Radio Utopie Interview mit Uri Avnery vom 01. Juni 2010

Transkript und Mitschnitt des Interviews von Radio Utopie mit dem israelischen alternativen Friedensnobelpreisträger Uri Avnery am 1.Juni 2010.

Mitschnitt

Transkript von Mahaf. Das Gespräch führte Daniel Neun.

RU: Schönen guten Tag, hier ist Radio Utopie. Wir haben heute einen sehr bekannten israelischen Friedensaktivisten und Dissidenten zu Gast, ich würde mal sagen, vielleicht sogar den bekanntesten – den alternativen Nobelpreisträger Uri Avnery. Shalom Uri Avnery!

Uri Avnery: Shalom.

RU: Erzählen Sie uns doch am Besten gleich zu Anfang mal aus Ihrer Sicht die Situation in Israel: Die politische Situation nach dem Überfall auf den Friedenskonvoi.

Uri Avnery: Dieser Überfall ist misslungen – in jeder Hinsicht – und in Israel wird jetzt sehr starke Kritik an ihm geübt. Nicht immer aus den richtigen Gründen, sondern mehr, dass der Prozess, die Entscheidung über diese Aktion falsch war; dass die Nachrichten, die der Armee geliefert worden sind, falsch waren; dass die Armee falsch geplant hat usw, usw.  – natürlich ist die wichtige Frage, warum die Blockade im Gazastreifen überhaupt verhängt worden ist und weitergeht und warum dieser Konvoi gestoppt worden ist.

RU: Wie sieht die Position der israelischen Linken aus, wenn es sie gibt – und wenn ja, wo gibt es die?

Uri Avnery: Die Medien schwärmen wie immer von der Armee und kritisieren die Politiker, die die Entscheidung gefällt haben.

RU: Und gibt es aus dem parlamentarischen Spektrum irgend eine Partei, die dieses – Massaker muß man ja sagen, dieses Blutbad – in irgendeiner Art und Weise kritisiert oder vertreten alle Parteien die Position des Militärs?

Uri Avnery: Die größte Oppositionspartei Kadima hat die Regierung unterstützt und die Führerin der Partei, Tzipi Livni, hat sogar vorgeschlagen, dass man sie als Propagandistin für diese Aktion benützt. Sie haben natürlich drei kleine arabische Parteien, Parteien der israelischen arabischen Bürger, die natürlich diesen Angriff auf‘s Schärfste angreifen, aber sie spielen irgendwie, obwohl sie im Parlament sind, bestehen sie irgendwie außerhalb des politischen Systems in Israel.

RU: Sie sind ja auch vom Parteiverbot bedroht, wenn ich mich nicht irre.

Uri Avnery: Das wird nicht passieren, denn die israelische Demokratie ist stark genug, um das zu verhindern.

RU: Sie haben in den letzten Artikeln angedeutet, es könnte sich eine neue Partei entwickeln im israelischen Parteienspektrum.

Uri Avnery: Wir hoffen das, weil wir haben ein gähnendes Loch im politischen Spektrum. Wir haben wirklich heute keine effektive Friedenspartei. Eine effektive, liberale, sekuläre Partei, die im sozialen Bereich und in anderen Bereichen eine liberale Auffassung sozialdemokratischer Prägung vertritt.

RU: Denken Sie, dass Prominente, also jetzt außer Ihnen, das weitere Prominente aus dem ehemals existierenden sozialdemokratischen, sozialen, sozialistischen, linken, pazifistischen, zivilen Spektrum – dass Sie dort Unterstützung finden?

Uri Avnery: Ich glaube, wenn so eine Partei entstehen würde und glaubwürdig ist, und von, sagen wir mal, kritikablen Leuten geführt wird, besteht eine große Chance, dass sie eine Rolle spielen kann. Bis vor kurzem – bis vor ein paar Jahrzehnten – war die Arbeitspartei in Israel führende Partei. Der Staat Israel ist von der Arbeiterpartei gegründet worden, praktisch. Weil eine sehr starke sozialdemokratische Partei alle führenden Positionen in der jüdischen Gemeinschaft hier im Lande hatte, als der Staat gegründet wurde. Seitdem ist die Arbeiterpartei fast vom Erdboden verschwunden. Was übrig geblieben ist, ist eine kleine Partei, deren Führer Ehud Barak, der Verteidigungsminister, einer der schlimmsten militaristischen und chauvinistischen Minister in der Regierung ist.

RU: Wie sieht es mit der Meretz-Partei aus?

Uri Avnery: Die Meretz-Partei – bei den letzten Wahlen auf drei Mitglieder zusammengeschrumpft – ich sehe keine großen Chancen, ob aus ihr noch etwas wird. Sie vertritt die Vergangenheit. Sie ist eine Elitepartei von aschkenasischen, gutbürgerlichen Kreisen. Sie spricht heute die Massen in Israel nicht an.

RU: Sie haben in Ihrem Artikel, der auch bei uns erschienen ist, „Das unanständige Wort“ geschrieben, da geht es um die Zukunft Israels: „Ich schaue auf den Tag in der Zukunft, wenn all die Organisationen, die diese Kämpfe führen – wunderbare Aktivisten, die ihren Enthusiasmus, ihre Talente, ihren Mut und besonders ihre Fähigkeit, sich einer Idee zu widmen, in eine einzige Kraft vereinigen werden…Zusammen werden sie die entscheidende Kampagne führen: Den Kampf für die zweite israelische Republik.“ Was verstehen Sie darunter?

Uri Avnery: Was ich darunter verstehe ist, dass die Option so ist, dass eine Reform in diesem oder jenem Bereich nicht genügt. Wir brauchen eine Grundänderung der israelischen Grundwerte – der israelischen Mentalität. Wir brauchen eine gründliche Revision der Ansichten der zionistischen Bewegung. Wir brauchen etwas, was ein neues Modell Israels betrifft. Das Modell, das wir 1948 geschaffen haben, entspricht nicht mehr der Wirklichkeit und führt uns in eine Sackgasse, aus der es kaum noch zurück geht. Wir brauchen ein ganz anderes Modell des Staates Israel.

RU: Das heißt zum Beispiel eine Verfassung?

Uri Avnery: Wir haben ja überhaupt keine Verfassung in Israel. Wir brauchen eine neue Verfassung, die neuen Werten entspricht. Wir haben doch Grundfragen in Israel, die nicht geklärt sind. Über die auch nicht diskutiert wird. Zum Beispiel: Ist Israel ein jüdischer Staat oder ein israelischer Staat? Was ist die Position der arabischen Minderheit in Israel? Und jeder fünfte israelische Staatsbürger ist ein Araber. Was hat das zu bedeuten – die offizielle Doktrin ist heute ein jüdischer und demokratischer Staat. Kann ein Staat jüdisch und demokratisch sein? Wir haben sehr viele Fragen, die nicht geklärt sind, die an die Seite geschoben sind und wir müssen sie anpacken. Wir müssen sie konfrontieren und wir müssen sagen, was wir wirklich wollen. Was für einen Staat Israel wollen wir?

RU: Sie waren gestern auf einer Demonstration. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Uri Avnery: Ja, diese Aktion auf hoher See hat bei vielen Leuten Israels das reine Entsetzen ausgelöst. Und ganz spontan gestern Abend haben sich mehr als 2000 Leute – aus sehr verschiedenen Kreisen, auch politischen Kreisen – zu einer Demonstration vor dem Verteidigungsministerium versammelt. Es war eine sehr, sehr aufregende Demonstration.

RU: Warum?

Uri Avnery: Krieg wurde – , die Aktion wurde verdammt, die Blockade wurde verdammt, Ehud Barak wurde verdammt usw.

RU: Also Ehud Barak, als Kommandierender des Militärs. Ist in Israel der Verteidigungsminister der Oberkommandierende des Militärs oder ist es der Premierminister?

Uri Avnery: Wie bitte?

RU: Ist in Israel der Verteidigungsminister der Oberkommandierende des Militärs oder ist das der Premierminister?

Uri Avnery: Weder noch, sondern nach unserem Gesetz ist der Oberkommandierende der Armee die Regierung als solche. Der Verteidigungsminister ist der Mann, der die Beschlüsse der Regierung an die Armee überträgt. Also ist der Generalstabschef der Kommandierende der Armee.

RU: Haben Sie Informationen, oder sind Ihnen Informationen zugetragen worden, wie es den Gefangenen geht? Es sollen ja bis zu 600 Gefangene in Lagern oder in Gefängnissen in der Negev-Wüste sitzen?

Uri Avnery: Man kann annehmen, dass die Gefangenen gut behandelt werden, aber die Frage ist, warum sind sie überhaupt gefangen? Diese Leute sind auf hoher See gefangen worden – sie waren nicht auf israelischem Territorium. Israel hat überhaupt kein Recht, sie einzusperren und das ist auch politisch eine reine Dummheit. Die ganze Aktion war ja unglaublich dumm. Das ist ein Teil dieser Dummheit – wenn man eine Dummheit macht, dann besteht die Möglichkeit,  nur noch dümmer und dümmer zu werden. Diese Gefangenen sind zum großen Teil türkische Bürger und jeder Augenblick, die sie in Israel sind, schadet den schon sehr, sehr schlimmen Beziehungen Israels zur Türkei. Israel hat doch überhaupt keinen Grund, die Türkei zu einem Feind zu machen. Die Türkei war viele Jahre lang unser engster Verbündeter im Nahen Osten und diese Krise zwischen den beiden Staaten ist für die Interessen Israels äußerst schädlich. Und wenn der Polizeiminister erklärt, er will die Leute vor Gericht stellen und eine Untersuchung anstellen, eine forensische Untersuchung, wer von diesen Gefangenen sich mit den israelischen Soldaten herumgeschlagen hat soll vor Gericht gestellt werden – das ist doch unglaublich dumm! Es ist kein Zufall, dass dieser Minister zu  einer Partei gehört, deren Führer Avigdor Liebermann ist, ein ausgesprochen rechtsradikaler Rassist.

RU: Wie ist die Stimmung in der israelischen Öffentlichkeit? Gesetzt den Fall, es ist wie in Deutschland, dass die Informationsindustrie mit der Öffentlichkeit nichts zu tun hat, sondern nur noch verzweifelt versucht, sie irgendwie zu lenken?

Uri Avnery: Ja, das stimmt auch für Israel zum großen Teil. Unsere Medien dienen der Armee und tun es sehr gerne und unsere so genannten Militärkorrespondenten sind praktisch Agenten der Armee – Propagandaagenten. Und darum sind die Medien gewöhnlich begeistert von allem, was die Armee tut. Jetzt, wo die Medien merken, dass in der Öffentlichkeit eine sehr kritische Stimmung über diese Aktion herrscht, werden auch die Medien sehr kritisch.

RU: Das heißt, die Medien, die Informationsindustrie folgt der Öffentlichkeit und nicht mehr umgekehrt?

Uri Avnery: Das ist immer so eine ambivalente Beziehung. Man weiß ja nirgends, niemals, inwieweit die Medien die Öffentlichkeit bestimmen oder von der Öffentlichkeit geführt werden. Das ist eine gegenseitige Beziehung.

RU: Herr Avnery, vielleicht wird es manche Zuhörer wundern, weshalb Sie so gut deutsch sprechen. Wie kommt das?

Uri Avnery: Ich bin in Deutschland geboren. In Beckum in Westfalen. Ich bin in Hannover aufgewachsen bis zu meinem zehnten Lebensjahr und 1933 sind meine Eltern mit mir aus Deutschland ausgewandert ins damalige Palästina. Ich habe noch ein halbes Jahr das dritte Reich miterlebt.

RU: Können Sie sich noch an die damalige Zeit erinnern? Sehen Sie da Parallelen zu der heutigen Zeit?

Uri Avnery: Ich habe das Ende der Weimarer Republik mitgemacht. Ich war damals neun Jahre alt und habe aber sehr klare Impressionen von damals. Die habe ich mitgenommen und darum haben Leute wie ich, die aus Deutschland kommen und in meinem Alter sind, irgendwie immer so eine kleine Lampe im Kopf, die ein rotes Licht erscheinen lässt, wenn ich mit offenen oder auch verborgenen faschistischen Tendenzen zu tun habe. Und ich bin immer auf der Wacht nach solchen Anzeichen in Israel.

RU: Nun, willkommen im Club, möchte ich fast sagen, aber Sie waren eindeutig vor mir da. Wir bemühen uns hier auch, uns eifrig umzuschauen diesbezüglich. Möchten Sie noch etwas Persönliches unseren Hörerinnen und Hörern sagen?

Uri Avnery: Ich möchte sagen, dass wir für ein besseres Israel kämpfen mit unserer (unverst.) in Israel. Wir wollen die öffentliche Meinung der israelischen Öffentlichkeit bestimmen – umstimmen, und wir können alle Hilfe gebrauchen in der Welt. Ich möchte der deutschen Öffentlichkeit sagen, dass ich nicht die Meinung teile, dass Deutsche Israel nicht kritisieren dürfen. Ganz im Gegenteil, ich glaube, richtige, wirkliche Freundschaft bedeutet, dass man einen Freund kritisiert. Man sagt einem betrunkenen Freund nicht: steig‘ ein und fahre nach Hause – man sagt ihm: bleib‘ hier und lass‘ jemand anderes das Auto fahren. Leider ist das nicht der Fall in Deutschland. Ich sehe nicht, dass die deutschen Medien und die deutsche Öffentlichkeit dem Friedenslager in Israel hilft. Im Gegenteil, sie helfen den rechtsradikalen Kräften, die heute bei uns an der Macht sind. Die deutsche Kanzlerin hat bei uns in der Knesset eine miserable Rede gehalten, die die israelische Regierung auf Dick und Dünn unterstützt und ich finde das unfreundschaftlich, möchte ich sagen.

RU: Recht herzlichen Dank!

Uri Avnery: Danke Ihnen, Shalom!

RU: Shalom Uri Avnery!

Vereinte Nationen, Europäische Union und NATO verurteilen gemeinsam (ohne USA) Israels Überfall auf Konvoi „Free Gaza“

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Pakistanischer Innenminister Malik sperrt alle „ausländischen Elemente“ von Untersuchung zum Times Square-Attentäter aus

Es kracht mächtig im Gebälk unter der USA-Pakistan-Kuppel (Foto: A NYPD car in Times Square. Julius Schorzman / Wikipedia)

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Militärkooperation Iran-Tadschikistan

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Die ehemalige Sowjetrepublik hat eine gemeinsame Grenze mit Afgahnistan und ist Mitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), der GUS, der Economic Cooperation Organization (ECO), der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) und des Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). „Militärkooperation Iran-Tadschikistan“ weiterlesen