zivilen Freiwilligendienste als „große Ungerechtigkeit“.[7] Während die zivilen Freiwilligendienste mit 130 bis 411 Euro Taschengeld und kaum Ressourcen für Aus- und Fortbildung als massiv unterfinanziert gelten, wird den freiwillig Wehrdienstleistenden im Heimatschutz mit 1.550 Euro Sold und freien Bahnfahrten der Dienst vergoldet – Budget für Werbekampagnen, Aus- und Fortbildung nicht einberechnet.

“Wo ist die Wertschätzung für die Arbeit, die unsere Freiwilligen im sozialen und ökologischen Bereich leisten?“ fragt Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und veranschaulicht die ungleiche Behandlung mit einem Beispiel: „Menschen, die freiwillig in der Pflege, Alten- oder Behindertenhilfe arbeiten, bekommen nicht mal ihr S-Bahn-Ticket ersetzt”.

Grundlegende Kritik an der Verwendung der Bezeichnung als Freiwilligendienst kam von Caritas und Arbeiterwohlfahrt. So kritisierte Caritas-Chef Peter Neher: „Die Bundeswehr sollte es als das bezeichnen, was es ist: Es ist eine Art Schnupperkurs für die Bundeswehr. Freiwilligendienste sind das Vorrecht der Zivilgesellschaft und nicht des Staates.“[8]

Heimatschutz: zwischen konservativem Populismus und Rechtsterrorismus

Ebenfalls bereits im Sommer 2020 wurde Kritik aus der Partei Die Linke am neuen Heimatschutzdienst laut. Neben der Ablehnung der Rekrutierung Minderjähriger – unter den ersten 1.800 Bewerber*innen war fast ein Viertel unter 18 Jahre alt – nahm die Kritik der Linken den Begriff Heimatschutz und dessen Implikationen in den Blick.

Der damalige Vorsitzende der Partei, Riexinger, kritisierte etwa gegenüber dem Spiegel: „Faschisten verwenden ihn seit je her gern für Nazi-Kameradschaften, ‚Bürgerwehren‘ und paramilitärische Einheiten. Ich erinnere nur an den ‚Thüringer Heimatschutz‘, der auch die NSU-Terroristen hervorgebracht hat“.[9] Der verteidigungspolitischen Sprecher der Linken, Tobias Pflüger, ging weiter darauf ein, wer von Begriffen wie Heimatschutz und Dienst für Deutschland angezogen wird: „Mit dieser Wortwahl riskiert die Bundeswehr, speziell rechte Kreise anzuziehen. Zumal gerade für rechte Kreise eine Ausbildung an der Waffe attraktiv ist. Der neue Dienst darf nicht dazu führen, dass nun noch mehr rechtslastige Akteure an scharfen Waffen ausgebildet werden.”[10]

Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Militärgeheimdienst MAD 1.200 Reservist*innen als „Rechtsextremisten“ eingestuft hat. Dieser Gruppe wird jetzt der Dienst an der Waffe und das Tragen der Uniform und damit die Teilnahme an Reserveübungen verboten.[11]

Dass auch die Reserve der Bundeswehr und die RSU-Kompanien – die Vorgänger der künftigen Heimatschutzverbände (s.u.) – ein deutliches Problem mit rechten bis rechtsterroristischen Strukturen haben, zeigen die Enthüllungen der letzten Jahre deutlich auf. So fiel der Fokus im Rahmen der Aufdeckung des Hannibal-Netzwerks auch auf die Gruppe Nordkreuz aus Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatten sich Polizisten und aktive Reservisten in Chatgruppen organisiert, um an einem Tag X politische Gegner*innen massenhaft zu entführen und umzubringen. Bei Durchsuchungen wurden neben Feindeslisten, Waffen- und Munitionslagern auch Chatprotokolle gefunden, in denen sich darüber ausgetauscht wird, an besagtem Tag X Bundeswehrfahrzeuge und Uniformen zu benutzen. Den Zugang dazu hatten sie.[12] Ein Mitglied der Gruppe, Horst S., war zu diesem Zeitpunkt Kommandeur der RSU-Kompanie Mecklenburg-Vorpommern. Zudem hatten weitere Mitglieder der Gruppe über ihren Reservistenstatus Zugang zu Kriegswaffen, Schieß- und Taktiktrainings der Bundeswehr.

Als Replik auf diese Kritik antwortete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Anfang April 2021 mit einer besonderen Spielart des konservativen Populismus. So ließ sie verlauten: „Wir haben diesen Dienst bewusst Heimat und Heimatschutz genannt“ und führte weiter aus: „Ein Fehler war es, dass wir in der Vergangenheit den Begriff Heimat, der uns allen am Herzen liegt, einfach den Rechten in diesem Land überlassen zu haben“. „Es wird Zeit, dass wir diesen Begriff wieder in die demokratische Mitte holen und dass wir ihn zurückerobern, wenn sie so wollen“. Zudem sei es die Bundeswehr, die sich dazu verpflichtet habe, die „Heimat Bundesrepublik Deutschland“ und die damit einhergehenden Werte „Freiheit, Demokratie und Vielfalt“ zu beschützen.[13]

Dabei handelt es sich allerdings um einen durchsichtigen Versuch, sich einerseits von Rechten und Neonazis abzugrenzen, andererseits aber die konservativsten Ränder von Parteibasis und Wählerschaft anzusprechen, die sich – nicht nur im Vokabular – mit dem rechten Rand überschneiden. Diese Form der gleichzeitigen Abgrenzung und Anbiederung nach Rechts führt allerdings, abgesehen von der Option auf kurzfristige Stimmgewinne, zu einer Normalisierung des rechten Diskurses. Erschreckendes Beispiel dafür ist die Debatte um Flucht und Migration in den 1990er Jahren.

Mit Pilotprojekten zur neuen Heimatschutztruppe

Bereits 2012, nur fünf Jahre nach der Auflösung der letzten Einheiten des ehemaligen Territorialheers, wurde mit einem ersten Pilotprojekt begonnen, an einer neuen Heimatschutztruppe – wenn auch unter anderem Namen – zu arbeiten.[14] Die damals als Pilotprojekt neuen aufgestellten sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien (RSU-Kompanien), bestehend aus Reservist*innen aus der Region, werden jetzt die Startmasse für die neuen Heimatschutzregimenter bilden.

Da es die 30 RSU-Kompanien in vielen Regionen allerdings nicht schafften, genügend Reservist*innen zu rekrutieren, wurde 2017 unter Federführung des Reservistenverbandes mit der Erprobung von Kursen für Quereinsteiger*innen begonnen. Durch eine zweijährige Wochenendausbildung können berufserfahrene Interessierte, die zuvor keinen Wehrdienst geleistet hatten, seitdem mit einer Art „Grundausbildung Light“ in den aktiven Reservedienst in den RSU-Kompanien aufgenommen werden.[15]

Im Dezember 2018 wurde ein weiteres Pilotprojekt ins Leben gerufen: Zwischen April 2019 und Dezember 2021 wird mit dem Landesregiment Bayern getestet, in welchen Strukturen die bisherigen RSU-Kompanien zu eigenständigen Großverbänden zusammengeführt werden können, die dann in der Lage sein sollen, unabhängig von der aktiven Truppe zu agieren.[16]

Aufbauend auf den Erfahrungen und mit dem Personal aus diesen drei Pilotprojekten – aufgestockt durch die neuen Heimatschützer*innen aus dem Freiwilligen Wehrdienst – soll jetzt die neue Heimatschutztruppe der Bundeswehr entstehen. Bis 2025 ist geplant, die Einsatzbereitschaft von fünf Heimatschutzregimentern mit insgesamt 5.000 Reservist*innen herzustellen.[17] Bewähren sich die Strukturen in dieser Aufbauphase, ist davon auszugehen, dass die Heimatschutztruppe der Bundeswehr bis Anfang der 2030er Jahre auf deutlich über 10.000 Reservist*innen anwachsen wird.

Regimenter an der Heimatfront

Der Begriff Heimatschutz ist bei der Bundeswehr kein unbekannter und wurde nicht erst von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer für dieses Aufgabenfeld gewählt.

Bereits von den 1960er bis Mitte der 2000er Jahre existierte ein Territorialheer für den Heimatschutz in der Bundeswehr. Nach der Aufbauphase standen in den 1970er Jahren bereits über 100.000 Reservisten und wenige aktive Soldaten in den Heimatschutzverbänden bereit. Größtenteils bestehend aus ehemaligen Wehrdienstleistenden wäre es der Auftrag des Territorialheeres gewesen, den Kampftruppen des Feldheeres unter NATO-Kommando den Rücken frei zu halten. Nach Ende des Kalten Krieges wurde das Territorialheer zwischen 1992 und 2007 schrittweise aufgelöst.

Mit den aktuellen Beschlüssen zur Wiederherstellung einer voll funktionsfähigen Heimatschutztruppe stellt sich allerdings die Frage, welche Aufgaben aktuell für den Heimatschutz vorgesehen sind. Drei zentrale Handlungsfelder des neuen Heimatschutzes der Bundeswehr werden in einer aktuellen Broschüre des Verteidigungsministeriums zum FWD im Heimatschutz benannt.[18]

Das erste Aufgabenfeld, das auch die Struktur und Ausbildung der Heimatschutzkräfte bestimmt, erinnert dabei stark an den letzten Kalten Krieg: „In Krisenlagen müssen sich die Heimatschutzkräfte darauf einstellen, die für die Verteidigung wichtige Infrastruktur in Deutschland als rückwärtigem Raum einer möglichen Bündnisverteidigung zu sichern und zu schützen. Dazu zählen beispielsweise Häfen und Bahnanlagen, Güterumschlagplätze, die NATO-Pipeline, Marschstraßen, Brücken, Verkehrsknotenpunkte und digitale Infrastrukturen. Aufmarschierende Verbände der Bundeswehr und auch befreundeter Streitkräfte, die sich für einen Transfer in die Einsatzräume zeitlich befristet in Deutschland aufhalten, können ebenfalls geschützt werden“.[19]

Weiter heißt es: „Angesichts heute vorstellbarer hybrider Bedrohungen gilt es hier, sich auch auf verdeckt operierende irreguläre Gruppierungen einzustellen. Die Heimatschutzkräfte werden daher mit Infanteriewaffen ausgestattet sein und z.B. über Mittel zur lokalen Aufklärung verfügen“. In besagtem Filmchen über eine Heimatschutzübung aus dem Jahr 1976, tauchen die nahezu gleichen Aufgaben, allerdings mit älterem Vokabular und damit vielleicht klarer auf: „Im Hinterland operiert der Gegner häufig mit den Mitteln des verdeckten Kampfes. Daher ist die wichtigste Aufgabe eines Spähtrupps, feindliche Kommandos und Partisanen ausfindig zu machen und ihren Standort dem Kompaniegefechtsstand zu melden“.[20]

Diese Aufgabe an der Heimatfront, im Hinterland der Kampftruppen, schlägt auch den Bogen zu den zwei weiteren Aufgabenfeldern. Kommt es in Friedenszeiten zu Naturkatastrophen oder Großunfällen wie Hochwasser, extremen Schneefällen, einem Zugunglück oder einer Pandemie, konnten bereits die alten und werden auch die neuen Heimatschutzverbände zur Unterstützung für den zivilen Katastrophenschutz eingesetzt werden können. Bei Übungen und Einsätzen mit dem zivilen Katastrophenschutz knüpfen die Kommandostrukturen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit auf Bundes- und Länderebene und die Heimatschutz-Reserve vor Ort Kontakte und pflegen den Austausch. Diese direkte Zusammenarbeit nutzt ihnen dann nicht nur im Kriegsfall oder bei Naturkatastrophen.

Auch für das dritte mögliche Einsatzspektrum, den Einsatz gegen Feinde im Inneren, sind diese Kontakte und die Normalisierung der Bundeswehr als Akteur im Inland für die Truppe von Vorteil. Bei diesen Einsatzoptionen handelt es sich um die Ausrufung des Inneren Notstandes oder die explizit vom Verteidigungsministerium erwähnte Option, die neue Heimatschutztruppe gemeinsam mit der Polizei zur Terrorabwehr im Inland einzusetzen. So wird in der besagten Broschüre auch die „Unterstützung von Polizeikräften in Terrorlagen beim Einrichten von Kontrollpunkten und Durchführen von Absicherungsmaßnahmen“ als möglicher Aufgabenbereich der Heimatschutzkräfte benannt. Zur Rechtsinterpretation heißt es weiter: „Sind die Voraussetzungen eines katastrophischen Ausmaßes gegeben, können – unter Führung der Polizei – hoheitliche Zwangs- und Eingriffsbefugnisse wahrgenommen werden“. Damit reiht sich die Aufgabenbeschreibung der neuen Heimatschutztruppe in eine Reihe von Vorstößen aus der CDU/CSU ein, die seit Jahren versucht die Bundeswehr an den äußersten Grenzen der Verfassung aktiver in der Terrorabwehr im Inland einzubinden.

Ob aus bürgerrechtlicher Perspektive mit Blick auf die Ausweitung der Fähigkeiten und Kompetenzen der Bundeswehr im Inland, aus antifaschistischer Perspektive mit Blick auf neue Zugänge zu Strukturen und Waffen der Bundeswehr für rechtes Klientel oder aus friedenspolitischer Perspektive mit Blick auf Rekrutierung und die Rückkehr zu Strukturen aus dem letzten Kalten Krieg: die Wiederbelebung des Heimatschutzes der Bundeswehr ist ein deutlicher Beleg dafür, dass autoritäre Tendenzen in der Innenpolitik und die aktuelle Aufrüstungspolitik kaum voneinander zu trennen sind.

Anmerkungen

[1] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz – Neuer freiwilliger Wehrdienst gestartet, 06.04.2021, bmvg.de.

[2] Bundeswehr: CLASSIX – Übung der Heimatschutztruppe (1976), 30.04.2021, youtube.com.

[3] Phoenix: Pressekonferenz mit Annegret Kramp-Karrenbauer zum neuen Freiwilligen Wehrdienst am 06.04.21, youtube.com.

[4] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz in Deutschland – Zum Start des neuen Freiwilligen Wehrdienstes, Broschüre, März 2021, bundeswehr.de.

[5] Bundesfinanzministerium: Bundeshaushaltsplan 2021 – Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung, Seite 21, bundeshaushalt.de.

[6] Phoenix: „Dein Jahr für Deutschland“ – AKK stellt neuen Bundeswehr-Freiwilligendienst vor, 23. Juli 2021, youtube.com.

[7] Redaktionsnetzwerk Deutschland: Wohlfahrtsverbände kritisieren Kramp-Karrenbauers neuen Wehrdienst, 23.07.2020, rnd.de.

[8] Deutschlandfunk: Der neue Freiwilligendienst im Heimatschutz, 06.04.2021, deutschlandfunk.de.

[9] Spiegel: Linke kritisiert „Heimatschutz“-Begriff für neuen Freiwilligendienst, 20.07.2020, spiegel.de.

[10] Die Linke im Bundestag: Die Bundeswehr schwächt zivile Freiwilligendienste – Pressemitteilung von Tobias Pflüger, 06.04.2021, linksfraktion.de.

[11] Focus: Bundeswehr-Geheimdienst suft 1200 Reservisten als rechtsradikal ein, 08.05.2021, focus.de.

[12] Luca Heyer: Der Hannibal-Komplex, IMI-Studie 2019/04 (13.06.2019), imi-online.de.

[13] Phoenix: Pressekonferenz mit Annegret Kramp-Karrenbauer, 06.04.21.

[14] Martin Kirsch: Der neue Heimatschutz der Bundeswehr, AUSDRUCK 3/2013, imi-online.de.

[15] Reservistenverband – Landesgruppe Brandenburg: Ausbildung Ungedienter erfolgreich beendet, 14.02.2019, reservisten-brandenburg.de.

[16] Martin Kirsch: Experiment Landesregiment Bayern – „Nationale Reserve“ als eigenständige Truppe für Inlandseinsätze?, IMI-Analyse 2019/07 (08.02.2013), imi-online.de.

[17] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz in Deutschland, Broschüre, Seite 4, März 2021.

[18] Ebd.

[19] BMVg: Heimatschutz in Deutschland, Broschüre, Seite 5, März 2021.

[20] Bundeswehr: CLASSIX – Übung der Heimatschutztruppe, 30.04.2021.

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI)
https://www.imi-online.de/2021/05/12/reserve-fuer-die-heimatfront/

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