The runaway General McChrystals erstklassiger Genickschuss ins eigene Nirwana


(Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel – Zeichnung von August von Wille / Wikipedia)

Update: General McChrystal soll angeblich Berichten zufolge sein Rücktrittsgesuch an US-Präsident Obama eingereicht haben

„fucking“, „am Arsch lecken“, „Schwule“, „Scheisse“

McChrystal liebt Ausdrücke der Gosse für Diplomaten und Regierungsbeamte im privaten militärischen Kreis

Die Musikzeitung Rolling Stone hat eine glanzvolle Leistung vollbracht, die so grossartig ist, dass ihr unbedingt die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden muss. Michael Hastings hat eine sechsseitige Reportage über den Oberkommandierenden der US- und NATO-Truppen für Afghanistan General Stanley McChrystal und seinen Generalstab geschrieben und diese Elite-Cowboys über eine längere Zeit rund um den halben Globus begleitet und ihre Ansichten über die US-Regierung, ihre Berater und Diplomaten hervorragend wiedergegeben.

Hastings ist ein Held. Er schafft mit der am Freitag in der gedruckten Ausgabe erscheinenden „Biografie der Realität“ an einem Tag das zu beweisen, was Hunderttausende bisher mühselig versuchten: Der Afghanistan-Krieg ist eine Farce à la Münchhausen und ist nie von den NATO-Verbündeten zu gewinnen.

Die unflätigen oder abfälligen Bezeichnungen für die Allerhöchsten der US-Administration und deren Verhaltensweisen einschliesslich für den US-Präsidenten und seinen Vize durch US-Militärs, die sie ohne Scheu und oft im Suff vor Hastings daher redeten, zeigt eine vollkommene Verkommenheit und Respektlosigkeit, die – in diesen Kreisen NORMAL sind, so wie das in jeden intimeren Kreis zu sein pflegt, wenn der Betroffene nicht anwesend ist. Und nun sage niemand, dass ihn das erstaunen täte!

Der Generalstab ist eine handverlesene Sammlung von Killern, Spionen, Genies, Patrioten, politischen Akteuren und regelrechten Maniacs (spanisch: Irre, Wahnsinnige, Verrückte), schrieb Hastings, und dass der erlauchte Kreis sich selbst als „Team America“ bezeichnen würde, ein eigenes „Afghanistan“-Lied grölt und stolz auf die Verachtung für die Behörden sei. General McChrystal würde es lieben, über Obamas Top-Leute des diplomatischen Dienstes Scheisse zu reden, hiess es in der Dokumentation. (1)

US-Aussenministerin Hillary Clinton wird über ihren lieben mageren Freund auch nicht sehr erbaut sein, wenn über sie sinngemäss gelästert wird, dass sie Stanley aus der Hand frisst und ihm keinen Wunsch abschlagen kann, „er bekomme von ihr alles, was er verlangt“.

Ebenso wenig die französischen Minister, über dessen homosexuelle Neigungen im internen Stanley-Kreis als „fucking gays“ hergezogen wird.

US-Vizepräsident Joe Biden, US-Botschafter Karl Eikenberry, Sonderbeauftragter für Afghanistan, Richard Holbrooke, US-Sicherheitsberater Jim Jones und viele andere bekommen ihr Fett von den Lästerzungen weg, scharfe Munition ist für jeden da.

Interessant wäre gewesen, wie der NATO-Chef Anders Fogh Rasmussen oder der deutsche Verteidigungsminister betitelt worden wäre, vielleicht noch am harmlosesten als geschniegelter Lackaffe? In McChrystals Kreisen ist alles mögliche denkbar. Schadenfreude kann manchmal doch eine schöne Freude sein, wenn sie wie hier eine ganze Gilde kriegslüsterner Honoratioren der sogenannten befrackten „guten Gesellschaft“ betrifft.

Betroffenheit lösen hingegen Obamas naiv geäusserten Ansichten über den Fortschritt der US-Invasion in Afghanistan aus, die er bei Karzais Besuch im Weissen Haus Mitte Mai im East Room vor Journalisten und „Würdenträgern“ kundtat:

„There is no denying the progress that the Afghan people have made in recent years – in education, in health care and economic development,“ – „Es ist nicht zu leugnen, dass die afghanische Bevölkerung in den letzten Jahren Fortschritte gemacht hat – im Bildungswesen, im Gesundheitswesen und in der wirtschaftlichen Entwicklung.“

„As I saw in the lights across Kabul when I landed – lights that would not have been visible just a few years earlier.“ „Wie zum Beispiel, als ich hinunter in die Lichter Kabuls schaute, während ich landete – Lichter, die nur wenige Jahre zuvor nicht zu sehen gewesen wären.“

Barack Obama verschaukelte hier die Weltöffentlichkeit mit verzweifelten demagogischen Floskeln, die einem Wunschdenken entspringen und falsche Tatsachen vortäuschen sollen. Oder aber er meint es ernst damit und lebt in einer Welt der Illusionen, was sehr unwahrscheinlich anmuten würde, da sich der US-Präsident stets bemüht, sich ein eigenes Urteil über die Lage zu bilden, indem er sich Unterlagen und Berichte geben lässt und mit Verantwortlichen persönliche Gespräche im Weissen Haus führt.

Im letzteren Fall würde er wie ein Kind an den Weihnachtsmann glauben, das am Christmas Day voller Vorfreude beim Anzünden der strahlenden Kerzen am Tannenbaum die kommenden Geschenke von Santa Claus erwartet.

Militärs sind nicht normal, schon aufgrund ihrer kasernierten Laufbahn. Der Mensch hat eine von der Natur eingebaute Hemmschwelle, Angehörige seiner Art zu töten. Wer das Töten zu seinem Beruf macht, hat defekte Abschnitte in seinem Gehirn. Im zivilen Leben werden Mörder und Totschläger mit entsprechenden drastischen Massnahmen vor der Allgemeinheit geschützt. Oder gab es etwa schon einmal einen Orden und berufliche Laufbahnbeschleunigung für einen Serienkiller? Militär ist die perverseste Form aller menschlichen fehlgeleiteten Errungenschaften.

Der am 22.Juni 2010 auf der Webseite des US-amerikanischen Musik-Magazins Rolling Stone im Vorab veröffentlichte sechsseitige Bericht:

„The Runaway General – Stanley McChrystal, Obama‘s top commander in Afghanistan, has seized control of the war by never taking his eye off the real enemy: The wimps in the White House“,

der zur Pflichtlektüre für jeden gehören muss, um die Zusammenhänge des neunjährigen Afghanistaneinsatzes, die neue Austandsbekämpfungsstrategie und die düsteren Aussichten auf Anhieb einschätzen zu können.

US-Verteidigungsminister Robert Gates hat den frei-von-der-Leber-weg-sprechenden General zum „klärenden“ Gespräch ins Weisse Haus beordert.

General Stanley McChrystal hat schon eine Entschuldigung veröffentlicht, wie sehr er doch den ehrenwerten US-Präsidenten und dessen kluge Politik schätze und sich entschuldigt.

Dementiert hat er kein einziges zitiertes Wort von ihm und seinem Beraterstab – das ist der einzige positive Zug an ihm. Dies lässt darauf schliessen, dass er auf diese Weise als unbotmässiges Klatschmaul gefeuert werden will und nicht wie sein Vorgänger McKiernan als strategischer und operationeller Versager – bevor das offene Geheimnis des ganzen Desasters der US-Armee nicht mehr mit beschönigenden Worten zu vertuschen ist. Die Kandahar-Offensive, die alles endlich in diesem Jahr entscheiden und die Wende bringen sollte, wurde vorsorglich um ein paar Monate verschoben, da die mit Gewissheit stattgefundene Niederlage der glorreichen ISAF-Komplizen und NATO-Verbündeten offenbar geworden wäre.

Vielen Dank an das Magazin Rolling Stone für die Veröffentlichung des Berichtes, der allen Normalgebliebenen einen Bärendienst erwiesen hat und beste Grüsse an Michael Hastings von dem Radio Utopie-Team!

Dieses Video mit dem Rolling Stones-Song „Paint it Black“ mit Szenen eines Spielfilms über den Vietnamkrieg ist brandaktuell: Afghanistan ist schon längst das neue Vietnam für die Vereinigten Staaten von Amerika geworden.

Update 6.14 Uhr:

Angeblich hätte eine „Quelle“ dem Time-Magazin gegenüber geäussert, dass McChrystal Präsident Obama – der die Oberbefehlsgewalt über die US-Streitkräfte hat, sein Rücktrittsgesuch nach der Veröffentlichung des Rolling Stone-Artikels zur endgültigen Entscheidung eingereicht habe. Aber Obama hätte den Kabinettmitglieder mitgeteilt, dass er mit seinem Urteil bis nach dem Unter-Vier-Augen-Gespräch mit dem General am heutigen Mittwoch in Washington warten will. (2)

Quellen:
(1) http://www.rollingstone.com/politics/news/17390/119236
(2) http://newsfeed.time.com/2010/06/22/mcchrystal-offers-resignation-obama-awaits-arrival/

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